Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

 Es war ein bizarrer Auftritt: Eskortiert von bewaffneten Solda-
ten, stürmte El Salvadors demokratisch gewählter Staatschef
Nayib Bukele Anfang Februar ins Parlament. Er wollte so Druck
auf die Abgeordneten ausüben, damit sie einen Millionenkredit
zur Finanzierung seiner Sicherheitspolitik verabschieden. Die
Aktion weckte ungute Erinnerungen an die Achtzigerjahre, als
von den USA unterstützte Militärs während des Bürgerkriegs
gegen die Guerilla Tausende Unschuldige ermordeten.
Bukele ist nicht der einzige lateinamerikanische Staatschef,
der sich auf die Streitkräfte stützt. In Brasilien berief der rechts-
extreme Präsident Jair Bolsonaro vergangene Woche einen
General zum Kabinettschef, er ist der neunte Soldat im Minister-


rang. In Bolivien drängte Ende vergangenen Jahres ein General
den demokratisch gewählten Präsidenten Evo Morales zwei
Monate vor Ablauf seiner Amtszeit zum Rücktritt. Und in Vene-
zuela wäre Autokrat Nicolás Maduro wohl längst gestürzt, wenn
ihn nicht das Militär stützen würde.
Vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen Bolsonaro und
Bukele sind augenfällig. Beide sind als Außenseiter an die Macht
gekommen und misstrauen den demokratischen Institutionen.
In Bolivien unterstützte die politische Opposition, die von Kon-
servativen bis zu Neofaschisten reicht, den Militärputsch gegen
Morales. In allen drei Ländern können die Streitkräfte auf Rück-
halt in der Bevölkerung zählen. Korruption und eine Kultur
der Straflosigkeit haben dazu geführt, dass die politische Klasse
und die demokratischen Institutionen wenig Rückhalt genießen.
In Brasilien vertrauen beispielsweise 42 Prozent der Menschen
dem Militär, aber nur 7 Prozent dem Parlament. Damit wächst
die Gefahr, dass der Flirt mit den Generälen in die Diktatur
führt. Die Demokratie stirbt langsam – und es sind zivile Politi-
ker, die ihr den Todesstoß versetzen. Jens Glüsing

Flirt mit den Generälen


AnalyseIn Lateinamerika gelangt das Militär durch


die Hintertür zurück an die Macht.


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Ausland


DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020

ALEXEY MALGAVKO / REUTERS

In Sibirien ist Obdachlosigkeit lebensgefährlich. Nachts fallen die Temperaturen oft auf bis zu minus 30 Grad.


Menschen ohne Wohnung bauen sich aus Planen und Decken einen Unterschlupf, so wie die 29-jährige Galja in


Omsk. Sie halten sich dabei dicht an den Versorgungsleitungen von Fabriken, die etwas Wärme spenden. Die


Obdachlosenunterkünfte sind überfüllt. Die Ärmsten der Armen überleben, indem sie Mülltonnen nach Brauch -


barem durchwühlen – nachts, wenn wegen der Kälte niemand sonst auf der Straße ist.

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