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Von Buchmesse reden wir ja
schon gar nicht mehr. Hatten
Sie für die nächsten Tage even-
tuell geplant, zu einer literari-
schen Veranstaltung zu gehen?
Einer Buchpremiere, einer
Lesung oder einem einfachen
Podiumsgespräch? Selten tra-
fen die E-Mails mit dem Be-
treff „Absage“häufiger im
Minutentakt ein als diese Wo-
che. Vorläufige Absagen, end-
gültige Absagen. „Absage we-
gen Corona“ ist das E-Mail-
Motto der Stunde. Im Kleinen
startet der Literaturbetrieb
jede Menge virtuelle Gegen-
aktionen wie #leipzigliest-
trotzdem, #trostbuchmesse
oder „Jetzt ein Buch“. Sie
gehen hoffentlich viral und
sind gleichwohl virenfrei.
UNWORT DER WOCHE
SAGE
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26
14.03.20 Samstag,14.März2020DWBE-HP
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DWBE-HP
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26 DIE LITERARISCHE WELT DIE WELT SAMSTAG,14.MÄRZ2020
Ilma Rakusa:
Waiting for
Fast sprengt es die Knospen
des Pflaumenbaums
bald bald und der weisse
Blütenschaum ist da
vor flauem Himmel
immer das Warten und
der jähe Zauber
huch wie schnell er vergeht
jetzt aber lähmend ein anderes
Warten auf das Krönchen
aus Fernost das nistet nicht rastet
Mund in Gefahr Gaumensegel
in Gefahr Lunge in Gefahr
atmendes Atoll
wir sind keine Automaten
unsere Zunge lebt (telling lies)
Ampel auf rot flatternder Puls
und stockender Speichel
wer verdoppelt mein Leid
mit Rempeleien? woher der
hate speech im Genick?
Sekrete meiden und Solidarität
zeigen wir sind doch alle
angezählt mit Hortographie
ist kein Staat zu machen
wo Büsche auferstehen
sind wir Tabellenfrass
die Sonne scheint mir ins
Gesicht es träufelt Angst
warte noch du dunkle Pest
bis Frühling ist fossile Furcht
vom Licht zerteilt und so
der Rest
Die Schriftstellerin Ilma Rakusa
lebt in Zürich. Zuletzt erschien
„Mein Alphabet“ (Droschl).
DAS GEDICHT
Die Welt durch eine rosarote Brille zu betrachten ist manchmal von Vorteil. Auch
wenn diesem Verlag, der uns regelmäßig mit knalligen und ausgefallenen Covern be-
schenkt, nicht immer eine rosige Zukunft beschieden war. Nachdem zwei Münchner
Bibliophile Anfang der Nullerjahre das unabhängige Label Blumenbar ins Leben ge-
rufen hatten, kam man irgendwann ins Taumeln. Nun existiert das Label als Imprint
des Aufbau-Verlags weiter. Und der wirbt für das Werk der Nigerianerin Braithwaite
mit der Booker-Preis-Nominierung und Pressestimmen wie „Granatenbuch“ und
„Fiebrig heiß“. Einschätzungen, die auch auf die mörderisch geniale Einbandgestal-
tung zutreffen. Dafür muss man nicht einmal die Brille aufsetzen. PHILIPP HAIBACH
Oyinkan Braithwaite: Meine Schwester, die Serienmörderin.Blumenbar, 240 S., 20 €
JUDGE A BOOK BY ITS COVER
Der verhängnisvolle 15. März kam, aber
mit ihm kein Geld, nicht einmal ein Brief.
Die Vehfreudiger waren Nervenübeln
sonst eben nicht unterworfen, man sagte
sonst von ihnen, sie hätten Nerven so
dick wie dreibätzige Stricke; aber selbe
Nacht ging doch mancher Mann mit
Kopfweh zu Bette, welches seine Frau
ihm angepaukt. Und Mancher, der lange
nicht gebetet, betete an selbem Abend
lange, lange und laut und am Morgen
noch viel länger.
DAS RÄTSEL
In dieser Woche suchen wir eine Ge-
schichte aus der Schweiz. Wie heißt sie?
Und wer hat sie verfasst? Lösungsvor-
schläge bitte an die Redaktionsadresse
oder [email protected].
In der vergangenen Woche suchten
wir „Die Stadt der Blinden“ von José
Saramago. Gewonnen hat Eckhard
Scheld aus Gießen.
Preisfrage: Wie verleiht man den Preis
der Leipziger Buchmesse,dem sein Set-
ting abhandengekommen ist? Statt im
optischen und akustischen Gewusel der
großen Glashalle fand die Kür der drei
Preisträger am Donnerstag live im Hör-
funk statt. Die Juroren sendeten aus
dem Studio von Deutschlandradio Kul-
tur – und die nominierten Autoren, Über-
setzer und Verlage saßen wie ihre Vorfah-
ren in früheren Medienepochen an den
Rundfunkempfangsgeräten. Zum Teil na-
türlich auch am Livestream ihres Lap-
tops. Die Gewinner in den Sparten Belle-
tristik, Sachbuch und Übersetzung wur-
den mit telefonischen Kurzinterviews zu-
geschaltet, anschließende Jubel-Pics bei
Twitter machten die medienhistorisch
aparte Überlagerung komplett. Ange-
nehm kurz, nämlich nur 20 Minuten, dau-
erte das Ganze, lobten die Feuilletons.
DER BETRIEB
}
PROLEGOMENA
*
*PROLEGOMENA: „EINLEITUNG, WELCHE GEMEINGLICH VORGÄNGIG NÖTHIG IST, DER VÖLLIGEN UNTERWEISUNG EINER WISSENSCHAFT VORHERGESETZT ZU WERDEN, DAMIT DER LESER DIESELBE BESSER FASSEN MÖGE“ (ZEDLERS UNIVERSAL-LEXICON, 1754).
U Verantwortlich: Mara Delius Redaktion:Wieland Freund, Philipp Haibach, Marc Reichwein Gestaltung: Juliane SchwarzenbergU 1 0888 Berlin, Axel-Springer-Straße 65, [email protected]
Die drei mit dem Leipziger Buchpreis ge-
kürten Werke seien an dieser Stelle noch
mal nachdrücklich empfohlen: Lutz Sei-
lers Roman„Stern 111“ (Suhrkamp) wur-
de von uns für seine „politische Geistes-
gegenwart“ gewürdigt (WELT vom 12.
März). Als bestes Sachbuch wurde Betti-
na HitzersStudie „Krebs fühlen. Eine
Emotionsgeschichte des 20. Jahrhun-
derts“ (Klett-Cotta) ausgezeichnet, als
beste Übersetzung
derts“ (Klett-Cotta) ausgezeichnet, als
beste Übersetzung
derts“ (Klett-Cotta) ausgezeichnet, als
Pieke Biermanns
Übertragung von Fran Ross’ „Oreo“
(dtv). Dreimal bester Lesestoff für jede
Form von Leseklausur in diesen Tagen!
DIE EMPFEHLUNG
Diese kleine Nachricht aus dem vom Coronavirus gebeutelten Peking ist erfreulich –
und in Wahrheit keine Petitesse: Weil 80 Prozent der lokalen Buchläden geschlossen
sind, werden Buchkäufer in der chinesischen Hauptstadtjetzt durch die Food-
Lieferdienste mitversorgt. Gut für Händler und Leser, diese Kooperation!
DIE PETITESSE
Ins Offene, Freund! Der einzige deutsche
Dichter, der Hymnen und Oden so konn-
te, als sei er von den griechischen Göt-
tern höchstselbst auf Schwaben losgelas-
sen worden, kam in die Geschlossene. Am
- September 1806 wurde Hölderlin „mit
körperlicher Gewalt in einen Wagen ver-
frachtet und nach Tübingen transpor-
tiert“. Er wehrte sich, und zwar heftig.
„Er versuchte mehrmals aus dem Wagen
zu springen, prügelte auf die Begleiter ein
und kratzte sie mit seinen langen Finger-
nägeln blutig“, schreibt Hölderlin-Bio-
graf Rüdiger Safranski.
Die Zwangseinweisung in die Psychia-
trie hatte der württembergische Landes-
herr höchstselbst verfügt. Psychiatrie
kann man das Krankenhaus Autenrieth in
Tübingen natürlich noch nicht nennen,
bis zum 5. Mai 1807 bleibt Hölderlin dort,
der „vermutlich erste seelenkranke Pa-
tient“ des späteren Uni-Klinikums. Sein
Zustand verbesserte sich nicht. Aber es
war ein Glück, dass Hölderlin – als Dich-
ter – Fans hatte. Der Schreinermeister
Ernst Zimmer hatte „Hyperion“ gelesen
(damals lasen Schreiner noch!), gemocht
und Hölderlin im Krankenhaus besucht.
„Da im Clinicum nichts weiter mit Höl-
derlin zu machen war, machte der Canz-
ler Autenrieth mir den Vorschlag Hölder-
lin in mein Hauß aufzunehmen, er wüßte
kein passenderes Lokal.“ Und so kam
Hölderlin in den Hölderlinturm, im
Grunde eine natürliche Einliegerwoh-
nung, denn in das Haus des Schreiner-
meisters an der Neckarfront waren Teile
der alten Stadtmauer einbezogen wor-
den. Hier lebte Hölderlin 36 Jahre lang,
die ganze zweite Hälfte seines Lebens. Er
empfing nur gelegentlich Besuch. „Lange
Jahre war er immer noch ein schöner
Mann mit feinen Gesichtszügen, hoher
Stirn, schmalen Händen; doch musste
man ihn drängen, sich die Fingernägel
schneiden zu lassen“, schreibt Safranski.
Die Theorien über den am 20. März
1770 zur Welt gekommenen Hölderlin
schießen bis heute ins Kraut. Am be-
rühmtesten wurde Pierre Bertaux’. Ihm
zufolge hat Hölderlin den Wahnsinn nur
gespielt, um sich aus der Welt zurückzu-
ziehen. Andere Biografen betonen den
Knacks, den sein Verhältnis mit Susette
Gontard hinterließ. Hölderlin war, wie
viele Philosophen seiner Zeit, die an kei-
ner Uni unterkamen, Hauslehrer. Bei ei-
ner Bankiersfamilie in Frankfurt unter-
richtete er ab 1796 die Kinder. Und er hat-
te ein Verhältnis mit der Dame des Hau-
ses, bis es vonseiten Gontards hieß, „der
Hofmeister verbringe zu viel Zeit mit sei-
ner Frau“. 1798 muss Hölderlin gehen, es
beginnt eine Odyssee, die ihn zu Haus-
lehrer-Kurzzeit-Jobs von der Schweiz bis
Bordeaux in Frankreich führt. Hölderlin
tritt mangels Finanzen alle Stellen zu
Fuß an, ist monatelang zur Arbeit unter-
wegs. Im Juni 1802 erfährt er, dass Suset-
te Gontard gestorben ist – an Röteln.
Die Nachricht hebt Hölderlin ziemlich
aus den Angeln, er muss seine Hypo-
chondrie auf Anraten seines Homburger
Freundes Sinclair erstmals ärztlich be-
handeln lassen. Ab Sommer 1802 lebt
Hölderlin – mangels finanzieller Mittel –
wieder daheim in Nürtingen, bei Mut-
tern. 1804 keimt noch mal Hoffnung auf,
Sinclair besorgt Hölderlin eine Stelle als
Hofbibliothekar beim Landgrafen von
Homburg. Dort kommt es 1805 zu einer
ominösen Denunziation. Hölderlins
Freund Sinclair wird eines revolutionä-
ren Komplotts bezichtigt, Hölderlin auch
verdächtigt. Beim Verhör wird Hölderlin
„Raserey“ bescheinigt und protokolliert,
„daß man sein Reden, das halb deutsch,
halb griechisch, halb lateinisch zu lauten
scheint, schlechterdings nicht mehr ver-
steht“. Wenig später kommen die Sanitä-
ter und packen ihn in den Wagen, nach
Tübingen. MARC REICHWEIN
Alles Schriftstellerleben sei Papier,
heißt es. In dieser Reihe treten wir
den Gegenbeweis an.
ACTIONSZENEN DER
WELTLITERATUR
Hölderlins
Wahnsinn
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