issue_gartenbuch_2021

(Susanne Mueller3Bw72N) #1
Die Komische Oper Berlin präsentiert mit
“Komşu Dolmuş” Live-Musiktheater in den Prinzessinnengärten

ein iger Tätigkeiten gegenüber anderen, die nicht
entlohnt würden, änderte sich alles. Historisch und
in der aktuellen Situation ist der Garten nur möglich
aufgrund der Mithilfe einer Un-Zahl von Menschen,
die direkt oder mittelbar an der Entstehung dieses
Ortes beteiligt waren und sind. Nur durch den
gewaltsamen Akt einer Ent-Scheidung ließen sich aus
dem Geflecht der Tätigkeiten, die zusammenwirken
mussten und weiter zusammenwirken, um den Garten
zu ermöglichen, einige Arbeiten herausschneiden und
abzirkeln, die bezahlt werden, während andere Arbei-
ten, durch diese Trennung als „gratis vorhanden”
vorausgesetzt und in Wert gesetzt würden. Durch die
Unter-Scheidung selbst würde die Fläche zum Pro-
duktionsmittel für einen notwendigerweise begrenz-
ten Kreis von Leuten, zum Hebel also, durch den sie
sich, ohne jede Absicht, die gemeinsame Tätigkeit
einer nicht zu zählenden Anzahl von Menschen, die
sich bis heute in diesem Garten vergegenständlicht
hat, aneignen.
Sofort entstünde eine ganze Reihe von Fragen:
Welche Tätigkeiten werden bezahlt, und welche nicht?
Wie überhaupt lässt sich dies begründen, oder
handelt es sich nicht viel eher um einen grundlosen
Akt der Trennung? Wer entscheidet? Wer von
denjenigen Leuten, mit denen ich hier zusammen-
arbeite, wird für unsere gemeinsame Tätigkeit und ihr
Produkt entlohnt, ohne dass ich es womöglich weiß?
Warum sollte ich meine eigene Zeit und Arbeitskraft
gratis aufwenden, während einige andere für
die ihre bezahlt werden? Nicht nur Fragen entstün-
den, sondern auch ökonomische Abhängigkeiten;
besondere Interessen, Trennungen, Vergleichungen,
Neid und Hierarchien wären die notwendige
Folge. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen und üblichen monetären
Wertschätzung müssten die entlohnten Tätigkeiten
als wichtiger erscheinen als all die anderen, die
nicht entlohnt werden. Sind sie etwa wichtiger?
Und also ihre Träger? Wenn dem nicht so ist, wie lässt
sich dann ihre Bevorzugung rechtfertigen? Wenn
dem aber so ist, wie lässt sich das Einreißen von
sozialen Hierarchien verhindern?
Würden einige Tätigkeiten entlohnt, bestünde zudem
die Gefahr der Herausbildung von Partizipations-
und Repräsentationseliten, die aufgrund ihrer
Entlohnung mehr Zeit aufwenden könnten und
präsenter wären, was wiederum Wissenshierarchien
verstärken, die Herausbildung von Funktionseliten
begünstigen und, ohne jede Absicht, zu einer sozialen
Stratifizierung führen müsste. Kurzum, der Garten
würde dazu, was er durch die besagte Ent-Scheidung
objektiv schon wäre: eine nur mehr nominell
und dem Anschein nach öffentliche Fläche,


tatsächlich jedoch eingehegt durch eine kleine
Gruppe Bevorteilter, die einen privaten Gewinn aus
der kollektiven Arbeit zöge und daher unvermeidlich
das ökonomische Interesse entwickeln müsste, auch
ihre politische Kontrolle über die Fläche, d. h. über
ihr exklusives Produktionsmittel, auszubauen und zu
sichern, die wilde Menge unserer Beziehungen
zu schulmeistern und zu regieren. Was wir mit
der Entlohnung einiger Tätigkeiten objektiv erreichen
würden, wäre die Herausbildung all dieser Tren-
n ungen und Hierarchien, die Einhegung einer grenzen-
losen, nur durch gemeinsame Regeln geschützten
Allmende und die Zerstörung einer Heterotopie.

Sicher, das ist die Normalität. Dieser Garten soll
aber etwas anderes sein. Er soll eine Dynamik der
Inklusion entfalten, der Selbstorganisation und kollek-
tiven Steigerung von Selbstwirksamkeit ohne ökono-
mische Hintergedanken. Was durch die Zusammen-
fügung und gemeinsame Steigerung unseres
Könnens, die immer von Freude begleitet ist,
erreicht werden soll, ist auch eine Minderung der
ökonomischen Abhängigkeit dieses Ortes. Deshalb
exkludieren wir die Logik des Geldes, welche die
ökonomische Abhängigkeit des Gartens steigern,
die Selbstorganisationskräfte schwächen und
un vermeidlich eine Dynamik der Exklusivität und der
Trennungen in Gang setzen müsste, von vornherein.

Dieser Schnitt ist ebenso künstlich wie radikal.
Alle, die im Garten tätig sind, müssen sich, so
un gleich ihre jeweiligen Voraussetzungen auch sind,
anderweitig erhalten. Der Garten ist ein anderer Ort
in einer kapitalistischen Umgebung. Doch er ist
von dieser Umgebung nicht getrennt. Nur die Radika-
lität eines künstlichen Schnitts kann dieses soziale
Experiment daher vor der gesellschaftlichen Domi-
nanz und der anprallenden Wucht der kapitalistischen
Dynamik schützen; nur durch diesen künstlichen
Schnitt kann es überhaupt gelingen, die seltene
Andersartigkeit des Gartens und ihr Versprechen
gegenüber dem ungeheuerlichen Verwertungsdruck,
der auf dieser Fläche lastet und die Gesellschaft in
all ihren Regungen, bis hinein in die Formen, in denen
wir zu denken gewohnt sind, durchdringt, einiger-
maßen zu behaupten.

Novak, Januar 2021

Der Text wurde redaktionell leicht gekürzt. Eine Erwiderung
mit dem Titel „Der Garten als utopischer Ort” konnte aus
Platzgründen nicht aufgenommen werden und soll an anderer
Stelle erscheinen.

Der Garten als ein anderer Ort
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