Der Spiegel - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

  1. Der Erreger dockt
    an Rezeptoren der
    Zellen an.


Sars-CoV-2

Rezeptor

Zellmembran


  1. Das neuartige Virus scheint
    10- bis 20-mal stärker an die
    Rezeptoren zu binden als der
    Sars-Erreger.


Ungebetener Gast
Übertragungswege und Krankheitsverlauf des neuartigen Coronavirus

Akuter Krankheitsverlauf* nach dem Einsetzen der ersten Symptome

* bei einer Gruppe von 41 Patienten, die im Januar mit Hauptsymptomen wie Fieber, Husten,
Muskelschmerzen und Abgeschlagenheit in Wuhan stationär aufgenommen wurden; Quelle: »Lancet«

Das Virus ist von Mensch zu Mensch übertragbar. Es ist davon
auszugehen, dass die Übertragung – wie bei anderen Coronaviren
auch – primär über Sekrete des Atemtrakts erfolgt.

erste
Symptome
Patienten: 41

stationäre
Aufnahme
41

Kurz-
atmigkeit
21

Lungen-
versagen
11

Intensiv-
station
16


  1. Mittels des Rezeptors
    gelangt der Erreger in
    die Körperzelle.


Tag 1 Tag 7 Tag 8 Tag 9 Tag 10

Fieber

Schnupfen

Husten

Durchfall

mögliche Symptome mögliche Komplikationen

Kurzatmigkeit

Lungenentzündung

Sepsis

Multiorganversagen

Weg auch in seinen Körper gefunden
hatte?
Mit welcher Leichtigkeit sich das neu-
artige Coronavirus Sars-CoV-2 auf dem
Kreuzfahrtschiff »Diamond Princess« aus-
breitete, löste weltweit Entsetzen aus. Mal
waren es 99 Neuinfizierte an einem Tag,
mal 88, mal 79. Am Ende der 14-tägigen
Quarantänezeit hatte sich mehr als ein
Sechstel der etwa 3700 Passagiere und
Crew mitglieder mit dem neuartigen Er -
reger angesteckt.
Zwei der Schiffsreisenden sind inzwi-
schen an der von dem Virus ausgelösten
Lungenkrankheit gestorben. Gut möglich,
dass es weitere Infizierte unter den Passa-
gieren gibt, die nun in ihre Heimatländer
zurückkehren durften, wo sie eine noch-
mals zweiwöchige Quarantäne erwartet.
Wie konnte es zu dieser Katastrophe
kommen? Lag es daran, dass auf dem
Schiff wichtige Quarantäne- und Hygiene-
regeln nicht eingehalten wurden, wie der
japanische Epidemiologe Kentaro Iwata
von der Fakultät für Infektionskrankheiten
der Universität Kobe argwöhnt? Oder war
schlicht das Belüftungssystem schuld? In
beiden Fällen wären die infizierten Passa-
giere, die Toten und die noch um ihre Ge-
sundheit Bangenden Opfer einer Quaran-
täne, die zu ihrem Schutz verhängt und


zu ihrem Schaden durchgezogen wurde.
All das wird zu klären sein.
Fest steht nur: Wo viele Menschen en-
gen Kontakt miteinander haben – und das
ist nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen so, son-
dern auch in Krankenhäusern, Gefängnis-
sen, in Bussen, U-Bahnen, Großraum -
büros, auf Festivals und Messen –, findet
der neuartige Erreger ideale Ausbreitungs-
bedingungen vor. Mit Leichtigkeit, so
scheint es, springt er dann von Mensch zu
Mensch.

*
Die Ansteckungsfähigkeit von Sars-CoV-2
lässt eine Pandemie fast unausweichlich
erscheinen. Immer mehr Experten fragen
sich, ob ein globaler Seuchenzug über-
haupt noch aufzuhalten sei. »Es sind sehr
unterschiedliche Szenarien denkbar, wie
eine weltweite Ausbreitung vonstatten -
gehen könnte«, sagt Marc Lipsitch, Epide-
miologe an der Harvard-Universität. Eines
aber scheint festzustehen: »Die Hoffnung,
dass im April alles wieder vorbei sein wird,
ist falsch.«
Immerhin, es gibt auch optimistisch
stimmende Botschaften: Langsam rückt
die warme Jahreszeit näher, und niemand
weiß, ob sich das Virus dann zurückziehen
wird, ähnlich wie es die meisten Grippe-

und Erkältungserreger tun. Gleichzeitig
treffen aus China rückläufige Infektions-
zahlen ein. Das Problem jedoch ist, dass
niemand weiß, ob er sie glauben kann.
Die Nachrichten aus der abgeriegelten
Provinz Hubei, die vor allem über soziale
Netzwerke nach draußen sickern, sind
nach wie vor verheerend. Auf die Provinz-
hauptstadt Wuhan entfällt der Großteil
der bisher gut 2000 Todesfälle. Beängsti-
gend ist vor allem, wie stark auch Medizi-
ner und Pflegekräfte betroffen sind. In
ganz China sollen mehr als 3000 von
ihnen infiziert sein.
Sporthallen, Hotels und ein Kulturzen-
trum wurden in Quarantänestationen um-
gewandelt, in denen Infizierte interniert
werden. Mehrere Tausend Soldaten hat
die Zentralregierung nach Wuhan ent-
sandt, außerdem ein Heer von Kranken-
schwestern. Ein viel geteiltes Video zeigt,
wie einigen der Frauen vor ihrem Einsatz
die langen Haare vom Kopf geschoren
werden – die Aufnahmen muten wie ein
Sinnbild dafür an, wie die Individualität
Einzelner dem Kampf in Wuhan geopfert
wird.
Die Elfmillionenmetropole steht im Zei-
chen des »Volkskriegs« gegen die Epide-
mie, den Staats- und Parteichef Xi Jinping
ausgerufen hat. Infizierte dürfen nicht län-

DER SPIEGEL Nr. 9 / 22. 2. 2020 99


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