Frankfurter Allgemeine Zeitung - 10.03.2020

(Marcin) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen DIENSTAG, 10.MÄRZ 2020·NR.59·SEITE 25


L


iebe Anleger,werte Börsianerin-
nen! Ichhabe Sievor14Mona-
tengefragt, obKursverluste bei
Aktien vorübergehende oder
endgültigeVerluste sind. DieFrageist –
Corona seiUndank–aktueller denn je
und wirdIhnen mit hoherWahrschein-
lichkeit überhauptnicht schmecken, weil
es gesternanden Börsen wiederrichtig
gekracht hat.Der Kurs des deutschen Leit-
indexDax istseit Beginn dieses Jahres
um mehr als 2600 Punktegefallen. Das ist
ein Absturzvon knapp 20 Prozent inner-
halbvonneun Wochen. DerWert des eu-
ropäischen Eurostoxx 50 istimselben
Zeitraum um 21 Prozentgefallen. Der
breitgefasste amerikanische IndexStan-
dard&Poors500 is tseit Jahresbeginn um
mehr als 14 Prozentgesunken, und in Chi-
na, wo das Virusausgebrochen ist, hat der
Schanghai CompositeIndexgerade mal 4
Prozentverloren. DieWelt is twirklich
verrückt–nicht wahr?
Die meisten Anleger,die ic hinden Jah-
ren2018 und 2019 beraten habe, haben
mir zuWeihnachten des letzten Jahres
nochLorbeerkränzegeflochten,weil die
Kursestiegen undstiegen, dochjetzt ist
der schöne Lack erst mal wieder ab,wenn
ichdas so ausdrückendarf. Gott sei
Dank,dassmir bis heutekein Gebeutel-
ternachdem Lebengetrachtet hat, doch
wasnoch nichtgeschehen ist,kann ja
nochpassieren. DieVorwürfe sind auf
alle Fälle nicht zu überhören:Warumha-
ben Sie das nichtgesehen,weshalb haben
Sie nachdem Ausbruchdes Virusnicht so-
fort alle Aktienverkauft, undwassollen
wir jetzt tun?Kurzum: Die meistenAnle-
gerbetrachten auchdiese Einbußen nicht
als Rückgänge, sondernals Verluste.Was
meinen Sie dazu? Sind die Einschlägeech-
te odertemporär eVerluste?Bitteantwor-
tenSie laut mit „Ja“ oder „Nein“, da mir
das leise „Jein“nicht hilft. Undwie sollen
Anleger mit derUngewissheit umgehen,
wasinden nächstenMonaten passieren
wird?Auch hier bitteich um ein klares
„Aussteigen“ oder„Weitermachen“,weil
alles anderevon Übel is t.

Wassind echteVerlus te?

Fangen wir mit derFragean, ob dieRück-
gängeechte Verluste sind.InmeinenAu-
genhängtdie Antwortdavon ab,wann
Sie die Aktiengekaufthabenund wasSie
mit den Papieren erreichen wollten.
Wenn Sie beispielsweise am 15.März
2019mal eben 100000 Euro in denDax
angelegthaben, um mitdiesemBetrag
am 15. März2020 alteSteuerschulden zu
begleichenund dabei nocheinen
Schnaps zuverdienen, haben Siemit ho-
her Wahrscheinlichkeit einenVerluster-
litten.Die Anteilehabenam15. Oktober
2019etwa11686 Eurogekos tetund wa-
rengestern Nachmittag noch10600
Eurowert. Ichglaube nicht, dassSie den
Verlustvon rund 9000Eurobis zum 15.
März2020 wettmachenwerden. Außer-
dem müssen Sie diegeplanteSause aus
der eigenenTasche bezahlen,wasaber
kein Beinbruchist,weil Siedie Absage
der Fete vorallfälligen Leberschäden be-
wahrenkann.
Anderssieht die Sache aus,wenn Sie
vorJahren eineImmobilie aufPumpge-
kaufthaben,das Festdarlehen nochfünf
Jahre läuftund mit Hilfevon Aktienge-
tilgt werden soll.Beispiel: Die Rest-
schuldbeträgt 250000 Euro. In 60 Mona-
tenist die Hypothekfällig,und Sie müs-
sen damitrech nen,dassder Kredit nicht
verlängertwerde nwird, weil Sie den Di-
rektor in dervergangenenWocheals „Dil-
lettanten in Aktienfragen“ beschimpftha-
ben.Jetzt muss der Wert der Aktien, die
zu Jahresbeginn bei 200000 Eurostan-
denund imAugenblicknoch160 000
Eurowertsind,inZukunft jedesJahr
nicht um 4,56 Prozentklettern, sondern
um 8,02 Prozentsteigen, um in fünfJah-
rendie Zeche bezahlenzukönnen. Das
kann klappen, dochdas kann auch ins
Auge g ehen, so dassich Ihnen nurraten
kann, dieFingervonAktien zu lassen,

wenn Sie zu einembestimmtenTermin
in naherZukunftdamit eineSchuld be-
zahlen müssen undkeine Reserven in der
Hinterhand haben!
Wieder andersist die Lage,wennSie
ein Anleger sind, der „bewusst“einen
Teil seinesVermögens in Aktien angelegt
hatund mitdieser Entscheidung „kein“
Zielverfolgt.Das hört sichkomisch an,
doch wenn Sie beispielsweise 50 Jahrealt
sind undvon 2MillionenEuro,die Sie
freizur Verfügung hatten,eine Hälftein
Aktieninvestierthaben,dannwerden Sie
mithoherWahrscheinlichkei tnicht das
Zielverfolgen,dassdie Aktieninzehn
Jahren,wennIhreungeliebteSchwieger-
mutter ihren 90. Geburtstagfei-
ernwird, unbedingtzweiMil-
lionenEurowertsein müssen,
um der Damezuzeigen,dass
Siewenigstens in Geldfragen
ein toller Hecht sind.Folglich
haben Sie die Million „mit offe-
nemAusgang“ an der Börse an-
gelegt, undvordiesemHinter-
grundbetrachteich den aktuel-
len Rückgangum20 Prozent
(noch)nicht alsVerlust, son-
dern als kleinen Querschläger!
Genauso wenig würde ich
vonVerlustenreden,wenn Ak-
tien umgetauschtwerden.Ich
erlebe immer wieder, dass sichAnleger
mit Einzelaktienverhobenhaben.Wenn
ichinsolchen Fällenempfehle,die Ein-
zeltitel in einenIndexfondszutauschen,
um die Schmerzenzulindern,kanzeln
die meistenAnlegerden Vorschlag mit ei-
nementrüstet en „UmGotteswillen ,bei
diesenVerlustentrifftmichder Schlag“
ab.Darauf habe ichesnun wirklichnicht
abgesehen,dochwas sollman dazu sa-
gen? In meinenAugenist die Entrüstung
–mit Verlaub gesagt–ein infantiler und
unsubstantiierterGefühlsausbruch. Die
Privatleute realisieren keine Verluste,
sondern würden deninmeinenAugen
begrüßenswertenVersu ch unternehmen,
sich von„faulen“ Einzeltiteln zutrennen
undmit Hilfe breiterIndexfonds ausdem

Börsentief herauszukommen.Oderse-
hen Siedas anders?

Bitteerstzur Besinnungkommen!

Undwas geschiehtmit den Anlegern, die
in diesen Tagenumihren Schlafge-
brachtwerden, weil Corona seinUnwe-
sen treibt? Ichkann Ihnen nur denRatge-
ben,vordem möglichenVerkauf aller Ak-
tien einenBesinnungsaufsatz zu schrei-
ben.Bittebetrachten SiedieseAufforde-
rung nicht alsverfrühten Aprilscherz,
sondernals ernsthafte Empfehlung.
Beimpreußischen Militärdurften sich
Soldatenüber alles und jeden beschwe-
ren. Nurmussten sie die Miss-
ständeinschriftlicher Form zu
Papier bringen, und sie durften
die Beschwerden frühestens
nachAblaufvon24Stunden
beimKompaniechef abgeben.
Indiesem Sinne würde ichger-
ne vonIhnenhören bezie-
hungsweise lesen, wie Sie sich
fühlen,den Verlustrealisiert
zu haben. Dannwürde ichger-
ne vonIhnen wissen,was Sie
mi tdem Geldvorhaben. Möch-
tenSie es auf dem Girokonto
liegenlassen,Strafzinsen bezah-
len und zugegebenerZeit wie-
der in Aktien investieren?Oder wollen
Sie nocheineImmobiliekaufen und dar-
auf vertrauen,dassdie hohen Einstiegs-
preise nicht sinkenwerden? Bittewägen
Sie die Chancenund Risikeninschriftli-
cher Form ab, und Siewerden sehen,
dass nichts so heißgegessen wird, wie es
zuvorgekochtworde nist.
Ichhabe vorzweiJahren eine 70 Jahre
junge Witweaus derPfalz beraten,die
1,5 Millionen Euro auf der hohenKante
hatte. DieFraulebt in einemschulden-
freien Eigenheim und beziehtfesteRen-
tenvon 4000Europro Monat.Sie wollte
diese Summeum2000Euroaufstocken,
und sie wusstemir unte rZeugenglaub-
haftzuversichern, mindestens 90 Jahre
alt zuwerden. Außerdemgabdie lustige

WitwezuProto koll, vonden 1,5 Millio-
nenEuronicht mehr als 150000 Euro
verlieren zuwollen.
Die klarenVorgaben haben michveran-
lasst,der Dame zwei Depots ans Herzzu
legen. Das ersteDepotinHöhevon
500 000 Eurobesteht zu 100 Prozent aus
Staatsanleihen erster Pr ovenienz. Die Zin-
sen bewegensichumden Nullpunkt her-
um. Das istaber kein Drama,weil es viel
wichtiger ist, dassder Witwemonatlich
2000 Eurosicher sind. Die übrigeMillion
flossinein Depot, das zu gleichenTeilen
aus Anleihen und Aktien besteht.

So sieht diegenaue Aufteilung aus
Wenn Sie wissenwollen, wie ichauf diese
Aufteilunggekommen bin, brauchen Sie
nur 150 000 Eurodurch 35 Prozent zutei-
len. Ichgehe davonaus, dassAktien inner-
halbwenigerTagebiszueinemDrittelih-
resWertesverlierenkönnen, undwenn
Sie den ertragbarenVerlustvon 150 000
Eurodurch 30 Prozentteilen, dürfenbis
zu 500 000 EuroinAktien investiertwer-
den. Undnun istpassiert, waskein
Menschvorhersehenkonnte. Das zweite
Depotist in den letztenWochen um 20
Prozent abgesoffen, wenn ichdas ohne
Wenn undAber sagen darf. DerWert der
Aktien istum100 000 Eurogefallen, und
jetzt istviel Rotwein vonnöten, um den
Schmerzzubetäuben.
SolltenSie vonähnlichen Schlägenge-
trof fenworden sein, möchteich mit Ih-
nen, bevorSie zumStrick greifen oder ins
Wasser gehen, dreiFragen klären. Ers-
tens: Sind die „fehlenden“ 100 000 Euro
wirklichVerluste?Zweitens: Sind 100 000
Euroviel oderwenig Geld? Drittens:Wie
können Sie,wenn Sie der Meinung sind,
die 100 000 Euroseien hoheVerluste, den
Tiefschlag trotzdemverdauen?
Ichbin der Meinung, dassdie Rückgän-
ge von100 000 Euroein vorübergehender,
aberkein endgültigerVerlustsind. Die
Frau hat 500 000 EuroinAktien inves-
tiert,weil sie bereitwar, bis zu 150 000
Eurozuverlieren.Falls die Anleger das
heutigeAktienpaket (400 000 Euro) platt-
macht und das Bargeld bis zum Lebensen-
de unter ihremKopfkissenvergräbt, wür-
de in derTatein Schadenvon100 000
Euroentstehen. Das istjedochnicht ge-
plant.Die Witwemöchte die Aktien bis
zum Lebensende behalten. Folglic hist
kein endgültigerVerlusteingetreten, weil
sichdie Aktien in den nächsten 20 Jahren
wieder erholenkönnen.
Sollten Sie dagegen der Meinung sein,
die 100 000 Euroseien endgültigeVerlus-
te,dannwürde michinteressieren, wie
Siederen Höhe beurteilen,freinachdem
Motto, wieviel drei Haare sind.In der
Suppegelten dreiHaareals viel, dochauf
demKopf sind drei Haarewenig. In die-
sem Sinne bitteich Sie,michbei drei
Rechnungen zu begleiten zu wollen.
100 000 Eurovon 500 000 Euro,die in
Aktienangelegtworden sind, sind30Pro-
zent und„viel“ Geld. 100 000 Eurovon
einer Million Euro,dem Wert des Zweit-
depots, sind10Prozent und „ordentlich“
Geld. 100 000 Euro voneinem Gesamt-
vermögen, dasdankEigenheim undPen-
sionenmindestens drei Millionen Euro
wert ist, sind3Prozent und „wenig“
Geld.Sollteauchdieser Versuch, den
temporären Schwundvon100 000 Euro
zu relativieren, misslingen,sind Hopfen
undMalzverloren. Dannbleibtinmei-
nenAugen nur nochdie Reißleine: Ak-
tienverkaufen undden „Rest“inAnlei-
henumschichten! DieAnlegerin hatvor
Jahren behauptet, Verluste von100 000
Euro ertragen zukönnen. Daswaroffen-
bar totaleSelbstüberschätzung, undaus
diesemGrund istnachmeinem Empfin-
denfolgende„Therapie“notwendig,
nicht zur Stra fe,sondern nur zurVollen-
dung dersittlichenReife. Die Witwe
muss 333 mal zu Papierbringen:Ich bin
ein Angsthase undwerdemein Geld nie
wiederinAktienanlegen. Wasmeinen
Sie, liebe Leser,kann und wirddiese The-
ra pieanschlagen?

Der Autorist
Finanzanalytiker in
Berlin und Dresden.

D


er Corona-Crash hinterlässt
auchamAnleihemarkttiefe
Spuren. DieRenditen deut-
scher und amerikanischer
Staatsanleihenfallenweiter auf neue
Rekordtiefs, während die Risikoauf-
schlägefür riskanteUnternehmensan-
leihen hochspringen. Damit spiegelt
der Anleihemarkt dieaktuelle Stim-
mung an denFinanzmärkten wider,Ri-
sikenweitestgehend zuvermeiden. Die
RenditetiefsvielerStaatsanleihen sind
das Ergebnis der Flucht invermeintlich
sichereHäfen undverbunden mitKurs-
gewinnendieser Schuldtitel.
Am Montagfiel dieRenditeder zehn-
jährigen Bundesanleihe bis auf minus
0,907 Prozent.Damitwardas erst am
Freitagnachmittag erreicht eRekordtief
vonminus 0,747 Prozent schon wieder
Geschichte. Auch die Bundesanleihe
mit 30 Jahren Laufzeittestetinkurzer
Zeit neueTiefs. Am Montagwarenes
minus 0,5601 Prozent.
Noch viel rascher und deutlichervoll-
zieht sichder Renditeverfall amerikani-
scherStaatsanleihen. Die zehnjährige
Treasuryfiel bis auf 0,3137 Prozent.
Voreiner Woche, kurz vorder Leitzins-
senkung der amerikanischen Noten-
bank um einen halben Prozentpunkt,
lag dieRenditenochüber 1,0 Prozent.
Inzwischen liegt auchdie 30-jährige
Renditemit 0,6987 Prozent unter der
1-Prozent-Marke.Erstmals in der Ge-
schichteist die gesamteamerikanische
Zinskurve zwischen zwei und 30 Jahren
unter die Markevon 1Prozentgefallen.
DerRückgang der amerikanischen
Zinsenverhilftauchdem EurozuKurs-
gewinnen. Am Montagkostetedie Ge-
meinschaftswährung bis zu 1,1522 Dol-
lar.Am19. Februar lag der Eurokurs
nochauf dem Dreijahrestiefvon1,0792
Dollar.Das liegt auchander überra-
schenden und in ihremAusmaß uner-
wartet deutlichen Zinssenkung der ame-
rikanischenNotenbank.Anden Märk-
tenstellen sichdie Anleger im Märzauf
weiter eZinssenkungen derFedimAus-
maßvon0,8 Prozentpunkten ein. Bis
Juli dürfteeine weiter eLockerung fol-
genund dann der Leitzins (FedFund
Rate)inder Spannevon0,0 bis 0,25Pro-
zent liegen. Dannwäre die Fedwieder
beimNullzins angelangt.
Da befindetsichdie Europäische
Zentralbank (EZB) schon mit ihrem
Leitzins. Der Einlagensatz, mit dem die
Notenbank die vonGeschäftsbanken

bei ihr angelegten Mittelverzinst, liegt
seit September 2019 bei minus 0,5 Pro-
zent.Das bedeutet,die Banken müssen
der EZB dafüreinen „Strafzins“zahlen.
Viele Möglichkeiten fürweiter eZins-
senkungen hat die EZB nicht mehr.Das
erklärt,warumder Euroaufwertet: Der
Zinsvorteil des Dollarsschwindet.
Hinzukommt der Ölpreiskrieg zwi-
schen Saudi-Arabien undRussland. Die
VereinigtenStaatengelten als Ölprodu-
zent,weshalb der Ölpreisverfall belas-
tet. Richtiggefährlic hwirdesamMarkt
für Unternehmensanleihen,insbesonde-
re im hochverzinslichen Segment der
High Yield Bonds. Dieser Markt für
SchuldtitelfinanzschwacherUnterneh-
men hat in denVereinigtenStaaten ein
Volumenvon440 Milliarden Dollar.Je-
der zehnteHigh Yield Bondstammtvon
einemUnternehmen aus dem Energie-
sektor,inder RegelSchieferölproduzen-
ten. Dieseweisen hohe Schulden auf
und könnten nunvonder Corona-Krise
sowie dem Ölpreisverfall in dieZange

genommen werden. Deutsche -Bank-
AnalystCraig Nicol erkennt einen Min-
sky-Moment für den High-Yield-Markt.
Benannt nachdem amerikanischen
Ökonomen Hyman Minsky beschreibt
der Minsky-Moment den Zusammen-
bruc hvon Vermögenswertenaneinem
Markt und das Ende einerWachstums-
phase. Vorallem in denVereinigten
Staaten hat sichder Markt für hochver-
zinslicheAnleihen in denvergangenen
Jahrenverdoppelt.Nunverlie rendie An-
leihen der Ölproduzenten anWert,ent-
sprechendsteigen die Risikoaufschläge.
Ein Anfang JanuarvonRangeResour-
ces zumNennwert begebener Titel ist
nur noch65Prozentwert. DieRendite
liegt bei knapp 20 Prozent.

Illustration Getty BearbeitungFAZ

che./pwe. SINGAPUR/TOKIO. Die
MärkteinAsien-Pazifik bekamen am
Montag einetoxische Mischung zu spü-
ren: Die Folgen des Coronavirus, der
Streit um den Ölpreis undFördermengen
zwischen Saudi-Arabien und Russland
und diewachsende Sorge voreiner herauf-
ziehenden Kreditklemme bei den Banken
führtenzumassiven Verkäufen. Zeit-
gleicharbeiten dieRegierungen anweite-
renHilfspaketen: Singapur hat schon die
Erhöhung der Mehrwertsteuer auf9Pro-
zentverschoben und plant Barzahlungen
an seine Bürger.
Am DienstagdürfteAustraliensMinis-
terpräsident Scott Morrison aufdem
AFR–UnternehmensgipfelinSydneyan-
kündigen, die australischeWirtschaft
mit bis zu 10 Milliarden australischen
Dollar(5,87 Milliarden Euro) zustützen.
Sie sollen zugroßenTeilen an Einkom-
mensschwacheund Rentnerals Barhil-
fengezahltwerden, damit sie dieKon-
junkturstützen.Australienkönnte erst-
mals seit28Jahren auf eineRezession zu-
steuern.Inallenwichti genLändernin
der Region haben dieNotenb anken den
Leitzinswegen des Virusgesenkt oder

lassen,wie Singapur,ihreWährungab-
werten.
Der australische Aktienmarkt hatte am
Montagseinenschlimmsten Lauf seit der
globalenFinanzkrise 2008.Der Aktienin-
dexS&P/ASX200 beendete denHandel in
Sydneymit einem Minusvon 7,3Prozent
aufnun noch5705Punkten.Dabei liegt
derHöchststand des IndexerstzweiWo-
chen zurück:Seit dem20. Febru ar hater
nun19,6 Prozentverloren. „Die Größen-
ordnung desZusammenbruchs zeigt, dass
jede Hoffnungauf einevorübergehende
Atempausevergebenswar“, sagteder Wäh-
rungsstratege Sean Callowvon der australi-
sche nBankWestpac.Singapur,das sich
auch als Ölhandelsplatz profiliert,verzeich-
nete einen Rückgangdes STIum4,8 Pro-
zent .Die beidenindischen Indizes Sensex
undNifty hatten in absolutenZahlen den
stärkstenEinbruchaller Zeiten ;prozentu-
al verlor derSense xinBombay5,2 Pro-
zent .Die RatingagenturMoody’shatte zu-
vordie Wachstumsaussichte nfür Asiens
drittgrößteVolkswirtscha ft auf nurnoch
5,3Prozentgesenkt.
Die Bank Credit Suisse hält es ange-
sichts desVirus„für nicht unrealistisch“,

dassallein dieUnterbrechungen derwelt-
weiten Lieferketten zuZahlungsverlusten
vonbis zu 300 Milliarden Dollarführen.
Damitkämen die Geschäftsbanken durch
Kreditausfälle einmal mehr unter enor-
men Druck, obwohl sie schon mit schwin-
denden Margenangesichts immer niedri-
gererLeitzinsen zukämpfenhaben. Die
vier australischen Großbankenverloren
am Montag deshalbweiter efast9Pro-

zent.Die Analystenvon Standard&
Poor’swarnten, dassCovid-19 diePotenti-
al besitze, allein in Asien-Pazifik 211 Mil-
liarden Dollarauszuradieren und die
Wachstumsrateder Region auf4Prozent
in diesem Jahr zu drücken.
In Japanwarder Aktienkursverfall un-
trennbarmit de rAufwertungdes Yens ver-
bunden.Als klassische Fluchtwährung in
ZeitengroßerUnsicherheit werteteder

YengegenüberdemamerikanischenDol-
lar umrund 3Prozent auf. DerKurs lag zeit-
weise bei nur noch 101,5YenjeDollar .Die
Aufwertungstellt neben der durchdas Co-
ronavi rusgeschwächtenWeltkonjunktur
ein zusätzlichesRisikofür JapansExport-
unternehmen dar. Der Nikkei-Indexbrach
ein und schloss mit minus 5,1Prozent auf
19 699 Punkten. In Südkoreaverlor derKo-
spi-Index 4,2 Prozent auf 1955Punkte.
Zu der negativen Grundstimmung in
Tokio trug bei, dassrevidierte Konjunk-
turdatendie WirtschaftamEnde desver-
gangenen Jahres nochschlechter ausse-
hen lassen als zuvor bekannt.Das reale
Brut toinlandsprodukt schrumpfte im Zeit-
raum vonOktober bis Dezember um 1,8
Prozentgegenüber demVorquartalund
damit nochmehr als die zuvorgemelde-
ten1,6 Prozent.Volkswirte erwarten für
das aktuelleQuartalein weiteres Minus.
Auch fürdas Gesamtjahr zeichnet sich zu-
nehmend eine Schrumpfung ab.
Die Spekulationen am japanischen Fi-
nanzmarkt drehen sichdarum, wie dieRe-
gierung auf die sichverschlechternden
Wirtschaftsaussichten reagieren wird.
Am Dienstagwirddas KabinettvonMinis-

terpräsident ShinzoAbePläne für ein
zweitesKonjunkturpaket seit Dezember
vorlegen. Gemutmaßt wirdzudem über
eine Intervention der BankvonJapan, die
in derkommendenWocheüber ihreGeld-
politik beraten wird. Ein Wechselkurs
von100 YenjeDollar gilt vielen Marktbe-
obachternals rote Linie, derenUnter-
schreiteneine Zinssenkung hervorrufen
würde. Alswahrscheinlicher giltvorerst,
dassdie Zentralbank ihreGeldpolitikwei-
terquantitativ lockern und mehr handel-
bareFondsanteile (ETFs)kaufen wird.
Schon zweimal im Märzkaufte sie ETFs
im Rekordvolumenvon100 Milliarden
Yen(840 Millionen Euro) undstützteso
die Aktienkurse.
Eine dritteSpekulationrichtetsichauf
den staatlichen Pensions-Investitions-
fonds, der mehr ausländische Anleihen
kaufen und damit denYenschwächen
könnte. Am Devisenmarkt wirdgemut-
maßt, dassder Fonds mit seinem Anlage-
volumenvon160 BillionenYenimApril
seine Investitionsstrategie ändernwerde
und imVorgriff darauf schon jetzt auslän-
dischen Anleihen mehr Gewicht einräu-
menkönnte.

Stresstest für Anleihen


Die unsinnigeAngstvor Verlusten

Das Coronavirus lässtauchdie Kursea uf den Märkten Asiens abstürzen


Einbrechende Ölpreise, die sichausbreitende Epidemie und die Sorge voreiner Kreditklemme führen zu einertoxischen Mischung


sibi.FRANKFURT. DieEuropäische
Zentralbank (EZB) hat am Montag als
Vorsichtsmaßnahme für eine weitere
Ausbreitung des Coronavirus ein mas-
senhaftes Arbeiten im Homeoffice für
ihreMitarbeitergetestet. Tausende hät-
te sichbeteiligt, sowaraus derNoten-
bank zu erfahren, auchMitglieder des
EZB-Direktoriums. Zum eintägigen
Homeoffice warenauchMitarbeiteraus
besonderssensiblen Bereichen wie
Marktoperationen oder Zahlungsver-
kehr aufgerufen.Vollständig leer sei die
EZB-Zentrale mit ihrem markanten
Bau imFrankfurterOstend allerdings

nichtgewesen; einzelne Meetings hät-
tentrotz allem mit physischer Präsenz
stattgefunden.Technischhabe derTest
gut geklappt. Das sei nicht selbstver-
ständlichgewesen; dieVerbindung so
vieler Laptops vonaußen an die zentra-
len Rechnersysteme hättedurchaus
Schwierigkeiten bringenkönnen.
Am Dienstag sollen alle Mitarbeiter
wieder ins Bürokommen. Die EZB hat-
te mit demTest,wie manche Geschäfts-
banken auch, denFall simulierenwol-
len, dassesCorona-Infektionen gibt
und dasgemeinsame Arbeiten in der
Zentrale nicht mehr möglichist.

Volker Looman

Tausende bleiben daheim


EZBtestet erfolgreichHomeoffice als Notfallplan


Die Renditen der


Staatsanleihenfallen


auf Rek ordtiefs. Doch


fürUnternehmen


schießen die Zinsen


nachoben.


VonMarkusFrühauf,


Frankfurt


Quelle: BloombergF.A.Z.-Grafik swa.

14.1. 2020 9.3.2020

0,4

2,0

1,6

1,2

0,8

Rendit einProzent

Zehnjährige
amerikanische
Staatsanleihe

14.1.202 09 .3.2020

8

20

17

14

11

Rendit einProzent

Unternehmensanleihe
vonRange Resources,
Laufzeit bis 1.2.2026

Rendite auf Rekordtief


Das Risiko steigt


Nikkei ASX

Quelle: Bloomberg F.A.Z.-GrafikKaiser

Die Märkte in Asien und Australien leiden

11.3.201 91 9.3.2020 1.3.2019 9.3.2020

23000 in Punkten 7200 in Punkten
7000
6800
6600
6400
6200
6000
5800
5600

23000

23000

23000

23000

23000
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