National Geographic Germany - 03.2020

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nach Hause. Als sie angekommen war, tobte in


ihrem Dorf der Krieg. Margee Ensign und ihre


Mitarbeiter fuhren nach Chibok und kehrten mit


zwei Minibussen voller geretteter Schülerinnen


zurück, die an der AUN weiterlernen wollten.


Zwei Dutzend Schülerinnen zogen auf den

Campus, der von einer hohen Mauer umgeben


ist und von Sicherheitsbeamten in nagelneuen,


roten Uniformen bewacht wird. Sie besuchten


die New Foundation School (NFS), ein auf die


jungen Frauen aus Chibok zugeschnittenes Pro-


gramm zur Vorbereitung auf das College.


IM LAUFE DER NÄCHSTEN BEIDEN JAHRE wurde


keine der vermissten Schülerinnen freigelassen.


Gerüchte über die entsetzlichen Bedingungen in


Gefangenschaft machten die Runde – Zwangs-


heirat, Versklavung, Hungersnot. Dann flüch-


tete im Mai 2016 die Chibok-Schülerin Amina


Ali mit ihrem Baby aus dem Wald. Fünf Monate


später bot die nigerianische Regierung Berich-


ten zufolge Boko Haram im Austausch für die


Freilassung von 21 Mädchen Geld und Gefan-


gene. Stark unterernährt brachte man sie in der


Hauptstadt Abuja in ein Krankenhaus, wo sie


einem Psychiater, einem Arzt, einem Sportthe-


rapeuten, einem Imam und einem Sozialarbeiter


vorgestellt wurden. Sie berichteten, die Kämpfer


hätten sie vor die Wahl gestellt: zum Islam kon-


vertieren und heiraten oder Sklavinnen werden.


Die meisten hatten sich für die Versklavung ent-


schieden, hieß es in den Medien.


Im Mai 2017 kamen weitere 82 Mädchen frei.

Die Bilder vom tränenreichen Wiedersehen mit


ihren Eltern gingen um die Welt. In den USA sah


Patience Bulus die Nachrichten und ging die


Liste der freigelassenen Schülerinnen durch. Als


sie auf den Namen Esther Joshua stieß, machte


ihr Herz einen Sprung. Als Patience erfuhr, dass


die 103 kürzlich freigekommenen Mitschüle-


rinnen ebenfalls an der AUN lernen würden,


schrieb sie einer Freundin eine SMS: Esther


soll mich anrufen, sobald sie in Yola ankommt.


Im September 2017 wuchs die Zahl der Chibok-


Mädchen, die an der AUN untergebracht waren


Sonntags besuchen die
jungen Frauen an der
AUN den Gottesdienst.
Zum Ende des Studi-
enjahrs appellierte Pas-
tor Raymond Obindu
an sie, ihr Studium im


Herbst fortzusetzen.
In dieser Region be -
sucht nicht einmal
die Hälfte der Mäd-
chen die Grundschule
oder sie verlassen die
Schule, um zu heiraten.

DIE CHIBOK-SCHÜLERINNEN 93
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