Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

SEITE C2·22. FEBRUAR2020·NR.45 Beruf und Chance FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


In derAusbildung
vonJuris tengibt es
einpaarGesetzmäßigkei-
ten. Nac hden er sten Semes-
ternistmanesleid,indenengbe-
druckten Gesetzen imTaschenbuchformat
Paragraphenanzumalen.Der Kauf des
„Schönfelder“, der Loseblattsammlung
mit mehr als 4000 Seiten, signalisiertdem
Studenten: Jetzt wirdesernst.ImReferen-
daria tgesellt sichzur Gesetzessammlung
nocheineWäschekorbladunganKommen-
tare n.WasebenfallszumJuristendaseinge-
hört: In den Lernphasen vorden beiden
Examen, für die sichStudententeilweise
bis zu zwei JahreZeit nehmen und für die
beruf stätig eReferendarehäufig kaum
mehralszwölfMonatehaben,drückenvie-
lenocheinmal die harte Schulb ank.Den
LernstoffausmehrerenJahrenJura-Studi-
um be kommen sie in Pfarrsälen, Gemein-
dezentrenoderKantineninBlöckenvonei-
nigen Monaten biszueinemJahr vonei-
nem privatenRepeti toreingepaukt.
Nicht nur inJura, auchinanderenStudi-
enfächernbietenprivate Repetitorien ihre
Dienste an. Das Phänomen hat sichinsbe-
sondere in RichtungandererFä-
cher ausgebreitet, die imRufste-
hen, mit einem hohen Lernauf-
wandverbundenzusein,etwa Me-
dizin oderWirtschaftswissenschaf-
ten. Nir gends aber sindRepetito-
rien so verbreitetwie in Jura, wie
verbreitetgenau, istschwerzusa-
gen. EineUntersuchungvonMat-
thias Kilian,Stiftungsprofessor an
der Universität zuKöln, aus dem
Jahr 2016kommt auf 86 Prozent
der Jurastudenten, die an solchen
Kursen teilnehmen.
Die Werbung der Anbieterist
durchausof fensiv.Hierwerdendie
„Grundlagen für ein erfolgreiches
Staatsexamen“ gebaut –lautet das
gängigeNarrativ der Repetitorien,
unter denen die AnbieterHemmer,
Alpmann Schmidt undKaiser zu
denüberregionalbekanntestenNa-
men zählen.Fürdie Kursewer-
den monatlichauchvon den
kleineren Anbietern zwischen
150 und 200 Euroaufgerufen.
Müssen dann nochSkrip te für Schuld-
rech t, Strafrecht BesondererTeiloderVer-
waltungsrechtgekauftwerden undkommt
nochein zusätzlicherKompaktkursdazu,
stehen unter dem Strich fü rdie Examens-
vorbereitung mehreretausend Euroan
Kosten.

Mit dem Bentleyzur Mensa
Die Dozenten betreiben ein lukratives
„Geschäftmit derAngst“:vorderschlech-
tenExamensnote oder dem nicht bestan-
denenStaatsexamen. Trotzder wach sen-
den Bedeutung vonZusatzqualifikatio-
nen entscheidenweiterhin dieNotenaus
den beidenStaatsexamina über die beruf-
liche Karrierevon Juristen. Werjeweils
ein „Vollbefriedigend“, also neun Punkte
alsEr gebnis,vorweisen kann,demstehen
die TürenzuGroßkanzleien, Industrie
und demStaatsdienstoffen. Im ersten
Staatsexamen im Jahr 2017warendas
laut der jüngstenAusbildungsstatistik des
Bundesamts für Justiz inganz Deutsch-
land vonmehr als 14 232Kandidatenge-
rade einmal die obersten 16 Prozent des
Jahrgangs. Mehr als jeder Zweitehat eine
schlechtereNote, die durchschnittliche
Durchfallqu oteliegt bei 29 Prozent.
Repetitorien arbeiten mit diesenZah-
len. Undsie weisen fortlaufend auf neue
höchstrichterlicheUrteile hin, die man
für das Examen „draufhaben“ muss.
Wenn wöchentlich Klausuren geschrie-

benwerden,dannarbeitet „mannatürlich
am großen Fall“. All das brennt sichins
Gedächtnis ein: Jahrespäter können Ab-
solventen daher Anekdotenaus ihrerZeit
beim Repetitor abrufen–etwader status-
bewus steAuftritt einesKölner Dozenten,
der –lässig amSteuer sitzend–mit sei-
nem aufwendigrestaurier tenBentleySil-
verCloud aus den 50ernzuden Auftrit-
teninder Mensa anrollte. Die dezent la-
ckierte Edelkarosse sorgteimKölner
„Kwartier Lateng“stetsfür vielAufse-
hen. DerAutordieser Zeilen hat aus sei-
ner Repetitoriumszeit einePostkartevon
denSeychelleninErinnerung.Mitihrmo-
tivierte ein Repetitor mantraartig seine
gestresstenZuhörer zum Durchhalten bis
zur Prüfung.
EinRepetitor istteuer.Aber den Besuch
halten sehr vieleStudenten für notwendig,
weilesdenstaatlichenUniversitätenzusel-
tengelingt,zuvermitteln,wiemandiegro-
ßeHü rdedesStaatse xamensmeistert. Die-
se Meinung hörtman vonviele nJuris ten,
dieimBerufslebenstehen.ImFallvonMa-
tondo Cobewarwährend seinerZeit an
derUniversität Marburgdie Gruppengrö-
ße des Repetitorsentscheidend. „Den
Lernstoffkonnteich besser überdie Kom-

munikationinkleineren Gruppen aufneh-
men.Ich bevorzugedas verschulte Mo-
dell.“ Er hatte sichauchmit denetablier-
tenNamen beschäftigt, si ch dann aber be-
wusstfür einenregionalenAnbieterent-
schieden. Dennnur dortschien es dem
heute33Jahre altenJuris tenmöglich, das
Erlernteimmerwieder aufsNeue zu wie-
derholen.Außerdemwar ih mdie en ge Be-
gleitung durch den Repetitor wichtig.Von
einem Dienstleistererwarte er,dasserihn
als Kunden auch„abhole“,sagtCobe. „In
einemFrontalkursmit bis zu 100 Leuten
wäre das nicht möglichgewesen“.

RelevanteBGH-Urteile kennen
Im Anschluss an seine Promotion und
nacheinigen Jahren als wissenschaftlicher
Mitarbeiterin Großkanzleienstehteraktu-
ell vordem Assessor-Examen. Seineeige-
ne Vorbereitung hat sichkaum verändert:
Wieviele andere Juris tenschreib tCobe
sichKarteikar tenzuRechts gebieten, Lö-
sungswegen und aktuellen Urteilen und
wiederholt diese inregelmäßigenAbstän-
den.Auch diesmalhat e rsichfür ein Repe-
titorium entschieden, allerdings für den
großen,bekannten Anbieter„Kaiser“. Vie-
le der internationalenGroßkanzleien,bei

denenReferendarefür mehrereMonate
eine Ausbildungsstationabsolvieren,ko-
operieren mitKaiser.Nachden zahlrei-
chen Klausuren, die er dortgeschrieben
hat, sagt Cobe allerdings, er habe sichvon
derbekann tenMarkeund denKursinhal-
tenmehr versprochen.„Anstatt si ch mit
derletzten Ableitung eines juristischen
Rechtsstreitsun dderMeinungdesBundes-
gerichtshofszubeschäftigen, hätte ichger-
ne mehr über Klausurentechnikgelernt.“
Cobe bemängelt, das sesinsbesondere vor
demAssesso r-Examenvielfach nur noch
um de nTransfer vonaktuellenRechts fra-
gengeht, undRepetitorien zuwenig über
das eigentlicheRüstzeugfür den späteren
Berufdes Richters,Staatsanwalts oder An-
waltsvermitteln.
WasdasKlausurenschreibenvordemers-
tenStaatsexamen angeht, ha tsich anUni-
versitäten seitder Jahrtausendwendeeini-
gesgetan.GetragenvonstaatlichenFörder-
mitteln,bietenmittler weileeinigeUniversi-
täteneinenExamenskursfür ihr eJura-Stu-
dente nan.„UnterunserenStudierendenbe-
sucht so gut wiekeinereinenVollkurs ei-
nes externen Repeti tors“, berichtet der
HamburgerRechtswissenschaftler Florian
Faustnicht ohne Stolz. DerInhaber eines
Lehr stuhls für Privatrechtleitet das Zen-
trum für Juristische sLernen an
der privaten „BuceriusLaw
School“. Die im Jahr2000 gegrün-
dete Hochschule, diefinanziellvon
der„Zeit-Stiftung Ebelinund Gerd
Bucerius“ unterstützt wird, ist
DeutschlandsKaderschmiede für
denjuristischenNachwuchs.Nach
einemgezieltenAuswahl verfahren
sorgt ein gut durchorganisier tes
Examensvorbereitungsprogramm
dafür ,dassdie Prüfungsnote
stimmt .Das Er gebnis gibt Faust
und denanderenVerantwor tlichen
rech t. Eigenen Angaben zufolge
schaf fenrund 80 Prozent eines
Jahr gangs ein„Vollbefriedigend“,
alsoein Prädikatsexamen
Faust, der als Jura-Student in
RegensburgeigenenWorten nach
ebenfallskeinen Repetitor besucht
hat, erklärt, dassStudierende
schon vorBeginn des Pro-
gramms eine „Klausurenklinik“
besuchenkönnen. Sie erfahren
dortvon Fachleuten, wie sie Lö-
sungsskizzen erstellen, in den oftseiten-
langen SachverhaltenWichtiges vomUn-
wichti gentrennenundwo ihreindividuel-
len Schwächen liegen. Erst mit diesem
Rüst zeug steigen sie überhauptindas ein
Jahr dauernde Programm ein. Dassauch
dieses nachmehr als 17 Jahren Laufzeit
immerwiederangepasstwerdenmuss,ge-
steht Faustein. „Wir haben die bislang
starre Struktur in den Blöcken Zivil-,
Straf- und ÖffentlichesRechtauchnach
Rück meldungen unsererStudierenden
aufgeweicht.“Zuvorseien die zeitlichen
Abstände zwischen inhaltlichaufeinan-
der aufbauenden Modulenteilweise zu
großgewesen.Studierendenseiesschwer-
gefallen, das schon Erlerntewieder abzu-
rufen.
ImIn ternetkritisiereneinzeln eStuden-
tenden dogmatischen Lernstil in man-
cher Bucerius-Vorlesung: Daskostezu
viel Zeit.Essei für ihn selbstverständlich,
in seinenVeranstaltungen inhaltlichin
die Tiefezugehen und damit auchauf
Meinungsstreitigkeiten zwischen Litera-
tur undRechtsprechung einzugehen, er-
klärthingegen Faust. In bestimmten
Rechtsgebietensei es wichtig, dassman
die relevanten BGH-Urteile ebenkenne.
„Angstmöcht eich damit unter meinen
Studierendenganz sicher nicht schüren.“
Werdie Argumentationslinien verstan-
den habe, dem müsse auchohne Repeti-
torvoreiner Examensklausurnicht bange
sein.

Braucheich für


dasExamen


einen Repetitor?


Foto Benjamin Boch

Langzeitarbeitslosegelten als die Sor-
genkinderdesArbeitsmarktes.Dochim
konjunkturellgutenJahr2019habenei-
nigevon ihnen den Einstieg zurückin
eine festeBeschäftigung geschaf ft:
124 000warenes, glaubt man Daten
der Arbeitsagentur.
Welche Berufediese Menschen am
häufigstenmachen undwassie verdie-
nen–damithabensichjetztdieArbeits-
agentur und das Gehaltsvergleichspor-
talGehalt.de in einergroßen Auswer-
tung beschäftigt.Den Er gebnissen zu-
folge, die derF.A.Z. exklusivvorabvor-
liegen,werden die meistenLangzeitar-
beitslosen Helfer in der Lagerwirt-
schaf t. Am zweithäufigstenist ein Be-
rufseinstieg als Reinigungskraft, da-
nachfolgt eine Beschäftigung alsVer-
kaufshelfer oderVerkaufshelferin.
Allerdings sind es andereBerufe, in
denen ehemaligeLangzeitarbeitslose
das meiste Geld verdienen, heißt es in
der Untersuchung. Als Bürokraft–
ebenfalls ein Job, in den Langzeitar-
beitsloserechthäufigwieder einsteigen
–verdienen die Betroffenen im Schnitt
36 200 EurobruttoimJahr.Auchder
Beruf des Gebäudetechni kers istunter
ehemaligen Langzeitarbeitslosenrela-
tiv beliebt und lukrativ:Mit 33 200
EurobruttoimJahr sind die Gehälter
hier im Durchschnittvergleichsweise
hoch. Als Lagerhelfer gibt es dagegen
deutlichweniger Geld: Das jährliche
Bruttogehalt liegt hier bei nur 24 300
Euro. AuchReinigungskräfte verdie-
nen mit im Schnitt 23 700 Eurover-
gleichsweise schlecht.Ganz am Ende
der Gehaltsrangliste ste hen Küchenhil-
fenmit einem durchschnittlichen Brut-
togehalt von22318 EuroimJ ahr.
„DieBerufe,indie Langzeitarbe itslo-
se am häufigsteneinsteigen, sind selten
gut bezahlt“, sagt Philip Bierbach, Ge-
schäftsführervonGehalt.de. Erfindet
die Lohnunterschiede innerhalb der
häufig gewählten Berufeplausibel:
„Hilfskräfte beziehenvergleichsweise
niedrigeGehälter,dah ier keine spezifi-
sche Ausbildungbenötigtwird“,sagter.
Für die besser bezahltenStellen als Bü-
rofachkraf toder Gebäudetechniker
sinddagegenschon mehrVoraussetzun-
genzuerfüllen. Um zu ihren Ergebnis-
sen zukommen, haben die Gehaltsana-
lysten zunächst124 000 Datensätze der
BundesagenturfürArbeitdahingehend
ausgewertet,welcheBerufeLangzeitar-
beitslose bei ihremWiedereinstieg auf
dem Arbeitsmarkt ergreifen. Anschlie-
ßend wurden die jährlichen Bruttoein-


kommen aller Beschäftigten ermittelt –
eingeflossen sind nur Gehaltsdatenvon
Menschen, die keine Personalverant-
wortung trugen.
Im vergangenen Jahrwardie Zahl
der Arbeitslosen mit 2,27 Millionen in
Deutschland insgesamt sogering wie
seit derWiedervereinigung nicht mehr.
Ein Jahr davorwaren es noch 2,34 Mil-
lionengewesen. Trotzdieser guten Ent-
wicklung sehen Wissenschaftler ein
schwierigesUmfeldfürLangzeitarbeits-
lose. Der Arbeitsmarkt habe sich„nicht
für alle und nicht überall“ gedreht,
schreiben AlexanderKubis und Marti-
na Rebien vomInstitut für Arbeits-
markt- und Berufsforschung (IAB) in
Nürnbergineinem Papier von2019.
„Menschen mit passender Qualifikati-
on finden leicht einen Job,fehlt diese,
istder Wettbewerb um freieStellen je-
dochsehr hoch.“
LauraPohlan, wissenschaftliche Mit-
arbeiterin im Bereich„Arbeitsmarkt-
prozesse und Institutionen“ des IAB,
sagt, grundsätzlichseien 39 Prozent der
Betriebe bereit, Langzeitarbeitslosen
eine Chance zugeben. Sie beruftsich
dabei auf die „IAB-Stellenerhebung“,
eine repräsentativeBefragungvonPer-
sonalverantwortlichen aus dem Jahr


  1. „Im Vergleichzu2016 istein
    leichterRückgang dieser Bereitschaft
    zu sehen“, sagtPohlan. Wiesichdie
    Einstellungsperspektiven Langzeitar-
    beitsloserinZukunftentwickeln, seiun-
    gewiss: „Es gibt Hinweise dafür,dass
    die Anforderungen, die Arbeitgeber
    stellen,steigen“, sagt sie undverweist
    auf die zunehmende Digitalisierung,
    dieimmermehreinfache,repetitiveTä-
    tigkeiten überflüssig machenkönnte.
    Das könnteFolgen,gerade für Gering-
    qualifizierte haben: EinerStatistik der
    Arbeitsagentur zufolgehatteimJahr
    2018 die Hälfte der Arbeitslosenkei-
    nen formalen Berufsabschluss, undvon
    diesenPersonen waren38Prozent 12
    Monateoder länger arbeitslos.
    Waskönntezub esserenEinstellungs-
    chancen führen? Die Arbeitgeber füh-
    renPohlan zufolgevor allemeinebesse-
    re Qualifikation an,relativ vielefor-
    dernauchTraining der Belastbarkeit
    oder Motivation.Aber auchein gutes
    Netzwer kkönntehelfen, sagtPohland:
    „Chefs,die derzeitgarkeineLangzeitar-
    beitslosen im Bewerbungsprozessbe-
    rücksichtigen, sagen, sie würden dies
    am ehestentun, wenn ihnen die betref-
    fende Person im beruflichen Umfeld
    empfohlen wurde.“ NADINEBÖS


DIE KARRIEREFRAGE


Zurückin sArbeitsleben


In diesen Berufenkommen Langzeitarbeitsloseunter



 


 

 



    





 
 





 
 
 


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Viel eStudierende halten


privat eRepetitorien für notwendig,vor allem


in Jura.Sie kosten of tTausende Euro–gut


investiertesGeld?


VonMarcus Jung


Beruf

Zahl der
Langzeitarbeitslosen(2019)

Median-Einkommen
inEuro
HelferLagerwirtschaft
Reinigungskraft
Verkaufshelfer1)
FachkraftBüro/Sekretariat
Küchenhilfe
Fachverkäufer
Bürohilfe
Objektschutz
Gebäudetechniker
Gastronomieservice2)
1)ohneProduktspezialisierung.2) Fachkr aft. Quel len:www.gehalt.de/Bundesa gen turfürArbeit/F.A.Z.-GrafikKaiser

In welche Berufe Langzeitarbeitslose einsteigen

36162

24 321
23 695
24 825

22 318
29 869
27 750
29 733
33120
26 276

9662
8814
7578
5176
4923
3738
3463

3190
2674
1565
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