Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

verbindet mehr als eine Anwaltsbezie-
hung, beide kennen sich, sie schätzen sich,
sie unterstützen die politische Agenda des
jeweils anderen.
Seit Tagen rätseln deshalb die französi-
schen Zeitungen, welche Rolle Juan Bran-
co in dem filmreifen Drama zukommt, in
dem der Wunschkandidat Macrons für
das Bürgermeisteramt der Hauptstadt von
einem russischen Aktionskünstler zu Fall
gebracht wird, dessen französische Freun-
din ganz zufällig ein Masturbationsvideo
von Benjamin Griveaux aus dem Frühjahr
2018 auf ihrem Handy gespeichert hatte.
Wirklich alles nur Zufall? Oder ein raf-
finiertes Komplott? Dass ausgerechnet ein
Russe die Griveaux-Videos auf der Web -
site Porno politique online stellte, hat in
Paris für Irritationen gesorgt. Die massiven
Versuche russischer Einmischung in den
Macron-Wahlkampf 2017 sind nicht ver-
gessen. Noch werten die französischen Er-
mittler USB-Sticks und Handydaten aus,
um herauszubekommen, was den Russen,
die Jurastudentin aus Metz und den linken
Anwalt verbindet. Gegen die ersten bei-
den läuft seit dieser Woche ein Er-
mittlungsverfahren wegen »Verlet-
zung der Privatsphäre« und der
»Verbreitung sexueller Bilder ohne
Einwilligung«.
Branco selbst weist alle Theorien
der Konspiration von sich. Er habe
Pawlenski und dessen Freundin
Alexandra de Taddeo erst Anfang
Dezember kennengelernt, so er-
zählt er es. Die drei seien nach
einem Vortrag Pawlenskis etwas
trinken gegangen. De Taddeo habe
den Russen bereits seit einigen Mo-
naten gekannt, seither seien die bei-
den ein Paar und sehr verliebt.
Die dunkelhaarige Studentin
kommt aus gutem Hause. Seit 2010
lebt sie in Paris, ihre Eltern finan-
zieren ihr das Jurastudium. Die 29-Jährige
spricht Russisch, arbeitet nebenher bei
einem Radiosender. 2018 kontaktiert sie
über Instagram Politiker, denen sie Fragen
stellen möchte, unter ihnen wohl auch
Griveaux.
Nach dem ersten Treffen lädt der An-
walt Juan Branco seine neuen Freunde zu
einer Silvesterparty ein, in die Wohnung
seiner Freundin in Saint-Germain-des-
Prés. Nach Mitternacht schlägt die Stim-
mung um. Angetrunkene Gäste hätten be-
gonnen, Pawlenski zu beschimpfen, so er-
zählt es Branco. Der Russe wird mit einer
Champagnerflasche angegriffen. Er wehrt
sich laut Branco mit einem Küchenmesser,
das auf dem Tisch lag. Einen Gast verletzt
Pawlenski damit am Oberschenkel, einen
anderen im Gesicht. Die Polizei wird ge-
rufen. Bis sie eintrifft, ist das russisch-fran-
zösische Paar verschwunden. Pawlenski
wird zur Fahndung ausgeschrieben.


Im Januar meldet sich de Taddeo bei
Branco und erzählt, eine wichtige Aktion
stehe bevor. Pawlenski brauche seinen ju-
ristischen Rat. Zum ersten Mal sieht der
Anwalt das Video. Er habe Zweifel gehabt,
ob es authentisch sei, sagt er heute. Dann
aber erfährt er, dass de Taddeo die Adres-
satin war. Sie habe im Mai 2018 ein kurzes
Verhältnis mit Griveaux gehabt.
Branco habe die beiden, so sagt er, vor
den möglichen Folgen ihrer Aktion gewarnt.
Nach einem Gesetz aus dem Jahr 2016
kann die Veröffentlichung intimer Aufnah-
men im Internet mit bis zu zwei Jahren Ge-
fängnis und 60 000 Euro Geldstrafe belegt
werden. Das aber schreckt das Paar nicht.
»Sie waren sehr entschieden, ein wenig
wie Bonnie und Clyde«, sagt Branco.
Oder waren es vielleicht sogar drei, die
den perfiden Plan hatten, ein intimes Vi-
deo zum Sturz des Kandidaten zu nutzen?
»Was wir gemacht haben, geschah ohne
Hass«, sagte Branco in einem Interview
kurz nach der Veröffentlichung des Vi-
deos auf dem Onlineportal Veculemedia.
Spricht so ein Unbeteiligter?

Branco bekämpft seit Jahren das System
Macron, die herrschende Elite, die er so
gut kennt und der er eine »zerstörerische
Dekadenz« vorwirft. Sein Anti-Macron-
Buch wurde zum Bestseller, es verkaufte
sich mehr als hunderttausend Mal. Meh-
rere Seiten widmete er darin Griveaux,
der für ihn die »Inkarnation dieser Pariser
Kreise ist, die sich immer wieder selbst
bedienen«. Er veröffentlicht Griveaux’
Monatsgehälter, beschreibt, wie dieser ver-
sucht, Saalmieten in einem großen Kon-
gresszentrum in Paris für den Kandidaten
Macron zu senken. Wirklichen Schaden
verur sachen die Enthüllungen nicht. Das
schaffte erst das Sextape von Pawlenski.
»Pjotr war schlauer als ich«, sagt Branco.
»Umso besser, das hat ihnen einen Schlag
versetzt. Ich hebe mir mein Mitleid auf für
Leute, die es verdienen.«
Alexandra de Taddeo sagte in den ver-
gangenen Tagen aus, sie sei an der Ver -

öffentlichung des Videos nicht beteiligt
gewesen, unterstütze aber nach wie vor
ihren Freund. Seit sie aus dem Polizei -
gewahrsam entlassen wurde, ist ihr jegli-
cher Kontakt zu ihm untersagt.
Bleibt die Frage, warum sie das Video,
das Griveaux ihr 2018 schickte und das
sich nach einer Minute hätte löschen sol-
len, überhaupt speicherte? Angeblich, so
heißt es, habe die Studentin noch weitere
belastende Aufnahmen. Viele vermuten,
dies sei der eigentliche Grund für den ra-
schen Rückzug des Kandidaten.
Leicht angewidert schauen die Franzo-
sen seit Tagen diesem politischen Feuille-
ton zu. Nicht weil es ihnen um Benjamin
Griveaux leidtut – den mochten die
wenigsten. Sein Image als arroganter
Emporkömmling ist er nie losgeworden,
da half auch nicht, dass er sich im Wahl-
kampf mit seiner schwangeren Frau foto-
grafieren ließ. Die Franzosen fürchten um
etwas, das ihnen seit je heilig ist: ihr Pri-
vatleben.
Moralische Empörung ist kein Element
der französischen Politik. Niemand regt
sich darüber auf, dass der Regie-
rungssprecher sich selbst befriedig-
te und dabei filmte. Dass das Pri-
vate nun aber öffentlich wurde, ent-
setzt alle, die seit Jahrzehnten mit
großer Gelassenheit die Seiten-
sprünge ihrer Regierenden tolerie-
ren. Zwei Präsidenten, Nicolas Sar-
kozy und François Hollande, wech-
selten ihre Partnerinnen während
ihrer Amtszeit im Élysée. Was die
Franzosen dabei am meisten störte,
war, dass Hollande so unvorteilhaft
unter seinem Helm aussah, wenn
er nachts mit dem Motorroller zu
seiner Geliebten, der Schauspiele-
rin Julie Gayet, fuhr.
Selbst das sonst nicht zimper -
liche Enthüllungsblatt »Le Canard
enchaîné« schrieb diese Woche, es gelte
noch immer die alte Regel: »Der Ruf nach
Transparenz hört am Eingang des Schlaf-
zimmers auf.« Das Sexleben von Politi-
kern, egal welcher Orientierung, gehe nur
diese selbst etwas an, solange sie nicht
gegen Gesetze verstießen.
Für die Regierungspartei geht es nun da-
rum, den Wahlkampf in Paris würdig fort-
zusetzen. Vor knapp drei Jahren, bei den
Präsidentschaftswahlen, erzielte Macrons
La République en marche hier die besten
Ergebnisse. Eine krachende Niederlage in
der Hauptstadt würde auch auf nationaler
Ebene ein fatales Signal aussenden. Am
Sonntag überredete der Präsident Gesund-
heitsministerin Agnès Buzyn, Griveaux’
Nachfolge anzutreten. Bis zum ersten
Wahlgang am 15. März bleiben nur noch
knapp vier Wochen. Britta Sandberg
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 81

Ausland

Freunde de Taddeo, Pawlenski, Branco in Paris
»Er ist über seinen Schwanz gefallen«
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