2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
ALOIS CZIPIN,
Consulter mit
dem Schwerpunkt
Produktivität, teilt
in der trend-Serie
„BusinessCLASS“
seine Erfahrungen.
Sie können daraus
schlauer werden!

SELTEN HABE ICH einen so wütenden Unterneh-
mer gesehen! Er spricht mich im Rahmen eines
Festes schäumend vor Wut an: „Ich habe jetzt end-
gültig die Schnauze voll! Ich sperre die Bude zu!
Das lasse ich mir nicht gefallen!“ Es stellt sich her-
aus, dass der Mann ein halbes Jahr zuvor gegen den
Rat von prominenten Unternehmern eine Firma
übernommen hat und nun tief in den roten Zahlen
steckt. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn sie
hat in den 20 Jahren ihres Bestehens nie Geld ver-
dient. Ich denke mir im Stillen: „Wozu hat er das
getan, konnte doch nur schiefgehen!“ Und dann
kommt er mit der Sprache heraus: „Herr Czipin,
können Sie mir helfen? Ich muss das Unternehmen
so rasch wie möglich an einen meiner anderen
Standorte verlagern. Mit diesen Leuten dort ist
kein Krieg zu gewinnen! Ich halte das nicht länger
aus, ich muss das so schnell als möglich umsetzen.“
In meinem Kopf schwirren die Gedanken: Wie
reagiere ich auf den Vorschlag? Wie könnte ich vor-
gehen, ohne das Unternehmen vollends zu zerstö-
ren? Da kommt mir ein blendender Gedanke: Wir
nennen dieses Projekt eine Unternehmensanalyse
und untersuchen neben Stärken und Schwächen
auch die Möglichkeit einer Verlagerung. Denn so-
bald herauskommt, dass es um die Schließung des
Standortes geht, werden sich die besten Mitarbeiter
gleich um Alternativen umsehen. Es heißt also, sen-
sibel vorzugehen und keinen Verdacht zu erregen.
Die Ankündigung des Unternehmers an das Ma-
nagement, dass mein Team eine Analyse machen
soll, trifft auf keinerlei Gegenliebe. Einhellige Aus-
sage: Es waren schon so viele Berater da, die alle
nur viel Geld gekostet, aber nichts gebracht haben.
Aber die Begründung des Unternehmers, dass er
angesichts hoher Verluste reagieren muss, wird
zähneknirschend zur Kenntnis genommen.
Einige Wochen später werden wir mit eisigen
Mienen begrüßt. Wir lassen uns aber nicht ein-
schüchtern und erwidern die offensichtliche Ableh-
nung mit besonderer Freundlichkeit und Aufge-
schlossenheit. Wir nehmen die Untersuchungen
auf und sind von einer überdurchschnittlichen Pro-
duktivität in praktisch allen Bereichen überrascht.
In der Produktion finden meine Berater beim ers-
ten Hinschauen fast gar nichts. Ich gebe also die
Parole aus: Wenn wir im Minutenbereich nichts
finden, dann müssen wir im Sekundenbereich
nachschauen: Denn in Zykluszeiten von durch-
schnittlich 20 Sekunden stellen vier Sekunden ein
interessantes Potenzial von 20 Prozent dar. Als eine

wahre Fundgrube erweisen sich aber die Deckungs-
beiträge: Es stellt sich nämlich heraus, dass einige
Produktgruppen ziemlich unprofitabel sind und
schon lange nicht verhandelt wurden. Weiters wur-
de „vergessen“, etliche vertraglich zustehende
Nachforderungen zu stellen. Die indirekten Berei-
che bergen auch einiges an Verbesserungen, sodass
in Summe ein Potenzial vorhanden ist, das die Ver-
luste bei Weitem übersteigt. Und sollte es gelingen,
zusätzliche Aufträge an Land zu ziehen, könnten
sogar schöne Gewinne entstehen.

EINE SCHLECHTE NACHRICHT habe ich jedoch für
meinen Auftraggeber: Eine Verlagerung rechnet
sich wohl nicht, denn die Lohnkosten sind am an-
deren Standort kaum günstiger. Aus unserer Sicht
rechnet sich die Verlagerung erst nach fünf Jahren,
was die Sache angesichts not-
wendiger Investitionen für infra-
strukturelle Maßnahmen sehr
unattraktiv macht. Es bedarf ei-
niger Überzeugungskraft, um
den hitzköpfigen Unternehmer
von seiner ursprünglichen Idee
abzubringen – aber es gelingt.
Er trifft die Entscheidung für
ein Projekt zur Realisierung der
Potenziale. Wieder regt sich Wi-
derstand, es muss aber sein. Was
dann passiert, ist mehr als erstaunlich. Nach ei-
niger Zeit kann die Führungsmannschaft zum
Mitmachen und für die Ziele gewonnen werden. Ab
da geht es Schlag auf Schlag: Produktgruppe für
Produktgruppe wird nachverhandelt, Teil für Teil
wird optimiert, die indirekten Kosten werden
Schritt für Schritt reduziert.
Mit jedem Erfolg wird die anfangs ablehnende
Mannschaft immer hungriger. Der Unternehmer
kann es fast nicht fassen. Noch im gleichen Jahr ge-
lingt es, ausgeglichen zu bilanzieren. Im Jahr dar-
auf wird trotz schlechter Konjunktur der größte
Auftrag der Unternehmensgeschichte an Land ge-
zogen. Aus dem Verlustbringer wird binnen Jahres-
frist eine Perle seines Beteiligungsportfolios.
Nach getaner Arbeit sitzen wir bei einem guten
Glas Wein zusammen. Wir wissen in diesem Au-
genblick: Nicht jedes Mal wird uns der Erfolg so
unerwartet in den Schoß fallen. So ist es auch: Das
nächste Projekt erweist sich als eine mehr als harte
Nuss. Aber mit einem Erfolgserlebnis im Rücken
kann man so manche schwere Phase aushalten!

Widerstand ist so eine Sache


II Es waren


schon so viele


Berater da, die


alle nur Geld


kosteten. II


Wie es sich anfühlt, nicht geliebt, aber gebraucht zu werden.


09/2020 | TREND 85

FOTO: BEIGESTELLT

Free download pdf