Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1
nen gesammelt. Dann kam, wie im Märchen, ein reicher
König zu Hilfe – der Sultan von Oman erklärte sich bereit,
17 Millionen Euro für das „Neue Hauner“ zu spenden. Das
reiche Bayern braucht noch reichere Araber, um sich nach
mehr als 130 Jahren einmal eine neue Kinderklinik zu leisten,
weil die Landesregierung zu geizig ist. Dass Mäzene Klinik-
bauten finanzieren, ist kein Einzelfall. Auch die Kinderkli-
nik der Uni Heidelberg hängt seit Jahrzehnten schon am
Tropf des SAP-Gründers Dietmar Hopp.
Frieda wurde in ihren ersten Lebenswochen fünfmal ope-
riert, Stück für Stück verlagerten Ärzte die Eingeweide in die
Bauchhöhle, dann konnten sie die Bauchdecke verschließen.
Doch Frieda konnte weder schlucken noch saugen, und sie
kam wegen der Lungenfehlbildung lange nicht von der ma-
schinellen Beatmung los. Als der Tag der Entlassung nahte,
suchte Elisabeth Zattler nach einem niedergelassenen Arzt,
der das Mädchen engmaschig weiterbetreuen würde.
Die Zattlers wohnen in einem Münchner Vorort, die bay-
erischen Alpen in Sichtweite. Hinter dem Garten erstrecken
sich Weideflächen, von denen das Läuten der Kuhglocken
herüberdringt. Ein Idyll. Doch nicht für schwer kranke Kin-
der. „Ich habe in 35 Praxen angerufen, nur Absagen. Niemand
war bereit, Hausbesuche zu machen, viele sagten, ihnen feh-
le die Erfahrung für solche Fälle.“

S


pezialisten sind selten unter niedergelassenen Kin-
derärzten. „Schon für Routineuntersuchungen wie
Magenspiegelungen werden Kinder ins Kranken-
haus geschickt“, sagt Alex Rosen, Vorstand des
Vereins „Ärzte in sozialer Verantwortung“, der eine große
Kindernotaufnahme in Berlin leitet. „Manchmal wehren
sich Kinder einfach nur mit Händen und Füßen gegen eine
Blutentnahme. Dafür ist keine Zeit im Praxisalltag.“ Bis zu
einer halben Stunde könne das dauern, zwei Ärzte und zwei
Pflegekräfte binden. Auch deshalb quellen die Kindernot-
aufnahmen über, deshalb benötigt die Kinderheilkunde ein

Drittel mehr Personal als die Erwachsenenmedizin. Es gibt
weitere Besonderheiten. 80 Prozent der Leistungen sind in
der Kinderheilkunde nicht planbar. Krankheiten treten oft
als Epidemien auf, im Sommer stehen Betten leer, im Winter
platzen die Kliniken aus allen Nähten. Personal und Geräte
aber müssen Kinderkliniken das ganze Jahr über vorhalten.
Der Umkreis, in dem Elisabeth Zattler suchte, wurde
immer größer. Nina Sellerers Praxis liegt weit weg, doch die
Kinderärztin wohnt am gleichen Ort. Bis vor vier Jahren
arbeitete sie als Oberärztin am Haunerschen Kinderspital,
sie ist Kinderintensivmedizinerin. Als sie Zattlers E-Mail las,
wusste sie, hier konnte sie nicht Nein sagen, egal, wie viele
Feierabende es sie kosten würde. „Wir haben unfassbares
Glück“, sagt Zattler. Sellerer ist tagsüber und nachts telefo-
nisch erreichbar. Fieber, Atemschwierigkeiten, Durchfälle,
alles managen die Zattlers mithilfe der Ärztin ambulant.
„Ohne Nina wären wir oft mit Frieda in der Notaufnahme
gelandet.“ Verglichen mit anderen schwer kranken Kindern
lebt Frieda auf einer Insel der Sicherheit. Normalerweise.
An jenem Morgen im Oktober aber drohte die Situation
zu entgleisen. Friedas Herz raste, sie rang nach Luft und lief
blau an, das Fieber kletterte auf über 39 Grad. Sellerer ver-
mutete eine Lungenentzündung. „Da war höchste Eile ge-
boten, Kinder mit vorgeschädigten Lungen können binnen
Stunden in einen lebensgefährlichen Zustand geraten“, sagt
die Ärztin. Sie kündigte Frieda im Haunerschen Kinderspi-
tal an. Die Eltern nahmen das eigene Auto, der Vater schloss
Frieda per Schlauch an den Sauerstoffrucksack an, den sie
für jeden Gang außer Haus benötigen. Gegen halb drei Uhr
nachmittags trafen sie in der Notaufnahme ein.
Warum Frieda nicht aufgenommen wurde, erklärt dem
stern einige Wochen später Karl Reiter, Leiter der pädiatri-
schen Intensivmedizin. Zum Gespräch bringt er Friedas Auf-
nahmeprotokoll mit. „Sie dürfen den Menschen keine Angst
machen. Ein Patient in akuter Lebensgefahr würde immer
aufgenommen“, versichert er. An jenem Tag sei ein Junge

Deutschlandweit müssen große Kinderkliniken viele


Intensivbetten „sperren“ – weil Pflegepersonal fehlt


Professor Karl
Reiter „Ein
Patient in
Lebensgefahr
würde immer
Notfall-Sensor aufgenommen“
Sobald die
Sauerstoff-
sättigung in der
Zeh-Arterie
sinkt, ertönt
ein Alarmsignal

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