Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

SEITE 2·SAMSTAG, 22.FEBRUAR2020·NR.45 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG


M


an soll jakeine Witze über
Epidemien machen. Was
wir derzeit anKandidatu-
renund Wahlverläufen erleben, legt
aber schon den Gedanken nahe, dass
auchParteien unter erhöhtenTempe-
raturen leidenkönnen.Wäre es nur
zu diesem ErfurterAusbruchgekom-
men, hätteman immer nochsagen
können: Haben halt schwacheAb-
wehrkräf te,die Ossis.Wiesollteman
auchsonsterklären, dassdie AfDge-
schlossen einen Liberalen (!) zum Mi-
nisterpräsidentenwählt,der allenfalls
vonder Frisur her denVorstellungen
vonHöckesStammwählerschaftent-
spricht?Undwie denVorschlag der
Linkspartei,eine vonihrabgelöste Mi-
nisterpräsidentinvonder CDU wie-
der ins Amt zu hieven? Weil der Ses-
seldesRegierungschefsnicht kaltwer-
den soll, bisRamelowwieder Platz
auf ihm nimmt? Man holt sichjaso
leicht eine Blasenentzündung.
DochauchimtiefenWestenzeigen
sichSymptome, die denVerdacht kei-
men lassenkönnten, dortbreitesich
einneuartigerErregeraus.Es istdoch
wirklichauffallend, dassalle vier bis-
her bekanntenFälle einer Infektion
mit Vorsitz-20 in der CDU inNord-
rhein-Westf alen auftraten–und auch
nochausschließlichbeiMännernmitt-
lerenAltersmitkatholischerKonfessi-
on. Gut, Jens Spahn istnochetwas
jung für das mittlereAlter ,aber doch
schon langefrühreif.
Nunkann man einwenden: Vier
Kandidaturenineinem Landesver-
band mitmehr als 120 000 Mitglie-
dern, das istnochnicht bedrohlich.
Dochwissen wir wirklich, ob das
schon dieganze Wahrheit ist? Die
Schwesterparteider CDU in China
hat ja auchganz langedas wahreAus-
maß der Epidemieverschwiegen.Und
bestätigenmusstedas Konrad-Ade-
nauer-HausschonzweiweitereBewer-
bungen. Allerdings will es dieNamen
nichtnennen,umdiebeidenPersonen
vorNachs tellungen durchdie Presse


zu schützen.Dochsind wir Journalis-
tenbei den herkömmlichen Medien
natürlichmindestenssodurchtrieben,
wieFriedrichMerzmeint. Weilwirsei-
neBotschaftennichtmehrtransportie-
renund–wasmitunterwirklichzeitin-
tensiv war–deuten müssen, haben
wir jetztganz vielZeit zumRecher-
chieren. Das Ergebnis: Bei den beiden
nochanonymen Bewerbernkann es
sich, wenn auchsie die Merkmale der
vier bekannten Aspiranten aufweisen
sollten,nurumJürgenRüttger sundEl-
mar Brok handeln.
Wieaber lässt sichverhindern, dass
die Infektion viralgeht und am Ende
derganzenordrhein-westfälischeLan-
desverbandCDU-Vorsitzender und
Kanzlerwerden will?Das wäre zwar
die ultimativeTeamlösung –doch
dann stelltedieAbgeordnetenschwem-
me im Bundestagunser kleinstesPro-
blemdar.AußerdemkanndieserErre-
geroffenbarauchWahrnehmungsstö-
rungen verursachen.Röttgen, einst
Muttis Klügster, phantasierte schon,
er sei der ersteKandidatgewesen. Die
drei, die vorihm ihreKandidatur
durch Schweigen erklärten, sagten
auchdazunichts.Dochdarfman wohl
davonausgehen, dasseiner glaubt, er
sei der Beste,ein anderersichfür den
Nettes tenhältund der Dritte bean-
sprucht, er sei der Spahnendste.
ZumGlückscheinenwenigstens
die Frauen an Rhein undRuhr immun
gegenden Drang zu sein, Annegret
Kramp-KarrenbauerundAngelaMer-
kelabzulösen.UndauchMarkusSö-
der weistnochgenügend Antikörper
auf, er lebt halt imgesunden Bayern.
Hoffentlich lässt er si ch weiter imp-
fen. Denn manstelle sichnur einmal
vor, Söder würde zum Bundeskanzler
gewählt:Dann würden seine Epigo-
nen auchinBayern für denTopjob
kandidierenwievomwildenAffenge-
bi ssen. Dobrindt,Weber,Scheuer –
wieder nurkatholische Männer!
Apropos:Wenn LaschetCDU-Vor-
sitzender,Kanzlerkandidat und dann
auchnochKanzler würde,wäre ja in
Düsseldorfein Posten frei, denRött-
genschon einmal habenwollte. Dann
müssten Versorgungslösungen nur
nochfür Spahn und Merzgefunden
werden. Um den Gesundheitsminis-
termachen wir unsgarkeine Sorgen,
denn die nächste Erreger-Welle
kommt auchinder CDU bestimmt.
UndMerzkönntejetzt ja jederzeit ein
Mandat im ElferratvonTwitter be-
kommen. bko.


FRAKTUR


W


iedergab es Kerzen un dBlu-
men.WiedergabesM ahnwa-
chen.WiederreistenBundes-
politiker an denOrt des
Sch reck ens,drücktendenAngehörigender
Opfer ihretiefeAnteilnahmeaus un dver-
sprachen, alles zu tun,damit in Deutsch-
land niemand in Angst leben müsse. Es ist
der dritte rechtsextreme Anschlagbinnen
einesJahres.Undeswiederholensichauch
die Reaktionenaus Politi kund Zivilgesell-
scha ft.„Wirkönnen nicht beiderBestür-
zungstehenbleiben“,sagteBundesjustizmi-
nisterinChristine Lambrecht(SPD)am
Freitag. Doch fürdie Politi kerwirdesim-
mer schwieriger, Versprechen zu machen,
Verunsicherung zu lindern.
Nach dem rechtsextremen Anschlag auf
die SynagogeinHalle im Oktober hattedie
Bundesregierung einenNeun-Punkte-Plan
zurBekämpfung desRechtsextremismus
undderHasskriminalitätvorgelegt.Manbe-
schloss,diesozialenNetzwer kezuverpflich-
ten,schwereStraf tate nzumelden, Kommu-
nalpolitikersollten bessergeschützt,das
Waffenrechtverschärftwerden.EinGesetz-
entwurfmitinsgesamtsechs Strafrechtsver-
schärfungen passierte erst diesen Mitt-
woch,also am frühenMorgendes Tattages,
dasBundeskabinett. Verschärfun gendes
Waffenrechtssindtagsdarauf,amDonners-
tag, in Kraftgetreten. Solche Ma ßnahmen
können nichtkünftig eAnschlägeverhin-
dern,abersiekönnenhelfen,gegendenVer-
trauensverlustanzukämpfen. Dochnun
wurdendieMaßnahmennacheinemTerror-
anschlag schonvomnächs tenüberholt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU)undLambrechtpräsentiertendaher
am Freitag kein weiteres Maßnahmenpa-
ketgegen Rechtsextremismus.„Wir for-
dernnicht mehrPersonal oder mehrPara-
graphen“, sagteSeehofer.Esgehe viel-
mehr darum, dassdie bes tehenden Mög-
lichkeitentatsächlichauchgenutzt wür-
den. Zusammen mit den Innenministern
der Länder habe erverabredet,die Polizei-
präsenz inganz Deutschland zu erhöhen,
vorallem an Bahnhöfen, Flughäfen und
imgrenznahenRaum.SensibleEinrichtun-
genmüssten verstärktüberwachtwerden.
Die Bundespolizeiwerdedie Länder,wo
nötig, unterstützen, sagteSeehofer.
Der Bundesinnenministerbeschrieb
den Rech tsextremismus als die „derzeit

höchs te Bedrohung für die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland“. Anschuldi-
gungen, die Sicherheitsbehörden nähmen
die Gefahr nicht ernstgenug, wies er zu-
rück. „DieseRegierung hatgegenRechts-
extremismus so vielgetanwie keine zu-
vor“, hob Seehofer hervor. Auch der Präsi-
dent des Bundeskriminalamts, Holger
Münch, sagte:„Wir sind nicht auf dem
rechtenAugeblind. DieFrageist nur,was
wir damit sehen.“ ImFall des mutmaßli-
chen Täters vonHanau, Tobias R., müsse
man nungenau prüfen,welche Anlässe es
gegebenhätte,dasRisiko,dasvonih maus-
gegangen sei,rechtzeitig zu erkennen, und
die Lehren daraus ziehen. Esgehe darum,
die richtigen Methoden zur Bewertung
vonPersonen, die zurTatentschlossen
sind,zufinden. „Dasist nicht trivial“, so
Münch.
Auch beim Waffenrecht sehenweder
Seehofer nochLambrecht unmittelbaren
Nachbesserungsbedarf. Sie signalisierten
aber,dassman „soweit geboten“ nachar-
beitenwerde. Im Dezember hat der Bun-
destagbereitsVerschärfungen beschlos-
sen, die inTeilen auf dasAttentat in Halle
zurückgehen. Nunmüssen die Behörden
vorder Er teilung einerWaffenerlaubnis
beim Verfassungsschutz in jedemFall,
auchohne besondereAnhaltspunkte, ab-

fragen, ob es über den Antragsteller Er-
kenntnisse gibt.Zudemgenügt die bloße
Mitgliedschaftineiner verfassungsfeindli-
chen Vereinigung zumEntzug derWaffen-
erlaubnis, und zwar auchdann, wenn die
Vereinigung nochnicht formell verboten
ist.Bestimmtegroße Magazine sindverbo-
ten, außerdem wirddas N ationaleWaffen-
registersoausgebaut, dasskünftig derge-
samteLebenszyklus einerWaffebehörd-
lichnachverfolgbarist.DiesebeidenPunk-
te gehen auf eine EU-Richtlinie zurück.
Seehofer erklärte die Verschärfung mit
demSatz:„Waffendü rfennichtindieHän-
de vonExtremistengelangen.“

N


un aber hatteoffenkundig wie-
der ein ExtremistWaffenlegal
besessen. Seit 2013 soll er die
Erlaubnis gehabt haben und
hattesichimJahr darauf zwei Pistolenge-
kauft. Erst kürzlichsoll dieWaffenbehör-
de, wiegesetzlichvorgesehen, seineZu-
verlässigkeit überprüfthaben, ohne dass
dabeietwa saufgefallenwäre.Alle drei
Jahremüssen die Behördendie Zuverläs-
sigkeit überprüfen. Dabeigeht esetwa
um dieFrage, ob es Anhaltspunktedafür
gibt, dassdie betreffende Person mitWaf-
fenoder Munition nichtvorsichtig oder
sachgemäßumgehenwird.AuchnachAn-

zeichen dafür,dassjemand Bestrebungen
gegendie verfassungsmäßigeOrdnung
verfolgt oder unterstützt, müssen die Be-
hördensuchen.WelcheBehörde dafür zu-
ständig ist, legen die Länder imRahmen
ihrer Verwaltungsorganisationselbs tfest.
Die Frageist nun, ob die Kreisverwal-
tungdesMain-Kinzig-KreisesinGelnhau-
sen,die fürTobias R. zuständigeBehörde,
schlampiggeprüfthat oder ob dieVer-
schwörungstheorien undVernichtungs-
szenarien, die der mutmaßlicheTäterof-
fenkundig imKopf hatte, nicht nachau-
ßen gedrungen sind–oder jedenfalls
nicht so, dasseine Behörde di es bei einer
standardmäßigenÜberprüfung bemerkt.
Ausdem Schützenverein jedenfallswar
zu hören, dassTobias R. sichnicht auffäl-
lig verhalten haben soll.
„Wir müssenuns anschauen, wie in der
Praxi süberdie Zuverlässigkeit entschieden
wird“ ,sagteLambre cht.Manmüssesichan-
schauen,inwieferneineWaffenbehördebe-
rücksichtigt und berücksichtigen kann,
dass sich der Inhaber einerWaffenerlaub-
nis bei anderen Behörden in auffälliger
Formgemeldethat,vielleichtsogaralsQue-
rulantaufgefallenist.TobiasR.hat,wieGe-
neralbundesanwalt PeterFrank bestätigte,
im vergangenenNovember in Karlsruhe
eine Anzeigegegen „eineunbekannteGe-

heimdienstorganisation“ gestellt.Darin
habeerargumentiert, dass der Geheim-
diens tsichindie „GehirnevonMenschen
einklinken“könne, um dasWeltges chehen
zu steuern, soFrank. Wirres Zeug also,das
sichauchsoä hnlic hindem Manifestfin-
det,dasTobiasR.aufseineInternetseitege-
stellt hat te.Hinweiseauf rechts extremes
Gedankengutseiendarinabernichtenthal-
tengewesen, sagte Frank. SeineBehörde
habezudemkeinen ZugriffaufWaffenmel-
deregi ster.Das Bundesinnenministerium
will nun prüfen, inwiefernman die Durch-
lässigkeithie rerhöhenkönnte.
Ob einePerson psychisch krank oder
debil ist, prüfen dieWaffenbehörden nur
vorErteilung einer Waffenerlaubnis –
undauchnur bei entsprechenden Hinwei-
sen. NurPersonen unter 25 Jahren müs-
sen vorder er stmaligen Erteilung einer
Erlaubnis auf eigeneKosten ein ärztli-
ches Zeugnis über ihregeistig eEignung
vorlegen. Wenn allerdings später Zweifel
an der psychischen Gesundheit aufkom-
men, so mussdie Waffenbehördeder Per-
son auferlegen, ein Gutachten einzuho-
len. Das istbereitsgeltendesRecht, die
Frageist nur,inwieweit dieseNormin der
Praxis angewendetwird. Auch darum will
sichSeehofer nunkümmern.

D

er Bundesinnenminister hob
hervor, dass in seinem Haus
schon geprüftwurde, obgene-
rell vorjeder Erteilungeiner
Waffenerlaubnisein eärztliche Beurteilung
eingeholtwerden müsse. DiesenVorschlag
habemanverworfen.Auchseigeprüftwor-
den, obWaffen in Sportvereinen deponiert
werden müssten, waszur Folgehätte, dass
großeWaffenlager entstünden.Der Bun-
desinnenminister warb für Verständnis:
Wenn eineVeränderung beschlossenwer-
de, gebe es sofortKritiker ,weil manchen
die Änderungennicht weit genug gingen
und anderen zuweit.Nachder An kündi-
gung, dasWaffenrechtzuverschärfen, hat-
te bereit sSeehofer massiven Protestvon
Seiten der Schützenvereine bekommen.
Am Freitag sprachenweder Seehofer
nochLambrecht über dieReformdes Ver-
fassungsschutzgesetzes.SeitMonatenver-
handeln sie darüber,obder Dienstdas
Rechtbekommen soll, verschlüsselte
Nach richten un dChats auszulesen,wofür
dieBehörde zurQuellen -Telekommunika-
tionsüberwachung und Online-Durchsu-
chung berechtigt werden müsste. Das
Bundesjustizministerium, das zunächst
große Bedenken hatte, will sichhier wohl
bewegen. Es istunklar,obeine solche
Möglichkeit hilfreichgewesen wäre,um
dem mutmaßlichenTät er vonHanau auf
die Spur zukommen. Schließlichsoll das
Instrument nur in sehr engen Grenzen,
beihohemVerdachteinerdringendenGe-
fahr für Leib, Leben oder anderewichtige
Schutzgüter,angewendetwerden.Undob
er unter Pseudonym imNetz kommuni-
zierte,ist Gegenstand der Ermittlungen.
Die beiden Ministerspekuliertendarüber
nicht .Wie es später hieß,wolle man sich
nicht denVorwurfeinhandeln, den Mas-
senmordvon Hanau für ein politisches
Vorhaben zu instrumentalisieren.

„Nicht auf dem rechtenAuge blind“:Justizministerin Lambrecht und InnenministerSeehofer amFreitag in Berlin Fotoepa

Nach derErmordungvonneun Menschen
mit Migrationshintergrund im hessischen
HanaustehtdieAfD imMittelpunkt einer
hochemotionalen politischen Diskussion.
Während die CDU-Vorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer keine 24 Stunden
nachder Tateinen unmittelbarenZusam-
menhang zwischen demWirken derPar-
teiamrechten politischenRand und den
Morden desTobias R. herstellte, wiesen
AfD-PolitikerebensoumgehendjedeVer-
bindung dieser Artzurück. Schließlich
handele es sichweder um einerechte
nochumeine linkeMotivation, sondern
um dieTateines „völliggeistig Verwirr-
ten“, wie es AfD-Fraktionschef Alex-
ander Gaulandformulierte.Unabhängig
davon, wie die Zusammenhängezwi-
schen einervomGeneralbundesanwalt
als „zutiefst rass istisch“ motivierten
Mordtat und derPolitik der AfD sind, so
steht dochfest, dassdie Alternativefür
Deutschland mit einem fremdenfeindli-
chen Kurs seit langem erfolgreichfür sich
wirbt.
Alexander Gaulandwarvier Jahrzehn-
te lang Mitglied der CDU.Und be vordie
AfD offensiv und zumTeil agg ressiv,be-
flügelt vomgroßen Zuwanderungsstrom
2015, auf die Anti-Ausländer-Karte setz-
te,hattedie CDU dasversucht.Wenige
Monatenachdemdieersterot-grüneBun-
desregierung in Bonn die Arbeit aufge-
nommen hatte, beschlossdie CDU An-
fang 1999 unter dem Druckder CSU,ge-
gendie PlänevonRot-Grün zur Einfüh-
rung einer doppeltenStaatsbürgerschaft
vorzugehen. Der damaligeCDU-Vorsit-
zendeWolfgang Schäuble willigteineine
Unterschriftenaktiongegendas Gesetzes-
vorhaben ein; Generalsekretärin Angela
Merkelwurde mit denWorten zitiert,
dassein Mehr an „Streitkultur“ auch
mehr Aufmerksamkeit für die CDU be-
deute. Der Spitzenkandidat der hessi-
schen CDU im Landtagswahlkampf,Ro-
land Koch, machtegerne mit.
Viele Wähler,viele CDU-Mitglieder
verstanden das als Möglichkeit, sichmit
ihrer Unterschriftgegen Ausländerauszu-
sprechen. Es dauertkeine Minute, um auf
YoutubeVideos vonCDU-Veranstaltun-

genaus jenemWahlkampf zufinden, in
denen mitgrößter Selbstverständlichkeit
Sätze wie „Deutschland den Deutschen“
in ein Mikrofongesprochenwerden. Mar-
tin Hohmann trat auf, jener Mann, der in-
zwischen für die AfD im Bundestagsitzt.
UndKochschafftedas vorher kaum Vor-
stellbare: Er siegtegegen die SPD und
wurde hessischer Ministerpräsident.Mit
ausländerkritischen odergar-feindlichen
Parolen ließen sichalso Wahlen gewin-
nen, hieß die Lehrefür die Union.
Dochnachder Jahrtausendwende än-
derte sichvieles.JürgenRüttgers,Landes-
chef derCDUinNordrhein-Westfalen ,äu-
ßerte Anfang des Jahres 2000 im Land-
tagswahlkampf in einem Interview, an-
statt Inder an die deutschen Computer zu
setzen, müssten „unsereKinder“ dortsit-
zen. Daraus wurde schnell dieZuspitzung
in den Medien „Kinderstatt Inder“–ein
Slogan, den dieRepublikaner übernah-
men. Rüttger sbrachte die CDU nur auf
37 Prozent, die SPD blieb an der Macht.

Das Vorgehen wurde
immer schmutziger
Die Wahl hatteam14. Maistattgefunden.
Gut einen Monat zuvorwarAngela Mer-
kelzur Vorsitzenden der CDUgewählt
worden. Dochdas warnochnicht die
Frau, die spätervonder AfDwegenihrer
Flüchtlingspolitik verunglimpftwurde.
VielmehrkämpfteMerkel, die Ende des
Jahres zurVorsitzendengewählt wurde,
nochdafür,das Wort „Leitkultur“ in der
Prog rammatik der CDU zuverankern.
Das tatsie SeiteanSeitemit jenem
Mann, mit dem sie sichzweiJahrespäter
überwarf,weilsieanseinerstattdenFrak-
tionsvorsitz im Bundestagübernahm:
Friedric hMerz.
Vondaansollteesnochfastdreizehn
Jahredauern, bis die AfDgegründetwur-
de. Zunächs tverstand sie sichals Partei,
die der Europapolitik Merkels kritischge-
genüberstand; später dann alsPartei, die
vorallem durch ihreFundamentalkritik
an der Asylpolitik derKanzlerinWähler-
stimmengewinnt.ImSommer 2015 spal-
tete sichder vorallem an der Europapoli-

tik interessierte Teil der AfDvondem,
dersic haufein eausländerkritischePositi-
on fixierte.Der Streit führte dazu, dass
die Partei zwischenzeitlichauf nur noch
drei Prozent in denUmfragen abrutschte.
Dannkamdie Wende. ImAugust
teilteder damaligeBundesinnenminister
Thomas de Maizière(CDU) mit, dasser
für das Jahr mit 800 000 neuen Asylsu-
chendenrechne. Damit begann der Hö-
henflug einerrechten Partei, wie die Bun-
desrepublik ihnnochnie erlebt hatte. Das
politische Geschäftmit der Angst, der
Wut und dem Hasswurde immer schmut-
ziger –unvergleichlichmit dem CDU-
Wahlkampf 1999.
Dabei gingen führende AfD-Politiker
auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise
so weit, das ssie dem EinsatzvonWaffen-
gewalt gegenFlüchtlingedas Wort rede-
ten. ParteichefinFraukePetrysprac hAn-
fang 2016 davon, man müsse, um illega-
len Grenzübertritt zuverhindern, „not-
falls auchvon der Schusswaffe Gebrauch
machen“. BeatrixvonStorch st immteihr
zu, schränkteaber wenig später ein, dass
nur auf Erwachsene, nicht auf Kinderge-
schossenwerden dürfe.
Nach dem Rückgang der hohen Flücht-
lingszahlenstelltedie AfDvorallem die
Gewalttaten, die durch Flüchtlingetat-
sächlichodervermeintlichbegangenwur-
den, in den Mittelpunkt ihrerPolitik.Ali-
ceWeidel,dieFraktionschefin imBundes-
tag, sprachstatt von„Masseneinwande-
rung“ von„Messer-Einwanderung“. Die
eingewanderten„Messerstecher“ könn-
tenjederzeit und allerorts zuschlagen. Im
Mai 2018 sagtesie im Bundestag: „Doch
ichkann Ihnen sagen, Burkas, Kopftuch-
mädchen und alimentierte Messermän-
nerund sonstigeTaugenichtsewerd enun-
serenWohlstand, dasWirtschaftswachs-
tumundvorallemdenSozialstaatnichtsi-
chern.“ Weidel nahm mit den „Kopftuch-
mädchen“ einen Begriff auf, den Thilo
Sarrazin acht Jahrevorher geprägt hatte,
und dessen Giftsichindie Debatteüber
Integ ration eingeschlichen hatte.
Da Deutschland zu viele Flüchtlinge
und Ausländer aufgenommen habe, setzt
sichdie AfD dafür ein, sie wieder in ihre

Herkunftsländer zurückzubringen–not-
falls mit Gewalt.Ineinem Interview-
Buch, das Ende 2018veröffentlicht wur-
de,spricht derThüringer AfD-Chef Björn
Höcke voneinem „großangelegtenRemi-
grationsprojekt“, bei dessenRealisierung
sich„menschliche Härtenund unschöne
Szenen nicht immer vermeiden lassen
werden“. Alexander Gauland ging im
Bundestagswahlkampf 2017 sogar so
weit, dasserinAussichtstellte, inZu-
kunftdie Integrationsbeauftragteder
Bundesregierung,Aydan Özoguz, „Gott
seiDank,inAnatolien entsorgen“ zu kön-
nen. Erreagierte damit auf eineÄuße-
rung vonÖzoguz, die eine „spezifisch
deutscheKultur“ jenseits der Sprache als
„schlichtnichtidentifizierbar“bezeichnet
hatte.

Höcke nennt den Islam
eine „Besatzungsmacht“

Zugleichstelltesichdie AfD seit 2016 als
Kraf tgegen den Islam dar,der als große,
mituntertödliche Gefahr für Deutschland
beschrieben wird. „Der Islam istansich
eine politische Ideologie, die mit dem
Grundgesetz nichtvereinbar ist“, sagte
Vize-Parteichefin BeatrixvonStorchim
Frühjahr 2016. Sieforderte ein Verbot
vonMinarettenund Muezzins. Gauland
sagte, der Islam sei „einFremdkörper“ im
christlich-laizistischen Deutschland, eine
Religion, „die immer mit derÜbernahme
des Staates“verbunden sei. AliceWeidel
nannteden Islam eine „Steinzeitkultur“.
Wermit ihr Kompromisse schließe, „der
landetimMittelalter“.UndBjörnHöcke
bezeichnete auf einerKundgebungvon
Pegida im Mai 2018 den Islam als „Besat-
zungsmacht“, dem man den „Zutritt nach
Europa und nachDeutschland“verweh-
renwerde. Wenn die AfD erst einmal die
Macht habe, so Höcke in einerRede An-
fangJanuar2018,„werdenwirdieDirekti-
ve ausgeben, dassamBosporus mit den
drei großen M,das heißtMohammed, Mu-
ezzin und Minarett, Schlussist“.
In engerVerbindung mit abwertenden
ÄußerungengegenüberAusländernund
demIslamstehtfürdie AfDdasThemaei-
nes homogenen deutschenVolkes, dessen

Existenz es zuverteidigengelte. Gauland
stellt dasVolk sogar über dieVerfassung.
Jene liebe man nicht, aberwohl dasVolk.
Die Verfassungkönne manverändern.
„Identität,Nationales,Kultur kann man
nicht verändern“, sie seien „angeboren“,
so Gauland auf demKyffhäusertreffen
der AfD im Juni 2016.Auch Höcke wand-
te sichgegen die „multikulturelle Gesell-
schaft“, denn erwolle „die deutsche Ge-
schichteweiter schreiben“.Fürihn ist
eine multikulturelle Gesellschaftzu-
gleicheine „multikriminelle Gesell-
schaft“. DerRegierung und den„Altpar-
teien“ unterstellt die AfD, sie betrieben
absichtlicheine Politik,damit „die Deut-
schenverschwinden“, so Höcke.Die eta-
bliertenParteien, so Gauland, „lösen un-
ser Deutschland auf wie einStück Seife
unter einem lauwarmenWasserstrahl“.
Das deutscheVolk solle ersetztwerden
durch aus allen Ländernherbeigeholte
Menschen.
Eine direkte LinievonÄußerungen der
AfD-Politiker überAusländer,den Islam
oder die angebliche Bedrohung des deut-
schenVolkes zu dem Mörder in Hessen
gibt eswohl nicht.Dochder Umgang mit
ÄngsteninderBevölkerungunddasSchü-
renvon Ressentiments und Hass prägen
ein Klima in der Gesellschaft,vondem
sichTatenwieHanauoder Hallenichtlos-
lösen lassen. Die Psychologin Anne Otto
hat imvorigenJahr ein Buchüber dieUr-
sachen des Hasses in der politischen De-
batteveröf fentlicht.AnersterStelle stün-
den „Hassund Wut“, auch„Angstund
Sorge“gehörtendazu. Emotionen, die
aus der„Volksseele“ entstünden, solle
zwar eine „gewisse Berechtigung“ zuge-
sprochenwerden, sie solle aber nicht für
eine „Deutungshoheit“genutzt werden,
schreibt Otto. DenVergleichzum Thera-
piegesprächbemühend führtsie aus:
„Wer glaubt, dassProfi-Seelenklempner
die ,Sorgenund Ängste‘sowie auc halle
anderen Emotionen ihrerPatienten und
Klienten permanent und durchwegernst
nehmen, der irrt sichgewaltig.“ Dochmit
der AfDverhält es sicheben anders. Sie
will ihren Wählernnicht Ängste nehmen,
sondernpolitisches Kapital aus ihnen
schlagen.

Kandidaturen Was nach der Bestürzungko mmt


Stimmenfang mitd er Angstvor dem Fremden


Die CDUhat sichdavon abgewandt, die AfD machtmit dem HassGeschäfte /VonEckartLohse undMarkusWehner,Berlin


Nach demAttentatvon


Hanauwird wiede rüber


die Verschärfu ng des


Waffenrechts diskutiert.


Waskönnt edas


brin gen?


VonHeleneBubrowski,


Berlin


Wievom wilden Affengebissen:
Symptome auchimtiefenWesten
ZeichnungWilhelm Busch

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