FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Unternehmen DIENSTAG, 10.MÄRZ 2020·NR.59·SEITE 21
E
sist stürmischandiesem März-
tagauf dem Marktplatz in Bam-
berg. Ein halbes DutzendWahl-
kampfplakate, auf dünnen Sperr-
holzpappen an Laternen befestigt,wehen
vordem Rathaus hin und her.Sie zeigen
die Bilder jenerKandidaten, die sichfür
den Oberbürgermeister-Posten in der alt-
ehrwürdigen Bischofstadt bewerben.
Drinnen sitzt der Amtsinhabervoreiner
ganzenReihe vonSchwierigkeiten. Es ist
nicht nur derWahlkampfendspurt, der
AxelStarke zu schaffenmacht, auchder
Coronavirus und akuteMaßnahmen dage-
gentreiben ihn in diesenTagenan.
Undüber allemsteckt eine Herausfor-
derung, die den SPD-Politiker und diege-
samteRegioninAtemhaltenwerden,
wenn dieKommunalwahlen längstvor-
über und das neuartigeVirus wiederver-flogen sind. DieAutoindustrie macht ei-
nen wohl nochJahredauerndenStruktur-
wandel durch und inFranken sind viele
Unternehmen dieser Branche beheima-
tet. GroßeNamen wie Bosch, Schaeffler,
Brose oder Michelin sind hier zu Hause –
vorallem Bamberggilt alsAutostadt. In
Zeiten vonDiesel-Krise undKonjunktur-
ängstenkann diegroße Abhängigkeit des
StandortsverheerendeFolgen für den Ar-
beitsmarkt haben. Die ersten Einschläge
sind längst da: Bosch, mit 7000 Beschäf-
tigten dergrößteArbeitgeber in derRe-
gion, produziertinBambergfastaus-
schließlichTeile für denVerbrennungs-
motor–Einspritzsysteme, Zündkerzen
und Komponenten für dieAbgasnachbe-
handlung, die kein elektrisches Auto
mehr braucht.
DieBosch-Mitarbeitergingen in Sorge
um ihre Arbeitsplätze als Ersteauf di eStra-
ße. Andere folgten.Brose,Herstellervon
mechatronischenKomponenten und Syste-
men, will bis 2022rund 2000Arbeitsplätze
in Deutschlandstreichen, davon600 in den
Werken inFranken.UndBroses fränki-
scherNachbar Schaeffler baut ebenfalls
2000 Arbeitsplätze ab,der Reifenhersteller
Michelinschließt in Hallstadt bei Bamberg
Ende Januar2021 gleichein komplettes
Werk,860 Mitarbeiterstehendannauf der
Straße. „Wer sichdem Wirtschaftsstandort
Bamberg verpflicht et fühlt,musshan-deln“, sagtOberbürgermeisterStarke. Er
handelte, indem er einenBrief an Bundes-
wirtschaftsministerPeter Altmaier (CDU)
geschriebenhat.„Gerade das ThemaMobi-
lität undKlimawandelstelleninsbesonde-
re die Region Bamberg durc hdie hohe
DichteanAutomobilzulieferernvor große
Herausforderun gen“, heißt es in dem öf-
fentlichen Schreiben, dasgleichzeiti geine
Bitte „umUnterstützungfür diegesamte
Region“war.Starkesuchte, wie er erzählt,
den „parteiübergreifenden Schulter-
schluss“.Undsowaren auch der Bamber-
gerCSU-Landrat JohannKalb sowie die lo-
kalen BetriebsratsvorsitzendenvonBosch,
Michelin undSchaeffler Unterzeichnerdes
Briefs. Die Botschaft: Eineganze Region
befindetsichimKrisenmodus, arbeiten
dochgut 25 000 Menschen imUmkreisvon
nur 30 Kilometern in derAutoindustrie.
Jetzt, soStarke,seienRevitalisierungs-
konzepte gefragt.Erstwurde eineTask
Forcegegründet, dann eine „Regionalini-
tiativeTransformation Automobil“
(RITA). DieTask Forcetrifftsichalle
sechsWochen, um neue Arbeitsplätze für
die Michelin-Beschäftigten zu finden,
und RITAsoll gleichdie aktuelle Krise in
Gänze bewältigen.Ungeacht et möglicher
finanziellerFörderhilfen des Bundes und
des Freistaats, will dieStadt BambergZu-
lieferernunter die Armegreifen,wo es
nurgeht.Starkehat einen konkreten
Plan, wie die ansässigenAutomobilzulie-
fererimTransformationsprozessweg
vomVerbrennungsmotorunter stützt wer-
den können. „Der Elektrozug istabgefah-
ren“, sagt er,„aber die nächste Technolo-
gie soll hier Arbeitsplätze sichern.“ Die
nächste Technologie istfür ihn die Brenn-
stoffzelle. Deshalb laufen die Planungen
für eineWasserstoff-Modellregion, in der
Boschein wichtiger Industriepartner in
Bambergist. DerAutozulieferer arbeitet
derzeit an der Industrialisierungvonmo-
bilen undstationären Brennstoffzellen,
die inNutzfahrzeugen ebenso wie zur
EnergieversorgungvonganzenStadttei-
len eingesetztwerden können. Ziel derRe-
gion Bambergsei es, diegesamteWert-
schöpfungskette vonder Wasserstoffher-
stellung, der industriellenFertigung der
Brennstoffzellen bis hin zur Anwendung
abzubilden, erklärtStarke.
Derzeitlotet die Stadt Bamberghierzu
die finanziellenFörderungen durchdas
BayerischeWirtschaftsministerium sowie
das Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie aus undkoordiniertdie Pro-
jektpartner.Zudemstellt sie Flächenbe-reit. Als die US-Army vorachtJahren ihre
letztenTruppen abgezogen hat,wurden
450 Hektarfrei, knappein Zehntel des
Stadtgebietes. 20 Hektarhat di eStadt er-
worbenund baut dort1000 Wohnungen
für 3000Menschen. DasViertelsoll in gut
zwei Jahrenfertig sein undvonBrennstoff-
zellen-Kraftwerkenversorgtwerden.
Die Brennstoffzelle istlaut Starke eine
Möglichkeit zur Diversifizierung desWirt-
schaftsstandorts. AndereZukunftsfelder
sinddie BranchenIT&Digitalisierung so-
wie die Gesundheitswirtschaft: Die Welt-
erbe-Stadt Bambergist auchUniversitäts-
stadt undkann auf 16 Lehrstühle an der
Fakultät fürWirtschaftsinformatik&An-
gewandteInformatikverweisen. Derzeit
wirddas digitaleGründerzentrum „Lagar-
de1“ aufgebaut, dessenNetzwerkaktivitä-
tenund Beratungen fürStart-ups bereits
begonnen haben.Noch älter sind die In-
itiativen im Gesundheitswesen derStadt,die seit fünf Jahren sogenannter Premium-
partner des MedicalValleyder Europäi-
schen Metropolregion Nürnberge.V.,
dem internationalen Spitzenclusterinder
Medizintechnik ist. Seit vergangenem
Jahr hat Bambergein eigenes MedicalVal-
leyCenter Bambergmit viergeför derten
Projekten und einem Schwerpunkt auf
„Digital Health.“O
bdiese Initiativenausreichen,
ob „dieBrennstoffzelleuns
wirklichglückselig macht“,
weiß Starkenicht, wie er offen
zugibt.Vielleicht können eines Tages
3000, vielleichtauch5000 Stellen in den
neuenTechnologien entstehen.Anfang
des kommenden Jahres sind aber auf ei-
nen Schlag 860 Arbeitsplätzeverschwun-
den,wenn Michelin dasReifen werk ge-
schlossen hat. Starke hat, wie er erzählt,
die Erwerbsbiographien der Michelin-Mit-arbeiterangesehen. Schreiner,Bäckerund
Metzgersinddarunter,undStarkekann
sichvorstellen, dasssie ihrWissen aus den
erlernten Berufen in einem Ausbildungs-
zentrumanjungeMenschenweitergeben.
Dassetliche Handwerkeraus derfränki-
schen Möbelindustrieauf besser bezahlten
Arbeitsplätzenbei denAutozulieferernar-
beiten, ist dieFolgeeines anderenUm-
bruchs.Nach derdeutschenWiedervereini-
gung, alssichüber Nachtein neuer Markt
auftat, galten diePolstermöbelhersteller
nochals die heimlichenKönigeOberfran-
kens. Dannkamen die Osterweiterung der
Europäischen Unionund dieglobale Wirt-
schafts- undFinanzkrise –und schließlich
dasLedersofaaus Chinafür 300 Euro.Vor
30 Jahren tummeltensichnoch50Betrie-
be in derRegion biszur thüringischen Lan-
desg renze. Geblieben sind noch14. In der
Polstermöbel-HochburgOberf ranken
mus sten viele Mittelständler in denvergan-
genen Jahrzehnten ihreBetriebe schlie-
ßen.Lange Zeit litt dieRegion zudem un-
terdem Niedergang derPorzellanindustrie.
Starke,einstStrafverteidiger,ist 63 Jah-
re alt und langeimpolitischen Geschäft.
Er kennt alle Höhen undTiefen. An die-
sem Sonntag will er wieder zum Oberbür-
germeistergewähltwerden. Seine Chan-
cen stehen nicht schlecht.Laut einerUm-
frageder Regionalzeitung „Fränkischer
Tag“ liegtStarke deutlichvor seinen Her-
ausforderern. Erkönntesogar ohneUm-
wegüber dieStichwahl wiedergewählt
werden. Undeinesfernen Tageskönnte
er als Krisenmanager in die Geschichtsbü-
cher derStadt eingehen–oder wenigs-
tens als jener Oberbürgermeister, der in
einergroßen Krise nichts unversucht ließ.UMBRUCHIN DER
AUTOBRANCHE
FIRMENINDEX Seite
50Hertz ............................................................... 20
ADP ....................................................................... 20
Amazon ............................................................. 18
Aon ........................................................................ 20Apple .................................................................. 20
Boeing ................................................................. 22
Bosch ................................................................... 21
Brose ................................................................... 21
Controlexpert .............................................. 19Deutsche Bank ............................................. 20
DHL ....................................................................... 18
DPD ....................................................................... 18
Ethiopian Airlines ...................................... 22
EU-Right ............................................................ 16Facebook ......................................................... 19
Flightright ........................................................ 16
Fraport ................................................................ 18
Hermes ..................................................... 18, 22
Hochtief ............................................................ 21LEG ............................................................... 19, 22
Lufthansa ........................................................ 18
MAN ...................................................................... 19
Michelin ............................................................. 21
Nordex ................................................................ 21Real ........................................................................ 20
Schaeffler ........................................................ 21
SchwäbischHall ......................................... 20
Twitter ................................................................ 20
Willis Towers Watson ............................. 20Im Krisenmodus:Ob BoschinBamberg
(li.) oder Schaeffler in Herzogenaurach
(u.), dieAutobranche prägtFranken.
Bambergs OberbürgermeisterAndreas
Starke (re.), seit 14 Jahren im Amt, mode-
riertden Wandel. Fotos MarcusKaufholdcmu.HAMBURG. Der Windradher-
stellerNordex hat im vergangenen
Jahr seinenUmsatz und denAuftrags-
eingang erhöht.Trotzdem brachder
AktienkursamMontag in einem
schwachenUmfeld um mehr als 14
Prozent auf knapp9Euroein, womit
das Unternehmen derTagesverlierer
im KleinwerteindexS-Daxwar. Das
ErgebnisvorZinsen,Steuernund Ab-
schreibungen (Ebitda) habe die Er-
wartungenverfehlt, schrieb AjayPa-
tel, Analyst der amerikanischen In-
vestmentbank Goldman Sachs, in ei-
ner Analyse. Auch andereTeile der
am Montagveröffentlichten Eckda-
tenfür das Jahr 2019 seien schwächer
als gedacht.Norde xhattenachvorläu-
figenZahlen denUmsatz um ein Drit-
telauf 3,28 Milliarden Euround den
Auftragseingang um 31 Prozent auf
6,21 Gigawatt gesteigert. Das Ebitda
legteumrund 22 Prozent auf 123,8
Millionen Eurozu. Das entspricht ei-
ner operativenUmsatzrenditevon 3,8
Prozent, nachdem dasUnternehmen
für das Gesamtjahr eine Bandbreite
von3bis 5Prozent inAussichtge-
stellt hatte. Die Märktehatten mehr
erwartet.Der Vorstandsvorsitzende
gabsichaber zufrieden undverwies
darauf, dassalle Ziele erreichtwor-
den seien. DasUnternehmenkämpft
mit einem hartenPreisverfall imWelt-
markt.Von den besonderen Schwie-
rigkeiten in Deutschlandist derAnbie-
teraber weniger betroffenals manche
Konkurrenten, da er nachdem Zusam-
menschlussmit der Windenergie-
Sparte des spanischen Mischkonzerns
Acciona einengroßenTeil seines Ge-
schäfts in anderenTeilen der Erde
macht.Brennstoffzellen made in Bamberg
joja.DÜSSELDORF. Der Essener
BaukonzernHochtiefhat angekün-
digt, knapp 10 Prozent seines Grund-
kapitals zurückzukaufen. Das ent-
sprichtfast 7Millionen Aktien und
würde angesichts desKurses von75
EuroamMontagvormittag eine Inves-
titionvonbis zu 518 Millionen Euro
bedeuten. Die Aktienwerden dem-
nachnur zu Preisengekauft, die maxi-
mal 10 ProzentvomSchlusskursder
zurückliegenden zehn Handelstagean
der Börse abweichen. DasRückkauf-
prog ramm wurde schon auf der
Hauptversammlung im Mai 2016 be-
schlossen, fünf JahreZeit hatteHoch-
tief dafür.Bis zum Jahresende soll der
Aktienrückkauf abgeschlossen sein.
Am Montag lag derKurs des Baukon-
zerns in einem insgesamt schwachen
Marktumfeldfast 9Prozent im Minus,
innerhalb eines Jahres hat die Aktie
fast die Hälfte an Wert eingebüßt.
Ende Januar hatteHochtief angekün-
digt, die Dividende auf 5,80 Euroer-
höhen zuwollen,waseinem Anstieg
von16Prozentgegenüber demVor-
jahr entspricht.Jetzt den
Sommer
buchen!
NutzenSiedieattrakti ven
AngebotederF.A.Z.Leserreisen.WeitereInformationen,
Beratung undBuchungauf
leserreisen.faz.netNordex
enttäuscht
DieidyllischeStadt in Oberfranken istvon der Anleger
Autoindu strieabhängig.DochBosch, Brose,
Michelin &Co. rutschen indie Krise.Was nun?
DerOberbürgermeisterhat da eine Idee.
VonHenning Peitsmeier,Bamberg
Hochtiefkauft
Aktien zurück