Handelsblatt - 24.02.2020

(Martin Jones) #1
J. Blume, L.-M. Nagel Frankfurt

A


uf dem Display er-
scheint eine Zahl, die
dort nicht stehen dürf-
te: 9,98 Gramm. So
schwer ist der Goldbar-
ren, den der Goldhändler kurz zuvor
wahllos aus einem vollen Plastikbeu-
tel herausgezogen und auf eine Fein-
waage gelegt hat. Das Problem: Ei-
gentlich müsste der glänzende Bar-
ren zehn Gramm wiegen.
Im Beutel sind ausschließlich Bar-
ren der PIM Gold GmbH. Produkte
von jenem Goldhandelshaus also,
das im Zuge eines millionenschwe-
ren Anlegerskandals in die Pleite
rutschte. Ehemalige Kunden der PIM
vertrauten das Edelmetall einem re-
nommierten Goldhändler zum Ver-
kauf an. Nun sitzt der Mann in ei-
nem Konferenzraum irgendwo in
Deutschland und wiegt den Barren
vor den Augen eines Handelsblatt-
Reporters.
Seinen Namen will der Goldhänd-
ler nicht in der Zeitung lesen. Er
möchte nicht, dass sein Unterneh-
men im Internet im Zusammenhang
mit der Skandalfirma PIM gefunden
wird. Auf Bitten des Handelsblatts
wiegt der Händler noch vier weitere
Barren – jedes Mal zeigt das Display
der Waage: Der Barren ist leichter,
als es auf der Packung steht. Er-
staunt ist der Goldhändler trotzdem
nicht: „Das kommt bei PIM-Barren
immer wieder vor“, sagt er.
Die Tests nähren einen Verdacht,
der seit einiger Zeit in der Branche
kursiert und mit dem sich auch ein
Leser an das Handelsblatt wandte:
Goldbarren von PIM könnten leich-
ter sein als angegeben. Auf Anfrage
bestätigt ein weiterer Top-5-Gold-
händler in Deutschland, dass Rück-
läufer aus alten PIM-Beständen im-
mer wieder durch zu geringes Ge-
wicht auffallen.

Argumente gegen Betrug
Dabei gilt im Goldhandel die Grund-
regel: Das auf dem Edelmetall ange-
gebene Gewicht muss immer stim-
men. Weicht es ab, dann allenfalls
nach oben. Zu leichte Barren sind in
der Branche ein Tabu.
Wusste der ehemalige PIM-Chef
Mesut P. von den Abweichungen?
Sowohl er als auch seine Anwältin
gaben dem Handelsblatt auf diese
Frage keine Antwort.
Es gibt Argumente, die gegen ei-
nen systematischen Betrug spre-
chen, sagt Wolfgang Wrzesniok-Roß-
bach, Edelmetallexperte und Chef
des Beratungsunternehmens Fra-
gold. Die eingesparten Summen sei-
en eigentlich zu gering, um die Ent-
deckung und den folgenden Reputa-
tionsverlust zu riskieren. Ein
Barrenhersteller, der bei derartiger
Manipulation erwischt werde, könne
sich „innerhalb kürzester Zeit aus
dem Markt katapultieren“.
Die Serie der schlechten Nachrich-
ten reißt für die gebeutelten PIM-
Kunden nicht ab. 2017 behauptete
ein ehemaliger Mitarbeiter, Kunden-
gold im Wert von rund 60 Millionen
Euro sei verschwunden. Das Unter-
nehmen wies die Vorwürfe als
Schmutzkampagne zurück. Doch die
Staatsanwaltschaft begann mit Er-
mittlungen. Anfang September 2019
nahm sie Mesut P. nach einer Razzia
vorübergehend fest. Ende Septem-
ber stellte das Unternehmen einen
Insolvenzantrag.
Die Behörden werfen P. und sechs
weiteren Beschuldigten bandenmä-
ßigen Betrug vor. Bis heute haben
Gläubiger rund 6 500 Forderungen
in Höhe von insgesamt 160 Millionen

Euro angemeldet. Den Verbleib von
bis zu zwei Tonnen Gold konnten
bislang weder Staatsanwaltschaft
noch Insolvenzverwalter aufklären.
Lange schien es, dass lediglich sol-
che Kunden von dem Skandal be-
troffen waren, die ihr Edelmetall in
den Tresoren der PIM und des Si-
cherheitsdienstleisters Loomis gela-
gert hatten. Ihnen hatten die Verant-
wortlichen eine Art Zinszahlung in
Gold in Höhe von drei bis sechs Pro-
zent jährlich zugesichert. Das Ver-
sprechen, das Gold nach Anleger se-
pariert einzulagern, hielt die PIM
laut vorläufigem Insolvenzgutachten
jedoch nicht ein.
Nun wachsen auch die Zweifel an
jenen Goldbarren, die PIM tatsäch-
lich auslieferte. Der Goldhändler ver-
kaufte vor allem kleine Barren in
den Stückelungen ein, fünf und zehn
Gramm. Wie viele der kleinen Bar-
ren im Umlauf sind und wie hoch
der Anteil der zu leichten Barren ist,
lässt sich nicht sagen. Allein zwi-
schen 2009 und 2017 setzte PIM ei-
nem Gutachten von Insolvenzver-
walter Renald Metoja zufolge 500
Millionen Euro mit Goldverkäufen
um.
Marc Gericke, ein Fachanwalt für
Kapitalmarktrecht aus Siegburg,
kam durch private Umstände auf
den Fall. Ein Familienmitglied er-
hielt 2015 einen Fünf-Gramm-Gold-
barren mit dem großen PIM-Logo
geschenkt. Die graue Kunststoff-Ver-
packung wirkte seltsam auf den An-
walt. Er ließ sie öffnen und den Bar-
ren wiegen. Das Ergebnis: Statt fünf

Gramm brachte er nur knapp über
4,9 Gramm auf die Waage. Gericke
schwante ein System: „Wenn bei die-
sen kleinen Barren ein wenig Gold
fehlt, fällt das Kunden sehr wahr-
scheinlich nicht auf.“
Die Staatsanwaltschaft stellte bei
ihrer Razzia im September bis zu ei-
ne Tonne Schmuck- und Feingold si-
cher. Den Strafverfolgern liegen bis-
lang keine Erkenntnisse zum Goldge-
wicht einzelner Barren vor, wie ein
Sprecher auf Anfrage mitteilte. Alles
aufgefundene Gold werde aber na-
türlich geprüft und gewogen.

Verplompte Behälter
Vermutlich wird sich die Behörde
zunächst Erkenntnisse beim Insol-
venzverwalter anfordern, denn an
Metoja hat sie das Gold herausgege-
ben. Die verplombten Behälter wür-
den nun bei der Scheideanstalt
Heimerle und Meule in Pforzheim
aufbewahrt, sagt Metoja. Eine Be-
wertung oder in Augenscheinnahme
habe noch nicht stattgefunden. Dies
sei erst nach der Gläubigerversamm-
lung am 28. Februar vorgesehen.
Experte Wrzesniok-Roßbach ver-
mutet bei den zu leichten PIM-Gold-
barren eher Mängel in der Qualitäts-
kontrolle beim Lieferanten von PIM
Gold: der Nadir Metals Refinery
(NMR) aus Istanbul. So könnten hin
und wieder einmal untergewichtige
Barren „durchrutschen“. NMR wehrt
auf Anfrage auch zufällige Mängel
kategorisch ab: „Es ist nicht möglich,
dass ein von Nadir Metal hergestell-
tes Produkt zu leicht ist und den in

Ihrem Artikel angegebenen Stan-
dards widerspricht.“ Nadir betont,
sich an Gesetze und Standards zu
halten.
Nadir ist die größte Scheideanstalt
in der Türkei und als einziger türki-
scher Barrenhersteller bei der Lon-
don Bullion Market Association
(LBMA) als Lieferant akkreditiert.
Das bedeutet: Nadir darf 400-Unzen-
Barren (rund 11,3 Kilogramm) für
den Großhandel an der Londoner
Rohstoffbörse produzieren.
Die Auflagen dafür sind hart: Die
LBMA prüft die Schmelzprozesse
der Scheideanstalt. Das Unterneh-
men muss nachweisen, dass das ver-
wendete Gold aus sauberen Quellen
kommt. Und das Gewicht der Barren
muss immer exakt stimmen.
Das LBMA-Logo findet sich auf
den Plastikverpackungen vieler klei-
ner PIM-Barren – obwohl es dort
nicht hingehört, wie ein Sprecher
des Branchenverbands dem Han-
delsblatt sagte. Denn das LBMA-Lo-
go dürfe von Nadir nur auf 400-Un-
zen-Barren und dazugehörigem Be-
gleitmaterial verwendet werden.
Der Sprecher betonte: „Es ist nicht
erlaubt, die Logos auf Zertifikaten
für andere Gold- und Silberprodukte
zu nutzen, wenn sie eine Genehmi-
gung, Akzeptanz oder Billigung der
LBMA implizieren.“ Die Handelsbör-
se wolle deshalb auf die türkische
Scheideanstalt zugehen und nach
den merkwürdigen Logos und Ge-
wichtsangaben fragen. Nadir beant-
wortete dem Handelsblatt keine Fra-
gen zur Verwendung des Logos.

Edelmetallhändler


Leichtes Gold


Barren von PIM Gold wiegen weniger als angegeben – damit geht die


Serie der schlechten Nachrichten für die gebeutelten Kunden der


insolventen Firma weiter.


500


MILLIONEN
Euro setzte PIM zwi-
schen 2009 und 2017
mit Goldverkäufen um.

Quelle: Renald Metoja

Goldbarren: Bei dem
Edelmetall kommt es auf
jedes Gramm an, da es
viel Geld wert ist.

dpa

Private Geldanlage
MONTAG, 24. FEBRUAR 2020, NR. 38
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Berlin

Verluste für Vermieter


In der Hauptstadt gilt seit
dem Wochenende der
umstrittene Mietendeckel.
Eine Untersuchung zeigt, wie
stark einige Mieten über den
Obergrenzen liegen.

Matthias Streit Erfurt

A


m Sonntag ist der Berliner
Mietendeckel offiziell in Kraft
getreten. Ab diesem Tag wer-
den die Berliner Mieten auf dem Ni-
veau vom 18. Juni 2019 eingefroren.
Mieterhöhungen sind verboten. Wo
Wohnungen neu vermietet werden,
dürfen sie die zulässigen Höchstwer-
te – je nach Wohnungsklasse, einige
wenige Ausnahmen ausgenommen –
von 3,92 Euro bis 10,80 Euro pro
Quadratmeter nicht übersteigen. Ei-
nen Eilantrag gegen den Mietende-
ckel hatte das Bundesverfassungsge-
richt jüngst verworfen.
Nicht sofort, aber in neun Mona-
ten, also Ende November, dürfen
Mieten sogar abgesenkt werden. Mie-
ter haben darauf einen Anspruch,
wenn ihre Miete 20 Prozent über
dem geltenden Höchstsatz für ihre
Gebäudeklasse liegt.

Auswertung von 700 Fällen
Vermieter kann das viel Geld kosten.
Wie viel, das zeigt eine Auswertung
des Mieterportals wenigermiete.de,
die dem Handelsblatt vorab vorliegt.
Das Portal bietet bereits seit einiger
Zeit einen Online-Rechner auf seiner
Webseite, mit dessen Hilfe Mieter
überprüfen können, ob sie Anrecht
auf eine Mietabsenkung haben.
Nun hat das Start-up rund 700 Fäl-
le ausgewertet. Für Vermieter sind
die Ergebnisse alarmierend: 95 Pro-
zent der gemeldeten Bestandsmieten
seien teurer als erlaubt. Im Schnitt lä-
gen die erfassten Bestandsmieten
knapp 200 Euro über dem zulässigen
Höchstwert.
Wie viel höher die Miete als er-
laubt ist, unterscheidet sich stark
von Bezirk zu Bezirk. So seien es in
Treptow-Köpenick mit 16 Prozent
vergleichsweise wenig. In Fried-
richshain-Kreuzberg oder auch Lich-
tenberg hingegen betrage die Diffe-
renz in den erfassten Fällen fast 40
Prozent.

Die Berliner Senatsverwaltung will
überwachen, ob der Mietendeckel
eingehalten wird. Vermietern, die da-
gegen verstoßen, droht ein Bußgeld
bis zu 500 000 Euro. Insgesamt
könnten Mieter durch den Mietende-
ckel um 2,5 Milliarden Euro entlastet
werden, verteilt über die fünf Jahre,
in denen die Maßnahmen gelten sol-
len, geht aus den Berechnungen zu
den Kostenauswirkungen des Geset-
zes hervor.

Klage von Union und FDP
Ob aus den theoretischen Rechnun-
gen auch materielle Konsequenzen
folgen, ist aber noch ungewiss, ob-
wohl der Mietendeckel am Sonntag
in Kraft getreten ist. Denn nicht nur
die Maßnahme steht, sondern auch
der Widerstand dagegen.
Nach Angaben der CDU/CSU-Frakti-
on im Bundestag hätten bereits 190
Abgeordnete das Vorhaben unter-
zeichnet, eine Normenkontrollklage
gegen den Mietendeckel einzurei-
chen. Auch die FDP ist gegen das In-
strument. Um die Klage auf den Weg
zu bringen, müssen dem mindesten
178 Mitglieder des Bundestags zustim-
men.
Damit scheint der Weg vor das
Bundesverfassungsgericht in Karlsru-
he geebnet. Das Gericht soll entschei-
den, ob das Land Berlin den Mieten-
deckel im Alleingang beschließen
durfte oder damit in die Gesetzge-
bungskompetenz des Bundes ein-
greift.
Ein Urteil könnte schon im Herbst
gefällt werden, vermutet der Deut-
sche-Bank-Analyst Jochen Möbert in
einem aktuellen Report. Laut einem
Bericht des „Tagesspiegels“ hat selbst
die Berliner Bausenatorin Katrin
Lompscher Mietern geraten, gespar-
tes Geld zurückzulegen, bis es eine
juristische Klärung gibt. Für Möbert
von der Deutschen Bank ist aber un-
zweifelhaft klar: „Wenn der Mieten-
deckel verfassungskonform ist, ver-
ändert sich die Lage für Investoren
erheblich.“
Mieten dürfen zwar ab dem Jahr
2021 um bis zu 1,3 Prozent pro Jahr er-
höht werden. In vielen Fällen dürften
die Mieten aber auch dann nicht an-
nähernd an heute geltende Werte he-
ranreichen. Selbst dann nicht, wenn
die Mieten auf Mietspiegel-Niveau lie-
gen, rechnet Möbert vor: Der Preis

pro Quadratmeter für das teuerste
Viertel der Wohnungen liegt bei 14,83
Euro und damit mehrere Euro über
der höchsten laut Mietendeckel zuläs-
sigen Obergrenze von 10,80 Euro.
Ausnahmen vom Mietendeckel
gibt es nur wenige. Die maßgeblichs-

ten sind Neubauten: Für Immobi-
lien, die ab 2014 fertiggestellt wur-
den, gilt der Mietendeckel nicht.
Vermieter haben außerdem die Mög-
lichkeit, Härtefälle geltend zu ma-
chen, wenn die Regulierung etwa
auf Dauer zu Verlusten führt.

Berlin: Schwieriges
Pflaster für Vermieter,
die Mieten dürfen ab
2021 maximal 1,3 Pro-
zent erhöht werden.

Unsplash

Über der Grenze
Mieten, die über Wenigermiete.de gemeldet wurden, und Abstand zur zulässigen Obergrenze
laut Mietendeckel

Neukölln

Mitte

777 216 28

877 325 37

635 243 38

345 91 26

795 229 29
626 149 24

Marzahn-
Hellersdorf

Lichtenberg

Friedrichshain-
Kreuzberg

Charlottenburg-
Wilmersdorf

Treptow-
Köpenick

Tempelhof-
Schöneberg

Steglitz-
Zehlendorf

Spandau

Reinickendorf

Pankow

Bezirk Akt. Miete
in €

Aufschlag auf
Obergrenze
in € in %

(^73417824) 703 €
181 €
26 %
876 153 18
547 99 18
818 178 22
715 201 28
689 110 16
Akt. Miete
in €
Aufschlag auf
Obergrenze
in € in %
Aktuelle
Miete in €
Aufschlag
in Euro
Aufschlag
in Prozent
Bezirk Berlin
gesamt
HANDELSBLATT Alle Angaben Durchschnittswerte • Quelle: wenigermiete.de
 
    
 
 

  


 

 



 
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