Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1

G


enau hundert Jahre ist
es her, dass ihr Urgroß-
vater Otto Buchinger
seine erste Fastenklinik
gründete. Der Marine-
Arzt soll einst hungernd sein Rheuma
behandelt haben. Und während sich
ein Familienzweig danach mit den al-
ten Rezepten in Bad Pyrmont nieder-
ließ, eröffnete der andere in Überlin-
gen am Bodensee und in Marbella
zwei mondäne Fastenkliniken, die
heute zu den weltweit renommiertes-
ten gehören. Literatur-Nobelpreisträ-
ger Mario Vargas Llosa etwa gehört
zu den Stammkunden. Wenn es um
weitere Starnamen geht, wird aller-
dings auch die jüngste Generation
des Unternehmerclans höchst einsil-
big.
In Überlingen hat mittlerweile Leo-
nard Wilhelmi die Führung über-
nommen. Marbella wird heute von
seinem Bruder Victor und der ge-
meinsamen Cousine Katharina Roh-
rer-Zaiser gesteuert. Das Unterneh-
men floriert: Rund 7000 Patienten
werden alljährlich begrüßt. Auf jeden
Gast kommen zwei Klinikmitarbeiter.
„Über 50 Prozent der Gäste, die 2018
neu zu uns fanden, kehrten 2019 zu-
rück“, sagt Victor Wilhelmi. „Wer ein-
mal kommt, kommt wieder.“ Aber
was bedeutet Fasten im Jahr 2020
überhaupt?

Am Aschermittwoch beginnt die
Fastenzeit. Spielt das für Ihre beiden
Kliniken in Überlingen und Marbella
überhaupt noch eine Rolle?
Katharina Rohrer-Zaiser: Den Be-
ginn der christlichen Fastenzeit mer-
ken wir in den letzten Jahren wieder
vermehrt, bei meinem Cousin in
Überlingen mehr als bei uns in Mar-
bella. Trotzdem nivelliert sich das
übers Jahr. Fasten ist weniger ein re-
ligiöses als ein Lifestyle-Phänomen
geworden, eher eine Art moderner
Rückbesinnung auf tradierte Verhal-
tensweisen, die sich bewährt haben.
Es kommt ja nicht von ungefähr,
dass Fasten in eigentlich allen Welt-
kulturen und -religionen eine Rolle
spielt.
Leonard Wilhelmi: Außerdem ha-
ben wir in unseren Kliniken ja einen
sehr internationalen Anspruch. Bei
uns finden Sie rund 60 Nationen un-
ter den Gästen. Die große Mehrheit
kommt nicht mehr aus Deutschland
und bringt – wenn überhaupt – religi-
ös die unterschiedlichsten Fastenzei-
ten als Background mit. Man nimmt
den kirchlichen Hintergrund oft eher
als Anlass denn als Grund, über eine
Fastenkur nachzudenken.

Und Sie drei fasten auch noch regel-
mäßig?
Victor Wilhelmi: Auf jeden Fall,
mindestens einmal im Jahr, wenn
auch zu unterschiedlichen Zeiten.
Aber wir checken dann wie unsere
Patienten ein und machen das volle
Programm mit. Es ist auch für uns ei-
ne Art Auszeit.

Sie wollen Ihre Patienten offenbar
heute nicht nur körperlich entgif-
ten, sondern zum Beispiel auch zum
Handy-Detoxing bewegen. Bedeutet
Fasten heute eher offline sein als
hungrig?
LW: Wir bitten unsere Patienten tat-
sächlich, zumindest in den öffentli-
chen Räumen auf das Telefonieren
mit dem Smartphone zu verzichten.
Es gibt ja gar nicht mehr so viele
Möglichkeiten des Rückzugs in unse-
ren vollgepackten Leben. Dazu bietet
eine Fastenkur einen klaren Rhyth-
mus, der auch dazu führt, dass man
mal wieder in sich hineinhorchen
kann.

Fastenkuren


„Eine


hochemotionale


Angelegenheit“


Das junge Führungstrio der Buchinger-Wilhelmi-Fastenkliniken


über Essen als Religion, modernes Detoxing und sein Rezept


für einen reibungslosen Generationswechsel.


Die 38-Jährige führt
gemeinsam mit ihrem Cou-
sin Victor die Klinik in Mar-
bella mit 149 Betten in 101
Zimmern. Vor zwei Jahren
haben ihre Eltern Jutta und
Claus Rohrer die Führung in
die Hände ihrer ältesten
Tochter gegeben, ihre bei-
den jüngeren Geschwister
arbeiten bislang nicht im
Unternehmen. Rohrer-Zaiser
wuchs in Marbella auf, stu-
dierte Betriebswirtschafts-
lehre und arbeitete zuvor im
Marketing. Ihr Onkel Rai-
mund bot ihr zunächst eine
Marketingstelle in Überlin-
gen an. Nach der Geburt
ihrer Tochter zog es die
junge Managerin zurück
nach Marbella.

Katharina
Rohrer-Zaiser
Der 33-Jährige ist der ältere
Sohn von Raimund Wilhelmi
und seiner Frau Dr. Françoise
Wilhelmi de Toledo, die die
Klinik in Überlingen 35 Jahre
geführt haben. Victor lud
schon zu Internatszeiten gern
seine Freunde nach Überlin-
gen ein. Danach studierte er
Hotellerie in der Schweiz und
sattelte schließlich noch
einen MBA in Spanien drauf.
Dem Land blieb er verbun-
den. In Familienstrategiesit-
zungen beratschlagten die
Generationen, wer künftig wo
arbeiten würde. Victor Wil-
helmi fand die Idee reizvoll,
gemeinsam mit seiner Cou-
sine die Klinik in Marbella zu
führen. Seit zwei Jahren sind
sie dort ein Team.

Victor
Wilhelmi
Dem jüngeren Sohn des
Überlinger Patriarchen
Raimund Wilhelmi war noch
nicht so früh klar, dass er
ins elterliche Unternehmen
einsteigen würde. Er stu-
dierte zunächst Manage-
ment in St. Gallen und grün-
dete mit seinem Kommilito-
nen Albert Gebhardt das
gemeinnützige Start-up
Gartengold, das heute 30
Mitarbeiter mit Handicap
beschäftigt. Leonard arbei-
tete bereits für eine Unter-
nehmensberatung und eine
Telekommunikationsfirma,
bevor er sich für eine Kar-
riere im heimischen Unter-
nehmen entschied. Er leitet
seit vergangenem Jahr die
Klinik in Überlingen.

Leonard
Wilhelmi

Frank Beer für Handelsblatt

Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
26

VW: In unseren beiden Buchinger-
Wilhelmi-Kliniken sind sicher auch
schon etliche lebensverändernde
Entscheidungen getroffen worden,
ohne dass wir immer davon erfah-
ren. Das Gehirn wird dank der Keto-
se ja auch mit anderen Nährstoffen
versorgt. Vor allem bekommt man
Zeit.

Sind Ihre Häuser also schon eher
Klöster für die innere Einkehr als
medizinische Kureinrichtungen?
LW: Schauen Sie sich das Silicon Val-
ley an, wo gerade Dopamin-Diäten
angesagt sind! Die Leute kommen
heute sicher nicht mehr nur, um ab-
zunehmen. Aber es bleibt integraler
Bestandteil unserer Therapie, klar.
Gefastet wird nicht nur auf körperli-
cher, sondern auch auf geistiger Ebe-
ne. Wir bieten ja auch sehr viele Ver-
anstaltungen, die unsere Patienten
mental auf andere Gedanken brin-
gen.
KRZ: Wenn uns ein Patient heute am
Ende einer Kur sagt, dass er fünf Ki-
logramm abgenommen hat, sind wir
fast ein wenig enttäuscht, weil das
eben nur ein positiver Nebeneffekt
unserer Kuren ist.

All die Ernährungsmoden, angebli-
chen Allergien und Unverträglich-
keiten, Diättrends – ist Essen zur Er-
satzreligion geworden?
VW: Einerseits ja. Und auch wenn
wir drei uns das alles anschauen, las-
sen wir doch das meiste an kurzfristi-
gen Trends an uns vorüberziehen.
Andererseits wird von uns auch er-
wartet, dass wir die Folgen und Wir-
kungen des Fastens auch wissen-
schaftlich belegen können. Im ver-
gangenen Jahr haben wir dazu ge-
meinsam mit der Charité eine groß
angelegte Studie veröffentlicht, die
mit dem riesigen Datenschatz unse-
rer Patienten aufgebaut werden
konnte. Vermutlich die umfang-
reichste weltweit. Das war sehr ar-
beitsintensiv und aufwendig.
KRZ: Das unterstreicht auch den Um-
fang unserer Wissenschaftlichkeit. So
etwas ist wichtig. Zugleich spielen
unsere über 100-jährige Geschichte
und das entsprechend große Vertrau-
en gegenüber unseren Methoden ei-
ne Rolle.

Die Schulmedizin bleibt Fastenku-
ren gegenüber skeptisch.
LW: Auch da hat ein Umdenkungspro-
zess begonnen. Wir würden uns aber
natürlich freuen, wenn das Thema Er-
nährung und eben auch Fasten schon
im Medizinstudium eine größere Rolle
spielen würde. Schon unser Urgroßva-
ter Otto Buchinger hat seine Methodik
ja immer empirisch weiterentwickelt,
seit er mit einer selbst entwickelten
Fastenkur sein Rheuma heilte. Wir
wollen unsere Arbeit jedenfalls weiter
wissenschaftlich unterlegen. Und nie-
mand hat zu dem Thema so viele Da-
ten und Erfahrung wie wir.

Ihre Kuren werden von keiner ge-
setzlichen Krankenkasse übernom-
men und sind nicht billig. Ist Ge-
sundheit ein Luxus geworden?
KRZ: Würde ich nicht sagen. Man
kann sich heute ja auch vieles im In-
ternet zusammensuchen an Informa-
tionen. Es kommt mehr auf das Be-
wusstsein an als auf das Konto.
VW: Wenn Sie zu Hause bei sich fas-
ten und das nur mit unseren Ernäh-
rungszusätzen unterlegen, ist es ja
fast gratis. Das Angebot in unseren
Häusern ist lediglich das vielleicht
kompletteste, das Sie auf dem Markt
finden können. Die medizinische Be-
gleitung bei uns ist engmaschig und
bietet zusätzliche Sicherheit.

Für die 21-tägige Rundum-Kur gehen
Ihre Preise bei rund 5000 Euro los,
können aber auch 30 000 errei-
chen. Singt einen da der Chefarzt
noch in den Schlaf?
LW: Unterschätzen Sie nicht, wie
personalintensiv wir arbeiten. Unsere
Gäste werden im 360-Grad-Modus
betreut. Das heißt, dass zu jeder Ta-
ges- und Nachtzeit ausgebildete Kran-
kenschwestern und Ärzte zur Verfü-
gung stehen. Außerdem haben die
Kosten natürlich viel mit der Zimmer-
größe und deren Einrichtung zu tun.
VW: Viele unserer Patienten können
sich durchaus alles leisten, wünschen
sich aber eher eine kleine Klause. Die
wollen wirklich zu sich selbst kom-
men.
KRZ: Manche ziehen sich so sehr zu-
rück, dass wir als Chefs sie zum ers-
ten Mal sehen, wenn sie zur Jubilä-
ums-Teatime anlässlich ihrer zehnten
oder 20. Fastenkur mal kurz vorbei-
schauen.
LW: Wir nehmen uns einfach
auch mehr Zeit für den Ein-
zelnen. Der Anteil der
Stammkunden ist entspre-
chend hoch. Das hat sicher
auch damit zu tun, dass
wir uns als Familienunter-
nehmen einen viel persön-
licheren Ansatz erlauben.

Apropos: Im vergangenen
Jahr haben Sie die Firma von
Ihren Eltern übernommen. Der
Generationswechsel geht bei vielen
Unternehmen schief. Warum klapp-
te es bei Ihnen?
KRZ: Die Wahrheit ist wohl: Wir alle
drei bekamen Gelegenheit, uns früh-
zeitig auf die Verantwortung vorzu-
bereiten.
VW: Und wir setzten uns auch eben-
so früh zusammen, um alles auf den
Tisch zu legen an Interessen, Eigen-
tumsverhältnissen, die ganze Histo-
rie. Wenn man das ignoriert, werden
alte Sachen und offene Fragen nur in
die nächste Generation weitergetra-
gen.

Das klappte einfach so?
LW: Wir hatten auch einen Coach,
der uns bei dem Übergang half. Das
ist schon eine hochemotionale Ange-
legenheit. Wir drei waren uns aber
auch einig, dass wir da heute andere
Tools und Ideen als die Generation

unserer Eltern zur Verfügung haben
und auf jeden Fall klare Lösungen
wollen.

Wo verliefen da die Konfliktlinien?
Die beiden Brüder gegen die Cousi-
ne? Überlingen versus Marbella? Alt
gegen Jung?
KRZ: Dieses Stammesdenken haben
wir früh überwunden.

Was werden Sie als vierte Generation
nun anders machen?
LW: Unsere beiden Standorte sollen
sicher enger zusammenwachsen.
Und wir verstehen uns weniger als
„High Tech“ denn als „High Touch“.

Bitte?
LW: Zum Beispiel bekommen wir oft
Angebote für neue Apparaturen, et-
wa Maschinen zur Lymphdrainage.
Da kommt uns aber der menschliche
Faktor zu kurz. Der Austausch zwi-
schen Patient und Therapeut
oder Arzt muss im Mittelpunkt
bleiben. Trotzdem wollen
und müssen wir mit der Zeit
gehen.

Wie wär’s mit einer App
fürs Fasten zu Hause?
KRZ: Das ist durchaus et-
was, worüber wir nachden-
ken, auch wenn unsere Stär-
ke sicher die individuelle Be-
treuung bleibt. Für die Gäste im
Haus gibt es übrigens schon eine
App. Für die Zeit danach überlegen
wir uns gerade ebenfalls ein Angebot.
Ansonsten haben wir eben ein Koch-
buch mit Rezepten unserer beiden
Chefköche in vier Sprachen veröf-
fentlicht. Und gerade sind wir dabei,
einen Podcast zu erstellen, der unser
Wissen, vor allem um die Wissen-
schaft des Fastens, anderen zugäng-
lich macht.

Sie könnten neue Kliniken eröffnen.
Von Standorten an der Côte d’Azur
oder Norddeutschland war schon
gerüchteweise die Rede.
LW: Wir sehen unsere Wurzeln je-
denfalls in Europa. Da gucken wir
uns aktuell viel an, es wäre aber ver-
früht, konkrete Projekte zu benen-
nen.

Sie gehören doch eigentlich der Ge-
neration an, die alles skalieren will ...

KRZ: ... was zu unserem Geschäfts-
modell nur bedingt passt, auch wenn
unser Markt sicher wächst.
VW: Und vergessen Sie nicht: Alle
Medizin muss künftig in Richtung
Prävention gehen, sonst kollabiert
das ganze System. Ebenso spielt uns
die omnipräsente Informationsflut in
die Hände, unter der die Leute lei-
den, aber auch das mittlerweile ange-
sagte Thema Nachhaltigkeit. Unsere
Küche zum Beispiel ist mittlerweile
sogar Demeter-zertifiziert. Wir haben
also eine hervorragende Ausgangspo-
sition.

Sie haben alle Betriebswirtschaft
studiert. Da könnte man sich ja auch
eine Kollektion von Instant-Wasser-
suppen „powered by Buchinger Wil-
helmi“ im Supermarktregal vorstel-
len.
VW: Das ginge sicher zu weit. Aber
in den bestehenden Kliniken probie-
ren wir derzeit viel aus und experi-
mentieren immer auch mit Inhalts-
stoffen.
KRZ: Zum Beispiel entwickeln wir ei-
gene Teerezepturen und haben
schon eigene Kosmetikprodukte an
den Start gebracht. Da geschieht also
schon einiges, aber eben sehr sorgfäl-
tig ausgewählt, in Bioqualität versteht
sich.

Ist mit Ihren Eltern eigentlich alles
geregelt, oder mischen die sich doch
noch ein?
LW: Mein Vater hatte anfangs eine
Kaffeemaschine in meinem Büro ste-
hen und schaute dann immer wieder
rein. Irgendwann habe ich das Ding
rausgestellt. Damit war das dann er-
ledigt. Aber im Ernst: Unsere Eltern
sind ja weiterhin sehr hilfreich mit ih-
rer Expertise.
VW: Und wir wären ja dumm, wenn
wir ihre Erfahrung nicht nutzen wür-
den.
KRZ: Auf strategischer Ebene haben
sie zudem weiterhin ihre Aufgaben in
den Beiräten.
LW: Auch unsere Eltern haben die
Firma ja mal übernommen. Da erin-
nern die sich schon gut, was ihnen
damals auf die Nerven gegangen ist.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Anja Müller
und Thomas Tuma.

Buchinger-Wilhelmi-
Klinik in Überlingen:
Zwei Mitarbeiter pro
Patient.
dpa

Die Leute


kommen heute sicher


nicht mehr nur,


um abzunehmen.


Leonard Wilhelmi
Klinikchef Überlingen

Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
27
Free download pdf