Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1
Julian Olk, Maike Telgheder Berlin

S


eit Jahren liegen deutsche Apotheker
und die niederländische Versandapothe-
ke Doc Morris im Streit. Dabei geht es
vor allem um Rabatte auf verschrei-
bungspflichtige Arzneimittel, die Doc
Morris mit Sitz im Ausland seinen Kunden in
Deutschland gewähren darf – die inländischen
Apotheken aber nicht, weil sie sich an die gesetz-
lich festgeschriebene Preisbindung halten müssen.
Überhaupt hat die im Jahr 2000 gegründete Firma
Doc Morris erst bewirkt, dass der Versandhandel
mit Medikamenten in Deutschland erlaubt wurde,
was den stationären Apotheken einigen Umsatz
wegnahm.
Jetzt wollen die Niederländer zwei Jahrzehnte an
Konflikten mit den Vor-Ort-Apotheken hinter sich
lassen und sich mit ihnen verbünden: und zwar auf
einem „Marktplatz“, einer offenen digitalen Medi-
kamenten-Plattform, an die sich stationäre Apothe-
ken anschließen können. Kunden soll es damit
möglich werden, sich Arzneimittel durch Doc Mor-
ris senden zu lassen, sie bei einer nahe gelegenen
Apotheke zu bestellen oder sich von dort durch ei-
nen Boten bringen zu lassen.
Doc-Morris-CEO Olaf Heinrich strebt ein partner-
schaftliches Verhältnis mit den stationären Apothe-
ken auf dem neuen Medikamenten-Marktplatz an,
über den künftig auch das neue elektronische Re-
zept laufen soll. Um die Vor-Ort-Apotheker für den
Marktplatz zu gewinnen, macht Heinrich ihnen ein
bemerkenswertes Angebot: „Beim E-Rezept, wel-
ches über den Marktplatz kommt, verzichten wir
auf den Bonus auf verschreibungspflichtige Arznei-
mittel“, sagt Heinrich.
Um die Boni auf Rezept zu verteidigen, hatte Doc
Morris über Jahre viele Gerichtsverfahren geführt,
bis hin vor den Europäischen Gerichtshof. Der hat-
te zuletzt 2016 entschieden, dass ausländische Apo-
theken nicht der deutschen Preisbindung unterlie-
gen und somit Rabatte auf verschreibungspflichtige
Medikamente geben dürfen. Mit der bevorstehen-
den Einführung des elektronischen Rezepts, das
Heinrich als zentralen Treiber für den Medikamen-
ten-Marktplatz sieht (siehe Interview rechts), bricht
damit auch für Doc Morris eine neue Ära an, in der
das Unternehmen die stationären Apotheken als
Partner für die schnelle Versorgung mit Medika-
menten vor Ort gut gebrauchen kann.

„Es muss das beste Angebot für den Kunden ge-
ben, sonst wendet er sich ab. Und für den Kunden
ist es am besten, wenn er zwischen Vor-Ort und
Versand wählen kann, egal, wo er wohnt“, sagt
Malte Dous dem Handelsblatt. Doc Morris hat den
E-Commerce-Experten, der unter anderem auch
für Zalando arbeitete, als Geschäftsführer für den
Marktplatz geholt.
Heinrichs Ankündigung dürfte auch die Politik
aufschrecken. Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) versucht derzeit, mit einem Gesetz ein Ra-
battverbot für Versandapotheken durchzusetzen.
Die EU-Kommission will zu dem Vorhaben dem-
nächst eine Einschätzung abgeben.
Ganz verzichten auf die Rabatte will Doc Morris
allerdings nicht. „Unsere Bestandskunden, die heu-
te ein Papierrezept bei der klassischen Doc-Morris-
Versandapotheke einschicken, werden weiterhin
einen Bonus bekommen“, sagt Heinrich, der Doc
Morris seit 2009 führt. Das aber sei ohnehin nicht
die Zukunft: „Der Marktanteil von verschreibungs-
pflichtigen Medikamenten, die mit Papierrezept
bei EU-ausländischen Versandapotheken bestellt

Das Angebot von


Doc Morris an


die Apotheken


Die Versandapotheke will mit den einstigen Gegnern, den


Vor-Ort-Apotheken, eine Medikamenten-Plattform bauen. Dort will


Doc Morris sogar auf die umstrittenen Rezept-Rabatte verzichten.


ddp

Arzneimittel -
versand: Eine
Mitarbeiterin im
Logistikzentrum
von Doc Morris.

Medikamente im Paket
Umsatz der größten Onlineapotheken* in Deutschland

docmorris.de
shop-apotheke.com
europa-apotheek.com
medpex.de
shop.apotal.de
medikamente-per-klick.de
apo-rot.de
apodiscounter.de
eurapon.de
juvalis.de

457,
228,
172,
152,
148,
138,
105,
65,
62,
53,

Umsatz 2018 in Mio. Euro

HANDELSBLATT

*Onlineshops im Segment Medikamente und Gesundheitsartikel
Quelle: Statista

Unternehmen

& Märkte

MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
16

werden, beträgt seit Jahren nur rund ein Prozent
am gesamten Apothekenumsatz.“
Doc Morris gehört seit 2012 zum Schweizer Zur-
Rose-Konzern, der 2017 an die Börse ging. Auch
dank einiger Zukäufe wuchs Doc Morris in den ver-
gangenen Jahren hoch zweistellig. 2019 wurde ein
Umsatz von 877 Millionen Euro erzielt. Laut Markt-
forschungsinstitut IQVIA betrug der gesamte Arz-
neimittelumsatz der Apotheken in Deutschland ge-
rechnet zum Herstellerabgabepreis im Jahr 2018 et-
wa 36 Milliarden Euro.
Das neue Plattform-Kerngeschäft bei Doc Morris
soll ohne Papierrezepte laufen, dafür mit dem elek-
tronischen Rezept. Von 2021 an soll das E-Rezept
das ausgedruckte Papierrezept digitalisieren und
auf die Smartphones der Patienten bringen, so hat
es der Gesetzgeber vorgesehen. Heinrich erwartet,
dass das E-Rezept dazu führen wird, dass das The-
ma Boni „in drei oder vier Jahren überhaupt nicht
mehr diskutiert“ werde.
Mit dem Start der Plattform müsse aber nicht bis
zur Einführung des E-Rezepts 2021 gewartet wer-
den. „Die Basis für die technische Umsetzung des
E-Rezepts haben wir für Versandhandel und statio-
näre Apotheken schon entwickelt und erfolgreich
in der Praxis umgesetzt“, sagt Dous, sodass eine
erste Lösung beim E-Rezept über die Marktplatz-
App schon 2020 angeboten werden könne.

Verdrängungswettbewerb befürchtet
Doc Morris‘ Plattform-Vorstoß ist in der Branche
kein Novum. „Pro AvO“, ein Zusammenschluss
mehrerer Firmen sowie Apotheken-Genossenschaf-
ten, soll den Onlinezugriff auf die Leistungen von
möglichst allen 19 300 Apotheken in Deutschland
bieten – allerdings komplett ohne Versandhandel.
Die Konkurrenz durch Doc Morris sorgt bei „Pro
AvO“ für Unmut. „Wenn es mehrere Plattformen
gibt, wird es auch zu einem Verdrängungswettbe-
werb kommen“, sagt Geschäftsführer Peter Menk.
Sorge macht der Konkurrenz außerdem, dass
Doc Morris die Kunden auf seiner Plattform zum
eigenen Vorteil steuern könne, etwa bei den mar-
genstarken rezeptfreien Medikamenten. „Es klingt
zwar nach einem feinen Zug, dass Doc Morris bei
verschreibungspflichtigen Arzneien auf Boni ver-
zichten will“, sagt ein hochrangiger Vertreter der
deutschen Apotheken. „Aber man wird sich sicher-
lich Alternativen für die eigene Rendite suchen,
entweder durch versteckte Werbemaßnahmen auf
der Plattform oder hohe Gebühren für die teilneh-
menden Vor-Ort-Apotheken.“
Außerdem könne der Versandhändler die flä-
chendeckende Versorgung mit Apotheken in Ge-
fahr bringen. „Der Endkunde profitiert am meis-
ten, wenn die flächendeckende Versorgung durch
die digitale Plattform der Apotheken vor Ort ge-
stärkt wird. Börsennotierte Anbieter haben eine
ganz andere Motivation. Sie müssen aus den hohen
Verlusten der letzten Jahre eine Erfolgsstory ma-
chen“, sagt „Pro AvO“-Chef Menk.
Doc-Morris-Marktplatz-Geschäftsführer Dous wi-
derspricht. Die Teilnahme an der Plattform werde
natürlich Geld kosten, dafür gebe es aber umfang-
reiche Leistungen wie die technische Bereitstellung
der E-Rezept-Lösung. Und: „Auf dem Marktplatz
wird keinesfalls gesteuert, wo der Patient sein Me-
dikament bestellt“, sagt CEO Heinrich. Er strebt ei-
ne vierstellige Anzahl von Apotheken an, „um Pa-
tienten überall eine nahe gelegene Vor-Ort-Apothe-
ke anbieten zu können“. Natürlich habe Doc Morris
mit der Plattform wirtschaftliche Ziele, sagt Hein-
rich. Aber: „Wir glauben, dass wir über die Platt-
form gemeinsam mit unseren Partnern mehr er-
wirtschaften können als jeder allein, weil wir dem
Kunden mehr bieten und ihn besser binden kön-
nen. Einzelkämpfer ist kein zukunftsfähiges Mo-
dell.“

Olaf Heinrich, Malte Dous

„Wir haben uns verändert“


Doc-Morris-Chef Olaf Heinrich hat
Malte Dous vom Online-Möbelver-
sender Wayfair geholt und zum Ge-
schäftsführer des neuen „Markt-
platzes“ der Versandapotheke ge-
macht. Gemeinsam erklären die
beiden Manager, wie sie mit ihrem
Konzept die Arzneimittelversor-
gung verändern wollen.

Herr Heinrich, Herr Dous, für vie-
le Apotheker ist Doc Morris die
Inkarnation des Bösen. Jetzt er-
lauben Sie sich, die stationären
Apotheken zur Kooperation als
Teil Ihrer Medikamenten-Platt-
form aufzufordern. Warum sollte
ein Apotheker ausgerechnet Ih-
nen folgen?
Heinrich: Sicherlich, wir waren
anfangs aufgrund der Marktsitua-
tion eher auf Konfrontation mit
den Apothekern ausgerichtet und
haben dabei auch Fehler ge-
macht. Aber wir haben uns verän-
dert. Wir möchten mit unserer
Plattform eine partnerschaftliche
Zusammenarbeit erreichen, die
für die stationären Apotheken ein
großer Gewinn sein kann. Ich er-
warte, dass der Umsatz mit elek-
tronischen Rezepten auf unserer
Plattform zu 90 Prozent über die
stationären Apotheken laufen
wird und nur zu zehn Prozent
über unseren Versandhandel.
Dous: Stationäre Apotheken müs-
sen sich im digitalisierenden Ge-
sundheitsmarkt zunehmend die
Frage stellen, welche Rolle sie
künftig spielen wollen. Durch un-
ser Know-how kommen wir ge-
meinsam schneller voran als jeder
allein. Apotheken können durch
unsere Plattform am Wachstum
teilhaben, das sich online und
künftig vor allem über das elek-
tronische Rezept im Medikamen-
tenhandel bietet.

Die Plattform-Idee ist nicht neu,
genossenschaftliche Apotheker-
verbände arbeiten an ähnlichen
Lösungen. Brauchen stationäre
Apotheken Sie überhaupt?
Dous: Ja, sie benötigen Plattform-
lösungen, denn Digitalisierung
sorgt dafür, dass der Kunde freie
Auswahl beim Anbieter hat. Wir
bieten unseren Apothekenpart-
nern Reichweite. Doc Morris hat
62 Prozent Markenbekanntheit
und Zugang zu sechs Millionen ak-
tiven Kunden in Deutschland. Au-
ßerdem werden wir weitere
Dienstleister einbinden, wir arbei-
ten beispielsweise schon mit dem
Videosprechstunden-Anbieter Kry
und dem Hausärzteverband zu-
sammen. Grundsätzlich denke ich,
dass der Gesundheitsmarkt groß
genug ist, dass problemlos mehre-
re Plattformen nebeneinander be-
stehen können.
Heinrich: Natürlich sind die von

Ihnen angesprochenen Plattfor-
men nicht zu unterschätzen. Man-
che Plattformen wollen den Ver-
sandhandel außen vor lassen. Wir
können den Versand mit deutsch-
landweiten Vor-Ort-Apotheken
verbinden.

Die Vor-Ort-Apotheker klangen in
den ersten Umfragen nicht so be-
geistert von Ihrer Plattform. Nur
rund jeder zehnte soll wirklich
aufgeschlossen sein. Wie wollen
Sie so ein flächendeckendes An-
gebot erreichen?
Dous: Wir haben da keine Sorgen,
denn wir bieten ein attraktives
Konzept. Die angesprochenen
zehn Prozent in Relation zu allen
19 300 stationären Apotheken in
Deutschland wären schon eine
gute Zahl.
Heinrich: Manche Schätzungen in
der Branche gehen davon aus,
dass man für eine flächendecken-
de Versorgung mit rezeptpflichti-
gen Medikamenten gerade einmal
1 120 Apotheken braucht. Das sind
die Apotheken, die im Rahmen
des täglichen Nacht- und Notdiens-
tes durchschnittlich Dienstbereit-
schaft haben. Mit Bezug auf unsere
Plattform gehe ich von einer vier-
stelligen Anzahl von Apotheken
aus, um Patienten überall eine na-
he gelegene Vor-Ort-Apotheke an-
bieten zu können.

Was bringt Ihnen eine Flächen-
deckung überhaupt? Sie könnten
sich mit der Kooperation doch
auf die Ballungsgebiete konzen-
trieren.
Dous: Es muss das beste Angebot
für den Kunden geben, sonst wen-
det er sich ab. Und für den Kun-
den ist es am besten, wenn er
zwischen Vor-Ort und Versand
wählen kann, egal, wo er wohnt.
Heinrich: Dass der Kunde das
will, sehen wir schon jetzt. Wir
haben viele chronisch kranke Pa-
tienten bei Doc Morris, die lösen
nur rund 60 Prozent ihrer Rezep-
te bei uns und alle anderen in der
Vor-Ort-Apotheke ein.

Weil sie dort persönlich beraten
werden.
Heinrich: Da müssen wir uns als
Doc Morris gar nicht verstecken.

Wir haben mit Einwilligung unserer
Kunden Daten gesammelt, die uns
ermöglichen, unsere Kunden per
Telefon und online umfassend
pharmazeutisch zu beraten. Wer
vor Ort beraten werden möchte,
kann natürlich zukünftig in eine
stationäre Apotheke des Marktplat-
zes gehen – der Patient entscheidet.
Der große Vorteil unserer Plattform
ist auch, dass der Vor-Ort-Apothe-
ker dank des weitergeleiteten E-Re-
zepts dann schon weiß, welcher Pa-
tient kommt. Da bleibt dann mehr
Zeit für die Beratung.

Über dieser gesamten Diskussion
schwebt noch eine große Unbe-
kannte: Amazon. Der Digitalriese
hat in den USA die Versandapo-
theke Pillpack gekauft, verschickt
in New York Arzneimittel inner-
halb von zwei Stunden und soll
sich den Markennamen „Pillpack
by Amazon“ in Deutschland
schon gesichert haben lassen.
Wie wollen Sie gegen einen sol-
chen Konkurrenten bestehen?
Heinrich: Für uns ist wichtig, dass
wir jetzt die Zeit nutzen, eine star-
ke Plattform mit vielen Partnern
und Überzeugung beim Kunden
aufzubauen. In Spanien stellt sich
für uns schon jetzt die gleiche
Frage. Die Apotheker dort können
über die Plattform unseres
Schwesterunternehmens Promo-
farma Gesundheitsprodukte ver-
kaufen – oder über Amazon. Pro-
mofarma hat 800 Partner und ist
damit gut aufgestellt. Außerdem
ist das Amazon-Modell nicht so
einfach auf Deutschland übertrag-
bar. Wir haben in Deutschland
das Fremdbesitzverbot, der Be-
treiber einer Apotheke muss ein
approbierter Apotheker sein.

Nun ist Doc Morris Teil eines bör-
sennotierten Konzerns, der für
Amazon erschwinglich sein dürf-
te. Amazon muss nicht unbedingt
als Wettbewerber, sondern könn-
te auch einfach als Aufkäufer
nach Deutschland kommen.
Heinrich: Unsere Aktien sind für
jeden handelbar. Mehr gibt es da-
zu nicht zu sagen.

Die Fragen stellten Julian Olk
und Maike Telgheder.

Die Manager von Doc Morris erläutern, warum sie die Allianz mit Apothekern suchen.

Auszug aus dem neuen Newsletter
„Handelsblatt Inside Digital Health“
inside.handelsblatt.com/digital-health

Olaf Heinrich
(l.) und Malte
Dous: Doc
Morris baut
neuen Online-
marktplatz für
Medikamente.

DocMorris

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MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
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