Die Welt - 14.03.2020

(coco) #1
Gefragte Schutzkleidung: Für Kliniken sind Handschuhe und Kittel kaum noch zu bekommen

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ie Corona-Pandemie hat Deutsch-
land voll erfasst. Wer in einer Apo-
theke nach einem Mundschutz
fragt, wird meist enttäuscht.
„Komplett ausverkauft. Wann wir
wieder etwas bekommen, ist völlig offen“, hören
die Kunden. Aber selbst Profi-Helfer in Kranken-
häusern, Pflegeheimen und Ärzte steuern auf ei-
nen Engpass bei der Schutzausrüstung zu. In
Deutschland selbst gibt es nämlich keine größe-
re Produktion von Schutzmasken, -kittel oder
-handschuhen. Nahezu alles muss importiert
werden. Es herrscht also eine Riesenabhängig-
keit – bei einer Nachfrage, die momentan so
hoch ist wie nie zuvor.

VON GERHARD HEGMANN

Weil in Europa mittlerweile Handelsschran-
ken für die Artikel hochgezogen wurden, kommt
es zu einem Dominoeffekt. Und das ist ein Pro-
blem: Von Branchenexperten ist zu hören, dass
die Versorgung zusammenzubrechen könnte.
So berichtet beispielsweise die München Kli-
nik Schwabing, die bundesweit mit an der Spitze
der Behandlung von Corona-Patientensteht,
dass zwar schon früh die Lager aufgefüllt wur-
den. So vorbereitet stehe derzeit ausreichend
Schutzkleidung zur Verfügung. Allerdings warnt
die Klinik mit Blick auf die weitere Entwicklung:
„Aktuell sind Lieferengpässe zu beobachten, die
die Bestellung von einer großen Menge zusätzli-
cher Atemschutzmasken erschweren.“ Die Kli-
nik stehe mit den Behörden in Kontakt, um auch
bei steigenden Patientenzahlen ausreichend
Schutzkleidung zu haben.
Für den Engpass gibt es eine Erklärung. Vor
der Corona-Krise lief die Versorgung Europas
mit Schutzmasken und Schutzkittel reibungslos.
Millionen Masken wurden regelmäßig aus Asien
importiert. Zudem gibt es größere Werke in Eu-
ropa, etwa in Frankreich und Italien. Mit dem
Ausbruch der Infektionen in Chinawurden die
Lieferungen aus Fernost jedoch gedrosselt.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ver-
hängte Anfang März ein Masken-Exportstopp
aus Frankreich. Die dort produzierte Ware sollte
im Lande bleiben. Unmittelbar danach verkün-
dete Gesundheitsminister Jens Spahn ein ähnli-
ches Vorhaben. In einer Wagenburg-Mentalität
folgten weitere Staaten. Vom Bundeswirt-
schaftsministerium wurde zunächst in einer An-
ordnung „die Ausfuhr und Verbringung“ von

Schutzbrillen, Mund-Nase-Schutz-Produkten,
Filter-Masken, Schutzkittel, Handschuhen und
ähnlichem komplett untersagt.
Dies wurde vor Kurzem wieder leicht gelo-
ckert. Zur Begründung wird auf die „Aufrecht-
erhaltung eines funktionierenden Gesundheits-
systems“ verwiesen. Unverblümt wird einge-
räumt, dass die „Nachfrage von Krankenhäu-
sern, Ärzten und Apotheken bereits jetzt nicht
mehr vollständig beziehungsweise nicht ausrei-
chend schnell gedeckt werden“ könne. Mit der
Zunahme der Erkrankungsfälle „besteht die kon-
krete Gefahr einer Unterversorgung, wenn nicht
zeitnah gehandelt wird“. Aber woher die Ware
nehmen? Offen wird in der Bekanntmachung da-
von gesprochen, dass „handelsbeschränkende
Aktivitäten von anderen EU-Mitgliedsstaaten“
oder beispielsweise auch Thailand, Südkorea
und Indien ebenfalls zur Verknappung beitra-
gen. Eine gefährliche Spirale.
Auf Ausschreibungsplattformen suchen Staa-
ten, Kommunen und andere Organisationen
händeringend nach medizinischer Schutzaus-
rüstung. Manche haben Glück. So erteilte so-
eben die Hamburger Gesundheitsbehörde für
fast eine halbe Million Euro einen Auftrag für
Schutzmaskenzur Pandemie-Versorgung. „Die-
se sind auf dem Markt vergriffen“, heißt es. Hes-
sische Behörden suchen beispielsweise nach ei-
ner Million chirurgischer Masken und 70.
Einmalkittel.
In diesem Umfeld schadet nach Ansicht von
Branchenkennern die in Deutschland eigens er-
lassene Verordnung mehr als sie nutzt. „Das ist
kontraproduktiv und zerstört Handelsbeziehun-
gen. Fertige Ware kann nicht ausgeliefert wer-
den. Der Markt würde das schon regeln“, sagt
ein Insider, der unerkannt bleiben möchte.
Durch die nationalen Hemmnisse komme der ei-
gentlich dringende Warenaustausch mit den
Schutzartikeln zum Erliegen.
Die jüngste leichte Lockerung für Exporte me-
dizinischer Schutzausrüstung sei ein Bürokratie-
monster. So muss beispielsweise jede einzelne
Krankenhausbestellung, etwa aus Österreich,

monster. So muss beispielsweise jede einzelne
Krankenhausbestellung, etwa aus Österreich,

monster. So muss beispielsweise jede einzelne

per Sonderausfuhrgenehmigung mit Dringlich-
keitserklärung der Institution gestellt werden.
Wie es heißt, soll dann zweimal in der Woche ei-
ne Kommission aus Vertretern verschiedener
Ministerien tagen. Diese soll die Anträge sichten
und sie freigeben oder auch nicht.
Auf Anfrage zur aktuellen Lage verstecken
sich Firmen hinter Floskeln. So betreibt einer

der weltgrößten Hersteller von Schutzausrüs-
tung – der US-Konzern 3M – über seine Deutsch-
land-Tochter im nordrhein-westfälischen Jü-
chen ein Auslieferungslager für Europa. Ob dort
jetzt rasch benötigte Ware wegen der Verord-
nungsflut zum Teil nicht ausgeliefert werden
kann oder welche Mengen wohin fließen, bleibt
offen. Eine Sprecherin bittet um Verständnis,
angesichts der Sondersituation keine Auskunft
zu geben. Das Unternehmen 3M „arbeite mit
Kunden, Händlern, Regierungen und medizini-
schen Stellen zusammen, um die Versorgung
dort sicherzustellen, wo sie am dringendsten be-
nötigt wird“, wird mitgeteilt.
„Die weltweite Nachfrage nach Hilfsmitteln
zum Schutz der Menschen und zur Vermeidung
einer weiteren Ausbreitung des Virus, wie zum
Beispiel Atemschutzmasken, übersteigt derzeit
das Angebot“, heißt es nüchtern. „Wir gehen
davon aus, dass dies auch noch in absehbarer
Zukunft so bleiben wird“, so das Unternehmen.
„„„Wir haben unsere Händler darüber informiert,Wir haben unsere Händler darüber informiert,
dass wir uns aufgrund der hohen globalen
Nachfrage auf Aufträge zur Unterstützung un-
seres Basisgeschäfts, einschließlich Kranken-
häuser, fokussieren.“ Indirekt wird jedoch
leicht Kritik an den neuen nationalen Handels-
schranken geübt. Auf Anfrage heißt es: „3M er-
mutigt Regierungen auf der ganzen Welt zu-
sammenzuarbeiten, damit Lieferketten effektiv
fffunktionieren können und Produkte in die Ge-unktionieren können und Produkte in die Ge-
biete gelangen, wo sie am dringendsten benö-
tigt werden.“
Dabei liegen die Nerven im Geschäft mit Vi-
renschutz derzeit blank. So wurde bekannt, dass
jüngst die Schweizer Regierung den deutschen
Botschafter einbestellte, weil die Ausfuhr von
240.000 Masken vom deutschen Zoll gestoppt
und die Weiterfahrt eines Lkw in die Schweiz
verhindert wurde. Auch mit Österreich gibt es
Spannungen über die Belieferung. Es bestehe die
Gefahr, dass Pandemie-Lager nicht mehr aufge-
füllt werden könnten, heißt es bei Insidern.
In der Branche werden die nationalen Han-
delshemmnisse daher als eher schädlich darge-
stellt. Europa müsse vielmehr überlegen, eine
größere Selbstversorgung aufzubauen. Eine na-
tionale Abschottung sei wenig hilfreich. „Wir
dürfen auch beim Thema Corona-Schutz nicht
in die Kleinstaaterei zurückfallen, sondern brau-
chen den freien Warenaustausch“, sagt ein Insi-
der. „Es geht um Menschenleben und Deutsch-
land ist ein Schutzartikel-Importland.“

Schutz wird


KNAPP


Bei der Versorgung mit Masken, Kitteln und


Handschuhen im Kampf gegen das Coronavirus


ist Deutschland fast komplett


auf Importe angewiesen.


Und weil in Europa mittlerweile


Handelsschranken für diese Produkte


hochgezogen wurden, kommt es zu einem


regelrechten Dominoeffekt – unter dem


medizinisches Personal und Patienten leiden


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14.03.20 Samstag,14.März2020DWBE-HP


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