Montag, 2. März 2020 INTERNATIONAL 5
Der Sieg in South Carolina bringtJoe Biden in diePole-Position für den gemässigten Flügel derDemokraten. MATT ROURKE / AP
Joe Biden feiert seine Auferstehung
Der frühere Vizepräsident erziehlt bei der demokratischen Vorwahl in South Carolina ein Glanzresultat
PETER WINKLER,WASHINGTON
Eben noch hatte er ausgelaugt gewirkt;
wie einer, der ein Pflichtprogramm ab-
hakt. Doch am Samstagabend sprühte
Joe Biden plötzlich vor Energie, hielt
eine mitreissendeRede und liess end-
lich dasFeuer durchscheinen,das ihn als
VizepräsidentBarack Obamas bekannt
gemacht hatte. Kurz zuvor war klarge-
worden, dass er zum ersten Mal in sei-
nem Leben – im dritten Anlauf für das
Präsidentenamt – eineVorwahl gewon-
nen hatte. Und nicht etwa knapp, son-
dern mit einemResultat, das an Deut-
lichkeit nichts zu wünschen übrig liess.
Mit 48,4 Prozent der Stimmen
liess Biden den zweitplatzierten Ber-
nie Sanders (19,9 Prozent) weit hinter
sich. Und danach ging’s richtig bergab.
Kein anderer Bewerber schaffte es, die
15-Prozent-Hürde zu überspringen und
damit Delegierte für denWahlkonvent
im Sommer zu verbuchen. Der Unter-
nehmer und PhilanthropTom Steyer,
der in South Carolina eineWette mit
hohem Einsatz machte, aber mit gut 11
Prozent der Stimmen deutlich schei-
terte, zog dieKonsequenzen und stieg
aus demRennen. Alle anderen Kandi-
datinnen und Kandidaten mussten sich
mit einstelligen Prozentanteilen zufrie-
dengeben.
Nach enttäuschenden Resultaten
in Iowa, New Hampshire und Nevada
war Biden von vielenAuguren prak-
tisch totgesagt worden. Er selber hielt
eisern an seiner Überzeugung fest, dass
er in South Carolina, einem etwaskon-
servativen südlichenStaatmit einem
hohen Anteil schwarzerWähler unter
den Demokraten,Luft unter die Flügel
bekäme.
BedeutendeUnterstützung
Er erhielt in denTagen vor derVor-
wahl noch die bedeutende Unterstüt-
zung des afroamerikanischen Abge-
ordneten Jim Clyburn, der zurFüh-
rung der DemokratischenPartei im
Repräsentantenhaus inWashington ge-
hört und in South Carolina eine poli-
tische Ikone ist. In seiner Siegesrede
zeigte sich Biden erkenntlich:«Du hast
mich zurückgebracht», rief er Clyburn
zu. Der Zeitpunkt für BidensTriumph
ist in mehrerer Hinsicht wichtig. Nun,
wenigeTage vor dem SuperTuesday
mit Vorwahlen in16 Gliedstaaten und
Territorien, wechselt die Optik des
Rennens. Bisher war wichtig, wer ge-
wann und wer auf den nachfolgenden
Plätzen folgte. Von jetzt an wird es nur
noch um eineFrage gehen:Wie viele
Delegiertekönnen die Bewerberin-
nen und Bewerber auf ihrKonto ver-
buchen, die amWahlkonvent in Mil-
waukee MitteJuli den offiziellen Kan-
didaten nominieren? Biden hat sich in
South Carolina mit einem Schlag auf
den zweiten Platz knapp hinter Ber-
nie Sanders katapultiert, der bisher auf
einem strammen Siegeskurs war.
Mitvollen Segeln
Die Beteiligung an der offenenVorwahl,
bei der auch Unabhängige und selbst
Republikaner mitmachen konnten,
kam mit fast 530000 Wählern nahe an
den Rekordvon 2008 heran,als Obama
seine damalige Konkurrenz, Hillary
Clinton undJohn Edwards, ebenfalls
deutlich hinter sich liess. Im Vergleich
zu 2016 (371 000) ist also einedeut-
lich grössere Begeisterung erkennbar.
Biden schaffte zudem dasKunststück,
in sämtlichen Counties des Gliedstaats
abzuräumen, was selbst Obama damals
nicht gelungen war.
Dies alles deutet klar darauf hin,
dass Biden eine breitereKoalition an-
spricht als Sanders. EineAufstellung
der «WashingtonPost» von Alters- und
Interessengruppen,die sich in den Nach-
wahlbefragungen (ExitPolls) von den
beiden Bewerbern angesprochen fühlte,
sprichtBände. Sanders schwingt bei den
Jungen (17 bis 29Jahre alt) obenaus und
bei jenen, die nie zu einem Gottesdienst
gehen.Biden dagegen schlägt Sanders in
27 Kategorien. Diesereichen von allen
anderenAltersgruppen überWeisse und
Schwarze zu Unabhängigen und gemäs-
sigt Progressiven. Biden hat sich mit
einem Schlag in die Position des Spitzen-
vertreters des gemässigten Flügels der
Demokraten gebracht,während Sanders
klar den linken Flügel dominiert.
Biden geht nun mit vollen Segeln in
jene Veranstaltung, die gern als «inoffi-
zielle nationaleVorwahl» bezeichnet
wird, weil am SuperTuesdayVorwah-
len in14 Staaten von Maine im Nordos-
ten bis nach Kalifornien ganz imWes-
ten gleichzeitig stattfinden. Mehr als ein
Drittel aller Delegierten, die einem be-
stimmten Bewerber verpflichtet sind
(gebundene Delegierte), werden an
diesem einenTag bestimmt. Kalifornien
(415 Delegierte) undTexas (228) sind
dabei die Schwergewichte.
Sanders ist in beiden dieser Staa-
ten der grosseFavorit, und mit dem
Milliardär Mike Bloomberg, der alles
auf den SuperTuesday gesetzt hat, er-
wächst Biden zum ersten MalKonkur-
renz einer ganz neuen,schwer einschätz-
baren Art. Die magische Zahl in allen
Vorwahlen ist15 Prozent:Nur wer diese
Hürde überspringt– entweder im gan-
zen Gliedstaat oder in einzelnenKon-
gress-Wahlkreisen –, kann Delegierte
auf seinKonto verbuchen. DieVertei-
lung danach verläuft bei den Demokra-
ten stets proportional,was Unterschiede
beträchtlich nivelliert.
Das Coronavirus wird in den USA zum Politikum
Die Regierung wirft den Demokraten und den Medien Panikmache vor –mit dem einzigen Ziel, ihr zu schaden
MARIE-ASTRID LANGER,SAN FRANCISCO
Die Zahl der mit dem Coronavirus in-
fiziertenPersonen hat in den vergan-
genenTagen in den USArasant zu-
genommen. Nachdem erst am Diens-
tag in Nordkalifornien der erste bestä-
tigteFall aufgetreten ist, überschlagen
sich inzwischen die Meldungen zu Neu-
infektionen. Mit Stand Sonntagmit-
tag (Ortszeit) gab es gemäss der Ge-
sundheitsbehörde CDC (Centers for
Disease Control and Prevention) 24
Erk rankungsfälle in achtGliedstaa-
ten. Hinzukommen 44 Amerikaner,
die sich auf dem Kreuzfahrtschiff «Dia-
mond Princess» inJapan infiziert, sowie
drei Staatsbürger, die sich in der chine-
sischen StadtWuhan angesteckt hatten.
In mehrerenFällen ist nicht klar, wie
sich die Betroffenen infiziert haben.Am
Wochenende starb die erstePerson–
ein Mann Ende 50 – an denFolgen der
Viruserkrankung, vier weiterePersonen
befindensich in kritischem Zustand.
Unter der Bevölkerung breitet sich
das Unbehagen wie einLauffeuer aus:
Flugpassagiere tragen Schutzmasken,
zahlreiche Konferenzen im ganzen
Land wurden abgesagt, darunter auch
die prestigeträchtige Entwicklerkonfe-
renz vonFacebook im Mai.MehrereFir-
men haben die Geschäftsreisen für ihre
Mitarbeiter beschränkt.Spitäler im gan-
zen Land bereiten sich auf eine grossflä-
chigeAusbreitungdes Virus vor, in vie-
len Supermärkten sind dieRegale mit
Konserven bereits leergeräumt.
Das Coronavirus hat sich auch zu
einer Krise für dieRegierungentwickelt.
Noch am Montag hatte PräsidentTrump
getwittert, dasVirus sei «absolut unter
Kontrolle in den USA. Die Aktien-
märkte fangen an, sehr gut auszusehen!».
Auch noch während eines Besuchs in
Indien am Dienstag hatteTrump be-
hauptet:«Wir haben sehr wenigePerso-
nen, die daran erkrankt sind, und es geht
ihnen zunehmend besser.»
Er widersprach damit den Einschät-
zungen von Gesundheitsexperten, die
vor denFolgen desVirus gewarnt hat-
ten, unter ihnen sein eigener Gesund-
heitsministerAlexAzar. Erst auf öffent-
lichen Druck hin beriefTrump Mitte der
Woche eineTask-Force für dasVirus
ein. ImVersuch, in der gegenwärtigen
KriseFührungsstärke derRegierung zu
demonstrieren, übertrug er derenVor-
sitz aber nicht einem Gesundheitsexper-
ten , sondernVizepräsident MikePence.
Am Ende derWoche wirkte diese
Einschätzung wie Hohn, denn nicht nur
die Zahl der Neuinfektionen war mar-
kant gestiegen, auch dieFinanzmärkte
schlossen die schlechtesteWoche seit
der Finanzkrise 2008 ab. Im Versuch,
den Abwärtstrend aufzuhalten, deutete
derVorsitzende derFederalReserve, Je-
rome Powell, amFreitag in einer Stel-
lungnahme an, dass die Zentralbank
notfalls die Zinsen senken würde, um die
Wirtschaft vor denFolgen des Corona-
virus zu schützen.
Nachdem am Samstagmorgen dann
der ersteTodesfall in den USA bekannt-
geworden war, berief dieRegierungeilig
eine Pressekonferenz ein, die zweite
innert dreiTagen. Trump trat gemein-
sam mitVizepräsident MikePence und
Expertenwie GesundheitsministerAlex
Az ar vor die Kameras und versicherte,
dass «die Bedrohungdurch das Corona-
virus für den durchschnittlichen Ameri-
kaner niedrig» sei.Gleichzeitig verhäng-
ten die USA die höchsteReisewarnung
für die am stärksten betroffenenRegio-
nen in Italien und Südkorea. Zusätzlich
wurden alleReisen nach Iran verboten,
und Ausländer, die in denvergangenen
14 Tagen dort waren, dürfen bis auf wei-
teres nicht mehr in die USA einreisen.
Forschungsgelder gekürzt
Die Regierung steht auch in der Kri-
tik, weil sie die Mittel zur Bekämpfung
de rartiger Krankheiten in den vergan-
genen dreiJahren massiv zusammen-
gekürzt hat.Trump hat etwa neuFach-
stellen zur Bekämpfungvon Epidemien
nicht mehr besetzt, die seinVorgänger
Barack Obama im Nationalen Sicher-
heitsrat und im Ministerium für Inland-
sicherheit eingerichtet hatte.
Kritik wurde ausserdem laut,weil die
Auswertung vonTests auf das Corona-
virus lange auf den Hauptsitz der Ge-
sundheitsbehörde CDC in Atlanta be-
schränkt war, was dazu führte , dass
der ersteVerdachtsfall in Nordkalifor-
nien tagelang nicht bestätigt werden
konnte – mitFolgen für dieVerbreitung
des Virus. Nun teilte Gesundheitsminis-
terAzar mit,dass mehrereDutzende an-
dere Institutionen dieTests auswerten
könnten;zudem arbeiteten 70 Hersteller
daran, Schnelltests zu entwickeln.
Die Regierung wiederum dreht den
Spiess nun um und wirft ihrerseits den
MedienunddenDemokratenvor,dieBe-
drohung durch dasVirus aus politischen
Motiven hochzuspielen. Mick Mulvaney,
derderzeitigeStabschefimWeissenHaus,
sagte bei einerVeranstaltung führender
Konservativer, die Medien glaubten,dass
«dasdenPräsidentenzuFallbringenwird,
dasistes,worumesbeialldemgeht».Mul-
vaney betonte, dass dieRegierung bereits
EndeJanuar ein Einreiseverbot fürAus-
länder erlassen habe, die jüngst China be-
sucht hatten.
Trump lobte sich amWochenende
selbst für diesen Entscheid und beschul-
digt e ebenfalls die Medien, «alles dafür
zu tun, umFurcht in den Menschen zu
schüren». Die Verluste an den Börsen
schrieb er einerseits dem Coronavirus
zu, andererseits den angeblichen Sor-
gen vieler Investoren über die demo-
kratischen Präsidentschaftskandidaten.
«Sobald wir gewonnen haben, werdet
ihr einen noch nie gesehenen Anstieg
an den Börsensehen.»
Doch insbesondere der Einbruch der
Märkte dürfteTrumpsWahlkampfteam
alarmieren, schliesslich basiert seine
StrategiezurWiederwahlaufderstarken
Wirtschaft und den florierenden Börsen.
Doch schon jetzt wirkt sich die globale
Gesundheitskrise negativ auf die ameri-
kanischeWirtschaft aus. Goldman Sachs
hat die Prognose für das Bruttoinland-
produkt der USA für das erste Quartal
bereitsum0,8Prozentpunktenachunten
korrigiert. Sollte die amerikanische Be-
völkerung zusätzlich den Eindruck be-
kommen, dass dieRegierung dasVirus
unterschätzt hat,drohenTrump und den
RepublikanernKonsequenzenbeidenin
acht MonatenanstehendenPräsidenten-
und Kongresswahlen.
TeuresGesundheitswesen
Wie unter einemVergrö sserungsglas zei-
gen sich nun auch die Schwachstellen des
amer ikanischenGesundheitssystems.Mit
Stand 2019 hatten 27,5 Millionen Men-
schenin den USA keine Krankenver-
sicherung, vieleVersicherte haben ext-
rem hohe Selbstbehalte. 44 Prozent der
AmerikanergabenineinerUmfrage 2018
an,dass sie ausKostengründen nicht zum
Arzt gingen, wenn sie krank seien.
Für landesweitesAufsehen sorgte
nun derFall eines Mannes in Miami,
der sich auf Covid-19 testen liess und
anschliessend eine Spitalrechnung über
3270 Dollar erhielt. DerTest erwies sich
als negativ, und zwei Drittel derKos-
ten wird seine Krankenversicherung
übernehmen – falls er denn nachwei-
sen kann, dass die imTest festgestellte
Grippe nicht aus einer Vorerkrankung
resultiert,denn eine solche wäre von der
Versicherung ausgeschlossen. Doch die
Berichte dürften andere Amerikaner,
die eine Infektion fürchten, davon ab-
halten, sich frühzeitig testen zu lassen.