Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

D


er Mann, der Präsident Emma-
nuel Macron stürzen will, ist
müde. So müde, dass er mitten
im Gespräch seinen Kopf auf die
zerkratzte Schreibtischplatte in seinem
Büro legt. »Wenig geschlafen in den letz-
ten Tagen«, sagt er und zieht sich eine
blaue Wollmütze ins Gesicht.
Juan Branco, gerade mal 30 Jahre alt,
seit 2017 Rechtsanwalt, erklärter Linker
und Gelbwestenanhänger, liebt es, sich in
Szene zu setzen. Immer wieder, so scheint
es, muss er beweisen, dass er, ein Kind der
Elite, anders ist als all jene, mit denen er
gemeinsam auf die Kaderschmieden dieser
Republik ging und die nun an den Schalt-
stellen der Regierung sitzen.
Deshalb liegt jetzt sein Kopf auf dem
Schreibtisch in seiner Kanzlei. Deshalb hat
er 2019 ein 260-seitiges Pamphlet gegen
Macron geschrieben – Titel: »Crépuscule«,
Niedergang. Und deshalb berät er den rus-
sischen Aktivisten Pjotr Pawlenski, der
vergangene Woche einen der engsten Ver-


trauten des französischen Präsidenten,
Benjamin Griveaux, mit einem Sexvideo
stürzte.
Pawlenski hatte ein Video online ge-
stellt, das Griveaux beim Masturbieren
zeigt. Angeblich enttarnte ein Muttermal
an der Hand den ehemaligen Regierungs-
sprecher, der sich selbst gefilmt hatte und
das Filmchen einer jungen Frau schickte,
mit der ihn wohl vor allem ein virtuelles
Verhältnis verband. Das Video löste ein
politisches Beben in Frankreich aus: Gri-
veaux war einer der engsten Vertrauten
Macrons, ein Mitbegründer der Bewegung
En marche. Die beiden Männer verbindet
der gemeinsame Weg an die Macht, der
Einzug in den Élysée und nicht zuletzt ihr
Alter: Beide wurden im Dezember 1977
geboren.
»Ein Protagonist der Macronie ist aus-
gerechnet über seinen Schwanz gefallen,
unfassbar. Nicht über seine hohen Gehäl-
ter und all die anderen Mauscheleien zu-
vor, sondern über seinen Schwanz«, sagt

Branco in seiner Kanzlei. Und man weiß
nicht recht, ob er nun wirklich fassungslos
ist oder nur so tut.
Es ist Dienstagnachmittag in Paris, vor
drei Stunden kam Brancos Mandant
Pawlenski unter Auflagen aus der Unter-
suchungshaft frei. Kurz zuvor konnte der
Anwalt ihn zum ersten Mal seit seiner Fest-
nahme sprechen. Pawlenski habe drei
Tage lang nicht duschen können, sagt
Branco, aber er sei entschlossen, seinen
Kampf zu Ende zu führen. Er wolle die
Mechanik der Macht enttarnen, hatte der
Russe beim Verlassen des Justizpalastes
erklärt. Er sei zufrieden mit dem, was er
gemacht habe. Kein Leugnen, keine Reue.
Juan Branco hat sich an diesem Nach-
mittag entschieden, die Verteidigung des
Aktivisten abzugeben. Nicht etwa weil er
sich von dessen Tun distanziert. Er folgte
damit dem Rat des Präsidenten der An-
waltskammer: Zu viel Nähe zum Ange-
klagten könnte sich negativ vor Gericht
auswirken. Denn Branco und Pawlenski

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»Wie Bonnie und Clyde«


FrankreichDie Sexaffäre um den Macron-Vertrauten Benjamin Griveaux wühlt das Land auf.
Steckt ein Komplott dahinter?

JOEL SAGET / AFP
Regierungssprecher Griveaux 2018: Mit Macron verband ihn der gemeinsame Weg an die Macht
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