2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
Distanzen, auf die Schiene bringen.
Es braucht dafür einen Schienenver-
kehrsmasterplan. Und wir müssen auch
die Highspeed-Personenzüge über die
Grenzen vernetzen. Da könnte die EU
viel an Unterstützung geben.

Nur hat dort bislang eindeutig die Fräch-
terlobby das Sagen, oder? Ich muss da
die Frächter in Schutz nehmen. Meistens
sind es die Lkw-Produzenten, die lobby-
ieren. Und zur Verkehrskommissarin:
Man muss ihr Zeit zum Einarbeiten
geben und faktenbasiert argumentieren.
Über den Brennerpass laufen 48 Millio-
nen Tonnen Güter, zwei Drittel am Lkw.
Das zu ändern ist alternativlos.

Ein frommer Wunsch! Es wird sich an-
ders gar nicht mehr ausgehen! Der Gü-
terverkehr steigt nach allen Prognosen
um weitere dreißig Prozent. Wo sollen
die Lkw denn alle fahren? Außerdem
wird jeder Transit-Lkw zu einem Drittel
von uns Steuerzahlern subventioniert.
Wir haben im Verkehrssystem keine Kos-
tenwahrheit, Straßenverkehr ist viel zu
billig. Dazu kommen noch erschütternde
Arbeitsbedingungen für die Fernfahrer.
Die Bahnen fürchten sich nicht vor Kon-
kurrenz, ich will nur faire Wettbewerbs-
bedingungen haben. Österreich hat be-
reits dreißig Prozent Schienenanteil, das
müssten wir in ganz Europa erreichen –
wofür wir sicher Support der Politik be-
nötigen – zum Beispiel neue Förderungen
für die rollende Landstraße.

Wie wollen Sie Kostenwahrheit herge-
stellt sehen? Ich bin sehr für die Einbe-
ziehung des Verkehrssektors in den
CO 2 -Emissionshandel. Und natürlich
wollen Fairness bei der Besteuerung –
Stichwort Dieselprivileg. Ich hoffe, das
Versprechen im Regierungsprogramm
gilt, die Steuer auf grünen Bahnstrom zu
beseitigen. Das würde uns helfen; so wie
eine Förderung von Photovoltaik auch
für die Bahnstromproduktion.

Die ÖBB wollen in den Budgetverhand-
lungen Fördergelder für den Güterver-
kehr abseits der Hauptverkehrsrouten?
Nicht wir allein wünschen uns das. Es
geht um 30 Bahnen in Österreich und
um rund 25 Millionen Euro. Aber wir
sitzen nicht am Verhandlungstisch.

Wie ist das Geschäft der ÖBB 2019 ge-
laufen? Drückt sich der Fahrgastrekord
auch im Ergebnis aus? Wir werden das

achte Jahr in Folge positiv bilanzieren,
und das gilt für alle Teilkonzerne. Auch
der Güterverkehr wird beim Ergebnis
vor Steuern ein Plus im einstelligen Mil-
lionenbereich aufweisen. Die Deutsche
Bahn hat hier rund zweihundert Millio-
nen Euro Minus. Wir waren im Güter-
verkehr unter Druck, weil die Industrie-
produktion signifikant zurückgegangen
ist. Dazu kommt die schwierige wirt-
schaftliche Lage in Ungarn. Auch das
Jahr 2020 wird herausfordernd.

In Summe wurde aber wohl zumindest
das 2018er-Ergebnis von 150 Millionen
Euro erreicht, weil der Personenverkehr
nochmals besser gelaufen ist? Wir ver-
zeichnen einen deutlichen Fahrgast-
zuwachs, sind sehr zufrieden mit den
Ticketerlösen, haben schöne Steigerun-
gen im internationalen Verkehr – und
alle unsere Ziele deutlich übertroffen.

Eines Ihrer Exportprodukte, der Night-
jet, ist scheinbar ein Erfolg. Sie rüsten
auf, kaufen angeblich neue Nachtzüge?
Lassen Sie sich überraschen, was da
noch kommt! In der Tat haben wir die
Kurz- und Mittelstreckenflüge und deren
Passagierzahlen analysiert und über-
legen, wo neue Angebote Sinn machen.
Man muss aber vorab mit den jeweiligen
Nationalstaaten Agreements finden.

Die Crux ist halt generell: Je mehr Leute
Zug fahren, desto mehr muss der Steuer-
zahler zuschießen, weil die Kosten nicht
durch die Einnahmen gedeckt sind ...
Das ist definitiv so. Aber je mehr Leute
in einem Zug sitzen, desto besser ist die
Auslastung, und damit sinken die Kos-
ten pro Fahrgast deutlich. Natürlich kos-
tet jeder zusätzliche Zug Steuergeld. Die
öffentliche Hand bestellt bei zwölf hei-
mischen Eisenbahnunternehmen Ver-
kehrsleistungen gegen entsprechendes
Entgelt. So funktioniert das System.

Die Personalkosten sind bei den ÖBB im
Vergleich zu anderen Bahngesellschaf-
ten deutlich zu hoch. Da könnte man den

Steuerzahler doch entlasten? Wir haben
Mitte der Neunzigerjahre aufgehört zu
pragmatisieren. Noch haben wir einen
Überhang an definitiv gestellten Kollegen,
aber mehr als 40 Prozent des Personals
sind schon in einem normalen Angestell-
tenverhältnis. Außerdem gehen jetzt
viele ältere Mitarbeiter mit höheren Ge-
hältern in Pension. Der Anteil der Perso-
nalkosten am Umsatz fällt daher sehr
deutlich. Als ich vor 35 Jahren begonnen
habe, waren wir 72.000 Mitarbeiter,
heute sind wir weniger als die Hälfte.

Im Moment haben Sie ja eher das gegen-
teilige Problem: nämlich ausreichend
Leute zu bekommen. Wir brauchen in
den nächsten fünf Jahren 2.000 Lok-
führer und haben schon vor längerer Zeit
begonnen, die Ausbildungskapazitäten
hochzufahren. 2019 haben wir über
500 Lokführer eingestellt. Die Klimadis-
kussion hilft uns bei der Rekrutierung,
weil wir Jobs anbieten, die sinnvoll sind.
Das Image der Bahn hat sich gewandelt,
der Greta-Effekt hilft da auch. Bahnfah-
ren gilt als cool – und ist es auch! Die
eigene Lehrlingsausbildung hilft im Üb-
rigen, gute Leute zu finden. Denn für das
ganze Unternehmen gilt: Sicherheit und
Pünktlichkeit sind die Basis für alles. Da
bin ich gnadenlos. Man sieht es ja in
Deutschland: Wenn die Pünktlichkeit
permanent in Diskussion steht, gehen
Akzeptanz und Image verloren.

Viele Lokführer klagen aktuell, dass
wegen der Personalknappheit zu viele
Überstunden geleistet werden müssen.
Wir haben bei einigen Dienststellen eine
unbefriedigende Situation. Ja, wir brau-
chen viele Lokführer – aufgrund der
Pensionierungswelle und der Auswei-
tung der Kapazitäten. Aber wir haben,
im Gegensatz zu Deutschland, drei
Bewerbungen für eine Position.

Noch eine Personalfrage: Ihr Vertrag
läuft im nächsten Jahr aus ... und ich bin
bereit, die ÖBB auch über 2021 hinaus
zu führen.

„Wollen wir bis zu sechs


Milliarden Euro Strafe für nicht


erreichte Klimaziele zahlen


oder dieses Geld nicht lieber


in den Ausbau der Schiene


investieren?“


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TREND
WIRTSCHAFT

ÖSTERREICH

TREND | 09/2020

FOTO: WOLFGANG WOLAK

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