Frankfurter Allgemeine Zeitung - 10.03.2020

(Marcin) #1

SEITE 2·DIENSTAG, 10.MÄRZ 2020·NR. 59 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG


Die Maßnahmen ändern sich, dieStra-
tegie bleibt die gleiche: Eindämmung
des Virusund soziale Isolation der In-
fiziertensowie ihrerKontaktperso-
nen bleiben die Mittel derWahl in der
Corona-Krise.Aber reicht das?Und
warumsteigen die Infektionszahlen
dennoch? DieFachleutesagen: Es
reicht erst einmal,umZeit z ugewin-
nen.Zeit, um das Gesundheitssystem
nicht mit Covid-19-Kranken zu über-
lasten. Denn dieweitereVerbreitung
des neuen Coronavirus istgrundsätz-
lichersteinmal nicht mehr zustop-
pen. DieFrageist jetzt :Wie schnell
breitetsichder Erregeraus, wenn er
erst einmal angekommen ist, an ei-
nem Ort, in einerRegion? Die Seu-
chenherde klein zu halten, empfehlen
Wissenschaftler,damit also dieKurve
der Infektionen abzuflachen.Wenn
die Politik nun Massenveranstaltun-
geninFragestellt,folgt sie denRat-
schlägen derFachleute.
Denn dasKontakt-Tracing durch
die Behörden–das schnelleAusfin-
digmachenvonInfiziertenund ihrer
Kontakte–wird durch Massenveran-
staltungen extrem erschwert. Erst
recht angesichts des aktuellen An-
stiegs der Infektionszahlen. Zeitge-
winn mussgleichaus mehreren Grün-
den das Ziel sein: Erstens wirdver-
sucht, die Infektionszahlen so lange
zu drücken, bis die Grippesaison hof-
fentlich bald endgültigvorbei ist. Das
Influenzavirus belastetdie Kranken-
häuser und Arztpraxen ohnehin jedes
Jahr,ein weiterer Erkältungserreger
droht dieKapazitäten zu übersteigen.
Das gilt auchund vorallem für die In-
tensivstationen, in denen die schwer
erkrankten Covid-19-Patienten be-
handeltwerden müssen. Immerhin je-
der fünfte mit demVirusInfizierte,
damit mussaus bisherigen Erfahrun-
gengerechnetwerden, mussintensiv
behandeltwerden.
Zweitens will manZeit gewinnen,
bis brauchbareMedikamentezur Ver-
fügungstehen.Wirkstoffexperimen-
te gibt es mit einigen bereits für ande-
re Infektionen zugelassenen Mitteln,
dochnochist unklar,wann das erste
wirksame Coronavirus-Medikament
offiziell empfohlen wird. Dasgleiche
gilt für den Impfstoff. Erkönntedas
Problem drastischverkleinern, aber
vorAnfang oder Mittenächs tenJah-
resist mit derVerteilung in Massen
herstellbarer,getesteter Impfstoffe
kaum zurechnen, da sind sichalle
Fachleute einig.
Zeitgewinn soll drittens auchhel-
fen, einen Großteil der Infektionen
möglichstbis in die trockenere,wär-
mereJahreszeit zuverschieben. Da-
hintersteht die zumindesttheoretisch
berechtigteHoffnung, dassder Erre-
gerdann wie bei der Grippeschwerer
übertragbar undkaum überlebensfä-
hig istinder Umwelt. Bei Sarsvor
siebzehn Jahren funktionierte das:
Tatsächlichtrocknendie verhüllten
Coronaviren sogar schn eller ausals In-
fluenzaviren.
Wievieles jedoch,wasdie Gefähr-
lichkeit desVirusangeht, istauchdies
bisherkein gesichertesWissen. Erst
die nächstenWochenwerden zeigen,
ob dasVirussichauchimSommer
weiter auszubreitenvermag. Wasnun
die Wirkung radikaler Eindämmungs-
maßnahmen imKampfgegen dasVi-
rusangeht,großräumigeQuarantä-
nen etwa,sind dieFachleutenochun-
schlüssig.Neue Studien aus demchi-
nesischen Epizentrum der Co-
vid-19-Epidemie in Wuhan deuten
darauf hin, dasszumindestdas Reise-
verbotdie Ausbreitung um drei bis
fünfTageimSchnittverzöger that.
AuflängereSichtgesehen,scheinen
generelle Reiseverbote das deutlich
schlechtere, ineffektivereInstrument
verglichen mit den kleinräumigen Ein-
dämmungsmaßnahmen zu sein.Voral-
lem Daten aus Singapur,Taiwan und
Hongkong zeigen, dassessichlohnt,
frühund generell mehr zutesten, Kon-
taktekonsequent zuverfolgen und die
Personen zu Hause zu isolieren. Da-
mit verhindertman allerdings nicht
grundsätzlichweiter eAnsteckungen
mit diesemhochinfektiösenVirus.

rit. ZÜRICH. Als dieerstenInfizierten
inderSchweizentdecktwurden,be-
schlossdie Regierung (Bundesrat) als ei-
nes der ersten Länder überraschend har-
te Schutzmaßnahmen.Bereits EndeFe-
bruar und damitvielfrüher als dieRegie-
rungen allerandereneuropäischen Län-
der verbotder Bundesratprivate und öf-
fentliche Großveranstaltungenmit
mehrals 1000Personen. DasVerbotgilt
bis zum 15. März,kann aberweiter ver-
längertwerden. Daraufhinstelltedie
Schweizer Fußball-Liga den Spielbe-
trieb in der Super League und der Chal-
lenge League ein.Insgesamtfielenund
fallen so mindestens vierRunden in der
ersten und zweitenLigasowie einePo-
kal-Runde aus. Geisterspiele ohne Publi-
kumlehntendie Liga-Manager wegen
der damitverbundenen Einnahmeverlus-
te ab. DieSchweizer Eishockey-Ligahat
den Spielbetrieb ebenfalls ausgesetzt.
Auch anderegroße Veranstaltungen
wie der traditionelle Engadiner Skima-
rathon, die BaslerFastnachtsumzüge
und dieAutomesse in Genf sowie zwei
bedeutendeUhrenmessenwurden abge-
sagt.IneinzelnenKantonengehen die
Behörden sogar nochweiter ,indem sie
verfügt haben, dassVeranstaltungen
mit mehr 150Personengenehmigungs-
pflichtig sind.UnzähligeKonzerte wur-
den abgesagt,wasbei denVeranstal-
tern zu hohenVerlusten führt.
Trotzder rigorosenMaßnahmenist
die Zahl derErkrankungsfälle in der
Schweiz inzwischen auf 374gestiegen.
In Relationzur Bevölkerungszahlvon
8,6 Millionen ist das eindeutlic hgröße-
rerAnteil als in Deutschland,wo bisher
gut 1150von82Millionen Einwohnern
infiziertsind. Das dürfte an derNähe der
Schweiz zuNorditalien liegen,dem Epi-
zentrum derCorona-Krise in Europa.
Gerade die ersten Ansteckungen gin-
genauf Kontaktemit Infizierteninder
Region Mailand zurück. Daherforder-
teneinzelneVertreterder rechts konser-
vativen Schweizerischen Volkspartei

(SVP), die GrenzenachItalienzuschlie-
ßen. Dochdieses Ansinnen istzumin-
destbisher nicht mehrheitsfähig. Die
WirtschaftimTessin iststark abhängig
vonArbeitskräftenaus Norditalien.
Wenn die 68000 Grenzgänger nicht
mehr einreisen dürften, müssten viele
Betriebe ihre Pfortenschließen. Daher
wurde auf SchweizerSeiteerleichtertre-
gistriert, dassGrenzgängervondem für
Teile NorditaliensverhängtenAusreise-
verbotausgenommen sind.
Gleichwohl beginnt dasVirusauch
die SchweizerWirtschaftzubremsen.
Seit Anfang Märzhätten dieVoranmel-
dungen fürKurzarbeitstark zugenom-
men,teiltedas Wirtschaftsministerium
in BernamMontag mit. Bisher seien
vorallem das Gastgewerbe, technische
Dienstleistersowie dieUnterhaltungs-
branche betroffen. Wegender Aufwer-
tungder SchweizerWährung, die in un-
sichererenZeitenstetsals sicherer Ha-
fengesucht wird,stellt sichaber auch
die wichtigeExportindustrieauf
schlechtereZeiten ein. EinstarkerFran-
kenverteuertSchweizer Produkteim
Auslandund zwingt die Hersteller zu
margenzehrenden Preisnachlässe n.
Unterdessen beschlossdas Parlament
in Bern, die laufenden Sitzungen fortzu-
setzen. Allerdings sindkeine Besucher
mehr im Bundeshaus zugelassen.Nach
einerUmfrag eaus dervergangenenWo-
chesind die Schweizer mehrheitlichzu-
friedenmit derReaktion derRegierung
auf die Epidemie.Rund 76 Prozent der
Befragten haltendas Verbotvon Groß-
veranstaltungen für angemessen; 86 Pro-
zent fühlten sichvom Bundesamt für Ge-
sundheit ausreichend über dasVirusin-
formiert. Inzwischen hat der Bundesrat
weitereEmpfehlungen an die Bevölke-
rung herausgegeben: ZuStoßzeiten soll-
tenReisen in öffentlichenVerkehrsmit-
teln möglichstvermiedenwerden.Vor
allem zu älteren Menschen, die beson-
dersgefährdetsind, sollteman körper-
lichauf Distanz bleiben.

E


inschränkungen des öffentli-
chen und privaten Lebens durch
das Coronavirus werden nicht
nur wenigeWochen, sondern
mehrereMonate dauern.Darauf hat Bun-
desgesundheitsministerJens Spahn
(CDU) die deutsche Bevölkerungvorberei-
tet. DerenVerunsicherung istdurchden ra-
schen Anstieg der InfizierteninDeutsch-
land auf 1100erheblichgewachsen. Die
unter Zwanzigjährigen hätten allesehr
milde Symptome, gefährde tseien nach
wie vordie überFünfundsechzigjährigen
und Menschen mitVorerk rankungen. Die
Ausbreitung zuverlangsamen,umInten-
sivbettenverfügbar und das Gesundheits-
system stabilzuhalten, hält auchSpahn
für entscheidend. An derVerlangsamung
müsse sichdie gesamte Gesellschaftbetei-
ligen. An die Bürgerappellierte Spahn, ih-
renAlltagandie Lage anzupassenund ver-
antwortungsbewusst zu handeln. „Es istsi-
cher leichter,auf einKonzert, einen Klub-
besuch, einFußballspiel zuverzichten als
auf den täglichenWegzur Arbeit“, sagte
Spahn und ergänzte: „Das meine ichsehr
erns t: AufdieseAbstufungkommt es die
nächstenWochen undMonate an.“ Spahn
appellierte an die Eigenverantwortung
des Einzelnen,Infektionsrisikenzumini-
mieren unddie Kontaktezuanderen zure-
duzieren. Bürgerüber 60 Jahresollten sich
gegenPneumokokken impfen lassen. Bür-
geringrößerenStädtenkönnten öfterzu
Fußgehen oder mit demRadfahren, als
den öffentlichenPersonennahverkehr zu
nutzen. Schulen und Kitas sollten nicht
grundsätzlichgeschlossenwerden, damit
Elternweiter zur Arbeitgehen können.
An dieVeranstalter appellierte Spahn,
alle Großversammlungen mit mehr alstau-
send Teilnehmernabzusagen. Im Blickauf
den CDU-Parteitag am 25. April befindet
sichdie CDU in engemAustausch mit den
lokalen Behörden, die dasRechthaben, zu
entscheiden. Das Infektionsschutzgesetz
billigtdem Bundkeine Kompetenzen für
die Absagevon Veranstaltungen zu. InPa-
ragraf 28 derRegelungheißt es vielmehr,
die „zuständigeBehörde“könne„Veran-
staltungenode rsonstigeAnsammlungen
einergrößerenAnzahlvonMenschen be-
schränken oderverbieten“. Die zuständige
Behörde istinder Regeldas örtliche Ge-
sundheitsamt.Bundestagssitzungen seien
für dieAufrechterhaltungdes öffentlichen
Lebens und der öffentlichen Ordnung un-
gleichwichtiger alseineMesse, deshalb
müssten dieseInstitutionen funktionsfähig
bleiben, sagteSpahn.
Der Präsidentdes Robert-Koch-Insti-
tuts, Lothar H.Wieler, sprachvon einer
erns tenLageund beziffertedie Anzahl der

InfizierteninDeutschland inzwischenmit
1112.Ungewisssei, wie viele sichnochan-
steckten. In viervonfünf Fällenverlaufe
die Krankheit mild,eswerde jedochauch
in Deutschland Todesfällegeben. „Wir
müssen alles daransetzen, Risikopatienten
zu schützen“, sagteWieler. Deshalb dürf-
tenschwere Fälle nichtgleichzeitig auftre-
ten. Insgesamt haben sichinzwischen auf
der Welt weit mehr als 100 000 Menschen
mit dem Coronavirus infiziert, die Dunkel-
zifferliegt allerdings erheblichhöher.Der
Direktor des Instituts fürVirologie der
Charité Berlin, Christian Drosten, rechnet
angesichts einer neuenepidemiologischen
Studiedamit, dasseszueiner Epidemie-
welle in Deutschlandkommt.„Es isteine
absolut ernste Situation, wir haben nicht
so vielZeit, uns daraufvorzubereiten“, sag-
te Drosten. AuswissenschaftlicherPer-
spektivesei mit einerVerdopplung der Infi-
ziertenimWochentakt zu rechnen.
Deutschland habe allerdings einen deutli-
chen Vorsprung durch viele niedergelasse-
ne Laboremit enormemtechnischenStan-
dard, so Drosten.
Zweifelloswäre alleseinfacher,wenn
es ein Medikament oder eine Impfungge-
gendas Coronavirusgäbe. Die meistenIn-
fiziertenhaben nur leichte Erkältungs-
symptome mitFrösteln und Halsschmer-
zen, die binnenwenigerTagenverschwin-
den, odergarkeine Symptome. Bundesbil-
dungsministerin AnjaKarliczek (CDU),
deren Ministerium für dieForschung zum
Coronavirus zuständig ist,warnte vorall-
zu großenErwartungenanrasche Gegen-
mittel.„Wir können leiderkeine Wunder er-
warten.“ Ihr Haus willForscher in die Lage
versetzen, dasVirusnochbesser zuverste-
hen. Esgehe darum, Medikamentefür die
Behandlungvon Erkrankten zu entwickeln
und die EntwicklungeinesImpfstoffsvoran-
zutreiben. Amvergangenen Dienstag hat
das Bundesbildungsministerium (BMBF) ei-
nen Förderaufrufvonüber zehn Millionen
Euroveröf fentlicht, um dieVirologie in
Deutschland zu unterstützen.Forscher kön-
nen auf dieseWeise zusätzliche Mittel bean-
tragen, die Eigenschaftendes Virusweiter
zu entschlüsseln.
Das BMBF istGründungsmitglied der
Impfstoff-InitiativeCEPI der internationa-
len Staatengemeinschaftund fördertsie seit
2017mit insgesamt90Millionen Euro.
CEPIist eineöffentlich-privatePartner-
schaft, in der sowohl staatlicheFörderer als
auchStiftungen,Forschungseinrichtungen
und Pharma-Unternehmen zusammenarbei-
ten. Unterdem Dachder CEPI wirdjetzt die
Entwicklungeines Impfstoffs gegendas Co-
ronavirusvorangetrieben. Karliczek hat sich
dafür eingesetzt, weiter e145 Millionen
Euroaus Bundesmitteln als Sofortmaßnah-
me für dieForschungzum Coronavirus be-
reitzustellen. DieForschung müsse nicht
nur genügendZeit, sondernauch genügend
Geld zurVerfügunghaben, um denKampf
gegendas Viruszu gewinnen. Sierechnetda-
mit,dassder Haushaltsausschussdes Bun-
destags bereits am Mittwochdie Gelderbe-
willigt.Mit Geisterspielen imFußball ist
ebenso zurech nen wie mit derAbsagevon
Konzerten und anderenVeranstaltungen.
Die CDU-VorsitzendeAnnegretKramp-Kar-
renbauer hat mögliche Spiele derFußball-
Bundesligaohne Publikum in der Corona-
Krise alsvertretbaren Schritt bezeichnet.
„Wir müssen Großveranstaltungen anders
in den Blick nehmen“, sagteKramp-Kar ren-
bauer.

Die Härte der Schweiz

Viele Infektionen trotzrigoroser Maßnahmen

Zeit

gewinnen

Strategiengegendie

Corona-Ausbreitung

VonJoachimMüller-Jung


Prioritäten setzen:Jens Spahn mit denWissenschaftlernChristian Drostenund LotharWielerin Berlin Fotodpa

Mitteder achtziger JahregabesinItalien
gerade einmalrund 1600 Chinesen. Heu-
te sind es nachoffizieller Zählung gut
321 000.Tatsächlichdürften es aber deut-
lichmehr sein,rechnet man die Chinesen
ohneAufenthaltstitel und auchdie einge-
bürgerten Chinesen hinzu. DieStadt Pra-
to nordwestlichvonFlorenz gilt als Dreh-
scheibe für die chinesische Migration
nachItalien sowie auchfür denwachsen-
den Handels- undWirtschaftsaustausch
zwischen Italien und China. Seit den
neunziger Jahren strömten chinesische
Arbeiter,die meistenaus derKüstenstadt
Wenzhouinder Südostprovinz Zhejiang,
nachPrato. Dortarbeiteten sie für Hun-
gerlöhne inStrickereien,Nähereien und
Schuhfabriken, die ebenfalls Chinesen
aus Wenzhougehörten. Mit ihren Produk-
tenunterbotendie chinesischenUnter-
nehmervonPratodie Preise der alteinge-
sessenen italienischenFamilienbetriebe,
die seit Generationen die Kleider-,Ta-
schen- und Schuhindustrie derRegionge-
prägt hatten.
Außerdem wurde in China ingroßem
Stil italienischesTextil- und Lederdesign
kopiert,und baldüberschwemmtenchine-
sischeBilligprodukteaus Pratoinder Tos-
kana und ausganz China mit dem Label
„Made in Italy“ die internationalen Märk-
te.AndereIndustriezweigeimwirtschaftli-
chen HerzlandItaliens, zumal in der Lom-
bardei, in der Emilia-Romagna und inVe-
netien, machten mit den Chinesenver-
gleichbareErfahrungen. Das rasante
Wachstum der chinesischen Volkswirt-
schaftführteauchzuverstärkten Investiti-
onsströmenvonChina nachItalien. Inkei-
nem anderen europäischen Land außer
Großbritannien habenchinesische Investo-
ren, zumal Großbanken und diechinesi-
scheZentralbank, so viel investiert wie in
Italien. Bedeutende AnteilevonFlaggschif-
fender italienischenIndustriegeschichte
wie Fiat, Telecom Italia, Generali oderEni
befinden sichinchinesischer Hand. Das
giltauchfür denFußballclub Inter Mai-

land: Im Juni 2016 übernahmder chinesi-
sche Einzelhändler Suning Commerce 69
Prozent der Anteile an dem lombardi-
schenTraditionsverein für 270 Millionen
Euro.
In Romverkaufen Chinesenrund um
den Petersplatz Devotionalien, und im
ganzen Land in ihren Supermärkten Billig-
produkte.Konzentriertist die chinesische
Minderheit und daschinesischeKapital in
Italien im wirtschaftsstarkenNorden,wo
es in Mailand und Pratoveritable „China-
towns“ gibt.Alles spricht dafür,dassder
„Patient null“ aus China auchdort, in der
Lombardei, das Coronavirus einge-
schleppthat.Wahrscheinlichschon Mitte
Januar,als in Italien nochniemand anAb-
schottung dachte. Es istdeshalbkein Zu-
fall, dassnach China in Italien bislang die
meistenInfektionenmit dem neuartigen
Coronavirusregistriertwurden.Undesist
ebenfallskein Zufall, dassgerade dieRegi-
on Lombardei mit der Hauptstadt Mailand
die höchsteZahl vonInfizierten aufweist.
Die Lombardei und die ebenfallsvonder
EpidemiestarkbetroffenenNachbarregio-
nen Piemont, Emilia-Romagna undVene-
tien unterhalten die engstenWirtschafts-
beziehungen aller italienischenRegionen
zu China.Agrarproduktewerdenexpor-
tiert, Industrieprodukteimportiert.
In VenedigwarenHoteliers, Gastrono-
men undKaufleute in denvergangenen
Jahren sehrglücklichüber die vielenTou-
risten aus China,gerade in der europäi-
schenNebensaison im Januar undFebru-
ar:Zur Reisesaison um daschinesische
Neujahr füllten die Gäste aus Asien die
Betten in den Hotels, besetzten die Tische
in denRestaurants undkaufteneifrig Mit-
bringsel ein. 2020 hätteein ganz besonde-
resJahr deschinesisch-italienischenAus-
tauscheswerden sollen.Romund Peking
hatten es, aus Anlassder Aufnahme diplo-
matischer Beziehungen vor50Jahren,
zum „Jahr derKultur und desTourismus“
ausgerufen. Im Jahr 2019 hatteItalien ei-
nen Zuwachsum20ProzentimVergleich

zumVorjahr auf mehr als drei Millionen
Besucher aus Chinaverzeichnet.Fürdie-
ses Jahrwardie Marke vonvier Millionen
chinesischenTouristen angepeiltworden.
Dafür hatteman in China zahlreiche zu-
sätzliche Büros für die Ausstellungvon
Visa für Italien eröffnet, dieZahl der Di-
rektflügesolltevon 56 auf 164 proWoche
erhöhtwerden. Museen hatten bilaterale
Vereinbarungen zurAusleihevonExpona-
tengetroffen, Messegesellschaften zu
wechselseitigenLänderschwerpunkten.
Die Ausbreitung des Coronavirus hat nun
jedochzuMissklängen imVerhältniszwi-
schen Italienernund Chinesengeführt.
AnfangFebruar begab sichRoms Bürger-
meisterinVirginiaRaggi zum Mittagessen
ins Restaurant „Hang Zhou da Sonia“,
Journalistenund Fotografen im Schlepp-
tau. DaschinesischeRestaurant befindet
sichinder ViaNino Bixio imStadtviertel
Esquilino beim BahnhofTermini.
In Romgibt es zwarkeine Chinatown,
die diesenNamenverdienen würde, aber
einegewisseKonzentrationvonchinesi-
schen Geschäftenund Restaurants gibt es
im Esquilino schon. Sonia Zhou isteine
lokale Berühmtheit unter den Römer Gas-
tronomen, und ihr China-Restaurant ist
eines der besten, jedenfalls der beliebtes-
tender Hauptstadt. „Das Coronavirus
darfuns keine Angstmachen“, sagtedie
Bürgermeisterinseinerzeit beim Mittages-
sen mit derstrahlenden Sonia Zhou. Sie
wolle mit ihrem Besuchein „Zeichen der
Unterstützung und derNähe zurganzen
chinesischen Gemeinschaftinunserer
Stadt“ und ein Signalgegenrassistische
Übergriffe auf Chinesen setzen, schrieb
die Bürgermeisterinauf Twitter.
Am Montagvoreiner Woche hat Sonia
Zhou ihrRestaurant zugesperrt,für min-
destens zwei Monate. Nichtwegenrassis-
tischerÜbergriffe oderwegenKunden-
mangels, sondernweil ihrechinesischen
Angestellten sie darum ersucht hatten:
Sie wollten nachChinafliegen und sich
in Sicherheitvordem Virusbringen.

Die Entdeckung der Langsamkeit


In Nordrhein-Westf alen sind am Montag
erstmals in Deutschland zwei Patienten
an der Infektion mit dem Coronavirusge-
storben. Es handele sichumeine Person
im besondersbetroffenen Landkreis
Heinsbergund eine in Essen, teiltedas
nordrhein-westfälische Gesundheitsminis-
terium mit. GesundheitsministerKarl-Jo-
sef Laumann (CDU) äußerte sichbe-
stürzt .Die Todesfälle zeigten:„Wir müs-
sen die Situation sehr ernstnehmen.“ Im
Kreis Heinsbergbei Aachen starb am Mon-
tagnachmittag ein 78 Jahrealter Mann an
Herzversagen, der nachAngaben von
LandratStephan Pusch(CDU) unter meh-
rerenVorerkrankungengelitten hatte.
Bei derToten in Essen handelt es sich
nachAngaben vonOberbürgermeister
ThomasKufen(CDU) um eine 89 Jahre
alteFrau,bei der dasVirusvergangene
Wochefestgestellt worden war. Sie war
am DienstagvorigerWochewegeneiner
Durchfallerkrankung und Blutzuckerbe-
schwerden in dieUniversitätsklinik Essen
eingeliefertworden. ImVerlauf der Be-
handlung hätten sichdann Hinweise auf
eine atypische Lungenentzündung ge-
zeigt, hieß es in einer Mitteilung derStadt.
Die Zahl der bestätigten Coronavirus-In-

fektionenwarinNordrhein-Westfalen bis
Montagnachmittag auf 524gestiegen.
Die Zahl ausdem amstärkstenbetroffe-
nen Landkreis HeinsbergbetrugamNach-
mittag 323.Vonden Heinsberger Patien-
tensind derzeit 15stationär in Kranken-
häus er aufgenommenworden, fünfvonih-
nen müssen intensivmedizinischbetreut
werden. In Nordrhein-Westfalenwaren
die ersten beidenbestätigten Infektionsfäl-
le am 25.Februar bekanntgeworden. Das
Viruswar bei einem 47 Jahrealten Mann
und bei seiner 46 Jahrealten Ehefrau aus
dem Kreis Heinsbergnachg ewiesenwor-
den.Weil dasPaar zuvor eineKarnevalssit-
zungbesucht hatteund dieFrau zudem Er-
zieherin in einem örtlichen Kindergarten
ist, standenrund tausendKarnevalisten
und die Elternder Kita-Kindervorüberge-
hend unter häuslicher Quarantäne. Auch
der nungestorbene Mann hatte an derKar-
nevalssitzung teilgenommen.
In Brandenburgmüssenwegendes Ver-
dachts auf Infektion mit dem Coronavirus
an einer Schule inNeustadt/Dosse 4000
bis 5000 Menschen in häuslicher Quaran-
täne bleiben. Dasteilteder Amtsdirektor
der Stadt am Montagnachmittag mit. Die
Betroffenen sollen denKontakt zurAu-
ßenwelt meiden, bis die Inkubationszeit

vorbei ist. Zuvorhatten Lehrer der Prinz-
von-Homburg-Schule derStadt längeren
Kontakt mit einer Berlinerin, die mit dem
Virusinfiziertist.Ander Gesamtschule
lernenrund 750 Schüler.Sie sowie die Leh-
rer, die Verwaltungsmitarbeiter und dieFa-
milienangehörigen haben sichamMontag
auf Anweisung des Gesundheitsamtes in
häusliche Isolation begeben. Die Schule
sowie zwei angeschlossene Internatewur-
dengeschlossen. An der Schule gibt es
Schüler aus derRegion aber auchaus dem
übrigen Bundesgebiet. Neustadt/Dosse
liegt im Landkreis Ostprignitz-Ruppinim
nordöstlichen Brandenburg.
Anfang Märzsollenbei einer Beratung
in einem Internat einigeLehrerKontakt
zu der Berlineringehabt haben; insgesamt
sollen 19Personen längerenKontakt zu
der infiziertenPerson gehabt haben. Anwe-
sendwarenbei der Beratung aucheine An-
gestelltedes AmtsNeustadt und drei Mitar-
beiter des Brandenburgischen Haupt- und
Landgestüts, für dasdie „S tadt der Pferde“
bekannt ist. Die Gesamtschulebietet in ei-
nem bundesweit einzigartigen ProjektRei-
tenals Unterrichtsfachfür die Klassen 7
bis 13 an. Deswegen sollen auchdie bei-
den Reitinternatebis auf Weiteresge-
schlossen bleiben. reb./mwe.

Die Signoriaus Wenzhou


Das besondere Verhältnis der Chinesen zu Italien /VonMatthiasRüb,Venedig


Gesundheitsminister


Spahnappelliert im


Kampfgegen Corona an


dieEigen verantwortung


derBürger.


VonHeikeSchmoll,


Berlin


Erste Todesfälle im Kreis Heinsbergund in Essen


Coronavirus-Fälle


1) im Tagesverlauf. Quelle: Johns Hopkins/F.A.Z.-Grafikfbr.

23.1.2020 9.3.20201)

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