2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
fahrt. Damit dies nicht geschieht, werden
in einer modernen Großküche berühmte
Gerichte aus der traditionellen Wiener und
böhmischen Küche zubereitet. Kraut-
fleisch, Prager Kuttelflecksuppe, handge-
machte Erdäpfelpuffer, Mohnnudeln – die
ganze Palette halt. Wichtig dabei: Alles ent-
steht weitgehend frei von Convenience-
Produkten. „Wir verwenden schon seit
zehn Jahren keine künstlichen Ge-
schmacksverstärker“, erklärt Karl Jan Ko-
larik, und sein Sohn ergänzt: „Qualitätsvol-
les Essen ist uns sehr wichtig. Wir arbeiten
daher sehr eng mit lokalen Lieferanten und
Herstellern zusammen.“
Das gilt auch für den unumstrittenen
Star in der Küche: die Stelze vulgo Eis-

bein oder (wenig euphemistisch)
Schweinshaxe. Sie bildet, in enger Ko-
operation mit dem Budweiser, das kuli-
narische Rückgrat im „Schweizerhaus“.
An guten Tagen landen bis zu 500
Stück dieser deftigen, fettigen Biester, die
einzeln bis zu einen Kilo auf die Waage
bringen, in den Besucherbäuchen. Sie be-
eindrucken vor allem mit ihrer knuspri-
gen Schwarte, aber
nicht nur. „Die Stelze
im ‚Schweizerhaus‘
ist eine sehr mächti-
ge Erscheinung, aber
schon auch sehr gut“,
beschreibt der Wie-
ner Songwriter und

Poet Nino Mandl das Signature-Gericht
des Wirtshauses. Als Der Nino aus Wien
hat er in den letzten zehn Jahren die hei-
mische Pop- und Liedermacherszene
maßgeblich beeinflusst und pflegt einen
unverkrampften Umgang mit der Wiener
Tradition. So auch mit dem „Schweizer-
haus“. „Das ‚Schweizerhaus‘ ist vor allem
an lauen Sommerabenden ein toller Ort.
Es ist zwar ein Biergarten, aber doch so
wienerisch, dass man es nicht wirklich
mit bayrischen Biergärten vergleichen
kann. Für mich ist ein Jahr erst vollkom-
men, wenn ich ein zweimal im ‚Schwei-
zerhaus‘ war“, erzählt Nino Mandl und
spricht damit eines der Erfolgsgeheim-
nisse des Wirtshauses im Herzen des
Wurstelpraters an: Wer dem liebevoll,
herben Charme von Schweinsstelze und
Budweiser verfallen ist, die absolute Ge-
mütlichkeit des Gastgartens zu schätzen
gelernt hat, kommt wieder.

ERINNERUNGEN. Das weiß niemand bes-
ser als der 74-jährige Grandseigneur des
Hauses, Karl Jan Kolarik, der mit leisem
Lächeln und eleganter Diskretion kleine

„Das ‚Schweizerhaus‘ ist gelebte
Sozialdemokratie. Der
Bank direktor sitzt
neben dem Hackler,
und vorm Kellner
sind alle gleich.“
ANDREAS VITASEK
KABARETTIST

Budweiser, das kulinarische Rückgrat im „Schweizerhaus“.


Erinnerungen teilt. Vom ehemaligen Fi-
nanzminister aus der Kreisky-Ära, der ei-
nen Stammplatz im Garten hat, oder von
Familien, die sich seit Generationen in
seinem Lokal einfinden.
„Ich habe viele Kinder von Gästen auf-
wachsen sehen“, erinnert sich Karl Jan
Kolarik, und dabei kommt ihm die
Geschichte eines niederösterreichischen
Politikers in den Sinn, der vor gar nicht
allzu langer Zeit mit seiner zehnköpfigen
Enkelschar im „Schweizerhaus“ einkehr-
te. „Für den 14-Jährigen unter ihnen war
die Zeit reif fürs erste Bier, und dafür
kommt nur das Beste in Frage“, erzählt
Kolarik nicht ohne Stolz.
Es sind Initiationsriten wie dieser,
die im „Schweizerhaus“ ge-
schaffen werden und die den
Mythos dieses Ortes aus-
machen. Eine Bierinsel der
Seeligen, die mit der Zeit
geht, aber für die Dauer
des Aufenthaltes die
Zeit anzuhalten ver-
mag – ein Naher -
holungs gebiet im
Naherholungsge-
biet Prater.

09/2020 | TREND 93
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