2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
Ticket, dort, wo es schon funktioniert, bis
zu zwanzig Prozent Zuwachs gebracht
hat. Eine Möglichkeit, um mehr Men-
schen zu transportieren, ist, die Züge
länger oder doppelstöckig zu führen. Ein
neues Sicherungssystem wird dichtere
Intervalle und höhere Geschwindigkeiten
ermöglichen. Der nächste Schritt wäre
der Ausbau der Infrastruktur. Wir wer-
den das gut hinbringen. Es wird aber
Engpässe geben: Auf der Wiener Schnell-
bahn fahren wir schon im Minutentakt.

Bis wann kann es dieses Österreich-
Ticket geben? Die Projektgruppe will in
den nächsten zwei Jahren die Lösungen
erarbeiten, das ist realistisch. Wobei der
Hund im Detail liegt. Es geht auch dar-
um, die Stadtverkehre und die Verkehrs-
verbünde einzubinden. Das Vorbild für
das Klimaschutzministerium ist das
General-Abo der Schweizer.

Welche Fahrgastzuwächse erwarten Sie
in den kommenden Jahren? In den letz-
ten zehn Jahren haben wir, auch dank
der neuen Weststrecke, 28 Prozent Stei-
gerung gehabt – inklusive privater An-
bieter wie der Westbahn sind es sogar
noch mehr. Wir werden innerhalb der

nächsten zehn Jahre die neue Südstrecke
eröffnen. Ich erwarte mir davon noch-
mals einen Zuwachs in dieser Dimensi-
on – wobei hier zusätzliche Verlagerun-
gen durch das neue Regierungspro-
gramm und billigere Tarife noch gar
nicht eingerechnet sind.

Ist die Finanzierung für den politisch
gewollten Bahnausbau gesichert? In den
aktuellen Budgetverhandlungen wird
wohl kein Füllhorn über den ÖBB ausge-
schüttet? Jetzt wird einmal das Budget
2020 verhandelt. Wir dürfen uns nicht
beklagen. Wir dürfen in diesem Jahr
rund 2,4 Milliarden Euro investieren
und liefern über die Verkehrsdienstver-
träge neue Züge ein. Längerfristig braucht
es sicher noch weitere Investitionen, das
stimmt.

Und der Finanzminister wird das viele
Geld rausrücken? Ich zitiere hier die
ehemalige Umweltministerin: Wollen
wir zwischen drei und sechs Milliarden
Euro an Kompensationszahlungen für
nicht erreichte Klimaziele überweisen
oder nicht besser das Geld in Schienen-
infrastruktur oder auch in Forschung
und Entwicklung investieren? So kom-
men wir auch zu neuen Exportproduk-
ten für die österreichische Bahnindustrie.
Wir brauchen weniger Skepsis und mehr
Vorwärtsbewegung.

Sie sind jetzt auch neuer Cheflobbyist
der europäischen Bahnen und sollen in
Brüssel Druck machen, damit der euro-
paweite Zugverkehr besser und schneller
funktioniert. Ich werde mich bemühen!
Ich rede etwa mit Klimaschutz-Kommis-
sar Frans Timmermans, was den Green
Deal betrifft. Aber die Bahnen selbst
müssen ebenfalls lernen, gut miteinan-
der zu kooperieren. Wir können nur
miteinander gewinnen – oder gegen den
Lkw verlieren. Wir müssen unsere tech-
nischen und betrieblichen Regelungen
harmonisieren. Europa braucht mehr
Bahn, aber die Bahnen brauchen auch
mehr Europa! Sie dürfen nicht nur als
Wettbewerber gegeneinander agieren,
sondern müssen verstehen, dass der
Wettbewerber auf der Straße fährt.

Vonseiten der EU ist trotz Green Deal
nicht viel zu erwarten, die neue Ver-
kehrskommissarin ist klar pro Lkw. Ich
sage nur: Wir können die Klimaziele nie
im Leben erreichen, wenn wir nicht den
Güterverkehr, zumindest auf langen

ÖBB-General Andreas Matthä hält die Grünen für


natürliche Partner, Bahnfahren für cool und den


politisch gewünschten Ausbau der Schiene für


finanzierbar. ÖBB-Boss will er noch länger bleiben.


„Jeder Zug mehr


kostet Steuergeld“


TREND: Die Grünen lieben die Bahn.
Lieben Sie die Grünen in der Regierung?
MATTHÄ: (lacht.) Wenn man das Re-
gierungsprogramm liest, sieht man, dass
da viel Grün drinnen ist. Wir sind die
natürlichen Partner der Grünen. Wir
fahren zu hundert Prozent mit erneuer-
barem Strom, sind eines der ökologischs-
ten Verkehrsmittel überhaupt. Ja, ich
mag Grün in der Tat sehr gerne.

Sind die Erwartungen, was die ÖBB alles
zur Klimarettung beitragen sollen, über-
haupt zu erfüllen? Die Liste der Aufga-
ben ist lang, aber das Programm hat
mehrere Ebenen. Es gibt einen starken
strategischen Ansatz, der weit über die
Legislaturperiode hinaus wirken wird.
Wir müssen ja nicht alles sofort umset-
zen. Für das Zielnetz 2040 oder den
Gesamtmobilitätsplan sind jetzt einmal
die Grundlagen zu erarbeiten. Dass wir
mehr Züge auf die Schiene bringen, wird
deutlich früher nötig sein

Das grüne Leuchtturmprojekt, das
1-2-3-Ticket, wird rasch viele neue Fahr-
gäste bringen. Schon jetzt sind zu den
Stoßzeiten viele Züge randvoll. Wie soll
das gehen? Den politischen Willen eines
günstigen Angebotes unterstützen wir
sehr. Wir haben gesehen, dass so ein

TREND-FRAGEN. ÖBB-Chef Matthä ruft zu mehr
Zusammenarbeit der EU-Bahnen auf: „Können
nur gemeinsam gegen den Lkw gewinnen.“

INTERVIEW: A. LAMPL, O. PRUCKNER

09/2020 | TREND 23

FOTOS: ÖBB/WOLFGANG WERNER, WOLFGANG WOLAK

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