Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

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Viele Langzeitarbeitslosewerden


Lagerarbeiter oderReinigungskräfte.


Mehr verdienen ließe sichaber im Büro.


Kommerzielle Anbieterversprechen,Studierende


für viel Geld durchsExamen zu schleusen.Was


bringt das wirklich?


Viele Studierendefordernschon länger mehr


Digitalisierung an derUni. Jetzt lernen manche


schon mit Hilfevon VR-Brillen.


S

achen gibt’s,die sollteesgar
nicht geben. „Wie kann man
Arbeitssüchtigeerkennen?
Können Sie uns dabei hel-
fen? Solche Leutebrauchen
wir!“ Die Anfrage, dieStefan
Poppelreuter in Bonn erreichte, warernst
gemeint.Selbstverständlichlehnteder
promovierte Psychologeaus guten Grün-
den ab. Denn Arbeitssüchtigemit
60-Stunden-Wochen mögen auf den ers-
ten, oberflächlichen BlickAusbeutungs-
phantasien skrupelloser Chefsbedienen,
auf den zweiten Blickzeigen sie eineTra-
gik: Werviel zu viel arbeitet,wessen Den-
kenund Handelnfast ausschließlichum
seine Arbeit kreist, der tutweder sich
nochdem Unternehmen einen Gefallen.
Auch wenn kurzsichtigeChefsdas zu-
nächs tanderswahrnehmen.Poppelreu-
terist einer derwenigen Experten, die
sichwissenschaftlich mit dem Thema Ar-
beitssuchtauseinandergesetz thaben. „Ar-
beitssüchtigebetreibenRaubbau an ihrer
Gesundheit“, sagt er.„Sie fallen aus,ver-
ursachen soziale Schäden,stellen viel zu
hohe Anforderungen. Sie sind nicht in
der Lage, mobiles Arbeiten anzuerken-
nen, undkeine Teamarbeiter.“ Die Bre-
mer Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike
Emma Meißner beschreibt Arbeitssucht
garals „Unternehmensrisiko“. Denn Ar-
beitszeitundArbeitsleistungsteheninkei-
nem linearenVerhältnis zueinander.Prä-
sentismus solltesicheigentlichüberholt
haben. Dagegen spricht Poppelreuters
Schätzung, dassetwajeder Siebtevon Ar-
beitssuchtgefährde tist.
Ab wann is tjemand nicht tüchtig, son-
dernarbeitssüchtig? Das lässt sichtesten.
ZumBeispiel durch die 36 Online-Fragen
eines„Arbeitssucht- Tests“, dendieMann-
heimer Psychotherapeutin DorisWolf auf
ihreWebsitegestellt hat: Mache ichlän-
gerals ein halbes Jahrständig Überstun-
den? Bin ichselten mit mir und meiner
Arbeit zufrieden?Übernehme ichimmer
mehr Aufgaben, habe aber den Eindruck,
immerweniger leistenzukönnen? Ist
mein Arbeitsplatz der Ort, an dem ich
michamwohlstenfühle? Wassichzeigt:
Es geht nicht darum, für ein Sonderpro-
jekt zweiWochenenden hintereinander
durchzuackern,sonderndas alsNormal-
und nicht alsAusnahmezustand vorzule-
ben. Arbeitssüchtigedelegieren nicht,
kontrollieren viel, sprechen fast aus-
schließlich über ihre Arbeit und haben
mit ihrer „Icharbeite, also bin ich“-Hal-
tung jedes Maßverloren.
DieDosismachtdasGi ft,aberkompl et-
te Abstinenz funktioniertbei dieser Sucht
natürlichnicht .„Es geht um das Phäno-
men, dassMenschenkeine Grenzen zie-
hen können“, erklärtCorneliavanden
Hout.Die Psy chologin aus BadNauheim
bietetResilienztrainings an, die dringend
vonnötenseien, wenn sic hArbeitszeiten
ins Unendliche auflösen. „Icherlebe
Klienten, diegehen abendsmit Handy ins
Bett und schreiben mir Mails um 4.30
Uhr.Flexibl eArbeitszeiten–das hört
sichprickelnd an, aber Sie habenkeinen
Rahmen mehr.“ In der Praxis der Thera-
peutin klagen die Klienten aber nicht
über zu viel Arbeit, sondernüber Bezie-
hungsstress und sexuelle Probleme.
„Wenn sie für nichts anderes als Arbeit
mehr Interesse haben, sie ihrenKörper
auslaugen,woher soll dann dieLust kom-
men? Über das Thema, das sie nachvor-
ne schieben,kommen wir dann zu dem,
wasdahinterliegt.“ EineZeitlangkämpf-
tendiese verbissenen Vielarbeiter mit
Aufputschmitteln dagegen an, um das zu
schaf fen, wasberuflichgefordertsei. Das
gehe schon imStudium los bei Menschen,
die einen hohen Anspruchansichhaben,
getriebenvonAuslandspraktika,Abgabe-
terminen undNebenjobs. „IhrKörper ist
müde, aber sie lassen ihn nicht schlafen“,
beobachtet die Supervisorin. In Japan sei
das Phänomen nochextremer.Karoshi
lautet dortder Begriff für „Tod durch
Überarbeitung“, 350 Behandlungszen-
trengibtesdortfürvonHerz-und Hirnin-
farktenbedrohteMenschen, die schuften,
bis sie umfallen.
Gefeit istauchhierzulandekeine Bran-
che. Betroffensind alle Berufe, Männer
und Frauen. „Ganz besondersMenschen
in sozialen Berufen,wenn zur Arbeitsver-
dichtungemotionalesEngagementhinzu-
kommt“,sagt dieTherapeutin.Poppelreu-
terstimmt zu: „Ärzteund Pfleger haben
ofteine große Hingabe und identifizieren
sichzusehr mit ihrenAufgaben.“
Auch Angstvor Arbeitslosigkeit und
Minderwertigkeitskomplexe erhöhen die
Suchtgefährdung. Erhellend bei derUrsa-
chenforschung istder Person-Job-Fit-An-
satz,einseitdensiebzigerJahrenetablier-
tesKonzeptder Or ganisationspsycholo-
gie: Welche Erfordernisse hat dieStelle,
welche Bedürfnisse der Mensch? Ideal ist
eine hohePassung. „Istdas nicht derFall,


bestehtdie Gefahr,dassArbeitentgleisen
kann“, sagt Poppelreuter.Viele Men-
schen bewerben sichauf Stellen, weil sie
ein hohesRenommee, einen hohenVer-
dienstbietenoder inWohnortnähe lie-
gen, so dassder Familie weder eineWo-
chenendbeziehung oder einUmzug zuge-
mutet wird. Dabei passt die Stellenaus-
schreibungweder zum Berufsprofil noch
zum Bewerber.„Daraus ergeben sichoft
Komplikationen“, erlebt derPersonalma-
nagementberater.Eine da vonführeindie
Arbeitssucht:Der Menschist überfordert
und arbeitetemsig dagegen an.
Poppelreuter berichtet voneinem Ma-
nager ,der international arbeitete,aber
nie verhandlungssicheres Englisch ge-
lernthatte,obwohlda sseineStelleforder-
te.Sichdas anzueignen, schaffteder
Mann nicht und „performte“schlecht.
Um das auszugleichen und seineVersa-
gensängste niederzuringen, erhöhte er
massiv sein Arbeitspensum in der mehr
oder weniger bewussten Hoffnung, durch
Mehrarbeit seineUnabkömmlichkeit zu
beweisen. EinTrugschluss–so konnteer
sein Sprachdefizit nichtkompensieren.
Werständig zu viel arbeitet,kann psy-
chosozialeStörungen davontragen. Ar-
beitssüchtigeziehen sichzurück, meiden
sozialeKontakte,weil sie dadurch in der
Arbeit behindertwerden, siefokussieren
sichauf Sachthemen,reißen Aufgaben an
sich; schon ein Plauschinder Kaffeekü-
cheerscheint ihnen überflüssig. Kein
Wunder,dassWorkaholicskeine guten
Teamarbeiter sind. Bedrohlichwirddas,
wenn sic hdieses Rückzugsverhalten pri-
vatetabliert,Familie undFreundever-
nachlässigtwerden. Workaholics schlägt
beruflichwie privatUnverständnis entge-
gen. „Sie sindverschroben,gelten alsko-
misch, das sozialeUmfeld zieht sichzu-
rück. Viele sind dann irgendwannPatien-
ten“, sagtPoppelreuter und erinnert: Der
sogenannteSocial Supportgilt als einer
der wichtigstenUnter stützungsfaktoren
dafür,was Menschen eigentlichgesund
hält.
Außenstehende fühlen sichmachtlos.
CorneliavandenHouterklärt:„Kein Kol-
legetraut sich, zu sagen: ,Du siehstmüde
underschöpftaus.‘Stattdessenbetonen
alle, wie hervorragend das Projekt läuft.“
Partner sollten eine beschreibendeRück-
meldung ihrerWahrnehmunggeben: „So
wirkstduauf mich...“Das sei besser,als
sichinVorwür fendarüber zu ergehen,
dassder anderesichnicht kümmert, erst
um 22 Uhr heimkehrt, umkomatös aufs
Sofazusinken.
Betroffenegelobten Besserung,dassei-
en aber häufig Lippenbekenntnisse. Ein-
sicht zu haben sei trotzdem, wie bei allen
Süchten der ersteSchritt, erklärtvan den
Hout undrätzupositiver Akzeptanz.
„Sichdann fertigzumachen hilftnicht, so
geht es weiter abwärts. Besser istder An-
satz: Es ist, wie es ist, ichkümmeremich
jetzt darum.“
Schon kleine Schritte helfen,etwa ge-
genSchlafstörungen.„Vor dem Einschla-
fendrei Sachen suchen, die amTaggelun-
gensind und nichts mit der Arbeit zu tun
haben. Schlafen Sie mit dem Gedanken
an Vogelgezwitscher ein, arbeitetdas Ge-
hirndamit weiter ,und dasUnterbewusst-
sein geht mit dem Gedanken anetwas
Schönes schlafen“, sagt die Psychologin.
Sie rätzudem,während der ArbeitPau-
sen einzuhalten, zwischendurch tiefe
AtemzügeamFenster zu machen. Oft
geht es allerdings nicht, ohne sichprofes-
sionelleUnter stützungzuholen, zumBei-
spiel in Selbsthilfegruppen oder bei einer
Therapie.Vanden Houtfasstdie zwei
Wege zusammen. Erstens: Ursachenfor-
schung betreiben.Wo kommt das her,
dassich verzweifelt versuche, durch Leis-
tung Anerkennung zu bekommen? Ha-
ben mich meine Elternnur liebgehabt,
wenn ic heine Eins hatte? Jetzt bin icher-
wachsen und brauche das nicht mehr!
Oder zweitens eine systemischer Ansatz:
Waskann ichkonkretverändern, wie
kann ic hmein Umfeld einbeziehen, das
michunter stützt, wie halteich Zeitpläne
ein und lerne, nein zu sagen?„Aus mei-
ner Erfahrungweiß ich:Wenn ic heinem
Menschenetwa swegnehme, mussich et-
wasPositives dagegenstellen. Musik ma-
chen,malen,ohnegleichwieder ein Beet-
hovenoder Rembrandt sein zuwollen. Es
geht nur um dasTunimHier und Jetzt.“
Unddie Jüngeren, die angeblicharbei-
ten, um zu leben, und nicht leben, um zu
arbeiten? Die Generation, der ein hoher
Anspruchaneine freizeitfreundliche Ar-
beitswelt nachgesagt wird, müsstedoch
immunisiertsein gegenArbeitssucht?
Dem istnicht so, sagtPoppelreuter,der
das mit zweiFachkolleginnen untersucht
hat.„DieseGeneration hatzwareinen an-
deren Anspruch, aber dieRealisierung ist
etwa sanderes. Das sind viele blumigeRe-
den. Das Arbeitszeitgesetz isteines der
am häufigstengebrochenen Gesetze.“

F


ür sie is tdas Glasstetshalb-
voll, und auch sonst machen
siesichdie Be rufswelt so, wie
sie ihnengefällt.Dabei wirkendiese
Immer-gute-Laune-Kollegen mitPip-
pi-Langstrumpf-Gen auf andere
höchs tunterschiedlich: DenPessi-
mistengehensiegewaltigauf dieNer-
ven, den Optimisten illuminierensie
die ohnehin hellen Arbeitstage.
„Einen wunderschönenTagwün-
sche ich! Ihnen eine schöneFahrt.
Wirhaben jetzt zehn MinutenVer-
spätung,keine Sorge,die holen wir
lockerwieder rein. Si eerreichen Ihre
Anschlüsse pünktlich.Unddas Wet-
ter, das lässt auchkeine Wünsche of-
fen.“ DieStimmung istprächtig auf
der FahrtRichtungKöln,der
schwatzhafte Schaffner istmit reich-
lichHeidewitzka-Humor gesegnet.
UndWetterist halt immer ein The-
ma.
Auch in derRegionalbahnvon In-
golstadtnachMünchen.Draußenkü-
belt es ausEimern, denFahrkarten-
kontrolleur lässt das kalt: „Einengu-
tenMorgenwünsche ichbei diesem
Sonnenschein unterwegs nac hMona-
coCity!“Wird ihmeinTicketpräsen-
tiert, feierterdas euphorisch: „Sehr
gut! Sehr gut! Danke, IhrenFahr-
schein,sehr schön!“ Mancheverdre-
hen dieAugen, andereschlummern
weiter und mummelnsich tiefer in
ihreWintermäntel ein,die meisten
lächeln, als sichder Gu te-Laune-Bär
wie angeknipst durch die Gänge
pflügt undwahlweise „eineguteRei-
se“,einen„schönenTagauch“, einen
„angenehmenAufenthalt in unserer
schönenStadt“ wünscht. MehrText-
bausteinehat e rnicht im Gepäck.An-
gestachelt durch gelegentliche La-
cher setzt er sein Entertainmentfort.
Passtindie Saison, derRosenmon-
tag naht.Neugierigfolgen wir der
bayrischenFrohnatur aufseinem per-
sönlichen Faschingszugdurch die
Gänge.Das heitereProgrammzieht
er unerschrockendurch.Ist der im-
mer so? DieBerufspendlerschauen
kurzvonihren Notebooksauf undni-
cken. Sogar am Montagmorgen,
wenn sonst die Muffelquo te immens
ist.
Auch im ICE Richtung Baselist
die Stimmung gut.„Sind das alle
Ihre?“ fragtder Kontrolleur die bei-
den Lehrerinnen. „Hebtmal die
Hand! Gute Klassenfahrt.“Mitfah-
renwollteder Schwabe dann aber
dochnicht .„Ne,das erspare ichmir.“
Allesegal. Hau ptsache d’rZochkütt.

ZURÜCKINS ARBEITSLEBEN BRAUCHEICH EIN REPETITORIUM? DER HÖRSAAL DERZUKUNFT


48


Prozentder jungen
Europäerglauben,
dassdas Bildungssystem
sie gut auf ihreerste Stelle
vorbereitet. Der Rest i st skep tis ch.
Quelle:WorldInnovation Summitfor
Education, Jobteaser,Ipsos

Tüchtig


und süchtig


F

otoGetty

Heidewitzka,


HerrSchaffner


VonUrsula Kals

Nach Vorbild der Anonymen Alkoholiker treffen sich die
AnonymenArbeitssüchtigen (AAS), um Wegeaus der
Suchtzufinden. ZweiBerlinerinnen,die in Wirklichkeit
anders heißen, treffen sich regelmäßig im Prenzlauer Berg
und berichtenineinerTelefonkonferenz. Magda, 39 Jah-
re, Soziologin, hat einen30-Stunden-Bürojob und ist zu-
sätzlich Freiberuflerin in der Erwachsenenbildung. Johan-
na, 56 Jahre, ist Informatikerin und arbeitet als Lehrerin.
M AGDA:Ichwar nachdem Studium im ersten richtigen
Job, der sehrfordernd war. Eine Freundin hat michbeim
Abendessengefragt :„Kann das sein, dassduarbeitssüchtig
bist? Du bistwie auf Speed.“ Ichhabe danngeweint.Sie hat
mir die AAS-Gruppe herausgesucht.Ich bin hingegangen,
habe michdamit identifiziertund wohlgefühlt.Ich war30
Jahrealt und nacheinem Jahr im Burn-out.Danachhabe
ichmicherstlangeZeit um meine Genesunggekümmert.
Durch Zufälle bin ichanden Bürojobgeraten, der schien
mir nicht so herausfordernd. Bei meiner allerersten Stelle
hatteich oftAngstund habe Arbeiten aufgeschoben.Was
mir wichtigwar, daran habe icherstvon 17 bis 21 Uhrgear-
beitet,als meineKollegengegangen waren. Wiesichdas an-
gefühlthat,bis spätzuarbeiten?WieimRausch.Wierausch-
artigesAbarbeiten. Man spürtkeine Müdigkeitmehr,kei-
nen Hunger.Ich habe viel zu vielKaffee getrunken. Aufder
Heimfahrthabe ic hschlecht atmenkönnen.ZuHause war
ichtodmüde oder schlechtgelaunt.AmWochenende hatte
ichnull Kraft,wollteniemanden sehen.
J OHANNA:Ichhabe of tdas Gefühl, laufendetwa serledi-
genzumüssen und dafür eine Bestätigung haben zuwollen.
Das is tetwas, wasnie aufhört.
M AGDA:Das is teineIllusionvonvielen Arbeitssüchtigen,
wenn ic haufhörezuarbeiten, hörtmeine Sucht auf.Früher
hieß das Managerkrankheit.
J OHANNA:Bei mir hat sichschon in Schule undStudium
das GefühlvonMangel gezeigt.Ich habe gedacht, ichbin
nicht genug, ichmussmehr machen. In meiner Arbeit hatte

ichfrüher ein breitesTätigkeitsspektrum und habe michda-
für totalins Zeug gelegt.Ich habe dasfertiggekriegt, an
zwei, dreiTagenjeweils 14Stunden zu arbeiten. Dannku-
riertsichjemand, der normal arbeitet,aus und holt Schlaf
nach. Ichhabe monatelang einfachsoweiter gemacht .Ir-
gendwann habe ichmich gewundert, dassich nur nochauf
geringer Stufearbeitenkonnte.
M AGDA:Durch meine extreme Lebensweise habe ich
zwischenmenschlicheProbleme bekommen, meine Ehe ist
daran gescheitert.

Beide betonen, dass sie durchdie Treffen erkannt haben,
dass es um eineKrankheit geht.Die Betroffenenvernetzen
sich, einigetelefonierentäglichkurz miteinander.
M AGDA:Wirbrauchenetwa saußerhalb unserer selbst.
Das is tein Genesungsprogramm. Undwir definierenAbsti-
nenzregeln, sind zum Beispiel offline. Ic hhabe mit meiner
Mentorinvereinbart, das Handywenigstens in der U-Bahn
auszulassen. Das schaffe ichoft nicht.
J OHANNA:Ichhabe michmit meiner Geschichteausein-
andergesetzt, mirangesehen,wiemeinearbeitssüchtigeBio-
graphie aussieht, Inventur gemacht, um die alten Erlebnisse
aufzuarbeiten.
M AGDA:Die Unterstützungdurch eine Mentorin, einen
Mentor,die man anrufenkann, hilft. Wenn ic hzur Arbeit
gehe, schlechteLaune habe, hilftein Telefonat in allen Le-
benslagen. Dann istdas nac hfünf Minuten erledigt.
J OHANNA:Ichschreibe mein Problem auf einenZettel,
stecke den in ein Glas. Dann habe ichdas losgelassen. Ich
vertrauemehr. Wichtigist ein GegenentwurfzurArbeit,kei-
nen Anerkennungsdruck, sichetwas zu beweisen. Ein Le-
ben zu haben. Das isteine tolle Entdeckung, dassich diesen
Anspruchhaben darf.

Aufgezeichnetvonuka.Eine Langversion des Protokolls gibt es
im Internetunter faz.net/arbeitssucht.

NINETOFIVE

DieFachkräf te-Engpässe inder Gas-
tronomie werden schlimmer. Ka-
men 2010 noch198 Arbeitsloseauf
100 gemeldete ausgeschriebeneStel-
lenfür Fachkräf te in der Systemgas-
tronomie,warenes2019 nur noch


  1. Dasgeht aus einemBerichtdes
    Kompetenzzentrums Fachkräf tesi-
    cherung (KOFA) des Instituts der
    deutschenWirtschaftKöln hervor.
    EinBeruf mitwenigerals 200 Ar-
    beitslosenauf 100Stellen gilt als
    Engpassberuf. Grund für den zuneh-
    mendenFachkräf temangelist laut
    KOFA,dassdie Nach frag enachSys-
    temgastronomie-Fachkräftensteigt:
    Seit 2010 istdie Zahl de rgemelde-
    tenoffenen Stellen vonbundesweit
    682 Stellenauf 1484Stellen im Jahr
    2019gestiegen. Das istmehr als eine
    Verdoppelung. Gleichzeitig wirdder
    Nach wuchs knapp: Immerweniger
    Menschen entscheiden sichfür eine
    Ausbildung in der Gastronomie. Die
    der Arbeitsagentur gemelde tenBe-
    werberzahlensind vonetwas mehr
    als9000 im Jahr 2009auf knapp
    3600imJ ahr 2019geschrumpft.
    Arbeit in der Gastronomiegilt als
    wenig attraktiv;die Arbeitszeiten
    sind oftlang, und Beschäftigtewer-
    den unterdurchschnittlich bezahlt.
    Das mittlere Bruttoentgelt über alle
    Beruf ehinwegliegt bei 3304 Euro
    im Monat,inder Gastronomiebe-
    kommenBeschäftigt eimSchnittkei-
    ne 60 Prozent davon. alip.


Arbeiten wie im Rausch


Zwei Mitglieder der„Anonymen Arbeitssüchtigen“ berichten


KnappeKellner


E-Mailsverschickenumhalb fünf morgens,


keine Zeit mehr fürFreunde und dieFamilie.


Arbeitkann zur Drogewerden –die Dosis


macht das Gift.


VonUrsula Kals


ZAHL DERWOCHE


NR. 45·SEITEC1


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Beruf und Chance 22. FEBRUAR2020

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