Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

men. Dabei stimmte in den allermeisten
Fällen die konservative Mehrheit gegen die
demokratische Minderheit. So politisch die
Entscheidungsfindung ist, so poli tisch sind
deren Auswirkungen. Voriges Jahr ent-
schieden die obersten Richter, dass sie den
Zuschnitt von Abgeordneten-Wahlkreisen
nicht überprüfen könnten. Damit ist der
Weg frei für die überwiegend von Republi-
kanern kontrollierten Parlamente der Bun-
desstaaten, die Wahlkreise nach partei -
politischen Interessen zu gestalten.
Die Republikaner rechnen dem Präsi-
denten hoch an, dass er ihnen hilft, überall
im Land Richterstellen mit Konservativen
zu besetzen. Bis Anfang Februar nominier-
te er über 180 Bundesrichter, rund ein Drit-
tel mehr als sein Vorgänger Barack Obama
in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit.
Es sind überwiegend Kandidaten, die von
der Federalist Society ausgewählt wurden,
einer konservativen Juristenvereinigung.
Vor allem der republikanische Mehr-
heitsführer im Senat, Mitch McConnell hat
dieses Spiel perfektioniert. McConnell ver-
hinderte im letzten Amtsjahr Obamas,
dass dessen Kandidat für das höchste Ge-
richt überhaupt nur angehört wurde. Die
Strategie war anrüchig, aber erfolgreich.
Später setzte McConnell zwei konserva -
tive Richter am Supreme Court durch, da-
runter den umstrittenen Juristen Brett
Kavanaugh, und sicherte damit den Kon-
servativen eine langfristige Mehrheit.


Das Problem ist,dass die Unparteilichkeit
der Justiz nur dann gewährleistet ist, wenn
sich der Präsident an jene Normen und
Abläufe hält, die sich nach der Watergate-
Affäre und dem Rücktritt des damaligen
Präsidenten Richard Nixon etabliert hat-
ten. Die Unabhängigkeit der Justiz von


politischer Einflussnahme war dabei einer
der wichtigsten Grundsätze. Vom Präsi-
denten wird erwartet, dass er diese respek-
tiert – gleichsam aus Anstand. Doch was,
wenn ein Präsident sich um Normen und
Abläufe nicht schert?
Der konservative Intellektuelle David
Frum hatte sich dieser Frage nach Trumps
Einzug ins Weiße Haus gewidmet. Frum
war einst Redenschreiber für George W.
Bush, im Januar 2017 veröffentlichte er im
Magazin »The Atlantic« einen Essay mit
dem Titel: »Wie man eine Autokratie
baut«. Frum kommt darin zu dem düste-
ren Schluss, dass das politische System in

den USA eine entscheidende Schwachstel-
le aufweise: Es vertraue darauf, dass der
Amtsträger im Weißen Haus von einer in-
neren Ethik geleitet und aus eigenem An-
trieb dem Gemeinwohl verpflichtet sei.
Ist das nicht der Fall, lässt der Kongress
ihn walten, und ist auch die Öffentlichkeit
apathisch, so hält laut Frum auch die Ver-
fassung kaum Mechanismen bereit, die
verhindern könnten, dass die Institutionen
ausgehöhlt werden. Es gibt wenig, was den
zunehmenden Autoritarismus bremsen
könnte. Unter Trump, der die eigenen In-
teressen über das Gemeinwohl stellt, sind
die USA in diese Richtung unterwegs.
Einer der wenigen, der sich Trumps An-
griff auf die Justiz in den Weg stellen könn-
te, wäre sein Justizminister. Zwar be-

schwerte sich Barr öffentlich über Trumps
Attacken. Skeptiker in Washington be-
fürchten aber, Barr sei vor allem besorgt,
dass Trumps Einflussversuche zu öffent-
lich erfolgten und damit angreifbar seien.
Tatsächlich liefert Barrs Verhalten reich-
lich Anlass zu der Vermutung, er teile die
Haltung Trumps. Offenbar hat der Minis-
ter nicht nur in den Fall Stone eingegriffen,
sondern auch in den laufenden Prozess
gegen Trumps Ex-Sicherheitsberater Mi-
chael Flynn, der sich in der Russlandaffäre
des Meineids schuldig bekannt hatte. Der
Justizminister lasse jeden Aspekt der Er-
mittlungen von einem Ermittler neu über-
prüfen, heißt es. Trump hatte mehrfach
die ungerechte Behandlung Flynns durch
die Justiz beklagt.
Barrs Vorgänger Jeff Sessions hatte sich
den Zorn Trumps zugezogen, weil er sich
während der Russlanduntersuchungen
von Sonderermittler Mueller für befangen
erklärt hatte und daher keinen Einfluss auf
dessen Untersuchung nehmen konnte. Der
Präsident verkündete schließlich Sessions
Rücktritt per Tweet.
Barr bot Trump bislang wenig Anlass
zur Unzufriedenheit. Dabei war die Reso-
nanz auf seine Ernennung zunächst wohl-
wollend. Selbst Demokraten sahen in ihm
einen »Institutionalisten«, der das Justiz-
ministerium gegen ungebührende politi-
sche Einmischung durch das Weiße Haus
schützen würde.
Im Nachhinein war das naiv. Schon in
seiner ersten Amtszeit vertrat Barr die An-
sicht, der Präsident stehe quasi über dem
Gesetz. Barr hatte die passenden juristi-
schen Argumente für Trumps autoritäre
Impulse. Der Präsident hatte den Juristen
gefunden, den er lange gesucht hatte.
Ob Barr noch lange im Amt bleiben
wird, ist offen. Falls sich der Justizminister
den Wünschen des Präsidenten widersetzt,
wird ihn Trump durch einen gefügigeren
Nachfolger ersetzen. Trump hat schon
mehrfach gezeigt, dass ihm gleichgültig ist,
welcher Justizminister seine Anordnungen
ausführen darf.
Die Rechtsexpertin Susan Hennessey
hat mit ihrem Kollegen Benjamin Wittes
analysiert, wie Trump die Präsidentschaft
verändert hat. Sie beschreiben, wie unter
Trump Institution und Persönlichkeit des
Amtsinhabers beinahe vollständig ver-
schmolzen sind. Trump habe vor allem
eine grundlegende Annahme neu ins
Amt eingebracht: dass staatsbürgerliche
Tugenden unerheblich seien. Der größte
Schaden liege bislang darin, dass Trump
das Undenkbare erst gedacht und dann
ausgesprochen habe und es nun umsetze.
Im November wird sich zeigen, ob die
amerikanischen Wähler ihm dabei weiter
zusehen wollen.
Ralf Neukirch, Alexander Sarovic

78 DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020


Ausland

J. SCOTT APPLEWHITE / AP
Supreme-Court-Mitglieder: Entscheidung entlang parteipolitischer Linien

Barr hatte die
passenden juristischen
Argumente für Trumps
autoritäre Impulse.
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