griffen an. Im nächsten Augenblick drängten
weitere Bienen hinzu und rangen die Hornisse
zu Boden.
Im Inneren dieser Kugel aus Bienen spielte
sich dann etwas ab, was noch bizarrer wirkt.
Honigbienen können ihre Flugmuskulatur so
schnell aktivieren, dass ihre Brust, der Thorax,
geringe Wärmemengen abgibt. Lassen ein Dut
zend oder mehr Bienen ihre Muskeln zur selben
Zeit spielen, steigt die Umgebungstemperatur
merklich an. Die Hornissen wurden von den
Bienen bei lebendigem Leib gekocht.
Die Hitzefalle ist eine wirksame Waffe, sie
kann aber auch nach hinten losgehen. Manch
mal sterben mit der Hornisse auch die Bienen,
die sich im Inneren des Haufens befinden. Sie
opfern sich für die Verteidigung der Kolonie.
Der Kampf mit den Hornissen ist nur ein
kleiner Ausschnitt aus dem Verhaltensreper
toire der Honigbienen, das Arndt in den letzten
zwei Jahren mit neuen Details bereichert hat.
Schon seit über 30 Jahren fotografiert er Tiere,
ein Insektenexperte ist er aber nicht. Deshalb
hat sich Arndt für das Bienenprojekt mit Jür
gen Tautz zusammengetan. Der Biologe von
der Würzburger JuliusMaximiliansUniversität
beschäftigte sich 25 Jahre lang mit
Honigbienen und ist vor Kurzem in
den Ruhestand gegangen.
Das Verhalten der Bienen gegen
über Hornissen wurde schon bei
verwandten Arten in Asien doku
mentiert. Imker in Israel und
Ägypten konnten es auch bei der
europäischen Honigbiene beob
achten. Aber noch nie hatte jemand
das Duell zwischen den Insekten so
im Bild festgehalten wie Arndt. „Es
ist das beste Foto, das ich jemals
gesehen habe“, sagt Thomas D.
Seeley, Professor an der Columbia
University. Er studiert seit einem
halben Jahrhundert Verhalten und
Sozialbeziehungen von Honigbienen. Nach den
ersten Kämpfen beobachtete Arndt täglich um
die zehnmal, wie Hornissen und Bienen sich
bekriegten. Ist ein Bienenvolk schwach, kön
nen Hornissen es auslöschen. In seinem Garten
geht der Kampf einstweilen als eine Art Zermür
bungskampf weiter.
BIENEN FASZINIEREN Ingo Arndt, seitdem er die
Tiere gemeinsam mit Wissenschaftlern in freier
Wildbahn studiert hat. Dabei wurde ihm klar,
dass er die wahren Geheimnisse der Insekten
nicht würde lüften können, wenn er sie in einer
Kiste beobachtete, die von Menschen zur Honig
gewinnung gebaut wurde. Er wollte ein natür
liches Nest fotografieren. 2018 kletterte er daher
im Imkerschutzanzug im Wald 20 Meter hoch in
die Baumkronen. Dort errichten Bienen in der
Natur gern ihre Nester. Aber „das Spannendste
spielt sich im Inneren des Baumes ab“, sagt der
Fotograf.
Im Februar 2019 erhielt Arndt von den Forst
behörden die Genehmigung, sich aus einem
nahe gelegenen Wald eine umgestürzte Buche
zu holen, in deren Stamm sich die verlassene
Höhle eines Spechts befand, eine von Honig
bienen geschätzte Behausung. Er sägte ein
100 Kilo schweres Stück aus dem Stamm heraus
und ließ es in seinen Garten transportieren.
Aus Sperrholz baute er an das Stück einen
Tarnkasten an, komplett mit Beleuchtung und
einem winzigen Fenster. Von dort aus hatte er
mit seinem Makroobjektiv einen ungehinderten
Blick in die Höhle. Aus einem Honigbienenvolk
in der Nähe entnahm er die Königin und setzte
sie in die Spechthöhle. Jetzt musste er nur noch
in seinem Versteck warten, den
Finger am Auslöser.
Schon kurz darauf tauchten erste
Kundschafterinnen aus dem Volk
der Königin am Eingang der Nist
höhle auf. Immer mehr Bienen
landeten, bis Tausende der wilden,
gesellschaftsbildenden Insekten
um den Baumstamm summten.
Bald war das ganze Bienenvolk in
die Spechthöhle umgezogen. Im
Lauf eines halben Jahres schuf
Ingo Arndt in Hunderten Stunden
ein Porträt wilder Honigbienen, wie
man es noch nie gesehen hat.
War es draußen warm, konnte
er zusehen, wie die Bienen immer
wieder Ausflüge zu einer in der Nähe aufge
stellten Wasserstelle unternahmen. Mit ihrer
Zunge, die einem Strohhalm ähnelt, saugten sie
die Flüssigkeit ein und flogen zum Nest zurück.
Drinnen gaben sie das Wasser an eine andere
Bienengruppe weiter, deren Aufgabe es ist, die
Flüssigkeit über den Waben zu verteilen, wo
sie verdunstet und so eine kühlende Wirkung
entfaltet. Der Vorgang beschleunigt sich, wenn
andere Bienen mit den Flügeln schlagen, um
85 %
der landwirtschaft-
lichen Erträge im
Pflanzen- und Obst-
bau in Deutschland
hängen von
der Bestäubungs-
leistung der Honig-
biene ab – so der
Deutsche Imkerbund.
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