Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1
Christoph Schlautmann Düsseldorf

R


und 70 Millionen Euro
Betriebsverlust fuhr die
Deutsche Post 2018 mit
der Produktion des
Elektrolieferwagens
„Streetscooter“ ein, ein Minus, das
im darauffolgenden Jahr kaum gerin-
ger ausgefallen sein dürfte. Seit Mo-
naten müht sich Konzernchef Frank
Appel deshalb, den imageträchtigen
wie defizitären Produktionsbetrieb
im Rheinland an solvente Investoren
loszuschlagen. Bislang vergeblich.
Dass sich Appels erster Ausflug in
Gefilde jenseits der Brief-, Fracht-
und Paketlogistik als höchst verlust-
reich erwies, hält den 58-Jährigen
überraschend wenig davon ab, nun
ein zweites Mal die keineswegs üppi-
gen Konzerngelder in branchenfrem-
de Aktivitäten zu stecken. Als gewinn-
steigendes Metier hat der Vorstands-
vorsitzende nun die Entwicklung und
den Bau eigener Immobilien ausge-
macht, nachdem der gelbe Riese sei-
ne Gebäude in der Vergangenheit
überwiegend als Mieter bezog.

Interner Widerstand
Doch anders als beim Streetscooter,
der vor sechs Jahren im Konzern für
Begeisterung sorgte, regt sich bei Ap-
pels neuem Ansinnen intern der Wi-
derstand. „Dafür fehlt uns sowohl die
Manpower wie das Know-how“, mo-
niert ein Manager aus dem eigenen
Haus. Viele erworbene Grundstücke
seien für die geplanten Ansiedlungen
schlicht zu groß, zunehmend werde
somit Geld verbrannt.
Das sogenannte „Eigeninvest“, das
die Konzernspitze im Sommer 2019
ganz nach oben auf die Agenda
hievte, betrifft ein umfangreiches
Bauprogramm, mit dem in den kom-
menden Jahren bundesweit 640
neue Zustellpunkte und Zustellbasen
entstehen sollen. Allein für dieses Ge-
schäftsjahr hat die Post als Budget
über 150 Millionen Euro freigegeben.
Erstellt werden sollen davon kom-
binierte Brief- und Paketstationen mit
300 bis 500 Quadratmeter Fläche –
Verteilzentren, die mit 30 bis 80 Bo-
ten Haushalte der Umgebung versor-
gen – in einem Gebiet von mitunter
nur zwei Postleitzahlen.
Den Grund für ihr Megabaupro-
gramm erklärt die Post auf Anfrage
schriftlich: „Als Folge des strukturellen
Wandels mit sinkenden Brief- und stei-
genden Paketvolumina verändert sich
unser Bedarf seit Jahren graduell, wes-
halb wir teilweise etwas andere Lie-
genschaften für unser Geschäft brau-
chen und teilweise bedarfsgerecht
umziehen.“ Mit dem Ausbau der Ver-
bundzustellung – der Brief- und Paket-
zustellung aus einer Hand – rücke man
nun „geografisch näher an den Kun-
den“. Auffallend zudem: Die oft am
Stadtrand gelegenen Neubauten verfü-
gen, anders als die aufgegebenen
Standorte, nun stets über ausreichend
Ladestationen für den Streetscooter.
So weit, so unspektakulär. Für Un-
ruhe aber sorgt eine Anweisung von
ganz oben. „Da das Eigeninvest in ei-
ner Gesamtbetrachtung aus Konzern-
sicht (also nicht die Miete) die güns-
tigste Alternative ist (bilanztech-
nisch)“, so erfuhren die Manager der

Post-Immobilientochter CSG per
E-Mail, „sind wir mit Nachdruck auf-
gefordert, die Grundstückssuche
mehr in den Vordergrund zu rü-
cken.“ Ein Mietvertrag werde künftig
nicht mehr genehmigt, wenn nicht
zuvor eine „Realisierung im Eigen-
bau“ sorgfältig geprüft worden sei.
Glaubt man der internen Mail der
Post-Tochter CSG, werden die Immo-
bilienkäufe dringend gebraucht, um
die von Appel verkündeten Ertrags-
ziele zu schaffen. „Um das Ziel für
2022 zu erreichen (fünf Milliarden
Ebit)“, ist dort zu lesen, „erwarten
die Vorstände des Konzerns von uns
einen großen Beitrag in Form des Zu-
rückstellens von Anmietung und Fo-
kussierung auf das Eigeninvest.“

Sanfte Drohung
Verbunden war der Aufruf mit einer
sanften Drohung. „Nach dem enttäu-
schenden Ergebnis aus 2019“, er-
mahnte ein CSG-Spitzenmanager sei-
ne Immobilienspezialisten schriftlich,
seien die Planzahlen für 2020 „in je-
dem Fall zu erreichen“. Die für
2019/20 gesetzten Ziele wurden bis-
lang nur zu 50 Prozent erfüllt, ver-

nahmen die Mitarbeiter vor wenigen
Tagen in einer internen Präsentation.
Der Druck ist offenbar enorm. Im
Jahr 2022, so hat es Appel seinen Aktio-
nären neulich in seiner bis 2025 ausge-
arbeiteten Strategie versprochen, soll
der ehemalige Staatskonzern im opera-
tiven Geschäft einen Betriebsgewinn
von mindestens 5,3 Milliarden Euro er-
zielen. Gegenüber dem Geschäftsjahr
2019 hätte er dazu beim Ergebnis eine
Milliarde Euro zusätzlich zu heben.
Investitionen in Immobilien sollen
dabei nun helfen. „Bilanziell ist es oft
vorteilhaft, wenn man eigene Gebäu-
de über 50 Jahre abschreibt, statt sie
zu mieten“, bestätigt Bastian Dane-
sitz, Wirtschaftsprüfer bei Rödl &
Partner. „Das Ebit steigt üblicherwei-
se durch das Eigeninvest.“
Noch bis vor Kurzem wollte die Post
darauf lieber verzichten – aus gutem
Grund: Gemietete Gebäude erschie-
nen bis 2018 nicht in der Post-Bilanz,
Verpflichtungen aus dem operativen
Leasing ebenso wenig. Doch damit ist
es seit der neuen Bilanzierungsregel
„IFRS 16“, die spätestens seit 2019 für
alle Konzerne gleichermaßen gilt, un-
umkehrbar vorbei. Leasingverbind-

lichkeiten, etwa die Mietverpflichtun-
gen für Restlaufzeiten von oft bis zu 15
Jahren, erhöhen seither in der Bilanz
die Nettoverschuldung. Ein Versteck
außerhalb der Bilanz ist damit nicht
mehr möglich, ein wesentlicher Vor-
teil der Miet immobilien dahin.
Die Post bleibt auf Anfrage vage.
Die eigene Immobilienstrategie ver-
folge man „abhängig von den jeweili-
gen Geschäftserfordernissen und un-
ter Berücksichtigung finanzieller und
bilanzieller Erwägungen“, heißt es
dort. Im Übrigen habe es auch in der
Vergangenheit schon „eine Mischung
aus Erwerb und Miete“ gegeben.
Doch die fiel bis Ende 2018 erheb-
lich zugunsten der Miete aus, wie ei-
ne Liste der „mechanisierten Zustell-
basen“ zeigt. Von diesen technisch
aufgerüsteten Verteilzentren gingen
83 zwischen 2012 und 2018 an den
Start, fast alle gemietet von Anbietern
wie der Hellmich-Gruppe, Aurelis
oder regionalen Entwicklern. Nur bei
sechs Projekten in dieser Liste er-
scheint die Post selbst als Investor.
2019 dagegen wandelte sich die Quo-
te: Drei von vier dieser speziellen Zu-
stellbasen plant der gelbe Riese seit-
her als „Eigeninvest“.
Operativ scheint die Post darauf
schlecht vorbereitet. Die mit 800 Mit-
arbeitern bestückte Tochtergesell-
schaft CSG, die bis vor einiger Zeit als
Post Real Estate Group firmierte,
macht in ihrer Selbstdarstellung
deutlich, was sie für ihre Aufgabe
hält: „in erster Linie das Anmieten“.
„Hauptaufgabe“ sei das „Mietver-
tragsmanagement“, heißt es dort. Die
Planung und Entwicklung von Statio-
nen überließ man bislang anderen.
So errichtet derzeit der Projektent-
wickler Logistik-Line aus dem nieder-
sächsischen Zeven ein Verteilzen-
trum für die Deutsche Post, der Wett-
bewerber 1980 Real Estate aus
Bremen will bis Sommer 2021 im na-
hen Wildeshausen eine ähnliche Sta-
tion hochziehen, im niederrheini-
schen Xanten baute ein benachbarter
Obst- und Gemüsegroßhändler für
den Bonner Konzern.
Doch mit den oft langjährigen Ge-
schäftsverbindungen könnte bald
Schluss sein, viele der Dienstleister
sehen sich hinters Licht geführt.
Zwar erhalten sie Suchaufträge für
Grundstücke, gehen am Ende als In-
vestor aber leer aus, weil die Post auf
dem Gelände selbst bauen will.
Gleichzeitig zeigen sich viele CGS-
Mitarbeiter von ihrer neuen Aufgabe
überfordert. „Immobilienkaufleute
müssen nun technische Ausschrei-
bungen anfertigen“, berichtet ein Ma-
nager. Auch im Umgang mit Bauan-
trägen an die Gemeinden seien die
meisten unerfahren. „Bis zur Baufer-
tigstellung können so leicht mehr als
zwei Jahre verstreichen.“
Wohl aus Unerfahrenheit griff die
Post zudem mancherorts nach über-
dimensionierten Grundstücken. Im
niedersächsischen Hoya-Dörverden
erwarb sie ein 40 000 Quadratmeter
großes Grundstück, dessen Bebau-
ung bis heute unklar ist. Im Bremer
Stadtteil Blumenthal kaufte die Post
3 000 Quadratmeter Fläche mehr als
nötig. Auf dem Bauplan eines Verteil-
zentrums erscheint nun nahezu die
Hälfte des Areals als grüne Wiese.

Deutsche Post


Bauherr Appel


Der Post-Chef setzt nach dem Streetscooter erneut auf ein branchenfremdes


Geschäftsfeld: den Bau von Immobilien. Dagegen regt sich intern nun Widerstand.


Post-Chef
Frank Appel:
Immobilien erwerb
soll die
Ergebnisprognose
retten.

Marcus Simaitis/laif

150


MILLIONEN
Euro will die Deutsche
Post im laufenden
Jahr in Verteilzentren
investieren.

Quelle: Interne
Management-
Präsentation

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
18

Autoindustrie

Audi gehen die Batteriezellen aus


Die Produktion des
Elektroautos E-Tron stockt.
Der koreanische Lieferant der
Batteriezellen hat Probleme
in der Fertigung.

Markus Fasse, Stefan Menzel
München, Wolfsburg

A


udi muss die Produktion sei-
nes Hoffnungsträgers E-Tron
stoppen. Die Montage des
Elektroautos im Werk Brüssel sei bis
Mittwoch unterbrochen, erklärte der
Autohersteller am Freitag. Als Grund
nennt der Konzern Anlaufschwierig-
keiten beim Hochfahren der Produk-
tion. „Naturgemäß bringt dies ver-
schiedene Herausforderungen mit
sich, die wir gemeinsam mit unseren
Entwicklungspartnern und Lieferan-
ten meistern“, erklärte der Konzern.
Audi produziert das Elektro-SUV
seit einem halben Jahr in Brüssel, im
vergangenen Jahr wurden rund
25 000 Stück gebaut. Doch seit Pro-
duktionsbeginn gibt es Probleme in
der Versorgung mit Batteriezellen.
Audi bezieht wie Porsche und Merce-
des seine Zellen vom koreanischen
Anbieter LG Chem, der dafür ein
Werk in Polen gebaut hat. Die Pro-
duktionsunterbrechung in Brüssel sei
nun ebenfalls auf das Fehlen von Bat-
teriezellen zurückzuführen, hieß es
in Konzernkreisen. Audi wolle in die-
sem Jahr 80 000 E-Tron bauen, LG
könne aber bislang nur für 40 000
Stück Batteriezellen zusagen. LG ist
bislang der einzige Zellenlieferant für
Audi. Die VW-Tochter hofft nun auf
den koreanischen LG-Konkurrenten
Samsung, der zurzeit seine Kapazitä-
ten in Ungarn ausbaut.
Der vorübergehende Produktions-
stopp ist für Audi mehrfach ärgerlich:
Bereits jetzt müssen Audi-E-Tron-
Kunden ein halbes Jahr auf ihr Auto
warten. Bekommt Audi das Problem
nicht in den Griff, könnte die Liefer-
zeit noch weiter anwachsen. Die In-

golstädter sind mit dem E-Tron frü-
her als die Konkurrenten Mercedes
und BMW am Markt. Die vom Diesel-
skandal schwer erschütterte VW-
Tochter will bis 2025 dreißig Elektro-
oder Hybridmodelle auf die Straße
bringen, mehr als die Konkurrenten
in Stuttgart und München planen.
Zudem sind die Elektroautos für die
Klimabilanz des VW-Konzerns wich-
tig. Gelingt es nicht, ausreichend
Stromer zu verkaufen, muss der Kon-
zern Strafzahlungen an die EU-Kom-
mission leisten.
Nicht betroffen von den akuten
Versorgungsproblemen ist die Audi-
Mutter Volkswagen. „Bei uns läuft die
Zellversorgung nach Plan“, sagte am
Freitag ein VW-Sprecher. Volkswagen
hilft der Umstand, dass der Verkauf
seiner neuen Generation von Elektro-
fahrzeugen noch gar nicht begonnen
hat. Erst im Spätsommer sollen die

ersten Exemplare des neuen ID.3 an
die Kunden ausgeliefert werden. VW
hat also im Unterschied zu Mercedes
oder Audi noch etwas mehr Zeit.
Gleichwohl beobachtet Volkswa-
gen die Lage auf dem Markt für Batte-
riezellen sehr genau. Denn der Man-
gel an Zellen trifft die gesamte Auto-
mobilindustrie und damit auch den
Wolfsburger Fahrzeughersteller. Im
VW-Werk in Zwickau wird der neue
ID.3 zur Vorbereitung des Verkaufs-
starts derzeit in vergleichsweise klei-
nen Stückzahlen produziert. Die Bat-
terien müssen dabei sofort eingebaut
werden, nachträglich ist das tech-
nisch nicht möglich.
In den kommenden Monaten will
Volkswagen die Fertigung des neuen
Elektroautos deutlich steigern. Dann
braucht der Wolfsburger Autoherstel-
ler auch mehr Batteriezellen. „Wir
hoffen natürlich darauf, dass dann ei-

ne ausreichende Versorgung sicher-
gestellt ist“, hieß es dazu ergänzend
aus Unternehmenskreisen.
Bei älteren Modellen mit Elektro-
antrieb ist die knappe Versorgung
mit Batteriezellen schon jetzt spür-
bar. Beim VW-Mini E-Up kann es bis
zu sieben Monate dauern, bis ein
Kunde seinen bestellten Elektro-Neu-
wagen bekommt. Volkswagen muss
sich das knappe Zellkontingent mit
den Schwestermarken Seat und Sko-
da teilen, die fast baugleiche Kleinwa-
gen mit Elektroantrieb anbieten.
Ingenieure von Volkswagen und
Audi sind bereits mehrfach nach Ost-
europa gereist, um in den neuen
Werken beim Start der Zellfertigung
zu helfen. VW-Entwickler haben sich
inzwischen auch das nötige Batterie-
Know-how angeeignet. Außerdem
beherrschen sie die Großserienferti-
gung von Autos.

E-Tron-Produktion:
Audi braucht mehr
Zellen.

Getty Images News/Getty Images

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