Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1
Oben: Daniel Blake (gespielt vom
englischen Komiker und Autor Dave Johns)
muss um sein Überleben kämpfen. Unten:
Auch die alleinerziehende Katie (Newco-
merin Hayley Squires) erhält vom Sozial-
amt keine Unterstützung. Die Not schweißt
Daniel und Katie zusammen (ganz unten).

MAGAZIN Highlight


Fotos: ZDF/Joss Barratt, M2FILMS | Text: Susanne Bald

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Ken Loach ist der Großmeister des realistischen Sozial dramas. Für


„Ich, Daniel Blake“ wurde der Regisseur in Cannes ausgezeichnet


Working Class Hero


„Ihr seid arm?


Selber schuld!


Natürlich ist das


eine Lüge.“


Der klare Favorit bei der Verleihung der Gol-
denen Palme von Cannes war 2016 eigentlich
Maren Ades Komödie „Toni Erdmann“ gewe-
sen. Die musste sich am Ende jedoch mit dem
Kritikerpreis zufriedengeben, denn der große
Gewinner wurde das Sozialdrama „Ich, Daniel
Blake“ von Regie-Altmeister Ken Loach. Und
das mehr als verdient. Seit den Sechzigerjah-
ren dreht der britische Geschichtenerzähler
immer wieder bittersüße Filme, in denen er
den Umgang mit der britischen Arbeiterklasse
anprangert, indem er auf Hun-
gerlöhne, Schwarzarbeit, Aus-
beutung und Arbeitslosigkeit
hinweist: „Die herrschende
Klasse will, dass die Armen und
die Arbeitslosen sich für ihre
Misere selbst verantwortlich
fühlen. Ihr habt keinen Job?
Dann seid ihr wohl nicht gut genug! Ihr seid
arm? Selber schuld! Natürlich ist das eine Lüge.
Denn die Armut ist systembedingt“.

MENSCHLICHE SCHICKSALE
Vor allem in den Neunzigern, mit dem Über-
gang der konservativen Regierung zur New-
Labour-Ära, aber auch darüber hinaus, verlieh
Loach mit Filmen wie „Riff-Raff“, „My Name is
Joe“, „Raining Stones“ und „It’s A Free World“
seiner Wut Ausdruck. Im Zentrum standen da-
bei stets menschliche Schicksale im unmensch-
lichen System. So auch in „Ich, Daniel Blake“.

Titelheld Daniel (Dave Johns), ein 59-jähriger
Handwerker aus Newcastle, wird nach einem
Herzinfarkt arbeitsunfähig. Sein Antrag auf
Sozialhilfe wird abgelehnt, auf dem Sozialamt
beschimpft man ihn stattdessen als Schma-
rotzer und Drückeberger. Er solle Arbeitslo-
sengeld beantragen. Doch um das zu bekom-
men, müsste der Arbeitsunfähige täglich auf
Job suche gehen. Bürokratiewahnsinn eben.
Auf dem Amt lernt Daniel die junge Alleiner-
ziehende Katie (Hayley Squires) kennen. Weil
sie zu spät zu ihrem Termin
kommt, wird auch ihr Antrag
auf Unterstützung abgeschmet-
tert. Als Daniel sich einmischt,
setzt man gleich beide vor die
Tür. Aus dem ungleichen Duo
werden Freunde, und auch für
Katies Kinder wird Daniel mit
der Zeit zur wichtigen Bezugsperson. Sie sind
vereint durch ihre Geldnot, die im Verlauf des
Films immer kritischer wird und sie schließ-
lich zu drastischen Mitteln greifen lässt.
Durch die realistische Inszenierung schuf Ken
Loach mit „Ich, Daniel Blake“ einmal mehr ein
aufwühlendes, bitteres Sozialdrama, das dank
kleiner Momente des Glücks zwischendurch
für etwas Hoffnung und Leichtigkeit sorgt. Das
gilt übrigens auch für das neueste Werk des
83-Jährigen, „Sorry We Missed You“, das seit
dem 30. Januar im Kino zu sehen ist.

Samstag, 3sat, 20.15 Uhr
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