Frankfurter Allgemeine Zeitung - 10.03.2020

(Marcin) #1

SEITE 18·DIENSTAG, 10.MÄRZ 2020·NR. 59 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


W


er regelmäßig im Internet
einkauft,kennt die Schwie-
rigkeit:Die Lieferung
kommt irgendwann im Lau-
fe des Tages, früh oder spät, aber jeden-
falls dann,wenn es für Berufstätigealles
andereals passend ist. Glückhaben all
jene, derenNachbarndie Päckchen entge-
gennehmen. Das istein Modell, das derPa-
ketdienstHermesjetzt systematisch in sei-
ne Lieferketteneinbauen will. MitHilfeei-
ner App sollenNachbarn, dieregelmäßig
Sendungen entgegennehmen, in Zukunft
sogar eineVergütung dafür bekommen.
„Damit professionalisiertdas Unterneh-
men dieNachbarschaftshilfefür Paketan-
nahmen“,teilteHermes am Montag mit.
Über die Anwendung für Smartphones
können sichAnwohner,die oftzuHause
sind, als sogenannterPaketfuxx anmel-
den.AufDauer,sodie Idee,werden sie zu
privaten Sammelstellen, wo Menschen
aus derUmgebung ihreSendung abholen
oder ihreRetourezurückgeben. DieVer-
gütungvon30Cent jePaketist recht
schmal. Die Hoffnung istaber,dassin
Summe einiges zusammenkommt und
das Modell zu einem kleinenNebenver-
dienstmacht .Bislang gibt es den Dienst
in Nürnberg, Berlin, Leipzig und Dres-
den. Hermes will aberexpandieren und
sein AngebotauchDritten zurVerfügung
stellen. Im aktuellen Pilotteststehe Paket-
fuxx schon für Lieferungen derWettbe-
werber offen, auchinZukunftsei geplant,
die Nutzung„transaktionsbasiert“ ande-
renZustellunternehmen und Online-
Händlernanzubieten, heißt esvonHer-
mes, das zum Otto-Konzerngehört.

Hintergrund für solche neuen Ideen ist
die wachsende Bedeutung des elektroni-
schenVersandhandels, der Lieferdienste
wie Hermes an ihreKapazitätsgrenzen
bringt.NachBerechnung des Bundesver-
bands E-Commerceund Versandhandel
istder Umsatz im Distanzhandel in
Deutschland allein imvergangenen Jahr
um knapp 10 Prozent auf 94 Milliarden
Eurogewachsen, nachdem er schon in
den Jahren zuvorstarkzugelegt hatte.Für
das laufende Jahr erwartet der Verband
zum ersten Mal Erlöse vonmehr als
100 Milliarden Euro. DiesesWachstum
lässt den Lieferverkehr anschwellen.Der
BundesverbandPaketund Expresslogis-

tik erwartet,dass2023 etwa4,4 Milliar-
denPaket-, Express- undKuriersendun-
genverschicktwerden. Das Marktvolu-
men, das in denvergangenen zehn Jahren
um fast 70 Prozentgewachsenwar, würde
damitgegenüber 2019 nochmals um ein
gutesFünftelzulegen.
Um die Nachfrag ezudeckenund
gleichzeitig zuvermeiden, dassLiefer wa-
genvon DHL, DPD, Hermes und Co. die
Städteverstopfen, experimentiertdie
Branche mit neuen Modellen. Amazon
und andereUnternehmen prüfen, ob zu-
künftig Drohnen eineRolle spielenkön-
nen.Auch die Kofferräume vonAutos
werden zuPaketboxen. Volvound die Mar-

ke Smartaus dem Daimler-Konzernhat-
tenzuletzt entsprechende Systemevorge-
stellt.AuchVolkswagen bieteteine Lö-
sung, mit der Botenvia Zugangscode die
Fahrzeugtür öffnen und Sendungen hin-
einlegenkönnen.Paketshops in denStadt-
teilen werden ebenfalls immer wichtiger.
Laut Hermes istdie Zustellung über die-
sen WegimeigenenNetzwerkimvergan-
genen Jahr umfast ein Drittelgestiegen.
85 Prozent dergeschäftlichenAuftragge-
ber hättenPaketshops schon in ihreBe-
stellprozesse integriert. Der DienstPaket-
fuxxkönne hierzu eine Ergänzung sein,
teiltedas Unternehmen mit.(Kommen-
tarSeite22.)

Der Nachbar wirdzum Paketshop


tko. FRANKFURT. LangeWartezeiten
vorSicherheitskontrollen–ein Thema
der Vergangenheit.Wokürzlichnoch
Gedrängeherrschte,geht esruhig zu,
seit Geschäftsreisende undUrlauberwe-
gen des Coronavirus auf Flügeverzich-
ten. Mancher,der dennochflog ,scherz-
te in sozialenNetzwerken, dassesgenü-
ge,zehn Minuten vordem Boarding
zum Flughafen zukommen.Fürdie Ter-
minalbetreiber istdas kein Grund zur
Entspannung–imGegenteil. DerPassa-
gierschwund istderar tdramatisch, dass
der deutsche Flughafenverband ADV
Alarmschlägt.„An den Flughäfen sind
die Terminals so leer wie im Super-
markt dieRegale“, sagt ADV-Hauptge-
schäftsführerRalph Beisel in Anspie-
lung auf die Hamsterkäufe. „DieseAb-
wärtsentwicklung übersteigt alle bisher
gemachten Erfahrungen, wieetwa die
wirtschaftlichen Einbrüche in Zusam-
menhang mit dem 11. September 2001,
Sarsoder derWeltwirtschaftskrisevon
2008/2009.“
EinenKäuferansturmgab esfolglich
auchnicht auf Flughafen-Ladenflächen,
wo Fernreisende zollfrei alkoholische
Getränke, Zigarettenund Parfum erste-
hen.KaufkräftigeKunden aus dem Aus-
land, dieSchmuckund Uhren als Souve-
nirserwerben,fehlen. Das dürfteauch
der Ladenbetreiber GebrüderHeine-
mann zu spüren bekommen. DasUnter-
nehmen machtenachden letztenveröf-
fentlichtenZahlen 2018 einenUmsatz
von4,6 Milliarden Euro–80 Prozent da-
voninden mehr als 340 Flughafen-
Shops an 74 Orten in allerWelt. „Das
Travel-Retail-Geschäftanden Flughä-
fenentwickelt sichanalog zu den Flug-
bewegungen.Natürlichhat alles,was
die Passagierzahlen beeinflusst,auch
kommerzielleAuswirkungen auf unsere
Umsätze“, teiltedas Unternehmen auf
Anfragemit.
Flügenach Fernost–vorallem nach
China–sind seitWochen gestrichen,
nun häufen sichdie Absagen innereuro-
päischerVerbindungen.Noch lässtsich
das bevorstehendeAusmaß der Annul-
lierungen nur erahnen, ihreZahl hat zu-
genommen, in den nächstenTagenwer-
den es nochmehr.Denn vonden verblie-
benen Flügen heben aktuell viele mit ei-
nergroßenZahl leererSitze ab.Lufthan-

sa hat angekündigt, bis zu 50 Prozent ih-
resAngebots zustreichen, umVerluste
zu begrenzen. Anleger goutiertendie
Ankündigung. DerKurs der Lufthansa-
Aktie drehteamMontagkurzzeitig ins
Plus, amNachmittag betrug dasKursmi-
nus aber wieder mehr als6Prozent. Im
Konzernstellt man sichoffenbar auf
eine längereFlauteein.
Flughäfenhabenesschwerer, ihreKa-
pazitäten zu senken: DieKontrolle des
Flugzeugverkehrsoder die Schichten
der Flughafenfeuerwehr können nicht
ausgedünntwerden, weil weniger Jets
starten. „Flughäfen sindgroße Infra-
struktureinrichtungen. Aufgrund ihrer
hohen Fixkos tenlassen sichAnpas-
sungsmaßnahmen bei den Flughäfen
schwieriger umsetzen als bei anderen
Unternehmen“, sagt Beisel.Die wirt-
schaftliche Lageverschärfe sichauf-
grund derVerkehrseinbrüchevonWo-
chezuWoche. ImVerband fürchtetman
eineKettenreaktion:Weniger Passagie-
re führen zu Flugstreichungen.Wenn es
weniger Starts gibt, schlendernweniger
Passagieredurchdie Einkaufszonen,
weshalb auchFlughäfenweniger einneh-
men. An den GeschäfteninihrenTermi-
nalsverdienen sie mit. DasVermieten
vonFlächen, der Handel undParkplätze
sind mit zu den wichtigstenEinnahme-
quellengeworden. Der Flughafenkon-
zernFraportsetzteinden ersten Mona-
ten2019 mit dem Flugmanagement und
Bodendienstenauf demFrankfurterVor-
feld zwar 1,3 Milliarden Euroum, doch
die sorgten bloß für knapp 120 Millio-
nen EuroGewinn vorZinsenund Steu-
ern. Das Handels- und Immobilienseg-
mentkambei einem kleinerenUmsatz
von372 Millionen Euroauf ein beinahe
doppelt so hohes operatives Ergebnis
vonfast237 Millionen Euro. DieZahlen
für das Gesamtjahr sowie einenAus-
blickauf 2020 legtFraportamFreitag
vor. Der Flughafenverband mahnt
schnelle Hilfen an. „Darauf zuwarten,
bis sichdieserTrend zum Desaster aus-
weitet, wäre fahrlässig. Ohne einen
funktionierendenLuftverkehr würde es
zu einer weiteren Schockwirkung für
die gesamte, global vernetzteWirt-
schaftkommen.“Nach den angekündig-
tenErleic hterungen fürKurzarbeit prü-
fenmehrereFlughäfen diesenSchritt.

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joja./sreu. DÜSSELDORF/MAINZ.
Nach nicht einmal fünf Minuten istder
Spuk schon wiedervorbei: „Meine Kisten
sind leer!Fürdie Desinfektionsprodukte
brauchen Sie sichnicht mehr anstellen!“,
ruft die Kassiererin in der Aldi-Filiale am
Mainzer HauptbahnhofinRichtung der ar-
tig in der SchlangewartendenKunden.
Vonihren beidenKolleginnen erntet sie
zustimmendes Kopfnicken: „Unsere
auch!“ EinigeMenschen drehenresigniert
ab, andereversuchen nochzudiskutieren.
Dochdas is taussichtslos.
AusSorgevorderAusbreitungdesCoro-
navirus haben am MontagmorgenTausen-
de Männer undFrauen inganz Deutsch-
landversucht, sichineiner der zahlrei-
chen Filialenvon AldiNord und Aldi Süd
mit Desinfektionssprays,-gels und -tü-
cherneinzudecken. AmWochenende hat-
te derDiscounterangekündigt, die Produk-
te rationiertan seine Kunden auszugeben.
AusGründen der „gegenseitigen Rück-
sichtnahme“ dürfe jederKunde dabei ma-
ximal drei Produkteaus besagtem Sorti-
mentkaufen.
Die Aktion hat indesgarnicht direkt
mit dem Coronavirus zu tun, bekommt
aber dadurch Aufmerksamkeit:„Wirha-
ben seit Jahren im März,wenn dieReise-
zeit beginnt, immer wieder ein Aktionssor-
timent mit Desinfektionsmitteln“, sagte
eine SprecherinvonAldi Süd. Deshalb sei
die Verkaufsaktion schonvorMonatenge-
plantgewesen. Sowohl AldiNord als auch
Aldi Süd berichteten aber schon am Mon-
tagmittag davon, dassdie angebotenen
Desinfektionsartikel in vielen Filialen
nachkurzerZeit ausverkauftgewesen sei-
en. Eine Entwicklung mit Ansage: In den
sozialenNetzwerkenhatteschon die An-
kündigung fürgroßeAufregunggesorgt:

Während sichmancheNutzer beschwer-
ten, dassder Discounter nicht dazuver-
pflichtetwurde, seine ProdukteanKran-
kenhäuser und Arztpraxen abzugeben,
freuten sichandereauf etwaigechaotische
Szenen und fühlten sichanden Anfang
der 2000er Jahreerinnert, als AldiCompu-
terviel günstiger als imFachhandelver-
kaufte undKunden damals teilweise vor
den Filialen nächtigten, um morgens noch
einen der PCs zu ergattern.
In Mainz hatten sichamMontagmorgen
etwa 25 vornehmlichältereMenschen und
jüngereMütter umkurz vorachtUhr vor
dem Eingangversammelt.Wirklichviel
über seinen kleinen morgendlichen Ein-
kauf sprechen mochteallerdings niemand.
Manwolle natürlichnicht inPanik ausbre-
chen, aber die vielen Berichteüber Hun-
derte neuer Infektionsfälle, Hamsterkäufe
im ganzenLand und dieimmer neuenWar-
nungen des Gesundheitsministers trieben
einen dann dochdazu, sichauf wasauch
immervorzubereiten,raunteeine Kundin.
Damit der Andrangnicht zugroß war,
hatten die Mitarbeiterdie in weißen

Packungen undFläschchenaufbe wahr-
tenSprays, Gels undTücher sicher in Kis-
tenunter denKassen versteckt, sie wur-
den nur aufNachfragevon den Mitarbei-
tern hervorgeholt.InMainzmussten sie
gleichwohl jedemzweitenKundenaber-
mals erklären, dass die Ausgab ewirklich
nur aufdreiProdukte proPerson be-
schränktist.
Die Mainzer Bahnhofsfiliale hattegera-
de einmal sechs Kistenmit insgesamt
etwa 100 Produkten zurVerfügung. „So
viel Heckmeckfür so wenig Zeug“,
schimpfte eine Kundin, die an diesem Mor-
genleer ausgegangen ist. „DieWare wur-
de schonvoreinem Jahrgeordert. Da hat
Corona nochniemandgekannt“,versuch-
te sichder Filialleiter zurechtfertigen. Er
hattesichvorsichtshalber als eine ArtSe-
curitydienstzwischen seinen dreiKassie-
rerinnen postiert, um bei möglichenKun-
denprotestengegendie strengeRationie-
rung entschieden dazwischenzugehen.
Dassseine Muskelkraftnicht benötigt wur-
de, istbei aller aufkeimenden Hysterie
wohl nochein gutesZeichen.

tag. MAINZ.Der SoftwarekonzernSAP
schließtwegenCorona-Infektionenvon
Mitarbeitern vorübergehend seinen
StandortimsaarländischenSt.Ingbert.
Für denMärzsagt dasUnternehmen zu-
dem allem Präsenzveranstaltungen ab.
SAPsehe als Pflicht an, dieVerbreitung
des Virus einzudämmen und „die Gesund-
heit unsererKollegen und Geschäftspart-
ner zu schützen.“
In St.Ingberthat derKonzernalle dort
beschäftigten 800 Mitarbeiter angehal-
ten, bis aufweiteresvonzuHause aus zu
arbeiten. DieUnternehmenszentrale im
badischenWalldorf,wo rund 15 000 der
gut 100 000 Beschäftigen arbeiten, ist
nachden Worten eines Sprechersnicht
betroffen. Die Bürogebäude inSt.Ingbert

würden nun umfangreich desinfiziert. Zu-
dem prüftendie Gesundheitsbehörden,
mit welchen Mitarbeiterndie drei Betrof-
fenen Kontaktgehabt hätten. Die positiv
auf dasVirusgetestetenKollegen würden
„entsprechend medizinischversorgt und
befinden sichzuHause in Quarantäne“.
Wielangedie Schließung andauernwer-
de, könne nicht abgeschätztwerden.
Da SAPkeinegewerblichen Produkte,
sondernSoftwareproduziert, hatteder
Konzernvielen seiner Mitarbeiter schon
längervordem Virus-Ausbruchdie Mög-
lichkeitvonHeimarbeit eingeräumt.Am
Freitagwarbekanntgeworden, dassein
SAP-Mitarbeiter,der in Lothringen
wohnt, positiv auf dasVirusgetestetwur-
de.Französische Behörden und saarländi-

sche Gesundheitsämter hatten daraufhin
weiter ePersonen, die mit dem Erkrank-
teninKontakt standen, ermittelt und
ebenfalls auf dasVirushin getestet.
Der Konzernsagtewegen des Viruszu-
gleichalle Präsenzveranstaltungenim
März ab. Die fürMitte desMonatsgeplante
SAP-Now-Konferenz in Berlin wirdauf Sep-
temberverschoben.Ebenfallsbetroffen
sind dieSAPConcurFusion,die schonam
Montag in Orlandostarten sollte, sowiedie
dreitägige SAPAriba in LasVegas. Als Er-
satz plantSAPteilweise digitaleVeran stal-
tungsformate und online abrufbareVortr ä-
ge.Alle fürApril und darüberhinausge-
plantenVeranstaltungeneinschließlic hder
JahreskonferenzSapphireNow würden,
Standheute,wie geplantstattfinden.

Die wachsend eZahl


an Bestellun gensetzt


Lieferdiensteunter


Druck. Hermes


experimentiertjetzt mit


einemneuen Modell.


VonChristian Müßgens,


Hamburg


Niemand zu Hause?Künftig will Hermes dieWare beim Nachbarnabgeben. FotoHermes

„Sie brauchen sichnicht mehranstellen!“


AldiverkauftDesinfektionsmittel zu Aktionspreisen–der Andrang istgroß


Anstehen für Desinfektionsmittel in München Fotodpa

SAPschließt vorübergehendStandort


Alle 800 MitarbeiterinSt. Ingbertsollenvon zu Hause arbeiten/Zentrale nicht betroffen


An den Flughäfen sind


die Terminals leer


Verband: Lageverschärft sichvon WochezuWoche

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