Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1

N


ach Deutschland ist Michael Hasen-
stab zu einer Fondsberater-Konfe-
renz und für Kundengespräche ge-
reist. Doch generell tourt der Schwel-
lenländer-Fan derzeit weniger durch
die Welt. Denn es fehlt dem 44-jährigen Fondslen-
ker an Euphorie, neue Renditequellen aufzustö-
bern. Vielmehr will der Manager sein Fondsver-
mögen, das sich nach fünf Jahren mit deutlichen
Abflüssen von Anlegergeld auf knapp hundert Mil-
liarden Dollar Kundenkapital halbiert hat, vor Ver-
lusten schützen. Performance-Ziele behält er da-
her lieber für sich.

Herr Hasenstab, man erkennt Sie kaum noch
wieder: Statt durch die Welt zu reisen und
auch in den entlegensten Ecken der Welt nach
Renditechancen zu suchen denken Sie offen-
bar nur noch an Sicherheit. Warum sind Sie so
pessimistisch?
Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Die öko-
nomischen wie auch politischen Prognosen sowie
geopolitische Kräftespiele unterscheiden sich ex-
trem von denen der vergangenen Jahrzehnte. Die
Kursniveaus an den Kapitalmärkten aber spiegeln
eine stimmige, perfekte Welt. Wir wollen dem et-
was entgegensetzen. Anleger haben jede Menge Ri-
siken in ihren Depots: Bonitäts- und Zinsrisiken
durch Aktien, Firmenbonds und länger laufende
Staatsanleihen. Und zuletzt mit dem Ausbruch des
Coronavirus haben wir gesehen, wie unvermittelt
Sorgen der Investoren die Volatilität an den Märk-
ten erhöhen können.

Eigentlich treten Sie an, um Rendite zu erzie-
len. Jetzt sehen Sie alles so negativ, dass Sie ei-
nen Vorsichtskurs fahren?
Ja. Wir wappnen uns für einen Sturm. Und der
Schock kann härter werden als zur Finanzkrise
2008

Und wenn Sie sich irren und die Welt stabil
bleibt?
Erstens sind wir überzeugt davon, dass wir richtig
aufgestellt sind. Zweitens besteht ein Mehrwert da-
rin für Anleger, ein solches Puzzleteil wie die-
se Strategie einem Portfolio hinzuzufü-
gen.

Aber Sie verzichten auf Rendite,
wenn Sie das über Jahre machen.
Eine Zeit lang haben wir vor allem
mit Positionen in Schwellenlän-
dern gute Performance gemacht.
Und wir sind auch weiterhin in
Schwellenländern investiert, nur
eben noch selektiver als zuvor.

Zuvor haben Sie aber gewichtig in ein-
zelne Länder im Umbruch investiert – wie
in Irland, Ungarn, der Ukraine und Argenti-
nien.
Unsere markanten Positionen in Schwellenländern
waren das Ergebnis eines Research- und Bewer-
tungsprozesses. Wer kurz vor dem Ausbruch der
Finanzkrise 2007 mit uns investiert war, wird uns
als sehr vorsichtig in Erinnerung haben – wir hat-
ten alle Schwellenländerrisiken abgesichert.
Manchmal weist das Research schlicht in eine
Richtung, an die der Markt nicht glaubt – und
dann ist man ein Contrarian, also jemand, der sich
gegen die Marktmeinung richtet. Aber wir sind
nicht per se so. Die Zeit 2007 und die der Finanz-
krise war eine unserer erfolgreichsten Perioden:
Wir sind extrem defensiv in die Krise hineingegan-
gen und sehr offensiv wieder heraus. Die Leute
vergessen aber die defensive Zeit, erinnern sich
nur noch an die offensive Phase.

Waren Sie jemals so vorsichtig wie jetzt?
Ja, vor Ausbruch der Finanzkrise. Und jetzt rech-
nen wir wieder mit einem negativen Marktereig-
nis.

Europa wird in seinen


Grundfesten


erschüttert,


der Zusammenhalt der


Staaten geht verloren.


Elmer van der Marel/VISUM

„Härter


als in der


Finanzkrise“


Für den Anleihe-Fondsmanager beim


US-Vermögensverwalter Franklin Templeton


braut sich an den Finanzmärkten einiges


zusammen. Er spricht über das katastrophale


Jahr 2019 für seine Fonds und seine extreme


Vorsicht angesichts globaler Risiken.


Michael Hasenstab


Private


Geldanlage


MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
34

Was könnte einen solchen Vorfall auslösen?
Verschiedenes. Die Politik – die radikalen Verschie-
bungen in der Wirtschaftspolitik, der geopolitische
Konflikt im Nahen Osten, eine Rezession oder
auch Abflüsse aus passiven Fonds. All das sind Ri-
siken, vor allem, wenn der Markt das Umfeld als
nahezu risikofrei bewertet. Vieles davon ist vor al-
lem ein Bewertungsthema – besonders Anleihen
sind teuer. Daher entfernen wir uns von teuren
Anlageklassen.

Was sorgt Sie konkret?
Unser Research zeigt, dass eine Krise wahrschein-
lich ist. Wir erleben erstens enorme politische Ver-
änderungen. Die USA sind nicht wiederzuerken-
nen: Es gibt massive populistische Strömungen auf
beiden Seiten des politischen Spektrums. Der
Grund ist der Frust über fehlende Aufstiegs-
möglichkeiten. Dabei machte diese „Al-
les ist möglich“-Idee die USA zu ei-
nem so dynamischen Land: Die
Menschen studierten, arbeite-
ten hart und verdienten gutes
Geld. Jetzt denken viele und
erleben es zum Teil schon,
dass das heute weniger
möglich ist. Dieser Frust ge-
paart mit der Einkommens-
Ungleichheit im Land hat
populistische Gedanken
stark gemacht – unter den so-
genannten abgehängten älteren
weißen Männern in Texas ebenso
wie unter den Kapitalismuskritikern
der Demokraten. Außerdem werden bei-
de politische Seiten immer unfähiger, Kompro-
misse zu schließen. In der Reagan-Ära der 80er et-
wa war das noch kein Problem.

Wie sieht es in anderen Regionen aus?
Auch Europa wird in seinen Grundfesten erschüt-
tert. Der Zusammenhalt der Staaten geht verloren:
durch den Brexit, der enorme Volatilität schafft,
den Nationalismus besonders in Italien und in Ost-
europa sowie die ungehemmte Schuldenpolitik.
Und in den Emerging Markets sehen viele Länder
instabil aus – nicht nur Argentinien. Nur noch we-
nige Länder der Welt wirken robust: Japan, die
Schweiz, Skandinavien.

Und wie steht China da?
Chinas Rolle im Weltgeflecht hat sich geändert:
Nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit mit den
USA gibt es eine Art kalten Krieg. Solche Spannun-
gen können zu einem Unfall führen. Die geopoliti-
schen Gefahren im Nahen Osten kommen hinzu.

Und das alles kann auch die Weltwirtschaft brem-
sen?
Ja, es kann aber auch ad hoc zu Inflation kommen.
Ökonomen rechnen aktuell eher mit Deflation.
Aber in den USA steigen die Löhne, es gibt wenig
Arbeitslosigkeit. Gelddrucken ist außerdem das
Mittel der Populisten. Sie müssen Geld ausgeben,
um beliebt zu bleiben. Und die USA brauchen Ka-
pitalgeber.

Welche Gefahren lauern an den Kapitalmärkten?
Die Renditejagd, der Run auf riskantere Anlagen
schlechterer Qualität, die zudem immer weniger li-
quide sind. Es gibt weltweit Anleihen im Wert von
neun Billionen Dollar mit negativen Renditen. Das
Investorengeld fließt als Folge in Anlagen, die noch
positive Renditen versprechen, wie Firmenbonds
oder Bankkredite. Die Kreditqualität sinkt da-
durch, und viele kaufen automatisch, weil quanti-
tative Modelle dies vorgeben. Wenn aber die Liqui-
dität abnimmt, kann es eng werden. Das gilt auch
für passive Fonds wie die börsengehandelten
ETFs: Wir kennen bisher nur den Markt, in dem
ETFs als Käufer auftreten, noch nicht das Gegen-
teil – wenn sie also verkaufen. Dieser Effekt auf die
Märkte ist noch unerforscht.

Das Besondere ist also aktuell, dass wir eine Bün-
delung von Ursachen für eine Krise haben?
Ja, auch die, die wir nicht kennen. Es ist, als stapel-
ten wir haufenweise trockenes Brennmaterial auf-
einander und gössen Benzin drauf. Es gibt noch
kein Streichholz, wir wissen nicht, was das Ganze
entflammen könnte. Aber es macht Sinn, einen
Feuerlöscher zu besitzen.

Die Aktienmärkte haben sich beruhigt, was Coro-
na angeht.
Ja, bisher weiß man einfach zu wenig. Entschei-
dend sind die Geschwindigkeit, mit der sich das
Virus vermehrt, und die Todesrate. Corona ist ein
gutes Beispiel dafür, dass etwas auftauchen kann,
mit dem niemand rechnet.

Wie gehen Sie mit Corona in Ihrem Re-
search um? Was heißt das für Ihre An-
lagestrategie?
Wir prüfen alle Informationen,
vom US-Zentrum für Seuchen-
kontrolle CDC bis hin zur
Weltgesundheitsorganisati-
on WHO, und versuchen,
sie einzuordnen. Die Erfah-
rung etwa mit dem Virus
Sars lehrt, dass Investoren
in solchen Situationen Risi-
ken abbauen. Wir sind auch
für den Fall positioniert, dass
sich die Lage verschlechtern
sollte. Aber es ist immer noch zu
früh, um vernünftige Prognosen zu
erstellen.

Wie bewerten Sie 2019? Es muss eines Ihrer
schlimmsten Jahre gewesen sein: Ihre Perfor-
mance war erneut schwach, Anleger zogen weiter
Geld aus Ihren Fonds ab, und in der Argentinien-
Krise haben Sie Berechnungen zufolge bei Ihren
Fonds 1,8 Milliarden Dollar innerhalb eines Tages
verloren.
Der August war der schlimmste Monat, den ich je
erlebt habe. Von Januar bis Juli war unsere Perfor-
mance klasse. Wir waren seit dem Frühjahr dabei,
unsere Strategie defensiver aufzustellen. Dann er-
wischten uns die fallenden Zinsen in den USA und
Argentinien voll: Wir haben das politische Beben
nicht vorhergesehen. Das sind Emerging Markets,
so etwas kann passieren.

Haben Sie in Argentinien noch etwas retten kön-
nen? Sie sind einer der größten Auslandinvesto-
ren in dem Land.
Wir hatten unsere Position mit Blick auf die Präsi-
dentschaftswahl im Herbst etwas reduziert. Im
Rückblick hätten wir noch mehr abbauen sollen.
Seit der Wahl und nach Einführung der Kapitalver-
kehrskontrollen war ein Abzug des Geldes nicht
mehr möglich. Die Abwertung und der Kursverfall
der Anleihen hat die Position über alle Fonds hin-
weg um rund die Hälfte reduziert auf jetzt einige
Prozent des Fondsvermögens.

Rechnen Sie mit einem Schuldenschnitt?
Das ist schwer einzuschätzen. Die neue Regierung
hat viel zu bewältigen: Es gibt die lokalen Schul-
den und die Auslandsschulden in verschiedenen
Tranchen, außerdem auch IWF-Schulden. Wir hof-
fen, dass schnell etwas erreicht werden kann. Wir
wollen die Argentinier dabei unterstützen. Wir su-
chen keinen Streit, der bringt niemandem etwas.
Das Land braucht eine nachhaltige Lösung, die die
Liquidität stützt und die Märkte offen lässt. Dafür
muss nach der Währungsabwertung von inzwi-
schen mehr als 50 Prozent gegenüber dem US-Dol-
lar etwas passieren. Ein Schuldenschnitt könnte
unter Umständen nötig sein.

Typisch für Sie wäre, auf so einen Haircut zu war-
ten und dann günstig Bonds nachzukaufen.
Es ist zu früh, das jetzt abzuschätzen.

98,1


MILLIARDEN
Dollar Kundenkapital sind in
Hasenstabs Fonds investiert.

Quelle: Franklin Templeton

Was ist 2019 bei Ihnen noch schiefgelaufen?
Es hat uns auf der Zinsseite getroffen. Wir hatten
gerade Risikopositionen abgebaut und mehr Si-
cherer-Hafen-Positionen wie den japanischen Yen
aufgebaut. Dann drehten die führenden Noten-
banken wieder in Richtung Expansion. Wir sahen
im Vergleich zum Markt schlecht aus. Aber abso-
lut betrachtet sind wir aus dem Jahr auf US-Dollar-
Basis unter dem Strich mit null rausgekommen.
Das heißt, unser Risikomanagement hat funktio-
niert.

Aber damit können Sie als Manager, der stetige
Rendite erzielen will, nicht zufrieden sein – Ihre
Flaggschifffonds gehören zu den schwächsten Ih-
rer Vergleichsgruppe.
Langfristig nicht, aber in einem Jahr, in dem alles
schiefläuft, ist die Null hinnehmbar.

Was erklären Sie Ihren Investoren?
Im Mittelpunkt steht die Diskussion über unsere
Strategie.

Aber Anleger ziehen seit Jahren massiv Geld aus
Ihren Fonds ab.
Es gab Abflüsse. Aber es kommen auch neue In-
vestoren, die genau unsere defensive Positionie-
rung wollen. Sie hoffen zwar, dass wir unrecht ha-
ben, wollen aber neben den Schwellenländer-An-
lagen in unseren Fonds auch Absicherung. Wir ha-
ben unsere Anlagestrategie nie an Kapitalflüssen
ausgerichtet.

Wie stellen Sie Ihr Portfolio jetzt konkret auf?
Wir sichern uns mehrfach ab: gegen steigende
langfristige Zinsen in den USA über Zinstauschge-
schäfte, sogenannte Swaps, gegen Schocks an den
Finanzmärkten über Investments in als sicher gel-
tende Anlagen wie Yen- und Schweizer-Franken-
Papiere und gegen Probleme in der Euro-Zone
über Norwegen- und Schweden-Kronen. Wir hal-
ten viel Liquidität – aktuell bis zu einem Sechstel
des Vermögens. Und wir kaufen Bonds in einigen
ausgewählten Schwellenländern in lokaler Wäh-
rung, weil diese viel liquider sind als Anleihen in
Hartwährungen.

Brasilien und Mexiko machen jeweils mehr als
ein Zehntel der Portfolios aus.
Ja, in Brasilien nehmen wir den Renditeaufschlag
gegenüber US-Staatsanleihen mit. Wir setzen auf
Verbesserungen der Schuldnerbonität, vor allem
wegen der Pensionsreform, die endlich durchge-
gangen ist. Wir sichern den brasilianischen Real
indirekt ab, indem wir uns gegen den australi-
schen Dollar positionieren. Der Austral-Dollar ist
auch eine Rohstoffwährung und hängt von China
ab, und die Absicherung ist relativ preiswert. In
Mexiko sind die Zinsen seit einiger Zeit gestiegen,
dort erwarten wir Zinssenkungen und sichern die
Währung teilweise ab. Einfach in Schwellenländer
investieren und alles vergessen geht heute nicht
mehr.

In Japan halten Sie bis zu einem Viertel des
Fondsvermögens.
Der Yen hat immer gewonnen, wenn es viel Vola-
tilität gab – etwa einen Ausverkauf in Schwellen-
ländern oder generell bei Aktien. Zwischen 2007
und 2009 ist der Yen ein Drittel zum US-Dollar ge-
stiegen. Auch Südkorea ist ein sicherer Hafen.

Sie denken immer über Neues nach: Was sind Ih-
re jüngsten Ideen?
Wir haben das Portfolio im letzten Jahr so stark
verändert wie seit einem Jahrzehnt nicht. Das
reicht erst einmal. Alle neuen Ideen sind dort drin


  • ähnlich wie vor der Finanzkrise. Danach sind
    wir ja stark in Irland eingestiegen.


Herr Hasenstab, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Anke Rezmer.

Der Manager Der
44-jährige studierte
Volkswirt und Polito-
loge verantwortet gut
98 Milliarden US-Dol-
lar Kundenvermögen.
2014 war es noch
rund doppelt so viel
gewesen. In seinen
weltweiten Strategien
mit Staatsanleihen
samt dem
Flaggschifffonds
„Global Bond Fund“
stecken 52 Milliarden
Dollar. Seit 1995 arbei-
tet der Manager bei
Franklin Templeton.
Bekannt wurde er
durch pointierte Stra-
tegien mit Anleihen
aus Ländern in
Umbruchphasen wie
Irland, Ungarn und
der Ukraine. Der Sohn
eines Niederländers
und einer Australierin
lebt mit Frau und drei
Söhnen in Kalifornien.

Das Unternehmen
Franklin Templeton
managt 688 Milliarden
Dollar Vermögen für
institutionelle und pri-
vate Kunden. Gerade
hat das US-Haus
angekündigt, seinen
Konkurrenten Legg
Mason zu überneh-
men und so einen der
elf größten Fondsan-
bieter zu schmieden –
mit einem Vermögen
von rund 1,5 Billionen
Dollar.

Vita Michael
Hasenstab

Private Geldanlage


MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
35
Free download pdf