Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

SEITE 32·SAMSTAG, 22.FEBRUAR2020·NR.45 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


3


00 000 Dollar sind viel Geld.
Aber vielleicht ein bisschenwe-
nig für einevonBruce Spring-
steen signierte Harle yDavidson plus
eineFende r-Gitarre ausseinerSamm-
lung. Egal.Warjafür einen guten
Zwec k, diese Versteigerungkür zli ch
beim Gala-Dinner auf einerFarm in
Wellington, Florida. Der Bossschaff-
te es sogar,den Preis nochein biss-
chen indie Höhezu treiben, indem er
versprach,voneinem gewissen Ge-
botanzusingen, und dastaterdann
auchzur Begeisterung eines Saales
voller Pferde-Enthusiasten, die für
die amerikanischen Mannschaften
bei den Olympischen undParalympi-
schenSpieleninTokiozusammenleg-
ten. DerZugang zurWelt der Reiter
habe sein Leben und das seinerFrau
Patti Scialfazutiefstbereichert, sagte
Springsteen. IhreTochter istkeine
vondiesen reichen Töchtern, die
manzumReitenschickt,damitsiewo-
anderskeine Dummheiten machen.
Jessica Springsteen steht aktuell auf
Platz drei der Charts–der nationalen
Springreiter-Rangliste nämlich. Es
istalso gut möglich, dasssie dem-
nächs tinTokio mit der amerikani-
schen Mannschaftden Parc ours
rocken wird, und daswäre ja wohl
der Hit.

CHAPEAU


Z


ugegeben: Es istschwierig,
mit leidenschaftlichen Sport-
schützenüberdieFragezudis-
kutieren, ob sie wirklichunbedingt
mit potentiell tödlichenWaffen han-
tieren müssen. Dastößt man auf so
tref fende Argumentewie: Geht’s
noch? Oder auch: Heutzutagesoll ei-
nem wohl überhauptnichts mehr
Spaß machen. DenVorschlag, künf-
tig vonFeuerstöcken gänzlichauf
Lichtpunktgewehreund Laserpisto-
len umzusteigen, wie das imTraining
ohnehinschongeschieht,beimSchie-
ßen für Kinder und Jugendliche oder
auch, sogar im olympischenRahmen,
beim ModernenFünfkampf, weisen
sie vonsich. Dakönnten sie doch
gleichvollends aufRaumvermessung
umsatteln, sagen die Hardliner.An-
geblichhat das Sportschießen über-
hauptnichts mit dem Gefühl der
Macht zu tun, das eineWaffeeinem
Menschenverleihen kann. Auch von
Nervenkitzelkeine Rede. Esgeht den
ballernden Breitensportlernviel-
mehr um dieKunstdes Schießens.
Dazu gehörtzum Beispiel, dassman
die Parabel abschätzen muss, die ein
reales Geschossauf seiner Flugbahn
nehmen wird. Das isteinzusehen.
Darum hier einVorschlag zur Güte:
Wiewäreesmit Kugelstoßen?

VonEvi Simeoni


Ü


ber dem Anfang
schwebt eine weiße
Wolke. Si eist gut zu er-
kennenaufallenFotos,
die den Momentfest-
halten ,als Oskar,ge-
nannt„Ossi“,Rohr,der
Mittelstürmer desFC
Bayern München, in
der 36. Minute desEndspielsumdie deutsche
Meisterschaftden Ball vomElfmeterpunktaus
in dierec hte obereEckedes vomerfahrenen
Ludwig Schmittgehüte tenTorsder Frankfurter
Eintrachtschickt.„ErhateinbisschenindenBo-
den getreten, daherkommt dieweißeStaubwol-
ke“, erzählt GernotRohr,Großnef fe Ossi Rohrs
und ehemaligerFußballprofibei Ba yern Mün-
chen un dGirondinsBordeaux und internationa-
ler Trainer ,amTelefonvonseinemWohnort
nahe Bordeauxaus. Ob wohl er st 20, übernahm
Rohr,der im Vorjahrvom VFR Mannheim nach
München gekommenwar, die Verantwortung.
Es warder FührungstrefferimEndspiel um die
deutscheFußballmeisterschaftam12. Juni 1932
inNürnberg.Esendete 2:0,unddieBayernfeier-
tenihren ersten Meistertitel. OskarRohr war
schon als Jugendspieler durch seine Torgefähr-
lichkeit aufgefallen; seinTrainer RichardKrohn,
genannt Dombi, hatte ihn mit zu den Bayernge-
nommen.Indiesen Tagenerscheintunter dem
Titel„EinLebenfürdenFußball“imCarlsen
VerlageineGraphicNovel,diedenheutefastver-
gessenenStürmer OskarRohr zurück auf die
Bühne holt,die ihmgebührt:„Er hätteder Gerd
Müller oder derRobertLewandowskiseinerGe-
neration seinkönnen“,sagt der inNewYorkle-
bende Autor JulianVoloj, der zusammen mit
dem Zeichner Marcin Podolec dieGeschichte
Rohrserzählt,„abererwurdezurtragischenHel-
denfigur.Das hat michgereiz t.“
Oskar machteinM ünchenrasanteFortschrit-
te.Schon mit 19 bestritt er sein erstes Länder-
spiel. „DerRohr entwickelt sich! In schnellem,
weitmaschigemDribblinggehte rnachvorn!“So
kommentiertRadioreporterPaul La ven, den die
Nazis au ch politischeVeranstaltungen übertra-
genlassen, Rohrsdrittes Länderspiel, die
1:3-Niederlagegegen Italien am 1. Januar 1933
ausBologna.EswarOssi,derdie deutsche Elfin
Führun ggebracht hatte.Dassernicht mehr als
vierLänderspiele bestreiten durfte, in denen er
fünfToreerzielte, lag an seiner Entscheidung,
imHerbst 1933seinemjüdischenTrainerDombi


in die Schweiz zu Grasshopper Zürichzufolgen,
um Profizuwerden .Dawar de rjüdische Präsi-
dentKurtLandauer,von den Anfeindungen der
Nazis entmutigt, schonlängstzurückgetreten.
DenProfessionalismus bekämpftendie Funk-
tionär edes DeutschenFußball-Bundes (DFB)
seitden frühen 1920er Jahrenmit geradezu neu-
rotische rObsession.Felix Linnemannwetter te
gegeneinen„Krankheitsstoff“ ,der geeigne tsei,
„demVolkssportdas Lebenslichtauszublasen“.
Als DFB-Präsidentqualifizierte er den Profifuß-
ballabals„asozial“.ImKriegwarKriminaldirek-
torLinnemannverantwortlichfürdieDeportati-
on vonSinti un dRoma insKZ.Ind ieserhistori-
schen Situationstandder junge Stürme rstar
Ossi Rohrvor der Entscheidung, ob erweiter
miteine mMonteursgehaltvon180 Markneben-
beibeidenBayerngegeneinegeringeAufwands-
entschädigungspielenoderdenSchrittinsProfi-
lager und damitins Auslandwagen sollte.
Gernot Rohr glaubt, dass sein Großonkel
nicht alleindes Ge ldes wege nwechselte: Er
habe sich im veränder tenKlimainMünchen
nicht mehr zurech tgef undenund sich solida-
rischmitde mTrainerunddemVorsitzendenge-
fühlt,sagtder66-Jährige,deralsSpielerdiefran-
zösischeStaatsbürgerschaftange-
nommen hat. Er ziehtParallelen
seiner Biographie zurKarriere
desGroßonkels:Beidehaben sie
fürdieBa yerngespielt,beidefan-
den ihr GlückinFrankreich.Bei-
de warendas jüngste Kind i nei-
nerReihevon fünf Brüdern und
einerSchwester:„Daswar wohl
derGrund,warum ichals Kind
seinLieblingwar. Wirhatten in
derFamilie ein sehr herzliches
Verhältnis.“ DieRohrs,das war
eine Fußballdynastie überdrei
Gene rationen.GernotsVater
Philipp,genanntFips,hattemit Os karnochzu-
sammengespielt undimmerwieder erzählt, was
füreinun gemein gefährli cherStürmerOssi war,
nicht sehrgroß,mit kräftigem Schuss, antritts-
schnell ,kombinationsstark, auch mit demRü-
cken zumTorjederzeit präsent .„Ein Typwie
Gerd Müller“, sagt Gernot Rohr.
Sein letztes Länderspiel machteOssigegen
Frankreich. Beinahe hätte die Begegnung am



  1. März1933 nichtstattgefunden. DieFranzo-
    sen hattenernsteBedenken, die Pressewarnte
    vorder „Mobilmachstimmung“inBerlin. Oskar
    Rohr steuerte im ausverkauftenGrunewaldsta-
    dion zweiTrefferzum 3:3-Endstand bei. Dann
    kamder Wechsel zu den Grashoppers. Doch
    die Schweizer Behördenmachten Schwierigkei-


tenwegen der Arbeitserlaubnis, und soverließ
Rohr das Land schon nachwenigenMonaten,
vonFreundenimKofferraum einer Limousine
überdie GrenzenachFrankreic hgeschmuggelt,
und unterschriebbei Racing Straßburg. Dort
spielte sichOssiindie Herzen derZuschauer,
schos sToreamFließband undwarglückli ch.Er
verdiente 4000 Mark, bekam zurVertragsunter-
schrif tein Cabriolet, mit dem er sichstolz in
Mannheim bei seinenElter nzeigte. Ergenoss
dasLebeninvollenZügen,auchdasZusammen-
seinmitdenMannschaftskollegenindengemüt-
lichenBierkneipenderengen,mittelalterlichge-
prägtenStraßburgerAltstadt.Voloj undPodo-
lecimaginiereninihrerGraphicNoveleineSze-
ne am Biertisch;die Mitspieler
fragen Ossi, ob er sichdenn nun
als Deutscher oder alsFranzose
fühle:„Als Elsässer“, lautet die
Antwort.Mit 30 Treffern wurde
er Torschützenkönig der Saison
1936/37; mit Racing wurde er
Zweiter und Dritter der Meister-
schaf tund er reicht edas Pokalfi-
nale, dasgegenden ewigen Riva-
len Sochaux knappverlorenging.
Mit 117 Erstliga- Torenist Ossi
Rohr bis heuteder er folgreichs te
Torschütze vonRacing.ImEl-
sasshat seinName nochimmereinen guten
Klang,und auchGroßneffe Gernotwirdin
Frankreichhäufig auf ihn angesprochen.
In Deutschland aber ächteten ihn dieNazis
alsVaterlandsverräter. „DasbekamauchdieFa-
milieinMannheimzuspüren“,soGernotRohr.
Als dieWehrmacht 1940 inFrankreicheinmar-
schiert, setzt sichOssinachSüden ab in die so-
genannte„freie Zone“, spielt dortbeim FC
Sète. Dannverliertsichseine Spur,erist stän-
dig auf der Fluchtvorder französischen Polizei
und der Gestapo. WasimEinzelnen passierte,
darüber gibt es widersprüchliche Angaben.
Undvieles liegt im Dunkeln. Etwadie dramati-
schenUmstände seiner Flucht. In einem Ge-
denkband des elsässischenFußballverbands ist
sogar voneiner Mitgliedschaftinder Fremden-
legion dieRede. Auch GernotRohr weiß aus
den spärlichen Erzählungen imFamilienkreis
voneinem zwischenzeitlichenAufenthaltOssis
in Nordafrik azuberichten.Aber der Großon-
kelhabe nur ungern
über diese Zeit ge-
sprochen.Kein Wun-
der,schließlic hging
er der Polizei ins
Netz, wurde zunächst
in Frankreichinter-
niertund dann ins KZ
Kieslau beiKarlsruhe
gebracht .Auf Inter-
vention Sepp Herber-
gers sei er nachacht
Wochen freigekom-
men, so erzählt es Ger-
notRohr.
AutorJulianVoloj
folgtinder GraphicNo-
velden Be richtendes
nur sechs Jahrejünge-
renFipsRohr,Gernots
Vater, der erzählte, Ossi
seiinMarseill ege-
schnapptworden .Voloj
und Podolec situieren
die Festnahm einunmit-
telbarem zeitlichen Zu-
sammenhangmitderZer-
störung der Marseiller
Altstadt dur ch die Deut-
schen Anfang 1943.Voloj
und Podelecmeistern die
Gratwanderung zwischen
dem Leichten unddem
Schweren bravourös. Im-
merwiederwerden Perso-
nender Zeitges chicht ein-
tegriert, vonWalterBense-
mann, dem jüdischen
Gründerdes Sportmaga-
zins„Kicker“,biszumame-
rikanischen Journalisten
und Fluchthelfer für viele
deutsche IntellektuelleVa-
rian Frey.Das macht die
Stärke undDichtedieserEr-
zählung aus, die eindring-
lichvermittelt,wie Sport
und Politik zusammenhän-
gen, auc hund gerade, wenn
einereigentli ch unpolitisch
warund „nurFußball spie-
lenwollt eund sonstnichts“,
wie Voloj selbstseinenProt-
agonistenbeur teilt.
Dre iTagenachseinerEntlassung ausdem
KZer reicht Rohrder Einberufungsbefehlan die
Ostfront: „Umdortzusterben“ ,sagt Voloj.
Docheskommt anders.Rohr wi rd verletzt,war-
tetvoreinemvollbes etzte nFlugzeu gaufdi eRet-
tung –den FlugnachHause .„DerOssimuss
mit“, dringt der Pilot,ein Ba yern-Fan ,nachder
ErzählungGernot Rohrsdarauf,dassderMann-
heime rindie volle Maschine darf.Inder Versi-
on vonVoloj undPodolec hatder Pilot vordem
Endspiel 1932vonRohreine vomPräsidenten
gestiftete Freikar te bekommen und erinnert
sich an da sGesich tdes früheren Bayern-Spie-
lers. Die GraphicNovel endetmit OssisRück-
kehr aus dem Krieg undseiner Entscheidung,in
Deutschlandzubleiben .Imwahren Leben hat
er noc heinig eJahre Fußballgespielt, schaffte
alsSpielertrainerunteranderemmitdemFKPir-
masens dieRückkehr in dieOberligaSüdwest,
in der der Clubaus derWestpfalzgegen Ende
derfünfzi gerJahrezum großen Rivalen des 1.
FC Kaiserslauternwerde nkonnte.Ossi heirate-
te Josefine,fandeinen Job beider Mannheimer
Stadtver waltungundlebteimKreisderfußballe-
rische nGroßfamiliebis 1988.
Die GraphicNovelist auchauf Französisch
erschienen. GernotRohr hat sie seinen jüngs-
tenKindern, Johann und Elise,vorgelesen. Bis
heutearbeitet er als Trainer.Erist verantwort-
lichfür die NationalmannschaftNigerias; dem-
nächs tstehen QualifikationsspielegegenSier-
ra Leone an. An seinen Großonkel Ossi erin-
nertersichvoller Liebe: „Erwarein toller Typ,
ein feiner Mensch, lebenslustig. Ichbin sehr
stolz auf ihn. Sein Lebenwareinmalig, drama-
tisch, abenteuerlich,glücklich.Trotzalledem.“

ATTAQUE


FotosUllstein Bild, „Ein Leben für den

Fussball“, Oskar

Rohr ©Julian Voloj &Marcin Podolec 2019, Carlsen

Verlag GmbH

•Hambur

g2020

Hit

vomBoss

Schuss

ohne Geschoss

sid. FRANKFURT. Fanpostist ver-
mutlichnichts Ungewö hnlichesfür
Teammanager JürgenKlopp vomFC
Liverpool.Nunschickt eein zehn Jah-
re alter Fußballfan allerdings einen
Beschwerdebrief, und KloppsReakti-
on sorgtefür Aufsehen in England.
„Liverpoolgewinnt zu viele Spiele“,
schrieb Daragh Curleyandie Adres-
se de sungeschlagenen Spitzenreiters
der Premier League:„Wenn Sie noch
neun weiter egewinnen, dann haben
SiedenlängstenLauf inder Geschich-
te des englischenFußballs.Für mich
als Fanvon ManchesterUnited ist
das sehr traurig.“ Das Anliegen des
Jungen daher:„Wenn Liverpool das
nächs te Mal spielt, dannverlieren Sie
bitte. Lassen Sie einfachdas andere
Team Tore schießen. Ichhoffe,ich
habeSieüberzeugt,nicht dieMeister-
schaf toderjemalswiedereinSpiel zu
gewinnen.“ZurÜberraschung derFa-
milie Curleyantwor tete Klopp per-
sönlichauf den Brief, lobteDaraghs
LeidenschaftfürdenFußballundteil-
te mit, dassManchestersichglück-
lichschätzenkönne, einen solchen
Fanzuhaben. „Leider“, schrieb
Klopp,„kann ic hDeinenWunsch
aber nicht erfüllen, zumindestnicht
freiwillig. Es isteben mein Job, alles
zu tun, damit Liverpoolgewinnt.“

Ein Fußballer-Lebeninfinsteren Zeiten:

DerStürmer OssiRohr wollteeigentlichnur

Tore schießen.Trotzdem geriet er ins

Räderwerk der Politik ,wurde verfolgt und

eingesperrt.VonPatric Seibel

„JürgenKlopp,


verlieren Siebitte“


„Er warein


toller Typ“


Bilder aus der
GraphicNovel:
Endspiel der
deutschenFußball-
meisterschaft1932
zwischen Bayern
München und
EintrachtFrankfurt.
OssiRohr
verwandelt den
Elfmeter für Bayern.

OskarRohr im deut-
schenNationaltri-
kot:Erdurftenur
vier Länderspiele
bestreiten,weil er
1933 vonBayern
München zu Gras-
shopperZüric hund
damit ins Profi-
Lagerwechselte.
Free download pdf