Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Unternehmen SAMSTAG, 22.FEBRUAR2020·NR.45·SEITE 21


F


ast800 Millionen Chinesenkön-
nen sichnachmancher Schät-
zung in China nicht mehr frei be-
wegen, seit dieFührung zweiwö-
chigeQuarantäne fürRückkehrer ange-
ordne that, vielerorts die Menschen nicht
ausihremWohnblockodergarihren Woh-
nungen lässt und eineRegion vonfast60
Millionen Menschen praktischvon der
Außenwelt abgeschnitten hat.Die drako-
nischen Maßnahmen,verfügt vonPräsi-
dent Xi Jinping persönlich, haben die
Wirtschaf tvielerorts zum Erliegenge-
bracht–und lassen in einemseltenen Akt
vonZivilcourageUnternehmerundMana-
gergegen die allmächtigeFührung aufbe-
gehren.
EssindnichtAusländer,dieKritikwa-
genammassenhaftenFreiheitsentzug.
Stephan Wöllenstein etwa ,Statthalter
des deutschen VW-Konzerns, der in Chi-
na zweivondrei Volkswagenverkauft,
sorgt einden vergangenenTagenviel-
mehr mitgroßem Lob dertotalen Ab-
schottunggegendas Virusfür Aufsehen,
die viele seinerFabrikenweiterhin lahm-
legt.Selbstwenn diese den Betrieb wie-
deraufnehmen dürften, wäre wohl kaum
jemand da, der die Maschinen bedienen
könnte–hängen dochgeschätzt 300 Mil-
lionenWanderarbeiter in China in ihren
Heimatdörfern und -s tädten fest.
„Niemals habe icheine Nation mit ei-
ner Gesellschaftvon solchkollektiver
Hingabe gesehen,ingroßemAusmaßper-
sönlichesWohlzuopfern,umdieDinge
zum Besseren zuwenden“, schrieb Wöl-
lenstein im Netzwer kLinkedin,was7500
positiveBewertungen und 600 meistbe-
geisterteKommentarevor allemvonin
Chinatätigen Ausländernerhielt.

Zwar fiel die Hymne nicht so schrill
auswie die Ergebenheitsadressen,diechi-
nesischeKader gegenüber Xi abgeben,
der vorein paarTagenhat verkünden las-
sen, dasserals einer der Ersten die Krise
klar erkannt und Befehle zur Einhegung
des Virusgegeben habe, die leider in Wu-
hannicht befolgtworden seien.Xis späte-
re Order ,die 11-Millionen-Einwohner-
Stadt komplett abzuriegeln, spiegele die
„großen Gefühle, die Sorge,die Verbun-
denheit, denRespekt und dasWohlwol-
len desVolksführersfür dasVolk“ wider,
schriebetwa der stellvertretende Propa-
gandachef der Provinz Yunnan.
Überraschenderweise sind eschinesi-
sche Unternehmer und Manager,die ge-
genüber der eigenen, auchdie Wirtschaft
beherrschendenFührung Kritik an der
KompromisslosigkeitvonPekingsradika-
len Schrittenwagen. Schließlichhat der
Rüc kzu gdes meinungsfreudigen Alibaba-
GründersJackMagezeigt, dassesbesser
ist, alsUnternehmer in China zu schwei-
gen.
Die Regierung müsse endlich„realis-
tisch“ denken und die Blockade der Auto-
bahnenaufheben,dami tAnges tellteund
Arbeiterin ih re Fabriken zurückkehren
könnten, schrieb unerschrocken derVer-
treter des Internetkonzerns Sina in der
Provinz Shaanxi,Fu Shishan,imKurz-
nachrichtendienstWeibo, der mehr als
500 MillionenNutzer hat.Die Zahl der
Neuinfizierten sei fastzweiWochen lang
Tagfür Tagzurückgegangen, die Krise sei
offensichtlichunter Kontrolle.
Wang Ran, Vorstandschef derPekinger
Investmentbank CEC Capital, nanntees
auf Weibo „lächerlich“, dassBewohner

nun „Zutrittsausweise“ für ihren Block
brauchten,nachdenennur einMitgliedje-
desHaushalts denHofzumEinkaufenver-
lassen darf–und das für höchstens zwei
Stunden.Überhauptkönne er nur hoffen,
dassdie Desinformation und Intranspa-
renzderParteizuBeginnderKrise inWu-
han sichnicht wiederholten, mahnte
Wang. Schließlich habe diechinesische
Gesellschaftdafür einen„hohenPreis“be-
zahlt.Völlig „nutzlos“ seien zudem die
verkündetenHilfen, mit denenPeking
kleineundmittlereUnternehmenwiesei-
nes vordem Konkur sbewahrenwolle,
schrieb der Gründer der Hotelkette Oran-
ge Crystal, Wu Hai.
Am umfassendstenzerlegt eder
Gründer desgrößtenReisekonzerns im
Land Pekings Krisenpolitik.Ohne die
Massenquarantänewäre die Markevon
6Milliarden DollarUmsatz im Jahr für
den Schanghaier Online-Reisevermittler
Trip.com nahgewesen. DerKurs vondes-
sen Aktie, die an derNewYorkerTechno-
logie-BörseNasdaq notiertist,hat sic hin
den Jahren 2015 bis 2017fast verdoppelt.
Seit in China Hunderte Millionen Men-
schen nichtreisen dürfen, is tder Aktien-
preis um 13 Prozentgesunken.
Dassernur ans Geschäftdenkt, diesen
Vorwurfkann man Trip.com-Gründer
James Liang nicht machen. Der 51-Jähri-
ge,der als Jugendlicher in denVereinig-
tenStaaten studierte,für den Datenbank-
anbieterOracle arbeitete und 1999 in
Schanghaimitdre iMitstreiterndenReise-
veranstalter Ctripgründete,gab aus Lan-
geweile 2006 dessenFührung ab–und
promovierte in Wirtschaftswissenschaf-
tenander amerikanischenStanford-Uni-
versität.

Der Ökonom, der bereits 2012 zusam-
men mit 30Wissenschaftlernein Ende
vonPekings Ein-Kind-Politik geford ert
hatte, lässt an Chinas Massenquarantäne
in einemAufsatz unter demTitel„Wel-
chen Preis hat das Leben?“kaum ein gu-
tesHaar.„Mit extremen Schockmaßnah-
men alles zu opfernist nicht der Sieg, den
wir brauchen, es istnochnicht mal ein
schrecklicher Sieg“, schreibt Liang in
demAufsatz,der dieserTageinChinasso-
zialen Netzwer kenhunderttausendfach
weiter geschickt wird.Um die Sicherheit
vordem Viruszuwahren,habedieGesell-
schaf teinen „heftigen Preis“ bezahlt, der
ihrer „Lähmung“gleichkomme.
Er glaube an den gutenWillen Pekings,
schreibt Liang. Dochdassinder Viruskri-
se selbstKrebs- und Aidskrankeaus den
Krankenhäusernverwiesen würden, um
Platz zu schaffen, sei nicht akzeptabel.
Unternehmen könnten nicht arbeiten,
weil es an Mundschutzmasken fehle,
dochfür deren Herstellung brauche man
ebenArbeiter.AllewissenschaftlichenEr-
kenntnisse deutetendarauf hin, dassviele
Quarantänemaßnahmen, die vorallem
vonLokalregierungenverhängt würden,
völlig überzogen seien.
„Unvermeidlich“ sei es, dassausländi-
sche Unternehmen nunverstärktüberleg-
ten, chinesischeZulieferer zu ersetzen, so
Liang.Für Chinas Industrie sei das „ein
Schlag, schrecklicher als der Handels-
streit“. Dassdie „exzessiveIsolation“ al-
leror tendurch „übertriebenePanik“ zu-
stande gekommen sei, die ChinasWirt-
schaf t„zerstören“könne –das hat Xi Jin-
ping wohl noc hnicht gehört.

   



  

    

   

 
 
 


 




      




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Manager gegen


Peking


In der Viruskrise istmehr als die Hälfte des


Milliardenvolkseingesperrt.Grausam und unnötig


sei das, sagenUnternehmer–und riskieren viel.


VonHendrik Ankenbrand, Hongkong


ReiseunternehmerJames Liangwagt sichmit seinerKritik weit vor. FotoLaif
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