2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1

kühl ist – dann ist noch nicht so viel
los“, erklärt Vitásek, der aber mitunter
auch am 1. Mai dort anzutreffen ist. Dann
ist allerdings Großkampftag im „Schwei-
zerhaus“, freie Plätze im Gastgarten wer-
den zum raren Gut. „Am 1. Mai nimmt
das ‚Schweizerhaus‘ nur von zwei Men-
schen Reservierungen entgegen: vom
Wiener Bürgermeister und mir – weil ich
da Geburtstag habe“, verkündet Vitásek
sein ganz persönliches Privilegium Maius
im Domus helveticus.
Großkampftag im „Schweizerhaus“
heißt übrigens durchgehend Hochbetrieb
bis zur Sperrstunde um 23 Uhr. Dann ist
der Garten voll, im Lokal drinnen sind alle
750 Plätze besetzt. Zwischen 6.000 und
7.000 Krügel Budweiser wandern dann
die durstigen Besucherkehlen hinab, und
ein ganzes Bataillon an Kellnern wieselt
flink durch die Reihen. 25 Kilometer
Wegstrecke legt ein „Schweizerhaus“-Kell-
ner an solchen Tagen zurück und balan-
ciert dabei Tabletts mit bis zu 20 Krügeln.
Die Bekömmlichkeit des Gerstensaftes
trägt jedenfalls einiges zum Mythos des
Wirtshauses bei. „Nirgendwo kann man


so viel Bier trinken wie im ‚Schweizer-
haus‘. Selbst Menschen, die mit Mühe
sonst nur zwei Krügeln runterkriegen,
schaffen hier fünf “, spitzt Vitásek jahre-
lange Beobachtungen zu und hat auch
noch einen Tipp parat: „Niemals ein Sei-
del bestellen. Den Fehler habe ich einmal
gemacht und eine deutliche Antwort er-
halten: ,Warten Sie, bis Sie einen ordent-
lichen Durst haben und bestellen dann
noch einmal.‘“

GUTES BIER BRAUCHT ZEIT. Auf das
Budweiser, das seit über 90 Jahren im
„Schweizerhaus“ ausgeschenkt wird, ist
man dementsprechend stolz und pflegt
eine ganz besondere Beziehung zum
Gerstensaft. Karl Kolarik, der Enkel des
Gründers, ist Biersommelier und geht
gerne ins Detail: „Bevor das Bier die
Brauerei verlässt, reift es drei Monate bei
idealen Bedingungen im Keller. Wenn
dann die 50-Liter-Fässer bei uns ankom-
men, ruhen sie noch einmal eine Woche,
schließlich wurden sie ja beim Transport
kräftig durchgeschüttelt.“ Bis zu 600
Fässer lagern im vier Grad kühlen Keller,

der sich weitläufig unterm „Schweizer-
haus“ erstreckt. Dort im Untergrund be-
findet sich auch eine Hightech-Schank-
und Kühlanlage. Die sieht zwar ein biss-
chen aus wie ein Rechenzentrum aus den
1970er-Jahren, nur quellen keine bunten
Elektrokabeln aus der Hardware, son-
dern schmale Schläuche, die das Gebräu
vom Fass nach oben an die berühmte me-
terlange Schank fördern.
Dann wird endlich gezapft. Und zwar
effektiv am Fließband, aber ohne Hektik.
„Wir zapfen in drei Stufen. Zuerst, bei der
Vorschank, nur Schaum, der sich nach
und nach bei Hauptschank und Nach-
schank zum Krügerl formt“, beschreibt
Biersommelier Kolarik und erklärt den
Sinn hinter der aufwändigen Prozedur:
„So entweicht Kohlensäure, und das Bier
wird bekömmlicher.“ Drinkability nennt
es der Experte, Süffigkeit der Schluck-
specht, der derart vom Gerstensaft mehr
als gewöhnlich schafft.

DIE STELZE, DER STAR. Allerdings: Mit
Bier alleine ist es nicht getan. Bier braucht
eine gute Unterlage, sonst wird ein „Schwei-
zerhaus“-Ausflug – Drinkability hin, Süf-
figkeit her – zur ungewollten Achterbahn-

KULTURERBE.
Seit den 1840er-
Jahren heißt das
vom Architekten
Eduard van der Nüll
erbaute Haus im
alpenländischen Stil
„Schweizerhaus“.
1920 hat es der
19-jährige Fleischer-
meister Karl Kolarik
(rechts) übernom-
men und sukzessive
zu der Pilgerstätte
geformt, die heute
so geschätzt wird.

Die Schweinsstelze bildet, in enger Kooperation mit dem


92 TREND | 09/2020


TREND
PRIVAT

JUBILÄUM

FOTOS: NEWS HEINZ TESAREK (4), LUKAS ILGNER, FAMILIE KOLARIK, SCHWEIZERHAUS, WALTER WOBRAZEK
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