Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.02.2020

(C. Jardin) #1

SEITE 4·SAMSTAG, 22.FEBRUAR2020·NR.45 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Arbeitskräftemangel in der


Schweiz


Die SchweizerRegierung ordneteine
allgemeine Meldepflicht an, um den
BedarfanHilfskräfteninder Land-
wirtschaftdeckenzukönnen. Das sei
zur Sicherung der Produktion not-
wendig, heißt es.Ausgenommenvon
der Meldepflicht sind nurUnterneh-
men, die aus kriegswirtschaftlichen
Gründenkeine Arbeitskräfte entbeh-
renkönnen. Erfass twerden alle
Schweizer Bürgerder Geburtsjahr-
gängevon 1885 bis 1929.Zum Ein-
satz kommen sollen auchFlüchtlin-
ge.Ausländerwerden nur dann zum
Dienstherangezogen,wenn Schwei-
zerinderen Heimatländernauchent-
sprechend eingesetzt werden. Die
Schweiz hat sichzwaraus dem Krieg
heraushaltenkönnen.Die Ressour-
cen des Landes werden tr otzdem
starkinAnspruchgenom men, weil
die Regierung besondersinder An-
fangsphase des Krieges nicht sicher
sein konnte, ob Hitler die „immer-
währendeNeutralität“ desLandesre-
spektieren würde.


Schreckensbilanz aus


Budapest


Schweizerische Quellen berichten
aus de rungarischen Hauptstadt über
die Verfolgung und Ermordung der
dorti genJuden. Diesewarennach
dem Putsch der ungarischen „Pfeil-
kreuzler“imMärz1944 mit neuer
Energiefortgesetzt worden. Zu die-
semZeitpunkt lebten allein in Buda-
pestnochmehrals 20 0000 Juden.
Die Schweizerische Depeschenagen-
tur meldetjetzt, na ch derEroberung
der Stadt dur ch die Rote Armeehät-
tendie sowjetischen Truppennur
nochetwadie Hälfte der jüdischen
Bevölkerung Budapests vorgefun-
den.Heuteweiß man, dass inner-
hal bwenige rMonaterund200 000
Judenaus Gebieteninnerhalb derun-
garischen Grenzenvon1937 ermor-
detwurden. Hinzukamennochein-
mal mindestens ebenso viele ausRe-
gionen, dieUngarn durchdie zwei
Wiener Schiedssprüche zugespro-
chen bekommen hatte. pes.


FrankfurterZeitung
Gründungsherausgeber ErichWelter †

VERANTWORTLICHE REDAKTEURE:für Innenpolitik: Dr.JaspervonAltenbockum; für
Außenpolitik: Klaus-DieterFrankenberger; für Nachrichten: Dr .Richar dWagner,Andreas
Ross (stv.); für „Zeitgeschehen“:Dr.ReinhardMüller;für „Die Gegenwart“: Dr .Daniel De-
ckers; für Deutschland und dieWelt:Dr. AlfonsKaiser;für Politik Online: AndreasRoss; für
Wirtschaftspolitik: HeikeGöbel;für Wirts chaftsberichterstattung: JohannesPennekamp;
für Unternehmen: Sven Astheimer;für Finanzen: Inken Schönauer;für Wirts chaftund Fi-
nanzen Online:Alexander Armbruster, Chris toph Schäfer;für Sport: Anno Hecker, Peter
Penders(stv.); für SportOnline:Tobias Rabe; fürFeuilleton: Hannes Hintermeier,Sandra
Kegel, JakobStrobel ySerra(stv.); für Literatur und literarisches Leben: Andreas Platthaus;
für FeuilletonOnline: Michael Hanfeld;für Rhein-Main-Zeitung: Dr.Matthias Alexander,
ManfredKöhler (stv.).


FÜRREGELMÄSSIG ERSCHEINENDEBEILAGEN UNDSONDERSEITEN:Berufund
Chance:NadineBös;Bildungswelten: Dr.h.c. HeikeSchmoll;Der Betriebswirt: Georg
Giersberg;Der Volkswirt: Maja Brankovic;Die Lounge: JohannesPennekamp; Die Ord-
nung derWirtschaf t: HeikeGöbel;Forsch ung und Lehre: Thomas Thiel;Geisteswissen-


schaften: Patric kBahners; Immobilien: Michael Psotta; Jugend schreibt:Dr. Ursula Kals; Ju-
gend undWirtschaf t: Lisa Becker; Kunstmarkt:Dr. Rose-Maria Gropp; Medien: Michael
Hanfeld; Menschen undWirtschaf t: PhilippKrohn; Natur undWissenschaft: Joachim Mül-
ler-Jung;Neue Sachbücher:Helmut Mayer; Politische Bücher:Dr.PeterSturm;Rechtund
Steuern: Dr.HendrikWieduwilt;Reiseblatt:Freddy Langer;Staat undRecht: Dr.Reinhard
Müller;Technik und Motor: Holger Appel.
Bildredaktion:Henner Flohr;ChefinvomDienst:Dr.Elena Geus;Grafische Gestal-
tung:HolgerWindfuhr (ArtDirector), Benjamin Boch(stv.);Informationsgrafik:Tho-
mas Heumann.
DIGITALE PRODUKTE:Carsten Knop (Chefredakteur),KaiN.Pritzsche (Redaktions-
leiter),RobertWenkemann (ArtDirector).
GESCHÄFTSFÜHRUNG:Thomas Lindner (Vorsitzender), Dr.Volker Breid.
VERANTWORTLICHFÜR ANZEIGEN:Ingo Müller.
Anzeigenpreisliste Nr.80vom 1. Januar 2020 an; fürStellenanzeigen:F.A.Z.-Stellen-
markt-Preisliste vom1.Januar 2020 an. Internet:faz.media
HERSTELLER:Andreas Gierth.
MON ATSBEZUGSPREIS:Inland:Abonnement FrankfurterAllgemeine Zeitung
69,90€; einschließlich Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 76,90 €.Abonnenten
der gedruckten Zeitunglesen für einenAufpreisvon10,00 €die digitalenAusgaben

der F.A.Z. undFrankfurterAllgemeinen Sonntagszeitung. Darinenthalten istaußerdem
der vollständige Zugang zurWebsite FAZ.NET (F+).Mehr Informationen zu allenAnge-
botenund Preisen(z. B. für junge Leserund Studierende,Geschäftskunden, Digital-
und Auslandsabonnements) im Internetunter abo.faz.ne t. Ihr eDaten werden zum
Zwec kder Zeitungszustellungan Z ustellpartner und an die Medienservice GmbH &
Co. KG,Hellerhofstraße2–4, 60327FrankfurtamMain, übermittelt .Gerichtsstand ist
FrankfurtamMain.
NACHDRUCKE:DieFrankfurter Allgemeine Zeitungwirdingedruckter und digitaler
Form vertrieben und istaus Datenbanken abrufbar. Eine Verwertung der urheber-
rechtlich geschütztenZeitung oderder in ihr enthaltenenBeiträge undAbbild ungen,
besonders durch Vervielfältigung oderVerbreitung,ist ohnevorherig eschriftlicheZu-
stimmung desVerlages unzulässig undstrafbar,soweit sichaus demUrhebergesetz
nicht anderesergibt. Besondersist eine Einspeicherung oderVerbreitungvonZei-
tungsinhalteninDatenbanksystemen,zum Beispiel als elektronischer Pressespiegel
oderArchiv,ohne Zustimmung desVerlages unzulässig.
Sofer nSie Artikel dieser Zeitung nachdrucken, in Ihr Internet-Angebotoder in Ihr Int-
ranetübernehmen oder per E-Mailversendenwollen, können Sie die erford erlichen
Rechte bei derF.A.Z. GmbH online erwerben unter http://www.faz-rechte.de.Auskunf ter-
halten Sie unter [email protected] odertelefonischunter (069)7591-2901.Für
die ÜbernahmevonArtikeln in Ihren internen elektronischen Pressespiegel erhalten
Sie die erforderlichen Rechteunter http://www.presse-monitor.de odertelefonischunter
(030) 28 49 30, PMG Presse-Monitor GmbH.

©FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG GMBH, FRANKFURTAMMAIN
DRUCK:FrankfurterSocietäts-DruckereiGmbH&Co.KG, Kurhessenstraße4–6,
64546 Mörfelden-Walldorf;MärkischeVerlags- undDruck-GesellschaftmbH Pots-
dam,Friedrich-Engels-Straße24, 14473Potsdam; SüddeutscherVerla gZeitungs-
druc kGmbH ,ZamdorferStraße 40, 81677 München.
Amtliches Publikationsorgander Börse Berlin, Rheinisch-Westfälischen Börse zu Düs-
seldorf,FrankfurterWertpapierbörse, HanseatischenWertpapierbörse Hamburg, Nie-
dersächsischen Börse zu Hannover, Börse München, Baden-Württembergischen
Wertpapierbörse zuStuttgart
ANSCHRIFT FÜR VERLAGUND REDAKTION:
Postadresse: 60267FrankfurtamMain, Hausanschrift: Hellerhofstraße 2–4, 60327
FrankfurtamMain; zugleichauchladungsfähigeAnschriftfür alle im Impressumge-
nanntenVerantwortlichen undVertretungsberechtigten.
TELEFON:(069)7591-0. Anzeigenservice:(069)7591-33 44.Kundenservice: (0 69)
75 91-1000oder http://www.faz.net/meinabo.
Telefax: Anzeigen(0 69)7591-80 89 20;Redaktion (0 69) 75 91-1743; Kundenservice
(0 69) 75 91-2180.
BRIEFE AN DIEHERAUSGEBER:[email protected]
DeutschePostbankAG,FrankfurtamMain;
IBAN: DE58 5001 0060 0091 3936 04; BIC: PBNKDEFF

Fotosund Videos dokumentieren den
Ausnahmezustand, der am Donnerstag in
Nowi Sanschary, einer kleinenStadt drei-
hundertKilometersüdöstlichvon Kiew,
herrschte: Aufden Straßenstapelten sich
ReifenundbranntenBarrikaden,Hunder-
te Polizis tenstelltensichinschwererMon-
tur aufgebrachten Demonstranten entge-
gen, die Visiereheruntergeklapptund
Schutzschilde in der Hand. Grund des
Zornswaren die sechsweißen Busse, die
auf manchen Bildernzusehen sind. Eini-
ge hatten gesplitterte Fensterscheiben,
weil wütende DemonstrantenSteine ge-
worfen hatten.
WenigeStunden zuvorwaren72Rück-
kehrer aus derchinesischenRegion Hu-
bei, dem Ausbruchsortdes Coronavirus,
in ostukrainischen Charkiwgelandet. Die
zweiwöchigeQuarantäne sollen die 45
Ukrainer,unterihneneinachtJahrealtes
Kind undStudenten, 27 andereStaatsbür-
gersowie die 22Crew-Mitgliederin einem
Krankenhaus derNationalgarde inNowi
Sanscharyverbringen. Dochinder Zehn-
tausend-Einwohner-Stadtstellten sichim
LaufedesDonnerstagsHunderteDemons-
tranten den Bussen entgegen. Einigewa-
renaus anderen Ortenangereist. Am
EndedesTagesmeldetediePolizei 24Fest-
nahmen und mehrereVerletzte.
Unterden aus ChinaAusgeflogenen,
die vordem Abflug und nachder Lan-
dung getestet wurden, gibt es bisherkei-
nenbestätigtenCoronavirus-Fall.Siewer-
den unterständiger medizinischerÜber-
wachung für zweiWochen in Einzelzim-
mernunter gebracht.Inder Ukraine ist
nochkeine Erkrankung am sogenannten
Covid-19-Erregerbekannt.Dennoch
sperrten auchinder Westukraine De-

monstranten aus Angstvor demVirus
eine Fernstraße, weil ein Gerücht besagt
hatte, in derNähe würden China-Rück-
kehreruntergebracht .Der ukrainischeGe-
heimdienst SBU teiltemit, das saus dem
Ausland gefälscht eE-Mailsverschickt
worden seien, in denen angeblichdas Ge-
sundheitsministerium über Coronavirus-
Infektionen im Land informiere.

PräsidentWolodymyr Selenskyjverur-
teilteden Ausbruc hder Ge walt in Nowi
SanscharyamDonnerstagabend ineinem
Beitrag aufFacebook: „Mit demVersuch,
Straßen und Krankenhäuser zu blockie-
renund ukrainische Bürgernicht in die
Ukraine zurückkehren zu lassen, zeigen
wir alles andereals die beste Seiteunse-
resCharakters.“ DiePatienten würden

strenger bewachtals er selbst. Es gebe
also keine „bakteriologische Gefahr“, je-
dochdie, das svergessen werde, das sauch
die Quarantänepatienten Menschen und
Mitbürgerseien. Die Ukrainer sollten
sichein Beispieldaran nehmen, mitwel-
cher Anteilnahme dieFranzosen aus Chi-
na ausgeflogene Bürgeraufgenommen
hätten.

Innenminister ArsenAwakow reiste in
die Stadt, um zu beruhigen: Die Sicher-
heitsvorkehrungen würden streng sein
„wie in einemUntersuchungsgefängnis“,
aber dieUnterbringungkomfor tabel für
die Quarantänepatienten. Errief die Bür-
gerauf, sichihnen gegenüber „etwas
wohlgesinnter undgroßmütiger“ zu zei-
gen. Auch Regierungschef OleksijHont-
scharukkündigteeinen Besuchan.
Die Zusammenstöße wegender Qua-
rantänepatienten inNowi Sanscharyha-
beneineheftigeDebatt eentfacht.Führen-
de Politiker sprachenvon„Scham“ ange-
sichts des unsolidarischenVerhaltens der
örtlichen Bevölkerung. Ein Priesterbe-
klagtedie „Hartherzigkeit“. DiePolitolo-
gin Maria Solkina schrieb, inNowi San-
schar yhabe sichein GroßteilderBevölke-
rung zu Wortgemeldet, der in schwersten
politischen Krisen invölliger Gleichgül-
tigkeit undPassivität verharre,aber zu-
gleichalles vomStaat er warte.
GesundheitsministerinSorjanaSkalets-
ka entschlosssichzue iner Geste der Soli-
darität mit denAusgeflogenen, die auch
die erhitzten Gemüter beruhigen soll.
Nach dem ein Anwohner gesagt hatte, die
Quarantänewerdenur zugelassen,wenn
auchder Präsident seine Kinder in der
Nähe unterbringe,versprac hsie, selbst
zwei Woche ndortzuverbringen .AmFrei-
tagnachmittagschriebdie39 Jahre alteJu-
ristin und frühereBürgeraktivistin auf
Facebook,sie habe im Krankenhaus die
„Über wachungszone“ betreten. Sie habe
ein ganz normales Zimmerverlangt,doch
man habe ihr einen besonderenRaum ge-
geben, weil sie arbeiten und Skype- und
Telefonkonferenzen abhalten müsse. Alle
PersonenimKrankenhaus fühltensichge-
sund.

W


omöglichhat derTagPause
dochgeholfen,denndieLau-
ne derVerhandlungspartner
vonLinken, CDU,SPD und
GrünenwaramFreitagmittag zumindest
äußerlichglänzend: Bodo Ramelow
scherztemit den Grünen, die wiederum
mit der SPD, und auchdie CDU begrüßte
alle freundlich. Diesmal,sodie Hoffnung
allerBeteiligten,sollesaberwirklichklap-
pen. Im Saal 125 des Thüringer Landtags
nahmen dieParteien den nun schon vier-
tenAnlaufindieser Woche, um einen
Wegaus derRegierungskrise zufinden, in
derdasLandseitderWahl desFDP-Politi-
kers ThomasKemmerich zu mMinister-
präsidenten mitStimmen der AfDsteckt.
Nach demTreffenamMittwoc hdagegen
warenalle sichtlichgenervtvonder Ge-
samtlageund wohl auc hvoneinander aus-
einandergega ngen.
„Ichgehe mitFreude in die Gespräche,
weil Demokraten untereinander guteLö-
sungenfinden“, sagteRamelowdemons-
trativ fröhlich amFreitag. Ähnliches hatte
er schon malvordem 5. Februar ,dem Tag
seiner für ihn unerwarteten Niederlageim
Landtag,formuliert, dochseitdem hatRa-
melow,soscheintes,einenLauf.SeineBe-
lie bthei tbei den Thüringernist abermals
gestiegen, dieUmfrag ewert efür seineLin-
ke sind aufRekordhoch, und die CDU ser-
viertsichihm gerade auf dem Silbertab-
lett .Die Union is tseit derWahlniederlage
und ihremUmgang damit in eine denkbar
schlechtePositiongetaumelt,seitderKem-
merich-WahlhabensichihreUmfrag ewer-
te halbiert, in denAugender Mehrheit der
Bevölkerungsteht sie alsVerhinderer und

obendrein ohneFührung da. MikeMoh-
ring,der bisherigeLandes- undFraktions-
vorsitzende, hat seinenRückzug angekün-
digt, bei denVerhandlungen isterschon
nicht mehr dabei.Am 2. Märzwollen die
CDU-Abgeordne teneinen neuenVor-
stand wählen, und auf einemSonderpar-
teitag inKürzeaucheinen neuenVorsit-
zenden. In dieser Lage, jetzt den Landtag
aufzulösen und binnen 70Tagenneu zu
wählen, wie es dieVerfassungverlangt,
könntefür mindestens die Hälfteder
CDU-Mandatsträger dasAusbedeuten.
Der Parteigeht es deshalb umsÜberle-
ben, siekann im eigenen InteresseNeu-
wahlen jetzt nicht zustimmen, mussdafür
allerdingsvermittelbareErklärungenfin-
den. Sokommt es, dassUnions-Abgeord-
nete in diesenTagenimmer wiedervon
der„S tabilitätfürThüringen“,„Verantwor-
tung für das Land“ und dem„Wählerwil-
len“ sprechen, den es zu beachtengelte.
Allein, es nimmt ihnen im Landkaum
nochjemandab,während dieLinkealspo-
litischer Anker undStaatsparteischlecht-
hin dasteht.Das im Grunde obersteZiel
der CDU in denVerhandlungen istesd es-
halb, denZeitpunkt für Neuwahlen so
weit wie möglichnachhinten zu schie-
ben, in der Hoffnung, dann irgendwann
eine neueParteiführung zu haben, die po-
tentielleWähler das überwiegend selbst-
verschuldete Debakelvergessen machen
lässt.DochauchbeimPersonalisteskom-
pliziertinThüringens CDU.Ander Basis
wirdder vonder Bundeskanzlerin entlas-
sene Ostbeauftragte Christian Hirte,der
aus Thüringenstammt, als neuerVorsit-
zender hochgehandelt,während er der

Bundesparteiwohl eher nicht zuvermit-
teln wäre.Aberauchdortherrschtjagera-
de einFührungsvakuum.
Dochauchdas wiederumkönnteden
Thüringernindie Hände spielen, um eine
wie auchimmergeartete Kooperation mit
derLinken einzugehen. Eine andereOpti-
onhatdieUnion ohnehinnicht.Da siekei-
nesofortigenNeuwahlenwillundauchAl-
ternativen wie dievonRamelowvorge-
schlagene CDU-Politikerin Christine Lie-
berknecht als Übergangs-Regierungs-
chefin nicht mehr zuVerfügungstehen,
kann die CDU nun nur nochRamelow
wieder ins Amtverhelfen, damit Thürin-
genüberhauptwieder eineRegierung be-
kommt. Kemmerichwar dreiTage nach
seinerWahl zurückgetret en, „um das Amt
vomMakel der AfD-Unterstützung zu be-
freien“.Er istaber nochgeschäftsführend
imAmt,hatjedochkeineneinzigen Minis-
terund deshalb dieStaatssekretäreder
rot-rot-grünenVorgänger regie rung gebe-
ten,imAmtzubleiben.Erselbstnimmtje-
dochkeineoffiziellenTermine für die
Staatsregierungwahr; auchder Bundes-
ratssitzung amvorvergangenenFreitag in

Berlin blieb erfern,ummit seiner Anwe-
senheit „nicht zu provozieren“.Kemme-
richsWahl mitStimmen der AfD hatte
bundesweit fürgroße Empörunggesorgt
undnebenanderem dazugeführt, dassdie
CDU-Bundesvorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer ihr Amt zurVerfü-
gung stellte.
Vier Stimmen jedochbraucht Rot-Rot-
GrünvonCDUoderFDP,damitRamelow
im er sten Wahlganggewählt wird. Linke,
SPD und Grüne haben zur Bedingungge-
macht, dassdiese Mehrheitstehen muss.
„Auf keinen Fall“ werdesie Ramelow
nocheinmal in dreiWahlgängeschicken,
sagtedie Vorsitzende der Linken, Susan-
ne Hennig-Wellsow. Darüber hinausfor-
dertdie Linkevon der CDU dieZusage,
im Landtag nichtgemeinsam mit der AfD
gegenRot-Rot-Grün zustimmen. Auch
Grüne und SPDfordernein solches Mora-
torium. „Der Grad der Verbindlichkeit
mit der CDUsteigt, je länger dieNeuwah-
len in derZukunftliegen“, sagteder stell-
vertretende Vorsitzende der LinkenStef-
fenDittes bereits am Mittwoch. Soll hei-
ßen: Je länger dieNeuwahlen hinausge-
schobenwerden, umso eherwäre die Uni-

on bereit,Ramelowals Regierungschef
mit zuwählen sowiekonkreteProjekte
mit den Linken für dieZeit dazwischen zu
verabreden. Als Optionen liegenTermine
vorder Sommerpause, am Ende des Jah-
resnachVerabschiedung des Haushalts
für 2021, im Jahr 2021 und aucherst
auf demTisch.
Darum dreht es sichvor allem amFrei-
tag. Nach dreiStunden Verhandlungen
gibt es zunächsteine Auszeit ;die CDU
bleibt imRaum, während sichRot-Rot-
Grün separat berät.CDU und Rot-Rot-
Grün istklar,dasssie aufeinander ange-
wiesensind.FüreineAuflösungdesParla-
ments sind in Thüringen mindestens 60
der 90Stimmen im Landtag nötig.Neben
derLinkenpräferierenauchSPDundGrü-
ne Neuwahlen, habengemeinsam aber
nur 42Stimmen. Die CDU,die 21 Stim-
men hat, würde für einen solchen Schritt
gebraucht, da AfD und FDPgege nNeu-
wahlen sind. Die AfD würde Prognosen
zufolg edavon nicht profitieren,während
die FDP,der im Oktober äußerst knapp
der Sprung über dieFünf-Prozent-Hürde
gelungenwar, wohl nicht mehr in den
Landtag einziehen würde.

1945


Glänzender Laune:GeorgMaier und BodoRamelowamFreitagimThüringer Landtag Fotodpa

Kaiser Naruhito


JapansNaruhito, der imvergangenen
JahrdenChrysanthementhronbestie-
genhatte,wirdseinenerstenGeburts-
tagals Kaiser weitgehendallein im
Kreis seinerFamilie verbringenkön-
nen. Ministerpräsident ShinzoAbe
und andereWürdenträger werden
gratulieren, dochauf die Glückwün-
sche Zehntausender JapanerwirdNa-
ruhitoverzichten müssen. Das Hof-
amt hat die traditionelleVeranstal-
tung abgesagt, um das Risikoeiner
AusbreitungdesCoronaviruskleinzu-
halten. Der Geburtstagohne großen
Trubel passtzuder unauffälligen Rei-
bungslosigkeit, mit derNaruhitoin
den ersten Monaten diegroßen Fuß-
spuren seinesVaters Akihitoausge-
füllt hat.Inden wichtigen Anspra-
chen zum Jahrestagdes Kriegsendes
oder zuNeujahr unterschied er sich
in seinen Wünschen fürFrieden und
das Glückder Nation nichtvonsei-
nemVater. Die Akihito-Tradition,die
OpfervonNaturkatastrophen durch
einen persönlichen Besuchzutrös-
ten, hat derKaiser mit seinerFrau
Masakoaufgeg riff en. Einen persönli-
chen Akzentkann man bislang allein
daran erkennen, dassNaruhit ound
Masakosich, wie schon als Kronprin-
zenpaar,besondersder Integration
Behinderterwidmen.SeineersteAus-
landsreise wirdden Tenno, der in Ox-
ford studierte,indiesemFrühjahr in
das VereinigteKönigreichführen. An
diesemSonntag wirdTennoNaruhito
sechzig Jahre alt. pwe.


Russland will den Covid-19-Erreger
mit beispiellosenMethoden eindäm-
men: Seit Donnerstag dürfenkeine
Chinesenmehr ins Land einreisen; so
ein umfassendesVerbotgab es noch
nie. Moskaus BürgermeisterSergej
SobjaningabamFreitag weiter estrik-
te Maßnahmen bekannt.Untersucht
würden alle aus China ankommenden
Reisenden, auchTransitpassagiere,
nochamFlughafen–der Flugverkehr
mit China iststark eingeschränkt, und
es kommen mittlerweile nur nochFlü-
ge an einemTerminal des Moskauer
Flughafens Scheremetjewo an. Sobja-
ninerläuterte,mit Sym ptomen komme
maninein Krankenhaus,ohneSympto-
me zweiWochen in Quarantäne, und
zwar zu Hause oder im Hotel. Polizis-
tenund Medizinersuchten nachLeu-
ten, dievorEinführung derstrikten
Kontrollen aus China in Moskau ange-
kommenseien, auchMitarbeiterdesöf-
fentlichenNahver kehrsder Hauptstadt

seien an dem „Monitoring“ beteiligt.
Schon inrund 2500Fällen sei die zwei-
wöchigeIsolierung angeordnetwor-
den. In der Hauptstadt sei nochkein
Covid-19-Krankheitsfall festgestellt
worden.
Der Bürgermeisterhob hervor, dass
zur Kontrolle auchdie Gesichtserken-
nungssoftwaregenutztwerde, mit der
schon viele dermehr als160 000Über-
wachungskameras in Moskau ausge-
stattetsind. Offenkundiggeht es dem
Bürgermeisterdarum,Fälle wie inSt.
Petersburgzuvermeiden.Dortwaren
dieserTage aus China zurückgekehr te
Russinnen aus dem Krankenhaus, in
dem sie isoliertwerden sollten, entwi-
chen.Ein Gerichthattedie Zwangsein-
weisung der uneinsichtigenFrauen an-
geordnet, der Leiter des Krankenhau-
ses verlor seineStelle. InRussland gab
es bisher offiziell zwei Corona-Fälle;
erkranktwarenjeweils Chinesen im
asiatischenTeil Russ lands, die mittler-

weilewiederaus demKrankenhaus
entlassenworden sind. AnfangFebru-
ar waren144 Personen, vorallem Rus-
sen, aber aucheinigeBürgervon Nach-
barländern,vonder russischenLuft-
waffeaus demchinesischenWuhan
ausgeflogen und im Sanatorium
„Städtebauer“ in einem Dorfdes west-
sibirischenTjumenerGebietszweiWo-
chenisoliertworden.Erkranktwarkei-
ner.
Das Coronavirus trifft Russlands
Wirtschaf thart. FinanzministerAnton
Siluanowsagte, allein aufgrund des
Handelsrückgangs verliereman umge-
rechnet mehr als 14 MillionenEuro
am Tag. Das Einreiseverbotgegen Chi-
nesen dürfteauf Baustellen im Osten
Russlands, aber auchbeim Moskauer
U-Bahn-Ausbau zu Schwierigkeiten
führen.Auch Russ lands Tourismus lei-
det, in dem China 2019 mit knapp ein-
einhalb Millionen Besucherndie Num-
mer einswar. frs.

Wutausbruchgegen die eigenen Leute


Inder Ukrainekames zu gewalttätigen Protestengegen China-Heimkehrer /VonGerhard Gnauck, Warschau


Schlaflos


in Er furt


Personalien


Russlands striktesVorgehen gegendas Coronavirus


DIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN


  1. FEBRUAR


In Thüringenwirdweiter versucht,


einen Ausweg au sder Regierungskrise zu


finden .Die CD Uhat vorallemein Ziel:


Neuwahlenso sp ät wiemöglich.


VonStefanLocke,Erfurt


Für die Herstellung derFrankfurterAllgemeinen Zeitung wirdausschließlichRecycling-Papierverwendet.
Free download pdf