2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1

W


er soll das bezahlen,
wer hat so viel Geld?
Das türkis-grüne Re-
gierungsprogramm
verspricht das 1-2-3-
Österreich-Ticket, ein
Studententicket und den großflächigen
Bahnausbau. Die grüne Neo-Klimami-
nisterin Leonore Gewessler ist so wie
ÖBB-General Andreas Matthä ein Fan
des Nachtzugs, insgesamt fallen die Lie-
besbezeugungen für die gute alte Eisen-
bahn so heftig wie schon seit Jahrzehnten
nicht mehr aus. Selbst die lange ÖBB-
kritische ÖVP scheint entflammt, ihr
Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger
sieht sowohl EU-weit wie auch im Inland
einen „riesen Aufholbedarf “. Faktum ist:
Der Druck ist enorm, doch um klimapoli-
tische Erfolge einzufahren, bräuchte es
große Verschiebungen im Budget.
Insgesamt arbeitet die Bahn derzeit
ein Investitionsvolumen von 19 Milliar-
den Euro ab. 2,4 Milliarden pro Jahr flie-
ßen in Semmering-, Koralm- und Bren-
nerbasistunnel sowie andere Vorhaben.
Der ÖBB-Rahmenplan könnte schon in
den laufenden Budgetverhandlungen um
drei bis fünf Prozent erweitert werden –
was aber nur ein kleiner Schritt in die
von der Regierung eingeschlagene Rich-
tung wäre. Aktuell investiert Österreich
187 Euro pro Kopf und Jahr in die Schie-
ne und liegt damit an der Spitze aller
EU-Staaten. Luft nach oben gäbe es den-
noch: Die Schweiz investiert fast doppelt
so viel wie Österreich (siehe Grafik Seite
22). Selbst wichtige Einpendelachsen
nach Wien wie die Franz-Josefs-Bahn
aus Gmünd im Waldviertel sind nach wie

vor krumm und eingleisig – und werden
das auch noch lange bleiben, während
gleichzeitig die Pläne für eine „Waldvier-
telautobahn“ voranschreiten. Kurzfristi-
ger machbar wäre eine Elektrifizierungs-
offensive, denn noch sind 28 Prozent des
Schienennetzes gar nicht „unter Strom“.

VOLLE ZÜGE, LEERE KASSEN. Bahnfah-
rer spüren es deutlich: Die Auslastung
der Züge steigt, was den ÖBB zum achten
Mal in Folge ein positives Ergebnis be-
schert. Die Zahlen für 2019, so viel
scheint gesichert, liegen über jenen des
Jahres davor. Die Länder bestellen eben-
falls mehr Züge als früher – was freilich
die öffentliche Hand wiederum Geld kos-
tet. Jammerten Kritiker früher über leere
Geisterzüge, so jammern die Fahrgäste
heute über brechend volle Garnituren.
Experten warnen, dass die ÖBB durch
den einsetzenden Bahnboom schon bald
in große Bedrängnis kommen könnten.
ÖBB-General Andreas Matthä ver-
sucht, die Zweifler zu beruhigen, und ver-
weist auf einen Dreistufenplan: Zuerst
einmal soll auf den überlasteten Schnell-
bahnstrecken im Großraum Wien die
Sitzplatzkapazität deutlich ausgeweitet
werden. In den ÖBB wird eine Mega-
ausschreibung über 145 Doppelstock-
garnituren vorbereitet, für acht bis zehn
Millionen Euro pro Stück. Für den Fern-
verkehr sind acht neue Railjets bei Sie-
mens bestellt, die ersten davon werden
2022 auf Schiene gesetzt. Ein Liebkind
von Matthä sind grenzüberschreitende
Schlaf- und Liegewagenzüge. Das Ni-
schenprodukt Nightjet ist so gut gebucht,
dass bereits 21 funkelnagelneue Züge be-
stellt sind. In Summe wird das 375 Milli-
onen Euro kosten, bis Mitte 2023 sollen
Nightjets eine Reihe neuer Destinationen
anfahren. Welche genau, sei aber noch „in
Planung“.
Dazu kommen aktuell 24 neue Cityjets
für die Ostregion oder 21 Nahverkehrs-
züge für Vorarlberg. Mittelfristig fließen
stolze 2,8 Milliarden Euro in die Erneue-
rung der Flotte, was gut ist, denn vor
allem im Ballungsgebiet Wien fährt die
Bahn an der Kapazitätsgrenze. Nieder-

„Die Klimaziele


von Paris sind


ohne uns nicht


zu erreichen.“
ANDREAS MATTHÄ
ÖBB-GENERAL

österreich fordert schon eine zweite, un-
terirdische Schnellbahntrasse quer durch
Wien; freilich muss erst einmal die alte
„Stammstrecke“ auf den Stand der Tech-
nik gebracht werden. Ein neues ETCS-
Zugsicherungssystem soll noch dichtere
Intervalle als bisher ermöglichen. ÖVP-
Mann Ottenschläger hält diese Maßnah-
me für kurzfristig nötig und finanzierbar.

MIT NEUER ENERGIE. Mehr Züge, das
bedeutet: mehr Strombedarf. Demnächst
soll das ÖBB-eigene Kraftwerk Spullersee
am Arlberg um 31 Millionen Euro moder-
nisiert werden, der Strom-Output durch
neue Turbinen spürbar steigen. Der Vor-
teil der ÖBB: Immerhin ein Drittel des
Strombedarfs wird in eigenen Kraft-
werken erzeugt, der Rest beim Wasser-
kraftspezialisten Verbund zugekauft.
Auch mit alternativen Antrieben wird ex-
perimentiert. Vergangenes Jahr testeten
die ÖBB – medial erfolgreich – den Proto-
typ des Hybridzugs „Cityjet eco“, der per
Stromabnehmer Kraft tankt und auf
nicht elektrifizierten Nebenstrecken mit-
tels „Akku“ rollt. Ein erfolgversprechen-
des Konzept, doch bis zum Einsatz im
Planbetrieb, so Matthä, wird es noch
mehrere Jahre dauern. Ein Zug mit Was-
serstoffantrieb wird ebenso getestet, auch
hier ist der Einsatz noch nicht absehbar.
Also heißt es vorderhand: bitte warten!

EUROPÄISCHE DESINTEGRATION. Eines
der großen Probleme auf Europaebene
ist, dass ein breites Bekenntnis pro Bahn
fehlt. Zwar verspricht Kommissionsprä-
sidentin Ursula von der Leyen den „Green
Deal“, doch das EU-Budget stagniert, für
Investitionen in das veraltete Schienen-
netz vor allem im Osten des Kontinents
fehlt sowohl das Geld wie auch das Inter-
esse der Staaten.
Flickwerk überall: Österreich inves-
tiert Unsummen in den Ausbau des Bren-
nerbasistunnels, die Deutschen und Itali-
ener denken aber nicht daran, schnelle
Anschlüsse an das österreichische Herz-
stück zu bauen. Ein Ende der Lkw-La-
wine scheint nirgendwo in Sicht, im
Gegenteil: Die rumänische Verkehrs-

Hoffnungsträger ÖBB. Der Umstieg auf die Eisenbahn soll die


Klimakrise lindern. Doch Bahnausbauten sind zeitaufwendig.


Jahrzehntelange Versäumnisse treiben die Kosten in die Höhe.


Die Finanzierung ist nicht gesichert. VON OTHMAR PRUCKNER


09/2020 | TREND 21

FOTO: SEBASTIAN REICH

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