National Geographic Germany - 03.2020

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Die Fotos von Luca Locatelli von der holländischen
Landwirtschaft im September-Heft 2017 sind im
Guggenheim-Museum in New York ausgestellt.
Redakteur Robert Kunzig schrieb in der April-
Ausgabe 2019 über das Thema „Zukunft Stadt“.

der Forschungsagentur des US-Verteidigungs-


ministeriums, baut Ecovative ein Labor aus und


will herausfinden, wie man alle möglichen Dinge


züchten kann – Schuhsohlen, veganes Leder,


künstliche Steaks – aus Myzel.


In der Cradle-to-Cradle-Vision existiert Abfall

nicht einmal als Konzept. Alles Material ist ent-


weder gut konstruierter „technischer Nährstoff “,


der endlos recycelt werden kann, oder ein bio-


logischer, den man gefahrlos essen oder kom-


postieren kann. Bayer teilt diese Ansicht – wettet


aber, dass in Zukunft die meisten Dinge biolo-


gisch sein werden. „Biologisch gewonnene Stoffe


passen zur Funktionsweise der Erde“, sagt er.


„Das Raumschiff Erde kann das Zeug verdauen.“


Jenseits von Gut und Böse


DER GANZE MÜLL, den wir produzieren, ist kein


Zeichen dafür, dass wir böse sind. Es ist ein


Zeichen dafür, dass wir ein bisschen dumm


sind, sagte Michael Braungart mir in seinem


Büro in Hamburg. Er hatte seine Karriere als


Greenpeace-Aktivist begonnen, Proteste vor


Chemiewerken organisiert und seitdem viele


Unternehmen beraten. „Mit Cradle-to-Cradle


kämpfen wir gegen ein kulturelles Erbe, das


auf religiösen Überzeugungen beruht“, sagte


er. Das Vermächtnis, das monotheistische Reli-


gionen dem Umweltschutz hinterlassen haben,


so Braungart, sei die Idee, dass die Natur gut sei


und die Menschen mit ihrem Einfluss auf die


Natur grundsätzlich böse. Das Beste, was wir tun


können, sei Schadensbegrenzung. Für Braungart


ist diese Idee fehlgeleitet und unzureichend.


Der Chemiker ist überzeugt, dass wir die

Natur verbessern können. Einmal entwarf


er eine biologisch abbaubare Eiscremeverpa -


ckung, die Samen seltener Pflanzen enthielt und


bei Raumtemperatur schmilzt. Man könnte sie


wegwerfen, und etwas Schönes würde daraus


erwachsen.


Außerhalb von Amsterdam besuchte ich

den neun Hektar großen Büropark Park 20/20.


McDonoughs Unternehmen hatte ihn geplant,


und Braungart war an der Auswahl der Materia-


lien beteiligt. Park 20/20 ist zu etwa drei Vierteln


fertig, die Fassaden sind abwechslungsreich und


fantasievoll gestaltet, die Plätze sonnig und ein-


ladend; die Energie ist komplett erneuerbar, das


Abwasser wird vor Ort behandelt und recycelt.


Eines der coolsten Merkmale ist weniger sicht-
bar: Anstelle üblicher Böden aus Betonplatten
haben die Gebäude dünnere Hohlböden mit
Stahlträgern. Das bedeutet, sieben Stockwerke
passen in die übliche Höhe von sechs Etagen.
30 Prozent weniger Material werden benötigt.
Im Winter fließt aus dem benachbarten Kanal
warmes Wasser, das seit dem vorhergehenden
Sommer unterirdisch gespeichert wurde, durch
die Fußbodenheizungen und heizt den jeweils
darüber liegenden Raum. Im Sommer fließt küh-
les Kanalwasser vom vorhergehenden Winter
durch Rohre in den Zimmerdecken und kühlt
die Räume. Anders als Betonplatten sind die
vorgefertigten Boden-Decken-Platten so kon-
struiert, dass man sie zerlegen und wiederver-
wenden kann, sollte das Gebäude umgestaltet
oder abgerissen werden müssen. Die Gebäude
im Park 20/20 sind „Materiallager“, anderswo
landet Bauschutt auf Deponien und macht dort
die größte Abfallmenge aus.
Der Traum von der Kreislaufwirtschaft inspi-
riert viele Menschen, coole Sachen zu machen.
Aber ich muss diese Reise leider mit einer Ent-
täuschung beenden: Noch ist es nicht so weit.
Richtet man den Blick fort von den Lichtblicken
auf die nackten Zahlen, die der Holländer de
Wit gezeigt hat, dann sieht man die „Kreislauf-
Lücke“ wachsen. Sie schrumpft nicht. Unsere
Nutzung natürlicher Ressourcen könnte sich bis
2050 verdoppeln. Unsere Kohlendioxidemissio-
nen steigen weiter.
„Ob es schnell genug geht? Nicht wirklich“,
sagt Marc de Wit. „Alle Indikatoren sind im
roten Bereich.“ Der Aufbau einer Kreislauf-
wirtschaft wird einen gewaltigen kulturellen
Paradigmenwechsel erfordern, im Ausmaß
vergleichbar mit der industriellen Revolution.
„Man braucht Stehvermögen“, bestätigt de Wit.
„Mein Gefühl sagt mir: Wir schaffen das nicht,
solange die jetzige Generation am Ruder ist.“ Es
war meine Generation, die er möglichst schnell
absetzen wollte. Aber ich nahm das nicht per-
sönlich. Stimmt – wir werden die Radieschen
schon lange von unten betrachten, bevor die
Kreislaufwirtschaft da ist. Aber auf diese Weise
tragen wir ja auch ein bisschen dazu bei. j
Aus dem Englischen von Karin Rausch

DAS ENDE DES MÜLLS 67
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