Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1

E


s hat in ihr gebrodelt. „Seit ge-
raumer Zeit“, sagt sie. Aber seit
wann genau? Wie lange weiß sie,
dass sie ihre Ambitionen begra-
ben muss, Kanzlerin zu werden?
Es war ja die Einsicht, keine
Chance mehr zu haben. Oder
war es die Erkenntnis, nie wirk-
lich eine gehabt zu haben?
Sie kann damit beileibe nicht nur die
letzten Tage gemeint haben, jene Aus-
nahmesituation, in der sie sich erfolg -
los als Troubleshooterin in Thüringen
versucht hat – dort, wo Mittwoch vergan-
gener Woche ein FDP-Mann namens Tho-
mas Kemmerich mithilfe der AfD und
unter Zutun ihrer CDU ins Amt des
Minister präsidenten gehievt worden war.
Ein Tabu bruch.
Annegret Kramp-Karrenbauer hat nicht
geschafft, was ihre Aufgabe gewesen wäre.
Hat die Parteifreunde in Erfurt nicht zur
Räson bringen können, konstruktiv an
einer demokratieverträglichen Lösung
mitzuarbeiten. Am Ende war es nur noch
eine einzige Quälerei.

Aber da war noch etwas, was schwerer
wiegt: Sie hat den Zerfallsprozess in ihrer
Partei nicht eindämmen können. Eine
Partei, in sich zerrissen, eine Partei auf der
Suche nach der verlorenen Seele.
Sie wird nun also doch nicht Nachfol-
gerin Angela Merkels, wird stattdessen
ihr Amt mutmaßlich einem Mann über-
lassen. Friedrich Merz. Jens Spahn. Armin
Laschet.
Eine Gescheiterte betrat nach fünfstün-
diger Krisensitzung am Montag die Büh-
ne des Konrad-Adenauer-Hauses in Ber-
lin, eine Frau, die bitter bemerkte, sie habe
ihr „hart erkämpftes“ Amt als Minister-
präsidentin im Saarland aufgegeben, um
sich „in den Dienst der Partei zu stellen“.
Und nun hat sie – fast – alles verloren.
AKK bleibt vorerst Verteidigungsministe-
rin und auch noch CDU-Chefin – aber bei-
des nur auf Abruf. Die Suche nach einem
neuen Vorsitzenden, der gleichzeitig die
Kanzlerkandidatur übernehmen soll, will
sie, die ihre Autorität längst verloren hat,
„von vorne führen“. Es stellt sich die Frage:
Glaubt sie das ernsthaft selbst?

Kramp-Karrenbauer sei durch „ein Stahl-
bad gegangen“, von Anfang an habe es „An-
feindungen und Angriffe gegeben“, sagt
die Vorsitzende der Frauen-Union, An-
nette Widmann-Mauz. Die Wut über die
„Heckenschützen“ und deren „taktische
Spielchen“ ist ihr deutlich anzumerken.
Es stimmt, AKK ist nach allen Regeln der
politischen Intrigenkunst kaputt gemacht
worden, eine beeindruckende Serie von
Pleiten, Pech und Pannen kam hinzu. Aber
wer sie nur als Opfer politischer Ränke-
spiele sieht, macht es sich zu einfach.
Die Noch-Vorsitzende selbst sagt: „Wir
spüren im Moment in unserer Gesellschaft
starke Fliehkräfte.“ Es sind diese Fliehkräf-
te, die es ihr unmöglich machten, die Par-
tei Konrad Adenauers und Helmut Kohls
in die Zukunft zu führen. „Wir zerlegen uns
gerade“, soll Wolfgang Schäuble auf der Kri-
sensitzung geraunt haben. Um dann anzu-
fügen: „Der nächste Kanzlerkandidat wird
kein Kanzler, wenn wir so weitermachen.“
Deutschland war mal ein Hort der Sta-
bilität. Eine Gesellschaft der Mitte, immun
gegen Rechtsradikale und Populisten,

Mann der Zukunft: Gesundheitsminister Jens Spahn


NUN


HEISST ES,


DAS


LAND ZU


EINEN“



40 13.2.2020
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