Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

P


atrick Cotter war acht Jahre lang
Bundesanwalt für das amerika -
nische Justizministerium. Er war
einer der Staatsanwälte, die den
New Yorker Mafiaboss John Gotti hinter
Gitter brachten, davor beriet er die Uno
bei Ermittlungen zu Kriegsverbrechen im
früheren Jugoslawien. Cotter war lange
ein Bewunderer von William Barr, der be-
reits unter George H. W. Bush Justizminis-
ter war und seit vergangenem Jahr den -
selben Posten unter Donald Trump inne-
hat. Barrs Foto hing an der Wand von Cot-
ters Büro. »Ich habe ihn außerordentlich
respektiert«, sagt er. Das ist inzwischen
vorbei.
Cotter schaut mit Entsetzen auf das Jus-
tizministerium, das sein einstiger Chef
führt. »Was Barr in den vergangenen Mo-
naten gemacht hat, habe ich in meinem
38-jährigen Berufsleben noch nicht gese-
hen«, sagt er. Der Präsident mische sich
auf nie da gewesene Art in die Justiz ein,
Barr lasse das geschehen. »Es wird lange
dauern, diesen Fleck auf dem Ruf des Mi-
nisteriums zu entfernen.«
Was Cotter alarmiert, sind die Vorgänge
um Roger Stone, einen von Trumps engen
Vertrauten. Im Wahlkampf 2016 stand er
laut US-Sonderermittler Robert Mueller
in Kontakt mit WikiLeaks. Er drängte
die Organisation, E-Mails der Demokraten
zu veröffentlichen, die russische Hacker
entwendet hatten, um Hillary Clinton zu
schaden.
Im November war Stone in dieser Sache
von einem Geschworenengericht wegen
Falschaussage, Zeugenbeeinflussung und
Behinderung von Ermittlungen schuldig
gesprochen worden. Die Staatsanwalt-
schaft forderte sieben bis neun Jahre Haft.
Als Trump davon hörte, bekam er einen
Wutanfall. Das sei ein »Justizirrtum«,
zürnte er auf Twitter. Barr ordnete darauf
an, die Strafforderung zu reduzieren.
Am Donnerstag wurde Stone zu einer
Strafe von drei Jahren und vier Monaten
verurteilt, deutlich weniger als die ur-
sprüngliche Forderung der Staatsanwälte.
Die Urteilsbegründung darf Trump auf
sich beziehen. »Er wurde nicht strafrecht-
lich verfolgt, wie manche beklagt haben,
weil er für den Präsidenten eingestanden
ist«, betonte die Richterin. Stones Verhal-
ten löse »Bestürzung und Empörung« aus.
Ob Trumps Intervention zu einer nied-
rigeren Strafe geführt hat, ist offen. Allein
dass der Eindruck entstehen konnte,
Trump könne sich seine Urteile selbst bas-
teln, ist verheerend für die Justiz. Der Prä-
sident, oberster Repräsentant der Exeku-
tive, attackiert Staatsanwälte und Richter,
um einen Verbündeten zu schützen. Und
der Justizminister gibt klein bei. Der Fall
zeigt, was Trump unter Gewaltenteilung
versteht: Er erteilt die Anweisungen, die
Justiz setzt sie um. Das Gesetz ist er.


Die Episode macht zudem deutlich, wie
groß der Spielraum des Präsidenten in Fra-
gen der Justiz ist. Zwar kontrollieren sich
die staatlichen Institutionen im Wechsel-
spiel der »checks and balances« gegen -
seitig; allerdings kann der Präsident laut
Verfassung Richter bis hinauf zum Obers-
ten Gerichtshof nominieren. Immer wie-
der nimmt Trump Einfluss auf staatsan-
waltschaftliche Ermittlungen, auch das ver-
bietet ihm die Verfassung nicht.
Juristen reagieren auf Trumps Attacken
mit Entsetzen, im ganzen Land protestie-
ren Anwälte und Richter. Die vier mit dem
Stone-Fall befassten Staatsanwälte zogen
sich zurück, einer von ihnen gab sein Amt
gleich ganz auf. Mehr als 2000 ehemalige
Staatsanwälte und Mitarbeiter des Justiz-
ministeriums forderten William Barr in
einem offenen Brief zum Rücktritt auf. Die
»New York Times« schrieb, Trump verhal-
te sich wie viele Autokraten auf der Welt,
die das Gesetz als Waffe für sich und ihre
Freunde nutzen, um Widersachern zu
schaden – er sei wie ein Monarch.
Am Dienstag entschloss sich Trump,
mehrere Straftäter mit einer langen Liste
von Anschuldigungen zu begnadigen. Da-
runter ein früherer Gouverneur, der ver-
sucht hatte, einen Sitz im Senat zu verkau-
fen; einen Wall-Street-Banker, der wegen
des Handels mit Schrottanleihen verurteilt
worden war; und einen Polizeifunktionär,
der wegen Steuerbetrug einsaß. Es war, als
wollte Trump dem ganzen Land zeigen,
wie umfassend seine Macht geworden ist.

»Die Intervention desJustizministers im
Fall Roger Stone diente eindeutig dazu,
den persönlichen Präferenzen und Be-
schwerden des Präsidenten entgegenzu-
kommen«, sagt David Laufman. Er war
selbst Staatsanwalt, später leitete er die
Spionageabwehrabteilung des Justizminis-

teriums. Der Vorfall sei »alarmierend« für
jeden, dem an der Unparteilichkeit des Mi-
nisteriums gelegen sei, sagt er.
Die Vorwürfe aus Juristenkreisen waren
so massiv, dass Barr sich in einem Inter-
view darüber beschwerte, die Tweets des
Präsidenten machten seine Arbeit unmög-
lich. Trump beeindruckte das nicht. Es
stimme, er erschwere Barrs Arbeit, erklär-
te er fast trotzig. Der Justizminister ließ
Zeitungsberichte, wonach er über einen
Rücktritt nachdenke, dementieren.
Der Streit um Barr hat eine Debatte
verschärft, die seit Beginn der Amtszeit
Trumps immer wieder aufflammt. Wie
weit darf ein Präsident gehen? Darf er in
laufende Strafverfahren eingreifen, um sei-
ne Freunde zu schützen? Sein Freispruch
im Impeachment-Verfahren hat Trump in
der Auffassung bestärkt, dass er über dem
Gesetz steht. Die Frage, ob er die Justiz
beeinflussen dürfe, hat er für sich klar be-
antwortet: Er habe das gesetzliche Recht,
sich einzumischen, twitterte er vergangene
Woche. Später bezeichnete er sich als
»obersten Gesetzeshüter« des Landes.
Immer wieder beklagt sich Trump über
die »Scharade der Russlanduntersuchung«,
den »Impeachment-Schwindel« und die
unfairen Prozesse, den der »deep state«
gegen Vertraute angezettelt habe. Seinen
Eingriff in das Justizwesen deklariert er
damit zur legitimen Notwehr um.
Trumps Verhalten wirft die Frage auf, wie
stabil die amerikanische Demokratie noch
ist. Die autoritäre Wende in Ländern wie
Polen oder Ungarn zeigte sich auch darin,
dass die Regierung ihren Einfluss auf die
Justiz ausweitete. Barrs Amerika sei eine
»Bananenrepublik, in der alle den Launen
eines diktatorischen Präsidenten und seiner
Handlanger ausgeliefert sind«, schrieb
Trumps Parteifreund Donald Ayer, stellver-
tretender Justizminister unter Georg W.
Bush, im Magazin »The Atlantic«. Das mag
übertrieben klingen, aber Trumps Angriffe
geben dieser Befürchtung neue Nahrung.
Dabei hat die Politisierung des ameri-
kanischen Justizsystems lange vor Trump
begonnen. Der Supreme Court, das höchs-
te Gericht des Landes, wird von Demokra-
ten wie Republikanern seit Jahrzehnten
mit Parteigängern besetzt. Das wäre un-
dramatisch, wenn sich die Haltungen der
Richter nicht unmittelbar in ihren Urteilen
niederschlagen würden.
Zwar bestreiten die Verfassungsrichter
regelmäßig, entlang parteipolitischer Lini-
en zu entscheiden. Als Trump einen Rich-
ter wegen einer ihm unliebsamen Entschei-
dung als »Obama-Richter« schmähte, wies
der Vorsitzende des Gerichts, John Ro-
berts, ihn öffentlich zurecht. Aber Trump
hatte nicht unrecht.
Denn unter der Leitung von Roberts
traf der Supreme Court 73 Entscheidungen
mit einer Mehrheit von fünf zu vier Stim-

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 77


JENNA SCHOENEFELD / THE NEW YORK TIMES / LAIF
Trump-Freund Stone
»Bestürzung und Empörung«
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