2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
STIEFKIND BAHN. Die Benachteiligung
der Schiene gegenüber Flugzeug und
Straße wird oft thematisiert, auch von
Bahn-General Matthä höchstpersönlich.
Steuerfreies Flugbenzin einerseits, „Die-
selprivileg“ auf der anderen Seite begüns-
tigen die Bahn-Konkurrenten. Lkw wie
Pkw zahlen, wenn überhaupt, nur auf
Autobahnen Maut, während Schienen-
maut für jeden Kilometer, den ein Güter-
oder Personenzug fährt, anfällt. Der Lkw
zahlt nicht für „externe Kosten“, die Kos-
ten trägt der Steuerzahler, in Österreich
so wie in der gesamten EU. Die kommen-
de nationale Flugticketabgabe ist besten-
falls ein Tropfen auf den heißen Stein,
ebenso wie die im Regierungsprogramm
versprochene Senkung der Energieabgabe
auf Bahnstrom.
Autoproduzenten und Straßenbaulob-
bys haben bislang erfolgreich für ihre In-
teressen gekämpft, und es scheint so, also
ob dieser Kampf noch weiter
anhalten würde, zum Scha-
den der nationalen wie inter-
nationalen CO 2 -Bilanz.
Zu tun gibt es jede Menge,
nicht zuletzt im eigenen

Spanien Frankreich Deutschland Italien Niederlande Dänemark britannienGroß- Schweden Österreich Schweiz

32 38

69 73

128

160 165

183 187

362

Pro-Kopf-Investitionen des Staates in die Schieneninfrastruktur in Euro

QUELLE: ALLIANZ PRO SCHIENE AUF BASIS VON BMVI, VÖV, BMVIT, SCI VERKEHR GMB

H; 2017

LUFT NACH OBEN. Die Schweiz
investiert mit Abstand am meis-
ten Geld in die Bahn und zeigt
dem Rest Europas, wohin die
Reise gehen sollte.
Jahrzehntelange Fokussierung
auf Straßenbau produziert
enormen Aufholbedarf.

Haus. Denn die Bahn trägt noch immer
schwer an Altlasten, an fehlenden euro-
paweiten Standards, an unglaublichen
bürokratischen Hindernissen.

PERSONALPROBLEME. In Österreich
werden die Eisenbahner heute zwar nicht
mehr pragmatisiert, dennoch sind noch
fast 60 Prozent des Personals „definitiv
gestellt“. Nach wie vor gehen zu viele
Eisenbahner krankheitsbedingt in Früh-
pension, die Personalkosten sind höher
als bei Privatbahnen, aber in Relation
zum Umsatz wenigstens sinkend. Der
Personalstand wurde in den letzten
Jahrzehnten dramatisch zurückgefahren,
jetzt herrscht, der steigenden Nachfrage
und einer Pensionierungswelle geschul-
det, plötzlich ein Mangel. 2.000 Lok-
führer und insgesamt rund 10.000 neue
Mitarbeiter werden gesucht: vom EDV-
Spezialisten bis zum Verschieber, von der
Fahrdienstleiterin bis zum Starkstrom-
techniker. Nachholbedarf besteht an al-
len Ecken und Enden: Längst sind nicht
alle Bahnhöfe barrierefrei, es fehlt an
Park-and-Ride-Flächen ebenso wie an
der Verzahnung mit dem Postbus.
Bei der Entwicklung der 1-2-3-Öster-
reich-Netzkarte müssen die ÖBB als
Drehscheibe für dieses Monsterprojekts
fungieren. Es ist der Fluch hoher Erwar-
tungen aus der Politik, dass dringend „ge-
liefert“ werden muss; von einer Bahn, die
vom Erfolg fast überrascht scheint und
bei der lange nicht alle Mitarbeiter die
Zeichen der neuen Zeit erkannt haben.
Der Konzern muss sich laufend neu
erfinden. Nun steht auch im ÖBB-Auf-
sichtsrat ein gröberer Umbau an: Die
Mandate laufen mit Ende April aus. Mi-
nisterin Gewessler wird den FPÖ-nahen
Vorsitzenden Gilbert Trattner ablösen
und auch andere Posten neu besetzen.
Nicht fürchten um seinen Job muss CEO
Andreas Matthä: Sein Vertrag wird wohl
verlängert. Obwohl Sozialdemokrat, lässt
er Respekt vor den Erfolgen der türkisen
ÖVP deutlich erkennen und spricht von
einer natürlichen Symbiose mit den
Grünen. Er ist auch auf EU-Ebene exzel-
lent vernetzt: Als neuer Präsident der eu-
ropäischen Eisenbahnen will er sich für
die Einbeziehung des Verkehrssektors in
den CO 2 -Zertifikatehandel einsetzen, will
deutlich mehr Güter und mehr Personen
auf und in die Züge bringen. Sein Credo in
Richtung Kommissionspräsidentin von
der Leyen: „Ohne uns“, sagt er mit gehöri-
gem Selbstbewusstsein, „sind die Klima-
ziele von Paris niemals zu erreichen.“

DIE BAHN BAUT. Riesige Maschinen sind auf den
Tunnelbaustellen der Bahn im Einsatz. Auch
abseits davon gibt es hohen Investitionsbedarf.

kommissarin Adina Valean verlangte
beim Antrittsbesuch in Tirol sinngemäß
freie Fahrt für Transit-Lkw über den
Brenner, statt eine Verlagerung auf die
Bahn zu befürworten. Die Defizite sind
eklatant: Während im Autoland USA
50 Prozent der Güter per Bahn transpor-
tiert werden, sind es in Good Old Europe
kärgliche 18 Prozent. Die Transportkosten
„tendieren gegen null“, sagt Matthä. Tru-
cker sind zu Dumpingpreisen unterwegs.
Die Nationalstaaten pflegen ihre
Schrebergärtlein, wie auch der europäi-
schen Rechnungshof beklagt. „Es besteht
lediglich ein Fleckerlteppich aus Hoch-
geschwindigkeitsstrecken der einzelnen
Mitgliedsstaaten, die jeweils isoliert ge-
plant und gebaut werden“, steht schwarz
auf weiß zu lesen. Es werde „ohne grenz-
überschreitende Koordinierung“ vorge-
gangen – traurig, da internationale Fern-
züge bis zu rund 600 Kilometer Distanz
eine gute Alternative zu den klimaschäd-
lichen Kurzstreckenflügen wären. Man-
gelnde Kooperation ist überall spürbar,
auch bei den ÖBB-Nightjets, wie Vertre-
ter der Bahn hinter vorgehaltener Hand
beklagen.

22

TREND
WIRTSCHAFT

ÖSTERREICH

TREND | 09/2020

tren2009-WÖ-ÖBB.indd 22 25.02.20 18:47

Free download pdf