Der Standard - 24.02.2020

(C. Jardin) #1

2 |MONTAG, 24.FEBRUAR 2020 THEMA:DerThemaFall JulianAssange DERSTANDARD


LostagefürJulianAssange:Nach neunJahren Botschaftsasylund Haft mussderWikileaks-Gründer die
drohendeAuslieferungan dieUSAbefürchten.SeinVater John Shipton setztsichmassiv dagegenein.

J

ohnShiptonistde rVater vonWikileaks-
Gründer JulianAssange.Während am
MontaginLondondesse nAnhörung
zum Auslieferungsantrag derUS-Justizbe-
ginnt,fordert Shipton Asylfür seinen Sohn
in einem europäischenStaat. Vergangene
Woche warder stille Mann, der seineWorte
mitBedachtwählt, für ein Treffen imAußen-
ministeriumin Wien. Davor sprach er mit
demSTANDARDüberseinenSohn.


STANDARD: Sietouren gerade durch Euro-
pa, treffen Politiker. Was erwarten Sie sich?

Shipton:Ich werde für Julian eintreten und
klarmachen, dass es–ich weiß, das ist eine
abgedroschene Phrase–einen historischen
Wandel in Europa gibt, der Julian und die
freie Meinungsäußerung und freien Aus-
tausch in der Europäischen Gemeinschaft
unterstützt. Gestern in Paris waren 25 Ka-
meracrews,davorinLondon23.Esgibteine
wachsende Unterstützung.


STANDARD: Aber haben Sie eine derart posi-
tive Rückmeldung denn auch aus politischen
KreisenodergarRegierungskreisenerhalten?

Shipton:Ja, die Unterstützung in Deutsch-
land ist riesig. Sigmar Gabriel war ja doch
immerhin Außenminister. Aber dennoch:
kein Gegenwort oder auch kein Wort sei-
tens der Regierung. Derartiges Schweigen
bedeutet Zustimmung.


STANDARD: In welchem Land orten Sie denn
die größten Chancen auf Asyl für Ihren Sohn?

Shipton:Fangen wir doch in der Mitte an:
der Schweiz. Die Schweiz wird Julian ein
humanitäres Visum anbieten. Das ist die
erste offizielle Anerkennungund sehr wich-
tig. Auch in Frankreich wird es einen Ver-
such geben. Ich denke, es wird zu einem
Wettbewerb kommen, wer denn den stärks-
ten Schutz bieten kann–sosollte es zumin-
dest sein. Im absoluten Herzen Europaszu
sein würde bedeuten, in der Schweiz zu
sein. Er kann sich dort von den Folgen sei-
ner Folter erholen.Und er kann von dort aus
Gastprofessuren in ganz Europa annehmen.
Nach zehn Jahren Arbeit an der Schnittstel-
le zwischen Regierungen und Information
hat er noch sehr viel zu geben. Es wäre eine
sehr feine Sache für Europa, eine Stimme
wie Julian im Herzen Europas sitzen zu ha-
ben. Ich selbst freilich–ich lebe in Mel-


bourne–hätte es gerne, würde Julian gleich
eine Straße weiterleben und auf eine Tas-
se Tee oder Kaffee vorbeikommen könnte.

STANDARD: Was ist denn das Ziel, die Vision
Ihrer Mission?
Shipton:Ich bin gerade in Wien, um mich
mit dem Außenministerium zu treffen, um
hier für Beistand für Julian zu werben: da-
mit Österreich Teil dieser globalen Bewe-
gung wird, die sich wünscht, dass Julian
freikommt–als Ikone der Unterdrückung
von Journalisten, Publikationen oder Pu-
blizisten. Die Unterdrückung wird passie-
ren, wenn Julian an die USA ausgeliefert
wird. Das bedeutet, dass jeder Bürger Euro-
pas, der die Position der EU verstehen will
oder der seine Regierung in den Beziehun-
gen zu den Vereinigten Staaten verstehen
will,angeklagt,vorGerichtgestelltundaus-
geliefert werden kann. Besonders, wenn es
sich um sensible Bereiche handelt. Als ich
begonnen habe, durch Europa zu reisen,
dachteich,eshandeltsichhierumeineuro-
päisches Problem. Wikileaks war in Frank-
reich registriert, die ersten Verfahren wa-
ren in Frankreich. Ich habe aber realisiert,
dass die Unterdrückung von Journalisten
einglobalesProblemist.Wennesnichtjetzt
gelöst wird, wird es den Geschmack des
kommenden Jahrhunderts bestimmen.

STANDARD: Wie ist der gesundheitliche und
geistige Zustand Julian Assanges?
Shipton:Ich kann seinen geistigen Zustand
nicht kommentieren. Ich kann nur meinen
eigenen Zustand kommentieren. Sein
Gesundheitszustand ist ein Problem nach
neun Jahren zunehmender psychologi-
scher Folter, wie sie Nils Melzer (UN-Son-
derberichterstatter über Folter, Anm., siehe
rechts) in seinem Bericht hervorgehoben
hat. Julian ist ein Intellektueller, ein fein-
fühliger Mensch. Und er sitzt in einem
Hochsicherheitsgefängnis mit Terroristen
und Mördern. Ein feinfühliger Mensch,
aber einer mit einem sehr starken Willen.

STANDARD: Was erwarten Sie von dem Aus-
lieferungshearing am Montag?
Shipton: Ich nehme jeden Tag, wie er
kommt. Ich arbeite jeden Tag, wie wir alle,
für Julians Freiheit–inErwartung eines
Erfolgs am Ende.

STANDARD: Was hat denn Julian Assanges
Dranginspiriert,US-Umtriebeaufzudecken?
Shipton:Es geht nicht um die USA oder
Russland. Es geht darum: Wo auch immer
ein sensibles Thema Erwähnung finden
muss, eine Quelle Schutz braucht oder eine
Publikation verifiziert werden und in einem
Verzeichnisaufscheinen soll, kommt Wiki-
leaks ins Spiel.Esi st ein neues Verständnis
des Publizierens. Alles, was Wikileaks ver-
öffentlicht hat, ist zugänglich wie eine Bib-
liothek. Das gibt normalen Menschen die
Möglichkeit, zu recherchierenund uns klar-
zumachen, wo wir stehen in der Beziehung
zu unseren und anderen Regierungen.

STANDARD: Assanges Anwalt Edward Fitz-
gerald hat gesagt, es sei seitens der US-
Regierung eine Begnadigung angeboten wor-
den, sollte Julian Assange eine Involvierung
Russlands in die E-Mail-Affäre 2016 zurück-
weisen. Wenn es dieses Angebot gab, wieso
hat er es nicht angenommen?
Shipton:Ich weiß es nicht. Ich kenne die
Fakten nicht. Ich denke, das Hearing wird
dainvielerleiHinsichtAufklärungbringen.

STANDARD: Die Veröffentlichungder Mails
hattedenGerucheinerKreml-Aktion.Wasist
seine Position in dieser Hinsicht?
Shipton:Ich weise Ihre Frage zurück. Keine
von Julians Aktionen waren im Sinne
Putins. Julian ist pro Wahrheit und er veri-
fiziert alles, was auf Wikileaks publiziert
wird, sehr genau. Alles, was auf Wikileaks
veröffentlicht wird, kommt aus der Bevöl-
kerung. Und es geht darum, alles zu tun,
um die Quelle zu schützen.

STANDARD: Sollte Julian Assange Asyl fin-
den, wird er weitermachen?
Shipton:Wikileaks ist eine robuste globale
News-Organisation mit dem Ruf, genau zu
sein und akkurat, wenn man etwas genau
wissen will. Es geht um Zugang und Ge-
rechtigkeit. Es ist ein Geschenk. Es handelt
sich hier ja nicht um einen reinen Krimi-
nalfall, sondern einen mit politischer Trag-
weite. Ich meine, das transatlantische Ver-
hältnis ist bereits zerrüttet. Asyl für Julian
Assange wird es nicht besser machen.

JOHN SHIPTONistderVater von Wikileaks-Grün-
der Julian Assange. Der Architekt lebt in Melbourne.

Am Wochenende führte John Shipton (li.) einen Protest in London an. Mit dabei war auch Pink-Floyd-Legende Roger Waters.

Foto: Imago Images

/G

ustavo Valiente

„Schweigen bedeutet Zustimmung“


INTERVIEW: Stefan Schocher

DasSchicksalvon


Julian Assangeliegt


beiLondonsJustiz


Investigativjournalistin sieht
„Armutszeugnis“fürPresse

Noura Maan, Flora Mory

W

enn heute, Montag,Julian
Assanges Auslieferungs-
anhörung beginnt,
schließt sich gewissermaßen ein
Kreis, der fast zehnJahre zuvor be-
gann:ImApril2010 machtender
Australier und seine Plattform Wi-
kileaks mit der Veröffentlichung
eines US-MilitärvideosSchlagzei-
len,das einen Angriffvon US-Hub-
schraubern in Bagdadzeigt. Die
USA hatten den Vorfall von 2007,
bei dem zwei Reuters-Journalisten
getötet undzwei Kinder verletzt
worden waren, zuvor als Notwehr
dargestellt–fälschlicherweise.
Das Video hatte zwar die
Whistleblowerin Chelsea Man-
ning beschafft. Die USA behaup-
ten aber, Assange habe einen
Spionageakt begangen, indem er
sie dazu angestiftet habe. So lau-
tet einer der 18 US-Anklagepunk-
te, die erst 2019 bekannt wurden
und denen Assange widerspricht:
Er sei nur Herausgeber gewesen.
Bei einer Verurteilung drohen
Assange 175 Jahre Haft, für ein
Verfahren muss er aber zunächst
an die USA ausgeliefert werden.
Und darum geht es nun: Richterin
Vanessa Baraitser wird die Argu-
mente beider Seiten bis Freitag
anhören, erst im Mai geht es dann
weiter. Wird Assange ausgeliefert,
passiert exakt das, was er 2010 mit
der Reise nach London und 2012
mit seiner Flucht in die Botschaft
Ecuadors verhindern wollte.
Für die Auslieferung zuständig
istderbritischeCrownProsecution
Service CPS –jene Institution,
gegen die der UN-Sonderbericht-
erstatter für Folter, Nils Melzer,
jüngst Vorwürfe erhoben hat: Der
CPS habe Schweden lange abge-
halten, ein Verfahren einzustel-
len, das wegen Sex ohne Kondom
gegen den Willen von Frauen dort
gegen Assange bis 2019 gelaufen
war. Über Schweden brachte
Melzer ans Licht, dass dort eine
Polizistin angewiesen worden
war, die Aussage einer Frau nach-
träglich umzuschreiben. Und dass
Medien bereits vom Vorwurf der
„Doppelvergewaltigung“ berich-
tet hatten, einen Tag bevor die
zweite Frau ihre Aussage machte.

Nur keine kalten Füße
Einige der Indizien, auf die sich
Melzers Kritik stützt, hat Stefania
Maurizi geliefert. Schon 2015,
sagt die Repubblica -Journalistin
zumSTANDARD,hätten Anwälte
ihr gegenüber Verwunderung vor-
gebracht: Wieso pochten schwedi-
sche Staatsanwälte auf Assanges
Auslieferung nach Schweden,
statt für die Befragung nach Lon-
don zu reisen? Die Ermittlungen
würden so in die Länge gezogen,
ebenso Assanges Freiheitsentzug.
Maurizi ging der Sache nach
und beantragte die Herausgabe
von Dokumenten. Jene der schwe-
dischen Behörden zeigten, dass
diese das Verfahren bereits 2013
aus Mangel an Beweisen einstel-
len wollten. Das versuchte CPS zu
verhindern: „Wehe, ihr bekommt
kalte Füße“, hieß es aus London.
Der Großteil der Akten sei ihr
aber verwehrt worden. CPS gab
2017 zu, wichtige Dokumente ge-
löscht zu haben. Mit sieben An-
wälten kämpft sie dennoch für die
Herausgabe weiterer Beweise.
Maurizi hält dieses Verhalten für
unerklärlich: „Warum mischen
sie sich so sehr in einen schwedi-
schen Sexfall ein, und warum ver-
heimlichen sie Dokumente, wenn
alles mit rechten Dingen zugegan-
gen ist?“ Irritierend sei auch, dass
keinandererJournalistjeversucht
habe, offizielle Dokumente zu be-
antragen–„ein Armutszeugnis“.
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