Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1
Regina Krieger, Carsten Volkery
Mailand, London

A


n der Spitze der euro-
päischen Banken ist ei-
niges in Bewegung. Erst
musste die Schweizer
Großbank Credit Suisse
einen Nachfolger für Tidjane Thiam
finden. Thomas Gottstein soll das In-
stitut nach dem Beschattungsskandal
wieder in ruhigere Gefilde führen.
Dann überraschte Konkurrent UBS
mit der Ernennung von Ralph Ha-
mers zum Vorstandschef. Der bishe-
rige Chef der Direktbank ING soll bei
dem Zürcher Traditionshaus die Digi-
talisierung vorantreiben.
Nun deutet sich auch bei der briti-
schen Großbank HSBC ein spektaku-
lärer Führungswechsel an. Laut
Branchenkreisen ist Unicredit-Chef
Jean-Pierre Mustier der externe
Wunschkandidat des Verwaltungs-
rats. Zuerst hatte der Finanznach-
richtendienst Bloomberg über die
Personalie berichtet.
Mit Mustier würde Verwaltungs-
ratschef Mark Tucker einen Coup
landen. Im Unterschied zum amtie-
renden Interimschef Noel Quinn, der
zuvor das Firmenkundengeschäft bei
der HSBC geleitet hat, ist Mustier ein
internationaler Star. Darin ähnelt er
dem designierten UBS-Boss Hamers.
„Mustier hat einen Ruf wie Pep Guar-
diola im Fußball“, sagt ein Londoner
Investmentbanker, der den Franzo-
sen seit 20 Jahren kennt. „Alle Ban-
ker glauben, er sei der beste.“
Der HSBC-Verwaltungsrat steht
nun vor der Wahl zwischen Mustier
und Quinn. Letzterer kämpft weiter
darum, zum permanenten Vor-
standschef befördert zu werden, und
galt intern bisher als Favorit. Eine
Entscheidung für einen der Kandida-
ten sei noch nicht gefallen, heißt es
in der Bank.
Auch ist unklar, ob Mustier den Job
überhaupt will. Verwaltungsratschef
Tucker hatte bei der Vorstellung der
Jahreszahlen am Dienstag bekräftigt,
man werde den ursprünglichen Zeit-
plan einhalten. Demnach hätte er
noch bis August Zeit, einen neuen
CEO zu finden.
Eine Entscheidung wird jedoch
deutlich früher erwartet – nicht zu-
letzt, weil die Anleger Druck machen.
Je länger Tucker wartet, desto höher
schraubt er die Erwartungen. Sollte
er sich dann am Ende doch für
Quinn entscheiden, könnte dies wie
eine zweite Wahl wirken, weil er nie-
mand anders gefunden hat.

Zielstrebiger Sanierer
Mustier hat sich bei Unicredit einen
Ruf als Sanierer erarbeitet. Seit sei-
nem Start Mitte 2016 hat er die da-
mals schwer angeschlagene italieni-
sche Bank wieder auf Erfolgskurs ge-
bracht. Er baute die HVB-Mutter zur
„paneuropäischen“ Bank aus, wie er
sie nennt. Nur ein Jahr nach seinem
Start in Mailand gelang ihm die größ-
te Kapitalerhöhung der italienischen
Wirtschaftsgeschichte mit einem Vo-
lumen von 13 Milliarden Euro.
Dann trennte er sich von Beteili-
gungen und kündigte beim Investo-
rentag im Dezember bei der Vorstel-
lung des neuen Strategieplans Ein-
sparungen in Höhe von einer
Milliarde Euro an. Bis 2023 will er
500 Filialen schließen und 8 000
Stellen kürzen, die meisten davon in

Italien. In den letzten Tagen gab es
daran scharfe Kritik von den italieni-
schen Gewerkschaften. Doch Mustier
gilt als zielstrebig. Er lässt sich von ei-
nem Plan nicht so leicht abbringen.
Wird er nun tatsächlich den Um-
bau der Unicredit aufgeben und
nach London wechseln, bevor sein
Werk in Mailand vollendet ist? Es
wäre zweifellos ein Karrieresprung,
auch sein Gehalt läge um ein Vielfa-
ches höher als zurzeit. Aber er
könnte auch seinen guten Ruf riskie-
ren. Denn die britische Bank mit
den Wurzeln in London und Hong-
kong würde ihn vor eine ungleich
größere Herausforderung stellen als
Unicredit.
Denn erstens ist sie mit einer Bi-
lanzsumme von 2,7 Billionen Dollar
und der Präsenz in 64 Ländern
Europas größte Bank. Zweitens hat
sich das Umfeld in den asiatischen
Wachstumsmärkten zuletzt drama-
tisch verschlechtert. Der Handelskon-
flikt zwischen den USA und China,
die Demokratieproteste in Hongkong
und das Coronavirus dürften das Er-
gebnis auf absehbare Zeit belasten.
Allerdings erwirtschaftet die HSBC

mit mehr als 13 Milliarden Dollar im-
mer noch einen Jahresgewinn, von
dem die meisten Konkurrenten nur
träumen können. Das schwieriger ge-
wordene Umfeld wird jedoch auch
bei der HSBC harte Einschnitte erfor-
dern. Sie umzusetzen wird wegen
der komplexen Struktur der Bank
nicht einfach werden.
Quinn hatte am Dienstag bei der
Vorstellung der Jahreszahlen eine
weitreichende Restrukturierung an-
gekündigt. Unter anderem sollen in
den kommenden drei Jahren 35 000
Stellen wegfallen. Anleger und Ana-
lysten hatten sich irritiert gezeigt,
dass ein Interimschef einen solch ra-
dikalen Schritt ankündigen durfte.
Viele Beobachter hatten damit ge-
rechnet, dass Quinn schon diese Wo-
che zum permanenten Chef ernannt
würde. Dass dies nicht geschehen ist,
verstärkt den Eindruck, dass das
Board von Quinn nicht überzeugt ist.
Der HSBC-Veteran führt die Ge-
schäfte kommissarisch, seit Vor-
standschef John Flint im vergange-
nen August nach nur 18 Monaten ge-
hen musste. Tucker hatte Flint
vorgeworfen, die Bank nicht radikal

genug umzubauen. Der Verwaltungs-
ratschef war 2017 selbst von außen
gekommen. Sein erklärtes Ziel ist es,
die behäbige Kultur der Bank aufzu-
brechen. Die HSBC wird oft mit einer
Behörde verglichen. Quinn ist wie
Flint in dieser Kultur groß geworden


  • ein klarer Minuspunkt in den Augen
    Tuckers. Dabei zeigt gerade jemand
    wie Christian Sewing bei der Deut-
    schen Bank, dass auch ein Insider ei-
    nen radikalen Sparkurs durchsetzen
    kann.
    Mit Mustier würde Tucker sich ei-
    nen anerkannten Sanierer holen.
    Und er würde mit einer Tradition
    brechen: Bisher wurde die nationale
    Institution stets von einem Briten ge-
    führt. Mustier kann aber mit jahre-
    langer Erfahrung in London und
    Hongkong punkten, unter anderem
    als Chef des Investmentbankings bei
    seinem früheren Arbeitgeber Société
    Générale. „Mustier hat die Vision
    und das Wissen, um ein Institut wie
    die HSBC zu führen“, sagt der be-
    freundete Banker. Er sei ein „sehr
    ganzheitlicher Banker“, kenne das In-
    vestmentbanking, das Firmenkun-
    dengeschäft, die Vermögensverwal-
    tung. „Er wäre ein fantastischer Neu-
    zugang.“


Unicredit-Aktie fällt
Bei Unicredit-Anlegern sorgten die
Spekulationen um Mustiers Wechsel
hingegen für Verunsicherung. Die Ak-
tie gab am Freitag bis zu 3,5 Prozent
nach und gehörte zu den größten
Verlierern im Leitindex der Mailän-
der Börse. Analysten in Italien be-
zweifelten allerdings, dass der Uni-
credit-Chef nach London wechselt.
„Das glauben wir im Moment nicht“,
erklärte das Brokerhaus Websim-In-
termonte. Von Unicredit selbst kam
nur: „Kein Kommentar.“
Die Spekulationen um Mustier wer-
den in Rom und Mailand allerdings
mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
Denn in der heimischen Finanzbran-
che ist viel Bewegung – etwa auf-
grund von Fusionen: Die angestrebte
Übernahme der mittelgroßen Bank
Ubi, die die zweite italienische Groß-
bank Intesa Sanpaolo zu Wochenbe-
ginn verkündete, kam überraschend.
Sie hat den Unicredit-Chef kalt er-
wischt, denn am Tag darauf erklärte
er in einem Brief an die Mitarbeiter,
dass die Bank keinerlei Übernahmen
und Fusionen anstrebe.
Erst vor ein paar Monaten hatte es
Gerüchte gegeben, dass Unicredit die
Commerzbank übernehmen wolle.
Das hatte Mustier allerdings beim In-
vestorentag im Dezember demen-
tiert. Auch die Bank Monte dei Paschi
gilt schon lange als Übernahmekandi-
dat. Sie wurde vom Staat gerettet und
muss nach einem Abkommen mit
der EU-Kommission bis Ende 2021
zurück an den Markt.
Zum anderen dreht sich das Perso-
nalkarussell: Überraschend kündigte
Marco Morelli, der Chef von Monte
dei Paschi, am Donnerstag an, bei
der Hauptversammlung im April
nicht mehr anzutreten. Und auch die
Zukunft von Ubi-Bankchef Victor
Massiah ist ungewiss, wenn die Fusi-
on mit Intesa klappt.
Der Name Mustier war vor ein paar
Tagen auch im Zusammenhang mit
einem Spitzenposten bei Société Gé-
nérale genannt worden. Über man-
gelndes Interesse kann sich der Fran-
zose also nicht beklagen.

Banken


Das große


Stühlerücken


Credit Suisse, UBS, HSBC – die Führung der


europäischen Banken wird neu besetzt. In London ist


nun ein internationaler Star in der Endrunde.


Jean-Pierre Mustier:
Der Unicredit-Chef
gilt als Sanierer.

REUTERS

Mustier hat


einen Ruf


wie Pep


Guardiola


im Fußball.


Alle Banker


glauben, er sei


der beste.


Londoner
Investmentbanker

Finanzen & Börsen
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
32

Versicherer

Allianz will


schlanker


werden


C. Schnell, C. Herz München

D


ie Allianz möchte nach einem
Rekordgewinn im abgelaufe-
nen Jahr ihre Strukturen straf-
fen. Vor zehn Jahren habe es bei
Europas größtem Versicherer noch
zwölf Managementebenen gegeben,
sagte Konzernchef Oliver Bäte am Frei-
tag bei der Vorlage der Jahreszahlen in
München. „Ich wette, in zehn Jahren
sind es nur noch fünf oder sechs.“
Bäte treibt den Umbau des Kon-
zerns damit weiter voran. Im abge-
laufenen Jahr fuhren die Münchener
einen operativen Gewinn von 11,9
Milliarden Euro ein. Die Dividende
soll um 60 Cent auf 9,60 Euro je Pa-
pier steigen. Für das laufende Jahr
peilt der Dax-Konzern ein Ergebnis
von 11,5 bis 12,5 Milliarden Euro an.
Gut lief bei der Allianz im vergan-
genen Jahr unter anderem das Ge-
schäft mit Lebens- und Krankenversi-
cherungen sowie die Vermögensver-
waltung. In der wichtigsten Sparte
Schaden/Unfall, zu der unter ande-
rem die Kfz- und die Gebäudeversi-
cherung gehören, gingen die Ergeb-
nisse dagegen zurück.
Am Markt kam das Zahlenwerk ins-
gesamt jedoch gut an. Der Konzern
habe „ein solides Ergebnis“ erreicht,
erklärte DZ-Bank-Analyst Thorsten
Wenzel. Die Allianz-Aktie stieg auf
den höchsten Stand seit 18 Jahren.
Damit es künftig weiter nach oben
geht, will Bäte den Konzern ver-
schlanken und Prozesse vereinfa-
chen. Auch die Macht der Landesge-
sellschaften soll kleiner werden. „Wir
wollen länderübergreifend Produkte
und Prozesse angleichen.“
Bemerkenswert sind diese Äuße-
rungen auch vor dem Hintergrund,
dass Allianz-Deutschlandchef Klaus-
Peter Röhler zum 1. April für Axel
Theis in den Konzernvorstand auf-
rückt – seine Funktion als Deutsch-
landchef jedoch behält. Dies nährt
Spekulationen, wonach die wichtigs-
te Landesgesellschaft schon bald in
den Mutterkonzern integriert werden
könnte. „Wir werden alle Änderun-
gen in nächster Zeit besprechen“,
sagte Bäte dazu. Eine dramatische
Wende sei jedoch nicht geplant.

Digitaler und effizienter
Bäte will die Allianz im Rahmen sei-
nes neuen Mittelfristplans internatio-
naler, effizienter und digitaler ma-
chen. Bereits im Herbst startete der
Konzern seinen neuen Direktversi-
cherer Allianz Direct, der europaweit
auftreten soll. Damit schrumpft die
Macht einstmals starker Landesge-
sellschaften. Diese waren in der Ver-
gangenheit vielerorts erfolgreich und
konnten bei Produkten und Prozes-
sen in hohem Maße eigenständig
agieren. Begründet wurde dies oft
mit regionalen Besonderheiten, vor
allem bei regulatorischen Themen.
Zudem haben mächtige Vertriebs-
mannschaften lange dafür gesorgt,
dass sich an diese Strukturen in der
Münchener Allianz-Zentrale kaum je-
mand heranwagte. Doch Bäte will
sich davon nicht abschrecken lassen
und das Thema angehen. „Nach der
IT und der Verwaltung werden wir
uns künftig auch den Vertrieb vor-
nehmen“, kündigte er an. Ein radika-
ler Mitarbeiterabbau sei dabei jedoch
nicht geplant.

Berkshire Hathaway

Buffett kauft Aktien zurück


Der Starinvestor nutzt die
hohen Cash-Reserven für ein
großes Rückkaufprogramm.
Hohe Versicherungsschäden
belasten den Quartalsgewinn.

Astrid Dörner New York

W


arren Buffetts Brief an die
Aktionäre zählt zu den
beliebtesten Investoren-
briefen überhaupt. Der Starinvestor
schreibt ihn stets selbst – ein Aus-
druck für das persönliche Verhältnis
zu den Anteilseignern. In diesem Jahr
hat sich der Chef des Konglomerats
Berkshire Hathaway ausführlich den
Nachfolgeregelungen des Unterneh-
mens gewidmet – schließlich wird
Buffett im August 90 Jahre alt. Wie
immer veröffentlichte Berkshire ge-
meinsam mit dem Brief auch seine
Zahlen für die Monate Oktober bis
Dezember. Das sind die wichtigsten
Punkte aus den Veröffentlichungen:

nSchwaches Quartal: In den drei
Monaten bis Ende Dezember fiel der
operative Gewinn im Jahresvergleich
um 23 Prozent auf 4,4 Milliarden Dol-
lar (4,1 Milliarden Euro). Vor allem im
Rückversicherungsgeschäft – einem
wichtigen Standbein von Buffetts
Konglomerat – lief es schlechter. Eine
Reihe von Naturkatastrophen belas-
tete das Ergebnis, darunter Taifune
in Japan und Brände in Kalifornien
und Australien.
Berkshire Hathaways Nettoüber-
schuss betrug im jüngsten Quartal
29,2 Milliarden Dollar, nach einem
Verlust von 25,4 Milliarden im Vor-
jahreszeitraum. Buffett selbst emp-
fiehlt jedoch stets, dieser Zahl keine
große Beachtung zu schenken. Durch
den Ausweis unrealisierter Invest-
mentgewinne schwankt sie stark und
hat wenig Aussagekraft hinsichtlich
des eigentlichen Geschäftsverlaufs.
Im Gesamtjahr 2019 sank Berk shire
Hathaways operativer Gewinn um
drei Prozent auf 24 Milliarden Dollar.
Das Nettoergebnis erreichte dank
kräftiger Kursgewinne einiger Aktien-
beteiligungen einen Rekordwert von
81,4 Milliarden Dollar. Dennoch war
es für Buffett im Großen und Ganzen
ein eher schwieriges Jahr. Die Aktien
von Berkshire Hathaway entwickel-
ten sich mit einem Kursplus von 10,9
Prozent deutlich schwächer als die
boomenden US-Börsen insgesamt.

nAktienrückkäufe: Buffett kaufte im
letzten Quartal 2019 Aktien im Wert
von 2,2 Milliarden Dollar zurück – so
viel wie noch nie in einem Quartal.
Und das soll erst der Anfang sein.
Berkshire hatte seine strengen Bedin-
gungen für Rückkaufprogramme vor
knapp zwei Jahren gelockert, sich
seitdem jedoch zurückgehalten. Die-
ses Mal rief Buffett seine Aktionäre
sogar dazu auf, sich direkt an das Un-
ternehmen zu wenden, wenn sie grö-
ßere Aktienpakete verkaufen wollen.
Insgesamt war Buffett bei Aktien-
käufen im vergangenen Quartal vor-
sichtiger und verkaufte unter dem
Strich mehr, als er dazukaufte. Unter
anderem trennte er sich von einem
Teil seiner Papiere von Wells Fargo
und Goldman Sachs.

nÜbernahmepläne: Buffett sucht
schon lange nach Übernahmezielen,
um seine hohen Cash-Reserven ge-

winnbringend einzusetzen. Auch im
letzten Quartal 2019 saß Buffett wei-
terhin auf Reserven in Höhe von 128
Milliarden Dollar – was nur 200 Millio-
nen Dollar unter dem Rekordhoch
lag. Doch die hohen Bewertungen, die
vor allem von Private-Equity-Firmen
angetrieben werden, schrecken ihn
ab. Er will lieber auf die nächste Krise
warten und dann günstiger einkaufen.
Der Starinvestor kündigte jedoch
an, dass Berkshire künftig offener für
Minderheitsbeteiligungen an börsen-
notierten Firmen sei. „Wir ziehen es
vor, 100 Prozent eines Unterneh-
mens zu halten, aber solche Gelegen-
heiten sind selten“, schrieb Buffett.
Daher müsse er flexibel sein.

nNachfolge: Buffett ging in seinem
Brief an die Aktionäre auch intensiv
auf die Nachfolgeregelung von Berk -
shire ein. Der Starinvestor wird in die-
sem Jahr 90, sein stellvertretender
Verwaltungsratschef Charlie Munger,
mit dem er seit vielen Jahrzehnten eng
zusammenarbeitet, ist 96 geworden.
„Berkshire-Aktionäre müssen sich
keine Sorgen machen: Das Unterneh-
men ist zu 100 Prozent auf unser Aus-
scheiden vorbereitet“, erklärte Buf-
fett, der Berkshire seit 55 Jahren lei-
tet. Er ist damit der am längsten
amtierende CEO in den USA.
Er sei optimistisch, weil er auf er-
fahrene Manager zurückgreifen kön-
ne. „Berkshire zu führen ist für sie
weit mehr als nur ein hochbezahlter
und/oder angesehener Job“, schrieb
Buffett. Berkshire ist für seine gute
Firmenkultur bekannt, auf die Buffett
von Anfang an viel Wert legte. Er lässt
den Tochtergesellschaften extrem
viel Freiheit. „Seine wichtigsten Mit-
arbeiter haben keinen Arbeitsvertrag,
lediglich Gehalt und Bonus hat er
handschriftlich festgelegt“, berichtet
der Juraprofessor Lawrence Cunning-
ham von der George Washington Uni-
versity, der sich seit vielen Jahren mit
Buffett befasst und dessen neues
Buch „Die Vertrauensspanne“ im Mai
veröffentlicht wird.
Buffett führt nicht nur den Vorstand
und den Verwaltungsrat, sondern ist
auch Investmentchef des Unterneh-
mens, das in große Konzerne wie Co-
ca-Cola, JP Morgan Chase und Gold-
man Sachs investiert ist. Seine Aufga-
ben sollen auf mehrere Schultern
verteilt werden. Greg Abel, der Chef
von Berkshires Energiesparte, und
der Versicherungschef Ajit Jain gelten
als Favoriten für den CEO-Posten.

Das Kontrollgremium soll eines Ta-
ges von Buffetts ältestem Sohn Ho-
ward geführt werden, der vor allem
auf die Firmenkultur achten soll. Ted
Weschler und Todd Combs, die das
über 200 Milliarden Dollar schwere
Aktienportfolio derzeit gemeinsam
mit Buffett verwalten, werden diese
Aufgabe später komplett überneh-
men.

nKritik an der Unternehmenswelt:
Buffett nutzt seine Aktionärsbriefe
immer wieder, um Dinge anzuspre-
chen, die ihn in Amerikas Unter-
nehmenswelt stören. Gerne wettert
er gegen die Händler der Wall
Street, die nur auf kurzfristige Ge-
winne aus seien. Bei Berkshires
Übernahmen kommt er stets ohne
Berater und Investmentbanker aus.
Seine Devise: „Du darfst nicht den
Friseur fragen, ob du einen Haar-
schnitt brauchst.“
In diesem Jahr widmete sich der
Starinvestor der Rolle der Verwal-
tungsräte, die nach diversen Unter-
nehmensskandalen als zu CEO-
freundlich in die Kritik gekommen
sind. Dass Verwaltungsräte heutzuta-
ge deutlich besser vergütet werden
als früher, sei ein zweischneidiges
Schwert, warnte Buffett. Der Schnitt
liege heute bei 200 000 bis 300 000
Dollar pro Mandat, in den 1960er-
Jahren sei er dagegen mit 100 Dollar
vergütet worden.
Zum einen ermögliche die höhere
Bezahlung, dass Kandidaten nicht be-
reits wohlhabend sein müssen, um
sich für solche Positionen zu qualifi-
zieren. Doch sie schaffe zum anderen
eine unglückliche Dynamik. Wer ei-
nen solchen Posten habe, der hätte
vielleicht auch gerne noch ein zwei-
tes Mandat. Das bekomme er jedoch
nur, wenn er sich einen Ruf als zah-
mer Kontrolleur verschaffe. „Wenn
CEOs Verwaltungsräte suchen, dann
wollen sie keinen Pitbull, sondern lie-
ber einen Cockerspaniel.“
Buffett legt daher auch auf einen
anderen Faktor Wert: Er begrüße es,
wenn Verwaltungsräte nicht nur zum
Teil mit Aktien des Unternehmens
vergütet werden, sondern auch mit
ihrem eigenen Geld Papiere kaufen.
Das allein „führt natürlich nicht zu
mehr Weisheit oder besseren Ent-
scheidungen“, räumt Buffett ein.
„Und doch fühle ich mich besser da-
mit“ – weil die Interessen der Kon-
trolleure und des Unternehmens da-
mit näher zusammenrückten.

4,4


MILLIARDEN
Dollar betrug der
operative Gewinn von
Berkshire Hathaway
im zurückliegenden
Quartal – ein Rück-
gang von 23 Prozent.

Quelle: Unternehmen

Warren Buffett:
Auf der Haupt -
versammlung wird
er gefeiert wie
ein Rockstar.

Bloomberg

Finanzen & Börsen
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
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