Die Welt - 14.03.2020

(coco) #1

REGISSEUR


Edna O’Brien:
Das Mädchen
mit den
grünen Augen

Erstaunlicherweise wa-
ren es oft Frauen, Autorin-
nen, die mir sehr nahegegan-
gen sind und Geschichten er-
zählt haben. Edna O’Briens „Das
Mädchen mit den grünen Augen“
zum Beispiel. Wie in den meisten
O’Brien-Romanen ist auch „Das Mädchen
mit den grünen Augen“ eine Geschichte des
schmerzvollen Erwachsenwerdens. Ob bei
Carson McCullers, Anne Tyler oder Edna
O’Brien – Mädchen sind die Protagonistin-
nen. Dass da weibliche Schicksale erzählt
wwwurden, ist mir bei der Lektüre nicht aufge-urden, ist mir bei der Lektüre nicht aufge-
fffallen. Das waren Schicksale, die auch michallen. Das waren Schicksale, die auch mich
betrafen. Zumindest ähnlich. Es ist gerade
so, als ob beim Lesen etwas laut wird, was
man auch als Mann in sich trägt, dass im Le-
sen das jeweils andere Geschlecht in einem
selbst zur Geltung kommt.

Sich mit Peter Keglevic in einer Buchhandlung zu treffen,
hat schon seinen Sinn. Er könnte jederzeit hier anfangen.
Bevor Keglevic (Jahrgang 1950) Schauspieler, Hör- und
Drehbuchschreiber und Filmregisseur wurde, hat er da-
heim in Salzburg Buchhändler gelernt. „Geistesblüten“
heißt der Buchladen am Berliner Walter-Benjamin-Platz,
zu dem Keglevic seinen Handapparat für heute in einer
Sporttasche getragen hat. Er hätte auch einen Kleinlaster
mit Büchern füllen und vor die „Geistesblüten“ stellen
können. Keglevic, einer der preisgekröntesten Filmema-
cher, Motor der Karriere seines Freundes Christoph Wal-
tz, ist ein manischer Leser. Und Schriftsteller ist er auch.
Gerade ist bei Penguin „Wolfsegg“ erschienen, sein zwei-
ter Roman. Eine alpine Dorfgeschichte, wie sie Marken-
zeichen des Filmregisseurs Keglevic ist. Die Geschichte
eines Mädchens, das mit seinem Bruder vor den Mördern
ihres Bruders in die Berge flieht. ELMAR KREKELER

BIOGRAFIE IN BÜCHERN


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14.03.20 Samstag,14.März2020DWBE-HP


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DWBE-HP

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32 DIE LITERARISCHE WELT DIE WELT SAMSTAG,14.MÄRZ2020


2 Knut Hamsun: Segen der Erde


Wenn sich etwas durch mein Leseleben ge-
zogen hat, dann das: Ich mag diese Außen-
seiter, ich mag die, die schweigsam sind,
die nicht viel reden, dafür tun, was ma-
chen. Der Isak aus „Segen der Erde“ war ei-
ner der Ersten. Der kommt in eine Ödnis in
Nordnorwegen und beginnt ein Loch zu
graben. Baut sich eine Hütte, fängt an, das
Land urbar zu machen. Er findet eine Frau,
die keiner wollte, weil sie eine Hasenschar-
te hat. Isak braucht sie für die Arbeit. Und
für die Liebe. Kinder kommen. Alles wird –
dank Isaks Beharrlichkeit, Unerbittlichkeit


  • immer größer, alles wächst. Isak bleibt
    der Isak, der er immer war. Das Schicksal,
    der Zerfall, das Unglück trifft seine Frau,
    seine Söhne. „Segen der Erde“ ist ein groß-
    artiger Landroman, eine Schule fürs
    Schreiben über Natur. Diese Schule hat
    sich später als sehr nützlich erwiesen. Ich
    bin in Salzburg aufgewachsen, war jedes
    Wochenende draußen in den Bergen. Das
    Land, die Natur, mein Erleben von Natur,
    das hat mich sehr geprägt und zieht sich als
    Motiv auch durch meine Romane.


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Erich Maria Remarque:
Die Nacht von Lissabon

Ende der 60er-Jahre hab’ ich ja Buchhänd-
ler gelernt. Das war eine Zeit, in der plot-
getriebene Literatur eher nicht so angese-
hen war. Simmel oder Remarque zum Bei-
spiel. Das war erfolgreich, konnte deswe-
gen also schon mal nichts sein. Mich hat
diese, ich nenne sie mal „Erlebnisliteratur“
aber nachhaltig geprägt für all das, was spä-
ter mein Hauptberuf geworden ist, Filme
machen, Drehbücher schreiben. „Die
Nacht von Lissabon“ ist eine unheimliche
Geschichte. Sie ist so viel gleichzeitig. Zeit-
geschichte, absurde, unglaubliche, törich-
te, schwachsinnige Liebesgeschichte. Alles,
was der Held tut, sollte man sich ganz ge-
nau überlegen, bevor man es tut. Und es
dann eher nicht tun. Was ihm und seiner
krebskranken Frau auf der Flucht vor den
Nazis aus Deutschland über die Schweiz
nach Lissabon geschieht, ist von einer der-
art launischen Willkür. Das erklärt auf so
eine übermächtige Art, was der Mensch
sein kann, was der Mensch ist, dass Remar-
que für mich ein ganz großes Vorbild ge-
worden ist. Eine Messlatte, an der ich im-
mer wieder meine eigenen Sachen anlege.

10


Willy Vlautin:
Ein feiner Typ

Der Mann war für mich – auch als Musiker
übrigens – eine absolute Entdeckung. Auch
Vlautins Romane kreisen immer wieder
um Außenseiter. In „Motel Life“ sind es
zwei Brüder, die das Schicksal schon lange
im Stich gelassen hat. In diesem Fall ist es
Horace, ein junger Mestize. Er arbeitet auf
einer Farm. Der alte Mr. Reese, der nicht
Horace’ Vater ist, hat sich seiner angenom-
men. Auf der Farm ist Horace unentbehr-
lich, ohne ihn läuft der Betrieb nicht. Er
kommt aber mit seinem Mischlingsein und
seiner ungeklärten Abstammung nicht zu-
recht. Er bricht aus, Richtung Las Vegas,
will Boxer werden, es allen zeigen, seinen
Makel als Halbindianer, Halbmexikaner ab-
legen. Er scheitert, wird bei einem Box-
kampf zu einem halben Krüppel geschla-
gen. Mr. Reese, vor dem er sich fürchtet,
weil er sich schuldig fühlt, holt ihn zurück
in das Leben, das ihm angepasst ist. Vlau-
tin macht das so schlicht und einfach und
so berührend. Das Erzählen von Menschen,
die scheinbar in Verzweiflung enden, da-
von, wie nah das Rettende aber ist, dass es
immer einen gibt, der dir hilft.

5


Louise Erdrich:
Das Haus des Windes

Noch so eine (vermeintliche) Außenseite-
rin. Von Louise Erdrich habe fast alles ge-
lesen – ich mag das sehr, was sie erzählt,
diese Halbindianerin, Halbdeutsche. Dass
sie sich immer wieder mit ihren Leidens-
genossinnen in den Reservaten beschäf-
tigt, aufzeigt, wie sich das Desaster, in
dem sie leben müssen, auswirkt, erzählt
von Alkoholismus, Sinnlosigkeit, Gesetz-
losigkeit. „Das Haus des Windes“ ist die
Geschichte des heranwachsenden Joe.
Seine Mutter ist vergewaltigt, fast umge-
bracht worden. Sie hat sich – verstummt –
in ihr Zimmer zurückgezogen. Joe ver-
sucht mit seinen Kumpels herauszufin-
den, was wirklich geschah. Und richtet ei-
ne noch viel größere Katastrophe an. Was
das Buch aber besonders, ja einmalig
macht, ist, wie Erdrich hier fast hundert
Jahre Indianergeschichte miterzählt, wel-
che Kulte, innerindianischen Gesetze und
welche Rechtsprechung es gibt.

Anne Tyler: Leben gehen

Das ist eine merkwürdige Ge-
schichte. Wieder geht es um ein
Mädchen. Wieder um eine Außen-
seiterin, die einen Weg ins Leben
findet. Evie ist pummelig, klein,
gehört keiner Clique an und ist
auf der Schule nicht sonderlich
beliebt. Die Geschichte spielt auf
dem Land, irgendwo in Amerika
und in den Siebzigern, da dürfte
es heute immer noch so sein. Ei-
nes Tages hört Evie im Radio von
einem, der Rock-’n’-Roll-Sänger
werden will. Ein eitler Fatzke,
dessen Aufmerksamkeit sie ge-
winnt, indem sie sich seinen Na-
men mit dem Rasiermesser in die
Stirn ritzt. Plötzlich ist sie ein
Star, der Rock ’n’ Roller ist ein
Star. Sie muss immer oben auf der
Bühne sitzen. Weil die Leute auch
ihretwegen in die Konzerte kom-
men, gewinnt sie immer mehr
Selbstbewusstsein, Selbstvertrau-
en. Irgendwann fragt sie der Sän-
ger, ob sie ihn heiraten wolle. In
dem Moment ist er verloren. Voll-
kommen uninteressant gewor-
den. Ein geniales Buch über das
Finden von Sinn in einem versan-
denden Leben.

7 Mick Kitson: SAL


Bin ich froh, dass ich das Buch erst gelesen
habe, nachdem ich meinen jüngsten Roman
fffertig hatte. Ist zwar eine andere Geschichte,ertig hatte. Ist zwar eine andere Geschichte,
kreist aber auch darum, dass man jungen
Menschen, hier ist es eine 14-Jährige, bei mir
ist es eine 16-Jährige, durchaus Verantwor-
tung zutrauen kann. Die sind nicht zu klein,
nicht zu jung. Sind sie nie. Sie können über-
mächtige Verantwortung auf sich nehmen
und tragen und bewältigen. Kitson erzählt
von einem Mädchen, dass sich mit seiner
Schwester in die Berge zurückzieht und seine
alkoholkranke Mutter aus der Klinik heraus-
holt. Das ist genauso grandios wie Daniel
WWWoodrells „Winter’s Bone“. Und auch deroodrells „Winter’s Bone“. Und auch der
Roman handelt von einer Pubertierenden,
der große Verantwortung aufgebürdet wird.
Die lebt mit ihren Geschwistern und einer
depressiven Mutter in einer Hütte. Der Va-
ter, der Crack gekocht hat, ist verschwunden.
Der Sheriff braucht ihn aber, weil die Familie
sonst das Haus verliert. Das Mädchen macht
sich auf die Suche und findet den Vater tot.
Ein harter, ganz erstaunlicher Roman.

9


Stefan Zweig:
Die Entdeckung Eldorados

In Stefan Zweigs „Sternstunden dern Stefan Zweigs „Sternstunden der
Menschheit“ sind so viele Geschichten ver-enschheit“ sind so viele Geschichten ver-
sammelt, die mich berührt, beeindruckt ha-ammelt, die mich berührt, beeindruckt ha-
ben. Die eine, die für mich herausragte, waren. Die eine, die für mich herausragte, war
die von der Entdeckung Eldorados. Das istie von der Entdeckung Eldorados. Das ist
die Geschichte des Schweizers Johann Au-
gggust Sutter. Wir sind im Jahr 1848. Gold-ust Sutter. Wir sind im Jahr 1848. Gold-
rausch in Kalifornien. Sutter hatte von der
Regierung halb Kalifornien gekauft. Er wur-
de unfassbar reich, er hat sich einen Palast
bauen lassen, sich einen Pleyel-Flügel mit
zzzwölf Ochsenkarren über die Rocky Moun-wölf Ochsenkarren über die Rocky Moun-
tains liefern lassen. Auf seinem Besitz wur-
de das ganze Gold gefunden, und er konnte
die Goldgräber nicht von seinem Land ver-
treiben. Er verlor alles und hockte zehn Jah-
re in Washington vor dem Obersten Ge-
richtshof, um sein Recht einzuklagen. Er
stirbt auf der Treppe hinauf zum Gericht,
ein anderer Kohlhaas gewissermaßen. Viel-
leicht mag ich die Ausgestoßenen deswegen
so, weil ich mich in ihnen wiedererkenne.
WWWeil man sich – vielleicht gerade als Künst-eil man sich – vielleicht gerade als Künst-
ler – immer auch als Außenseiter, als Unver-
standener empfindet. Stefan Zweig bringt
sie einem so nahe wie sonst kaum einer.

4


Maja Haderlap:
Engel des Vergessens

Der Wald ist – auch in meinen Romanen –
nicht nur eine Ansammlung von Bäumen.
WWWenn man in ihrer Gegend, dem südlichenenn man in ihrer Gegend, dem südlichen
Kärnten, der Grenzregion zu Slowenien, in
den Wald geht, schreibt Maja Haderlap in
ihrem Roman, geht man nicht unbedingt
in den Wald, um Pilze zu sammeln und
Holz zu machen. In den Wald gehen hat
immer noch eine zweite Bedeutung, weil
unvergessen ist, was im Krieg in den Wäl-
dern geschah. Da ist man in den Wald ge-
gangen, um sich zu verstecken, da wurde
man gesucht, umgebracht. Wenn der Wald
dich mag, findet dich keiner. Maja Hader-
lap nimmt ihre Familiengeschichte und er-
zählt die Geschichte Sloweniens. Von Na-
zis und Partisanen. Immer mehr Geheim-
nisse kommen hinein in die Geschichte,
die lange totgeschwiegen werden. Dieses
Totschweigen ist ja auch ein österrei-
chisches Phänomen. Es scheint oft eine
zweite, eine dritte Generation zu brau-
chen, um ein Land, eine Region wachzu-
rütteln, Unterdrücktes aufzudecken. Das
ist wie bei einer Kastanie, die plötzlich auf-
platzt, wenn man sie röstet, und man
sieht, was wirklich drinnen war.

1 Albert Camus: Der Fremde


Meine Stiefmutter hat Mitte der Sechziger
ihr Abendabitur gemacht. Dafür musste sie
auch Literatur aufbereiten. Ich hab das im-
mer mitgelesen. Camus’ „Der Fremde“ ge-
hörte dazu und Hamsuns „Der Segen der
Erde“. Ich war damals sechzehn. „Der
Fremde“ wurde mir zur vollkommenen
Identitäts- und Identifikationsliteratur.
Ich verstand alles. Ich empfand alles. Ich
konnte sogar nachvollziehen, dass er sein
Opfer, den Araber, erschossen hat und sich
in der späteren Gerichtsverhandlung auf
die Sonne und auf die Hitze beruft. Sagt,
dass es so gleißend war. Dass die gleißende
Sonne, das blitzende Messer die Ursache
von allem war. Das hat mich geprägt – Ro-
mane, in denen etwas existenzialistisch be-
handelt, an den Grund von Sein und Sinn
gerührt wird, das sind meine Romane.

Peter Keglevic,


RRRREGISSEUREGISSEUREGISSEUREGISSEUR


ELMAR KREKELER

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11


Michael Ondaatje:
Kriegslicht

AAAuch ein Roman über Jugendliche. Viel-uch ein Roman über Jugendliche. Viel-
leicht ist es das nicht zu lösende Geheimnis
junger Menschen, das mich daran so faszi-
niert. Die Rätsel, die sie uns aufgeben. Wir
sind in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Die Geschwister, Nathaniel und Rachel,
vierzehn und sechzehn Jahre alt, werden
von ihren Eltern allein gelassen, weil die ir-
gendwo im Ausland zu tun zu haben. Na-
thaniel und Rachel leben in einem Haus un-
ter zwielichtigen Leuten, die auf sie aufpas-
sen sollen. Die Kinder haben keinerlei Pro-
blem mit denen, die gehen überall mit hin.
Sind plötzlich auf Frachtkähnen unterwegs,
fffahren über die Kanäle durch ganz London.ahren über die Kanäle durch ganz London.
Irgendwas Illegales ist da im Gange. Sie
werden zu Hunderennen geschleppt. Die
Leute – ihre Leute – sind Waffenhändler. So
richtig verstehen die Kinder das alles gar
nicht. Und dann stellt sich heraus, dass ihre
Eltern auch noch Spione für den MI6 sind.
Das alles ist so präzise wie einfach erzählt.
Darin ist Ondaatje („Der englische Pa-
tient“) ein wirkliches Vorbild.

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Alex Capus:
Eine Frage der Zeit

Alex Capus schätze ich auch deswegen,
weil mich jedes Mal seine Themenwahl
überrascht. „Eine Frage der Zeit“ spielt ein
Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Welt-
kriegs. Die Deutschen am Tanganjikasee
wollen unbedingt – am See stoßen belgi-
sche, britische und deutsche Kolonie anei-
nander – ein großes Kriegsschiff haben.
Man baut das in Kiel, lässt es stapellaufen,
zerlegt es in 5000 Teile, bringt es per Schiff
und Eisenbahn nach Daressalam und von
da 1200 Kilometer mit der Bahn zum Tan-
ganjikasee. Und drei Angestellte der Kieler
Werft bauen es da wieder zusammen. Die
Engländer schaffen nach bester Fitzcarral-
do-Art zwei Kanonenboote via Kapstadt
und durch den unüberwindbaren Kongo
zum See. Eine absurde Geschichte, eine Va-
riation des Sisyphos, in der Sisyphos auf
seine Qual angewiesen ist. Das ist so iro-
nisch erzählt. Manchmal so traurig. Das er-
klärt so viel. Ein großes Buch.

13


Patricia Highsmith:
Der Mann, der seine
Bücher im Kopf schrieb

Ich hatte eine Phase, da habe ich alle Kri-
mi-Autoren gelesen, die mir zwischen die
Finger kamen. Auch Patricia Highsmith –
und da bin ich diesem Mann begegnet. Und
dieser Mann war ich. Er schließt sich jeden
Tag um zehn Uhr ein. Dann kommt er zum
Mittagessen, um drei Uhr geht er zurück
ins Arbeitszimmer. Frau und Kinder hor-
chen, aber man hört nie etwas. Eines Tages
kommt er und sagt: „Ich bin fertig.“ Alle
sind begeistert. Es gibt ein schönes Abend-
essen. Die Frau ist dann so neugierig und
geht in das Schreibzimmer. Und da ist
nichts. Die Schubladen sind leer, stapelwei-
se liegt Papier herum, aber es ist weiß. Es
ist nichts da. Es gibt keinen Roman. Und er
sagt: Ich habe ihn im Kopf. Das finde ich
grandios. Denn das ist eigentlich das Wich-
tigste, Andre Heller hat mal gesagt: Die
wahren Abenteuer sind im Kopf. Und sind
sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.

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