Der Standard - 24.02.2020

(C. Jardin) #1

DERSTANDARD International MONTAG, 24.FEBRUAR2020 | 5


Angesichts der rasantenAusbreitung des Coronavirus hat die RegierungvonGiuseppe Conte am Sonntag zu
drastischen Maßnahmengegriffen. Ganze Kleinstädte wurden abgeriegelt. DreiTodesopfer wurden bestätigt.

Stadt gemeldet. Das Fest lief seit
dem 8. Februar und wäre am 25.
Februar zu Ende gegangen.
Derweilwurden am Wochenen-
de beinahe im Stundentakt neue
Erkrankungen gemeldet–darunter
einer im Veltlin, aber auch mehre-
re in den Großstädten Mailand und
Turin. Mit besonderer Sorge blickt
die Regierung auf Mailand: Eine
Metropole mit 1,4 Millionen Ein-
wohnern unter Quarantäne zu stel-
len würde für die Behördeneine
ganz andere Herausforderung dar-
stellen als die Abriegelung der
Kleinstädte.„Wir können und wir
wollen Mailand nicht einfach
schließen“,sagte der Regionalprä-
sident der Lombardei, Attilio Fon-

S

eit Sonntag sind sämtliche
Zufahrtsstraßen zur lombar-
dischen Kleinstadt Codogno
inderNähevonMailandgeschlos-
sen: Am Ortseingang hat die Poli-
zei Straßensperren errichtet. Um
in die 15.000-Einwohner-Stadt zu
gelangenoderumsiezuverlassen,
sind Spezialgenehmigungen er-
forderlich. Das Ortszentrum
gleicht einer Geisterstadt: Ge-
schäfte, Restaurants, Bars und
selbst die Kirchen geschlossen.
Die Behörden haben sämtliche öf-
fentlichen Veranstaltungen abge-
sagt und die Menschen aufgefor-
dert, zu Hause zu bleiben und auf
„soziale Kontakte“ zu verzichten.
In Codogno ist keine Menschen-
seele mehr auf der Straße. „Es ist,
alswärenwirinWuhan“,sagteein
Bewohnergegenüberdemitalieni-
schen Staatsfernsehen.
Die Situation in Codogno ist die
FolgeeinesNotdekrets,dasdieRe-
gierung angesichts der rapiden
Ausbreitung des Coronavirus in
den norditalienischen Regionen
Lombardei und Venetien erlassen
hat. Die am stärksten betroffenen
Städte wurden abgeriegelt. „Das
Betreten und Verlassen dieser Ge-
biete ist verboten“, erklärte Regie-
rungschef Giuseppe Conte.
Zunächst werde zur Durchset-
zung der Quarantäne auf Polizei-
kräfte gesetzt. Sollten diese nicht
ausreichen, würde notfalls auch


die Armee mobilisiert. „Wir tun
dies zum Schutz der Gesundheit
der italienischen Bevölkerung“,
betonte der Premier. Wer sich den
Maßnahmen widersetzt, riskiert
eine Gefängnisstrafe von bis zu
drei Monaten.

Sterile Korridore eingerichtet
Betroffen waren von dem Not-
dekret am Sonntag elf Gemeinden
mit über 50.000 Einwohnern. Die-
se Ortschaften wurden zur roten
Zone erklärt. Die Bevölkerung soll
in den kommenden Tagen oder
auch Wochen über sogenannte
sterile Korridore mit Lebensmit-
teln und weiteren unverzichtba-
ren Dingen des täglichen Lebens
versorgt werden. Per Notdekret
wurde in der roten Zone auch der
öffentliche Verkehr eingestellt.
Die Schulen bleiben bis auf weite-
res geschlossen. Laut dem Leiter
des Zivilschutzes sind bereits dut-
zende Kasernen zu Quarantäne-
stationen umgebaut worden.
Auch in den nicht direkt vom
Coronavirus betroffenen Gebieten
derLombardeiundVenetienskam
das öffentliche Leben zum Teil
zum Erliegen. In den beiden Re-
gionen wurden am Sonntag die
Sportveranstaltungen abgesagt,
darunter drei Fußball-Erstliga-
spiele. Ebenso wurde der Karne-
val von Venedig beendet. Zuvor
wurde eine Erkrankung in der

tana. Mailands BürgermeisterGiu-
seppe Sala sieht dies ähnlich, doch
kündigte er an, die Schließung der
Schulenund das Verbot von Kund-
gebungen zu beantragen. Auch
Unis sollen geschlossenbleiben.

Bisher drei Todesopfer
Italien ist inzwischen das Land
mit den meisten Infizierten in
Europa: Am Sonntagnachmittag
waren es bereits über 130 regist-
rierte Fälle. Zwei Tage zuvor hat-
te man landesweit noch 17 Fälle
gezählt. 26 der Erkrankten befan-
den sich am Sonntag in einem kri-
tischen Zustand. Am Freitag war
ein 78-Jähriger an dem Virus ge-
storben–als erstes europäisches

Todesopfer. Am Samstag starb
eine 77-jährige Frau, die post mor-
tem positiv auf das Virus getestet
wurde. Sonntagabend wurde ein
dritter Todesfall bestätigt: Laut
Behörden handelt es sich um eine
ältere Frau aus der Stadt Crema
östlich von Mailand, die auch an
Krebs erkrankt war.
Die bisherigen Vorkehrungen
der italienischen Regierung zur
Eindämmung des Virus seien
zwar „bewundernswert“, sagte
Hans Kluge, Europa-Regionaldi-
rektor der Weltgesundheitsorga-
nisation (WHO), der Zeitung La
Repubblica .Doch das „Besorgnis-
erregende“ an der Situation in Ita-
lien sei, dass nicht alle registrier-
ten Fälle „eine klare epidemiolo-
gische Geschichte“ aufweisen.
Mit anderen Worten: Man wisse
nicht, wie das Virus ins Land kam
und wer sich als Erster bei wem
angesteckt hat. Das mache die Ein-
dämmung so schwierig. Aber, so
Kluge, „sie ist noch möglich“.
Als möglicher „paziente zero“,
als erster Patient, gilt derzeit ein
38-Jähriger aus Codogno. Auch
seine schwangere Frau wurde
positiv getestet. Das Problem ist:
Niemand weiß, wie und wo er sich
angesteckt hat. In einem Wettlauf
mit der Zeit versuchen Behörden,
alle Personen zu identifizieren,
mit denen der erste Patient Kon-
takt gehabt haben könnte.

DerberühmteKarnevalvonVenedigwurdeaufgrunddesCoronavirusfrühzeitigbeendet.StattfarbenprächtigerKostümeistnunvermehrtGesichtsschutzzusehen.

Foto: EPA

/A

bir Sultan

Norditalien im Bann des Coronavirus


Dominik Straub aus Rom

Kontrollen an der GrenzezuItalien lautInnenministerrasch umsetzbar


KärntensLandeschefKaiser rätvonReisen nachItalien ab–XiJinping sprichtvongrößter Gesundheitskrise in der Geschichte Chinas


Wien–Grundsätzlich, sagte Karl
Nehammer am Sonntag, seien die
rasch ansteigenden Coronavirus-
Infektionen in Norditalien „kein
Grund zur Panik“. Denn Öster-
reich, so der ÖVP-Innenminister,
sei „gut gerüstet“, und zwar für
alle möglichen Szenarien. Ne-
hammer erinnerte dabei daran,
dass es bereits im Jänner einen
Ausbruch „vor der Haustür“, näm-
lich in Bayern, gegeben habe.
Trotzdem gibt es hierzulande wei-
terhin keinen bestätigten Fall.
Eine Schließung der Grenzen
nach Italien wäre „sehr rasch um-
zusetzen“, sagte Nehammer. Bin-
nen einer Stunde oder gar binnen
Minuten sei das möglich, konkre-


tisierte Franz Lang, Leiter des
Bundeskriminalamts. Nehammer
verwies bei dieser Entscheidung
aber auf die Einschätzung der Ex-
perten, die auch heute, Montag,
wieder unter Beteiligung des Ge-
sundheitsministeriums und der
Ländervertreter im Innenministe-
rium zum Einsatzstab zusammen-
treten und die neuesten Entwick-
lungen abwägen werden.
Im Falle einer Grenzschließung
laute die spannende Frage, so
Lang,„wiemandastut:Welchege-
sundheitsbezogenen Maßnahmen
führt man an der Grenze durch:
Ähnlich wie beim Flughafen zum
Beispiel, oder müssen wir spezifi-
sche Maßnahmen ergreifen?“

In Kärnten rät Landeshaupt-
mann Peter Kaiser (SPÖ) der Be-
völkerung derzeit davon ab, nach
Italien zu reisen. Wenn es nicht
notwendig sei, sollte man die be-
troffenen Regionen meiden.

Höchste Alarmstufe
In Südkorea hat unterdessen
Staatspräsident Moon Jae-in ange-
kündigt, aufgrund des Virus die
höchste Alarmstufe auszurufen.
Bisher gab es in dem Land vier To-
desopfer, die Zahl der Neuinfi-
zierten stieg von 123 auf 556 –
Südkorea ist damit das Land mit
der höchsten Fallzahl nach China.
Ausgangspunkt eines Großteils
der Infektionen ist die Shincheon-

ji Church of Jesus. Eine 61-jährige
Anhängerin der Sekte hatte laut
Behörden die Virustests zunächst
verweigert und war weiterhin zu
Gottesdiensten gegangen.
Das israelische Außenministe-
rium verlautete zudem am Sonn-
tag, dass fast 200 israelische Schul-
kinder zwei Wochen in Quarantä-
negestelltwerdenmüssen,weilsie
mit südkoreanischen Touristen in
Kontakt gekommen sein könnten.
Israel hatte am Freitag einen ersten
Infektionsfall gemeldet.
Der ebenfalls betroffene Iran
meldete einen Anstieg der infi-
zierten Menschen von 28 auf 40.
Bisher sind dort drei Menschen
gestorben. Mehrere Nachbarlän-

der verhängten Grenzschließun-
gen und Einreiseverbote.
In China erklärte Staatschefs Xi
Jinping am Sonntag, das Corona-
virus sei die größte Gesundheits-
krise in China seit der Gründung
der Volksrepublik 1949. Es ver-
breitesichschnelleralsallevoran-
gegangenen, habe die höchste
Zahl von Infizierten und sei am
schwierigsten zu vermeiden und
zu kontrollieren, sagte Xi.
Seit Beginn der Epidemie im
Dezember starben in Festlandchi-
na nach offiziellen Angaben min-
destens 2442 am Coronavirus, die
Zahl der Infizierten wurde am
Sonntag mit knapp 77.000 angege-
ben. (APA, red)

Turin

Mailand

FRA

Venedig

SanMarino

Verona
PIEMONT

LOMBARDEI VENETIEN

ITALIEN


CRO

SCHWEIZ ÖSTERREICH

SLO

BetroffeneRegionen in Italien


Quelle: APA|Stand:23.Febbruar |

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