Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1

Zukäufe


Der Mut der


US-Banken


G


elingt die von Morgan-Stan-
ley-Chef James Gorman an-
gezettelte Übernahme des
US-Onlinebrokers E-Trade, wäre es
der größte Zukauf einer amerikani-
schen Bank seit der Finanzkrise.
Der 13 Milliarden Dollar schwere
Deal ist ein Indiz dafür, dass größe-
re Übernahmen in der Finanzbran-
che wieder salonfähig werden.
Dafür gibt es gleich eine ganze
Reihe von Gründen. Der erste: Die
US-Banken können es sich dank so-
lider Gewinne und robuster Aktien-
kurse wieder leisten, auf Einkaufs-
tour zu gehen. Hinzu kommt: Die
gesamte Branche steckt mitten in
einem tief greifenden Strukturwan-
del, für den die Digitalisierung ver-
antwortlich ist. Für die Geldhäuser
gilt es, völlig neue Fähigkeiten zu
entwickeln oder sich diese Fähig-
keiten eben durch Zukäufe zu si-
chern. Gleichzeitig werden ganze
Märkte neu verteilt. Ein Beispiel da-
für sind die Onlinebroker in den
USA. Neue aggressive Spieler haben
einen mörderischen Preiskrieg los-
getreten, der gleich mehrere Über-
nahmen ausgelöst hat. Schließlich
zwingen Digitalisierung und Regu-
lierung die Banken dazu, ihre Ge-
schäftsmodelle zu justieren. Mor-
gan Stanley ist ein Beispiel dafür.
Langsam, aber sicher verwandelt
sich die Investmentbank in einen
Vermögensverwalter. Goldman
Sachs, der Inbegriff der Investment-
bank, bewegt sich in eine ähnliche
Richtung.
Im Prinzip gelten die gleichen
Argumente auch für Europa – aller-
dings mit zwei entscheidenden Un-
terschieden. Die europäischen Ban-
ken stehen nach den Erschütterun-
gen der Finanzkrise noch lange
nicht so robust da wie die Konkur-
renten aus den USA. Und: Trotz der
Ansätze einer Bankenunion gleicht
der Finanzmarkt in der Währungs-
union noch immer einem Flicken-
teppich. Irgendwann wird auch
Europa reif sein für größere Über-
nahmen in der Bankenbranche.
Aber bis es so weit ist, wird es noch
eine Weile dauern. Das bedeutet,
dass der Vorsprung, den die großen
US-Banken nach der Finanzkrise
herausgeholt haben, weiter wach-
sen wird.


Die Übernahme des Onlinebrokers
E-Trade durch Morgan Stanley läutet
die Renaissance großer Finanzdeals
ein, sagt Michael Maisch.


„Gewöhnen Sie sich daran, dass wir in
Deutschland Betriebsräte haben, dass
hier Tarifverträge gelten.“
Reiner Hoffmann, DGB-Chef, an die Adresse von Tesla-Chef
Elon Musk, der in Grünheide derzeit eine Autofabrik baut.

Worte des Tages


Der Autor ist stellvertretender
Leiter des Finanzressorts.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


A


us betriebswirtschaftlicher Sicht ist die
Rechnung klar: die Aufteilung im La-
den optimieren, das Sortiment straf-
fen, Einkaufsvorteile nutzen und eine
zugkräftige neue Marke aufs Dach. So
lässt sich auf dem Papier ein notleidender Real-
Markt in eine profitable Kaufland- oder Globus-Filia-
le verwandeln. Rewe und Edeka haben dieses Kunst-
stück bei vielen übernommenen Tengelmann- und
Kaiser’s-Läden beispielhaft vorgemacht.
Doch was kurzfristig an etlichen Standorten funk-
tionieren dürfte, ist auf Dauer kein Selbstläufer.
Denn jenseits von Managementfehlern und be-
triebswirtschaftlichen Nachteilen hat es einen tiefe-
ren Grund, dass die SB-Warenhauskette Real seit
Jahren Verluste schreibt und jetzt nach einem Not-
verkauf zerschlagen werden muss. Die Wünsche
der Kunden und ihre Einkaufsgewohnheiten haben
sich grundlegend verändert. Und deshalb wird im
Lebensmittelmarkt nichts bleiben, wie es einmal
war.
Lange Zeit waren die Gesetzmäßigkeiten klar: Die
Supermärkte legten die Waren in die Regale, die
Kunden kamen. Gegessen wird immer, hieß die De-
vise, krisenfestes Geschäft. Entscheidend war, das
richtige Sortiment zusammenzustellen und es so
günstig wie möglich zu beschaffen. Einkauf war die
Kernkompetenz. Das Wachstum schien unbegrenzt,
Probleme hatte die Branche zeitweilig nur mit der
Suche der Standorte.
Nach diesen althergebrachten Rezepten handelt
jetzt auch Kaufland. Weil es mit dem Wachstum ha-
pert und das Geschäft nicht mehr so läuft, will die
Kette rund 100 Real-Standorte übernehmen und die
Marktführerschaft ausbauen. Bezahlen sollen diese
Investition zum Teil die Lieferanten über noch güns-
tigere Einkaufskonditionen. Viel hilft viel, scheint die
Devise bei Kaufland zu sein.
Doch diese Tonnenideologie ist gefährlich. Denn
sie macht die Rechnung ohne den Kunden. Sie ver-
traut darauf, dass der Konsument immer noch so
tickt, wie es der Real-Werbespruch auf den Punkt ge-
bracht hat: „Einmal hin, alles drin.“
Immer weniger Verbraucher aber folgen diesen al-
ten Mustern. Das Ritual, am Samstag mit dem Auto
zum Kaufhaus auf der grünen Wiese zu fahren und
den Kofferraum mit dem Wocheneinkauf zu füllen,
stirbt in immer mehr Haushalten aus. Es wird ersetzt
durch mehrere kleine Einkäufe in Supermärkten na-
he der Wohnung oder auf dem Weg zur Arbeit. We-
gen des steigenden Bewusstseins für Umwelt und
Nachhaltigkeit boomen auch Besuche in Biomärkten
und Hofläden.

Dazu kommt: Langsam zwar, aber doch zuneh-
mend werden auch Lebensmittel im Internet be-
stellt. Rewe Digital baut seine Lieferflotte weiter aus,
Start-ups wie Picnic und Getnow ziehen Kunden an.
Non-Food-Artikel wie Fernseher, T-Shirts oder Spiel-
zeug, die für Real wichtig waren, aber auch ein ent-
scheidender Baustein für den Erfolg von Aldi und
Lidl sind, werden lieber über Amazon gekauft. Auch
das ist Umsatz, der den Supermärkten auf der grü-
nen Wiese fehlt.
Dass das bisherige Geschäftsmodell an Grenzen
stößt, spüren deshalb sogar die lange Zeit so erfolgs-
verwöhnten Discounter. Nach einer aktuellen Markt-
studie der Gesellschaft für Konsumforschung haben
sie beim Umsatz im vergangenen Jahr nur noch um
0,9 Prozent zugelegt. Zum Vergleich: Supermarktbe-
treiber wie Edeka und Rewe wuchsen immerhin
noch um drei Prozent.
Auch hier ist es das veränderte Konsumverhalten
der Kunden: Zwar ist der Preis immer noch wichtig,
aber zugleich achten die Verbraucher stärker auf
Qualität und Herkunft der Waren und erwarten eine
einladende Einkaufsatmosphäre. Als Antwort inves-
tieren Aldi und Lidl in die Modernisierung der Ge-
schäfte und bieten mehr Markenartikel und Biopro-
dukte an. Doch das bringt sie zugleich ins Dilemma:
Zum einen steigen ihre Kosten, zum anderen werden
sie den Supermärkten immer ähnlicher. Das unter-
gräbt ihr Geschäftsmodell.
Doch immer noch tun die meisten Händler so, als
ob sich nichts verändert hätte. Obwohl Deutschland
europaweit schon die höchste Dichte an Supermärk-
ten hat, ist die Suche nach Standorten für neue Filia-
len ungebrochen. Auch deshalb ist es für Investoren
wie die SCP Group überhaupt noch möglich, mit der
Übernahme und Zerschlagung eines gescheiterten
Händlers wie Real ein gutes Geschäft zu machen.
Dass sich große Händler wie Aldi, Lidl und Edeka so
schwer mit dem E-Commerce tun, zeugt ebenfalls
von Denkmustern der Vergangenheit.
Dabei sind ganz neue Geschäftsmodelle gefragt,
um dem Lebensmittelhandel eine Zukunft zu sichern.
Hybridmodelle aus kleineren Läden mit viel Frisch-
waren, kombiniert mit Gastronomie, Lieferdiensten
und Abomodellen, könnten eine Lösung sein. Die
Zeit der großen Ketten mit den standardisierten Ein-
kaufshallen ist endlich. Wie bisher Waren in die Rega-
le zu stellen und zu warten, dass der Kunde sie sich
abholt, wird kein Wachstum mehr bringen.

Lebensmittel


Den Wandel zu


lange ignoriert


Der Real-Verkauf
zeigt: Viele
Lebensmittel -
händler setzen
immer noch auf
alte Rezepte statt
auf innovative
Lösungen, warnt
Florian Kolf.

Hybrid -


modelle aus


kleineren


Läden mit viel


Frischwaren,


kombiniert mit


Gastronomie,


Lieferdiensten


und Abo -


modellen,


könnten eine


Lösung sein.


Der Autor ist Teamleiter Familienunternehmen.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
28


„Die Wertschöpfungskette von
Batterien bietet große
Chancen, zu einer
nachhaltigen Entwicklung
beizutragen.“
Martin Brudermüller, BASF-
Vorstandsvorsitzender, zum geplanten
Batteriepass für Elektroautos

„Wenn CEOs Verwaltungsräte
suchen, dann wollen sie keinen
Pitbull, sondern lieber einen
Cockerspaniel.“
Warren Buffett, Investor

M


it vielem hatte man bei der Deutschen Post in
den kommenden Monaten gerechnet –
schließlich gilt es, die hochgesteckten Ertrags-
ziele für die Zeit bis 2022 in eine greifbarere Nähe zu rü-
cken. Doch mit einem nicht: dass Post-Chef Frank Ap-
pel jetzt den Bau von Immobilien zu einem Tätigkeits-
bereich seines Konzerns bestimmt. Dies weckt schlech-
te Erinnerungen. Soll noch einmal ein Ausflug auf weit-
gehend unbekanntes Terrain gewagt werden?
Den Abenteuerspielplatz des gelben Riesen wähnten
die Aktionäre des Dax-Konzerns seit dem Rauswurf von
Brief- und Paketvorstand Jürgen Gerdes eigentlich als
geschlossen. Ein Aufatmen ging damals durch die Rei-
hen der Anteilseigner, als nicht nur der Rendite zehren-
de Post-Bus seinen Dienst einstellte, sondern gleich ein
ganzes Sammelsurium an Experimental-Geschäftsfel-
dern einem Bonner Streichkonzert zum Opfer fiel.
So machte der Konzern seinen Urlaubsveranstalter
„Post Reisen“ nur drei Jahre nach dem Start wieder
dicht. Vor einem Jahr trennten sich die Postler von ihrem
verschlüsselten SMS-Dienst („Sims me“), zum Jahres-

wechsel stellten sie den rein elektronischen E-Postbrief
ein, der sich zehn Jahre lang als Zuschussgeschäft erwie-
sen hatte. Und auch die von Gerdes als „beste Erfindung
seit der Briefmarke“ gepriesenen Paketkästen für private
Häuser werden inzwischen wieder abgeschafft.
Geblieben ist von all den fragwürdigen Ausflügen na-
hezu nur noch die Produktion des „Streetscooters“, ei-
nes Elektrolieferwagens, der nach den zuletzt verfügba-
ren Konzernzahlen einen Verlust von 70 Millionen Euro
einfuhr. Doch auch dafür wird ein Käufer gesucht.
Nun also ein Abzweig in die Immobilienwirtschaft?
Für die kurzfristige Gewinnmaximierung scheint dies
sogar eine gute Idee zu sein. Statt hohe Mieten an die
Erbauer von Brief- und Paketstationen zu entrichten,
die das Betriebsergebnis drücken, werden nun in der
Gewinn-und-Verlust-Rechnung lediglich Abschreibun-
gen in übersichtlicher Höhe fällig. Wer ein neues Gebäu-
de errichtet und anschließend vermietet, kann dieses li-
near über 50 Jahre abschreiben. So belasten das Jahres-
ergebnis lediglich zwei Prozent der Herstellungskosten.
Langfristig aber besitzt das Modell deutliche Schat-
tenseiten. Dass der Deutschen Post Fachleute fehlen,
die für die Planung und Ausführung solcher Bauarbei-
ten genügend Erfahrung besitzen, ist nur eine davon.
Noch gravierender dürfte sich auswirken, dass die Post
auch dann noch an die Stationen gebunden ist, wenn
sie in einigen Jahren für einen womöglich veränderten
Geschäftsbetrieb nicht mehr taugen.
Konzernchef Appel wird dies kaum stören. Sein Ver-
trag läuft nur noch bis Oktober 2021. Ob er noch einmal
verlängert, ist bislang offen.

Deutsche Post


Fragwürdiges Betongold


Der Bonner Konzern verspielt
durch seine kurzfristige
Gewinnmaximierung langfristige
Flexibilität, argumentiert
Christoph Schlautmann.

Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen und
Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Den Aben-


teuerspiel-


platz des


gelben Rie-


sen wähn-


ten die


Aktionäre


eigentlich


als ge-


schlossen.


dpa (3)

Warren Buffett


Für strengere


Kontrolleure


W


arren Buffett ist der am
längsten amtierende Vor-
standschef eines ameri-
kanischen Unternehmens. Er führt
das Konglomerat Berkshire Hatha-
way seit 55 Jahren, er selbst feiert
im August seinen 90. Geburtstag.
Seine rechte Hand, Charlie Munger,
ist gerade 96 geworden.
Sein Alter mache ihn nicht zu den
weitsichtigsten Technologieinvesto-
ren, wie Buffett selbst einräumt.
Doch seine Erfahrung macht ihn zu
einem weitsichtigen Unternehmens-
chef, der schon so manche Krise er-
lebt hat. Immer wieder hat er – zu
Recht – die Wall Street für ihr kurz-
fristiges Denken kritisiert. Hat ge-
zeigt, dass Hedgefonds oft schlech-
tere Renditen einfahren, als wenn
Anleger einfach in den breit gefass-
ten Aktienindex S&P 500 investiert
hätten. Buffetts am Samstag veröf-
fentlichter Aktionärsbrief ist gerade
wegen seiner Weisheiten abseits des
Berk shire-Geschäfts einer der am
meisten gelesenen seiner Art. Die
neueste Warnung des Starinvestors
sollte daher in den Chefetagen zwin-
gend Gehör finden: Vorstandschefs
brauchen strenge Kontrolleure.
Solche, die Rückgrat haben und
sich gegen den CEO stellen, wenn
ein Unternehmen einen ungesun-
den Kurs einschlagen will. Solche,
die keine Angst haben, unbequem
zu sein, und ihre Argumente auch
gegen großen Widerstand vertre-
ten. Eine ganze Reihe von Skanda-
len hat in den vergangenen Mona-
ten gezeigt, wie wichtig ein starker
Verwaltungsrat ist und wie teuer es
werden kann, wenn er fehlt. Die
Skandale beim Büroanbieter We-
Work, beim Flugzeughersteller
Boeing und beim sozialen Netz-
werk Face book sind prägende Bei-
spiele.
„Wenn CEOs Verwaltungsräte su-
chen, dann wollen sie keinen Pit-
bull, sondern lieber einen Cocker-
spaniel“, gab Buffett zu bedenken.
Das macht das Leben eines CEOs
einfacher, doch im Krisenfall
kommt das sowohl die Unterneh-
men als auch die Aktionäre teuer zu
stehen. Eine Patentlösung liefert
der Starinvestor nicht. Doch es ist
gut, dass Buffett den Finger in die
Wunde legt.

Der Starinvestor hat eine ernste
Warnung an die
Unternehmenswelt, sagt
Astrid Dörner.

Die Autorin ist Korrespondentin in
New York.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


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