Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1

A


ngela Merkel hat sie platt geses-
sen. Und Annegret Kramp-Kar-
renbauer hat es geschehen lassen.
Am Ende, als es um die Turbulen-
zen in Thüringen ging, übernahm
die Kanzlerin sogar wieder den
Parteivorsitz. Faktisch. Im Handbetrieb.
Höchstpersönlich telefonierte sie per Handy
aus dem Kanzleramt mit Bodo Ramelow,
dem Linken. Weil AKK den letzten Rest
ihrer Autorität verspielt hatte. Mit dem
kuriosen Vorschlag, SPD oder Grüne soll-
ten einen Kandidaten für das Amt des
Ministerpräsidenten präsentieren. Mit der
dogmatischen Erstarrung der CDU zwi-
schen AfD und Linken. Mit der demons-
trativen Aufsässigkeit der Thüringer CDU.
Wie sollte diese zu Krümeln zerriebene
Vorsitzende, die unter den zehn wichtigs-
ten Politikern auf den allerletzten Platz
gestürzt war, noch um die Kanzlerschaft
kämpfen? Der CDU-Vorsitz ist ein starkes
Amt, das nicht zu unterschätzen ist. Die
Inhaberin aber muss imstande sein, die
Flügel und Milieus zusammenzuhalten.
Unter AKK ist der Laden zerfallen. Rasant.
Was die bittere Rivalität, ja Feindschaft
mit Merkel angeht, so hat AKK immerhin
den Weg zur Wahrheit gewiesen. Die Tren-
nung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft,
sagt sie, habe die CDU geschwächt.

Im Februar 2019 fühlte sie sich so stark,
dass sie die Kanzlerin mit einem „Werk-
stattgespräch“ über die Flüchtlingspolitik
offen herausforderte und den Satz formu-
lierte, als „Ultima Ratio“ seien künftig auch
Grenzschließungen denkbar. Das hatte
Merkel stets vehement bestritten. Zudem
demütigte sie die Kanzlerin im Parteiprä-
sidium. Die werde nur zur Außenpolitik
vortragen, bestimmte AKK, der Fraktions-
chef zur Innenpolitik. Bis zum Sommer,
glaubte sie, werde Merkel weichen. Ihr.
Da senkte sich die wuchtige Figur aus
dem Kanzleramt auf die kleine Rebellin aus
dem Saarland. Merkel suchte die Konfron-
tation, lud AKK Anfang Mai zum Essen und
drohte ihr mit Untergang: Ich höre, du
willst mich stürzen. Du kannst es ja mal
versuchen. Die Erschrockene bestellte
sofort ein Interview bei der „Welt am Sonn-
tag“ und verkündete am 12. Mai, sie wolle
keinen „mutwilligen Wechsel“, denn Mer-
kel sei bis Ende 2021 gewählt. Rumms!
Das war ein schwerer strategischer Feh-
ler, denn die Amtsgarantie für die Kanzle-
rin brach ihren eigenen Elan. AKKs ersten
Fehlern folgten weitere. Ihre Reden wur-
den zu Stanzen. Ihre Zunge verknödelte.
Die ganze Figur welkte ins Provinzielle.
Merkel nahm nun vollends Platz auf der
Nachfolgerin und zerquetschte, was noch
aufragte. Im September verweigerte sie ihr
auf der Route nach Washington den Mitflug
in der Kanzlerinnen-Maschine. Im Okto-
ber ließ sie den Vorschlag für eine Schutz-
zone in Nordsyrien verdorren. Und im
Dezember nahm sie ihre Verteidigungs-
ministerin (!) nicht mit zum Nato-Jubilä-
umsgipfel nach London. Wer das Spiel da
noch nicht begriffen hatte...
In verzweifelter Lage, auf dem Leipziger
Parteitag im November, erhob sich die
Plattgesessene noch einmal unter der Last
der Rivalin – und vermittelte mit einer
rhetorisch raffinierten Vertrauensfrage
den Eindruck, sie und niemand sonst wer-
de fürs Kanzleramt kandidieren. Merkel
wirkte wie eine Randfigur. Ein letztes Mal.
Im Sturm der Thüringen-Krise warf sie
die nur noch schemenhaft agierende Vor-
sitzende von der Brücke. Ruckzuck. Ohne
Mitleid. Merkel übernahm das Ruder in der
Partei. Schließlich organisiert die AfD ihre
Todfeinde, den Fundamentalwiderstand
gegen die Flüchtlingspolitik. Ein „unver-
zeihlicher Vorgang“, gerade denen Leine zu
lassen. FDP hin oder her: Auch AKK hatte
es ja nicht geschafft, den Triumph der
feixenden Rechten im Bund mit der CDU
zu torpedieren. Unverzeihlich. 2

Das ist ein nur dünn gepolsterter Faust-
schlag gegen Merkel. Die volle Wahrheit
lautet: AKK wollte beide Ämter von Anfang
an in einer Hand vereinen. In ihrer.
Das hatte sie auch bei Merkel unterstellt,
deren Mantra die Ämterkoalition ja stets
war. Explizit klären mochte die Saarlände-
rin das allerdings nicht. Sie ging davon aus,
im Überschwang ihrer ersten Wochen im
Parteivorsitz. Als sie mächtig Auftrieb
hatte und die Union auf 32 Prozent hievte.

PLATT GESESSEN


Annegret Kramp-Karrenbauer konnte


dem Gewicht Angela Merkels nicht standhalten.


In Thüringen agierte sie nur noch schemenhaft


18 13.2.

KOLUMNE


JÖRGES


Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle

ZWISCHENRUF AUS BERLIN


ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN
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