Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1
FOTOS:ANTONELLA FRÉSZ; ADOLPH PRESS

Charell, 1944 als
Angela Miebs in
Winsen geboren,
steht seit ihrer
Kindheit auf der
Bühne. Mit 18 ging
sie nach Frankreich
und machte als
Revuetänzerin
Karriere. Das US-
Magazin „Variety“
verlieh ihr den
Namen „Miss Long-
legs“. Später war
Charell als Sänge-

rin, Schauspielerin
und TV-Moderato-
rin international
gefragt. In den 80er
Jahren (o.) führte
sie durch den
Grand Prix Euro-
vision de la Chan-
son, den sie in vier
Sprachen mode-
rierte, und war
häufig in Shows
wie „Dalli Dalli“
und „Am laufenden
Band“ zu Gast.

M


adame Charell, wann wurden
Sie zuletzt Angela oder Frau
Miebs genannt?
Das ist eine Ewigkeit her. Di-
rekt in Paris, 1962, nahm ich
meinen Künstlernamen an,
den ich schnell verinnerlichte. Auf Ange-
la reagiere ich gar nicht mehr.
Dort gelang Ihnen damals der Durch-
bruch, mit 18 am Revuetheater.
In Deutschland waren zu dieser Zeit die
Revue-Möglichkeiten begrenzt, deshalb
bin ich mit meinen Eltern nach Paris ge-
reist und habe dort Auditionen gemacht.
Ich erhielt tatsächlich einen Vertrag im Ca-
baret „Folies Bergère“, wo vor mir auch
schon Josephine Baker getanzt hat. Ich war
berauscht von Paris. Die Kultur, die Mode,
die Farben! Gleich am ersten Tag habe ich
mir ein neues Parfüm zugelegt – ich kann-
te zuvor nur 4711.
Und dann führten Sie ein Glamour-
Leben, mit Austern und Champagner?
Eher eines mit viel Disziplin. Proben. Zwei
Aufführungen am Abend. Und dann wie-

der von vorn, jeden Tag. Die Revuetheater
waren bekannt für ihren Perfektionismus.
Ich erinnere mich trotzdem mit Liebe an
jeden Moment.
Mit 21 standen Sie dann in Las Vegas im
„Dunes“ unter Vertrag.
Eigentlich hatte ich einen Vierjahresver-
trag mit dem „Folies Bergère“, aus dem
mich das „Dunes“ in Las Vegas aber heraus-
gekauft hat. Dort kamen jeden Monat neue
Weltstars für die Shows: Frank Sinatra,
Sammy Davis, Jr., Andy Williams. Natürlich
kamen wir Künstler miteinander in Kon-
takt, meist nach der zweiten Show, weit
nach Mitternacht. Besonders Sammy Da-
vis, Jr., habe ich damals sehr verehrt, weil
er so unglaublich talentiert, professionell
und privat so lieb und so bescheiden war.
Später traten Sie im berühmten „Lido de
Paris“ auf. Gab es viele Avancen von der
Herrenwelt?
Die gab es, und es war auch schmeichel-
haft, wenn ich Blumen in die Garderobe ge-
schickt bekam. Aber das war irrelevant für
mich, denn kurz nach meinem Engage-
ment im Lido lernte ich meinen Mann
kennen. Er war Technischer Direktor des
Lido und wurde später mein Manager. Mir
war sofort klar, dass er die große Liebe war.
Wir waren fast 50 Jahre verheiratet, haben
eine wunderbare Tochter und hatten die
beste Zeit miteinander, die man sich über-
haupt vorstellen kann. Perfekt.
Ihr Mann Roger ist im vergangenen Jahr
gestorben.
Er hatte Krebs, und sein Tod hat alles ver-
ändert. Ich habe ihn bis zuletzt gepflegt.
Er hinterlässt eine Leere. Ich kämpfe jeden
Tag. Meine Tochter unterstützt mich groß-
artig. Nun habe ich eine kleine Dackelhün-
din, Tiffany, sie ist jetzt vier Monate alt.
Sie gibt mir ebenfalls viel Kraft und Mut.
Ich muss nach vorn schauen. Heute habe
ich etwas im Garten gearbeitet, den Roger
so schön angelegt hat.
1983 moderierten Sie den Grand Prix
Eurovision de la Chanson. Sehen Sie sich
die Show noch an?
Jedes Jahr. Aber es war eine andere Zeit, in
der ich ihn moderiert habe. Sehr anstren-
gend, ohne Teleprompter. Ich musste die
Namen aller Interpreten, aller Autoren und
Komponisten aus allen Ländern auswen-
dig können – ein Wahnsinn.
Spielt das Tanzen für Sie heute noch eine
Rolle?
Tanz war mein Leben. Früher als Profes-
sion. Heute ist es private Freude und wirkt
auch therapeutisch. Rhythmisch meine
Gefühle auszudrücken hilft mir. Ich tanze
täglich, besonders wenn ich mich nicht gut
fühle. 2 Interview: Martin Buttmann

Nach einer Karriere als Revuetänzerin war sie in den 80er Jahren
von keiner deutschen TV-Showtreppe wegzudenken

Marlène Charell


Marlène Charell,
75, zu Besuch bei
ihrer Tochter in
München. Sie lebt
in La Rochette,
Frankreich

122 13.2.2020

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