Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1
75

Indien


Eine Mauer für


Trump


 Donald Trump liebt Pomp –
und Indien hat sich vorgenom-
men, dem US- Präsidenten
bei seinem Staats besuch am



  1. und 25. Februar möglichst
    viel davon zu bieten. Auf
    dem Weg vom Flughafen in
    die Stadt Ahmedabad sollen
    Zehntausende Menschen
    die Straßen säumen. Im
    Anschluss wird es im größten
    Kricketstadion der Welt
    einen Empfang geben: Etwa
    125 000 Zuschauer werden
    Trump und Premier Narendra
    Modi zujubeln. Was die Gäste
    nicht zu Ge sicht bekommen


sollen, sind die weniger ange-
nehmen Seiten des Landes:
Bewohner eines Slums wur-
den aufge fordert, ihre Häuser
zu räumen, rund 45 Familien
sind betroffen. Bauarbeiter
zogen entlang der Straße
vom Flughafen eine rund
500 Meter lange Mauer in
die Höhe. Diese soll angeb-
lich für die Sicherheit des Prä-
sidenten sorgen – wahr-
scheinlicher ist, dass sie ihm
die Sicht auf Hütten ohne flie-
ßend Wasser und auf streu-
nendes Vieh verdecken soll.
Der Bundesstaat Gujarat, die
Heimat von Premier Modi,
will sich als Wirtschaftswun-
der und Hort der Spiritualität
inszenieren. Die Armut passt
da nicht ins Bild. LH

Syrien
»Wo ist die EU?«

Seit Anfang
Dezember führt
das syrische
Regime eine
massive Offen-
sive in Idlib,
der letzten Pro-
vinz, in der noch Gebiete von
Rebellen gehalten werden.
Hunderttausende Zivilisten
sind auf der Flucht. Die Not
der Menschen sei unvorstell-
bar – und werde durch den
Wintereinbruch noch ver-
schärft, sagt Misty Buswell,
48, vom International Rescue
Committee.

SPIEGEL: Frau Buswell, was
berichten Ihre Mitarbeiter
über die Lage vor Ort?
Buswell: Die Situation ist
entsetzlich. Es ist die größte
Fluchtbewegung, die wir
seit Beginn des Konflikts vor
knapp neun Jahren gesehen
haben. 900 000 Menschen
versuchen, sich in Sicherheit
zu bringen, doch das Gebiet,
in dem das geht, wird immer
kleiner.
SPIEGEL: Wo kommen die
Flüchtenden unter?
Buswell: Es gibt nicht
genug Schutzmöglichkeiten.
Wir haben von Familien
gehört, die zu zwanzigst
in einem Zimmer leben.
Andere schlafen in ihrem
Auto. Und Zehntausende
hausen in Zelten, obwohl es
Winter ist.

SPIEGEL: Wie geht es den
Menschen seit dem Winter-
einbruch?
Buswell: Man stellt sich den
Nahen Osten als warme Re -
gion vor, aber wir hatten in
den vergangenen Wochen
Temperaturen unter dem
Gefrierpunkt und Schnee.
Uns erreichen Berichte von
Kindern, die erfroren sind.
Von Menschen, die an Koh-
lenmonoxidvergiftung star-
ben, weil sie Öfen mit in die
Zelte nahmen. Krankheiten
breiten sich aus, es gibt kaum
Ärzte, die Verletzte behan-
deln oder Menschen impfen
können. Es ist eine humanitä-
re Katastrophe.
SPIEGEL: Was passiert, wenn
die syrischen Truppen die
Gegend einnehmen?
Buswell: Dann müssen sie an
drei Millionen Zivilisten vor-
bei. Es gibt Gesetze dafür, wie
man Kriege führt, aber sie wer-
den in diesem Konflikt völlig
ignoriert. Es wird noch mehr
Tote geben als ohnehin schon.
SPIEGEL: Wie könnte das
Leid der Menschen gelindert
werden?
Buswell: Wir brauchen einen
sofortigen Waffenstillstand.
Und die Kriegsparteien müs-
sen endlich an den Verhand-
lungstisch zurückkehren. Bis-
her war der internationale
Druck zu schwach. Wo ist die
EU, wo sind die USA? Wir
hoffen, dass die internationa-
le Gemeinschaft für den
Schutz der Menschen ein-
steht. ARV

Israel


Flüge nach Mekka


 Kurz vor der Wahl in Israel
hat Ministerpräsident Benja-
min Netanyahu eine neue
Zielgruppe für sich entdeckt:
arabische Israelis. Sie stellen
knapp 15 Prozent der 6,5 Mil-
lionen Wahlberechtigten, die
am 2. März an die Urne
gehen dürfen. Medienberich-
ten zufolge will die regieren-
de Likud-Partei sie nun mit
einer gezielten Kampagne für
sich gewinnen. Auftakt waren
Interviews, die Netanyahu
in der vergangenen Woche
arabischsprachigen Medien
gab. Darin versprach er unter
anderem, dass mehrere ara -
bische Orte nahe der Grenze
zum Westjordanland im Fall
einer Zweistaatenlösung wei-


terhin Teil von Israel bleiben
würden. Der »Friedensplan«
von US-Präsident Donald
Trump hatte vorgesehen, sie
einem neu gegründeten Paläs-
tinenserstaat zuzuschlagen –
was viele arabische Israelis
ablehnen. Lieber wollen sie
Teil des wirtschaftlich stabi-
len Israel bleiben, obwohl sie
dort oft Diskriminierung aus-
gesetzt sind. Netanyahu
betonte außerdem, seine
Partei bemühe sich darum,
dass es in Zukunft Direktflüge
von Israel nach Mekka gebe.
Der Premier hofft, dass die
Stimmen der arabischen Israe-
lis ein politisches Patt auf -
lösen, das Israel seit fast
einem Jahr lähmt. Eine mus -
limische Organisation jedoch
lehnte das Lockangebot
prompt ab. ARV

AJIT SOLANKI / AP
Mauerbau bei Ahmedabad

BURAK KARA / GETTY IMAGES
Flüchtlingskind in Idlib
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