Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1
Hambacher Forst, der etwa 20 Kilometer
entfernt liegt und auch mal der Braunkoh-
le weichen sollte, hat er sich als Spezialist
für die Erstürmung des Tagebaus und der
kirchturmhohen Braunkohlebagger einen
Namen gemacht. Für seinen Aktionismus
verlangte RWE 50 000 Euro Strafe von ihm


  • gezahlt hat er nicht. Daniel sagt: „Warum
    soll das, was in Hambach funktioniert hat,
    nicht auch in den Dörfern funktionieren?“
    Noah, der in schmutziger Cargohose auf
    einem Stuhl kauert, nickt. Er ist Anfang 20,
    hat „früher antifaschistisch gearbeitet“
    und lebt seit zwei Jahren in einem „Ham-
    bi“-Baumhaus. „Wir können noch eine
    Schippe drauflegen“, sagt er schmunzelnd.


N


oah hat einen bunten Brief aus dem
Wald mitgebracht. Darin heißt es
unter anderem: „Dieser Brief versteht
sich als ein Angebot, uns besser zu vernet-
zen und euch soweit es geht zu unterstüt-
zen.“ Vulgo: Die „Hambi“-Fighter, gestählt
im Kampf mit den Hundertschaften der
Polizei, sind bereit, in die Dörfer einzuzie-
hen. David hält den Brief triumphierend
in die Luft: „Jeder ist hier herzlich will-
kommen, der gewaltfrei Bäume oder
Bagger besetzen möchte.“ „Ja!“, zeigt sich
Waltraud Kieferndorf auf dem Sofa begeis-
tert. Sie ist über 60 und wohnt seit fast 25
Jahren in Kuckum. In ihrem Garten pflegt
sie mehr als 100 Rhododendren und Aza-
leen. Die würde sie niemals der Kohle op-

fern. „Jetzt reicht’s!“, sagt sie. Der Häuser-
kampf kann von ihr aus sofort beginnen.
In den vergangenen Monaten haben die
Rebellen vor allem demonstriert. Medien-
wirksam, aber gutbürgerlich friedlich. Im
November zogen sie mit 800 Menschen als
„Dorfspaziergang“ durch Keyenberg. Unter
ihnen war auch Carola Rackete, die gefei-
erte Kapitänin der „Sea-Watch“ und Flücht-
lingsretterin. Und Naturführer Michael
Zobel, eine Art Peter Wohlleben des Klima-
kampfs. Er hat schon rund 58 000 Men-
schen medienwirksam unter dem Motto
„Wald statt Kohle“ durch den Hambacher
Forst gelenkt und wesentlich dazu beige-
tragen, dass die Deutschen zeitweise in
eine „Hambi bleibt“-Manie verfielen.
Die Rebellen steigen in ihre Autos und
fahren hinüber nach Keyenberg, ins größ-
te der fünf Dörfer. Zum Mannschaftsfoto.
An der Heilig-Kreuz-Kirche machen sie
halt und packen das Symbol ihres Wider-
stands aus: ein gelbes Andreaskreuz, das
an vielen Häusern hängt. „Was wollt ihr
hier?“, schreit plötzlich ein Anwohner aus
einem Hauseingang. „Haut ab! Ihr seid ja
nicht mal von hier.“ „Doch, wir wohnen
hier“, schießt Davids Mutter Marita zurück,
„Nun gehen Sie mal schön wieder rein!“
Helmut Kehrmann, ein Mann mit grau-
em Drei-Tage-Vollbart und Vorstandsmit-
glied der Dorfgemeinschaft Keyenberg,
schaut verbittert hinüber zur Kirche. 2023
soll sie abgerissen werden. Sie ist nicht nur
seine seelische Heimat. Sie war auch lange
Zentrum für Kohlewiderständler. Bis zum
vergangenen November, als Greenpeace in
Berlin das rote „C“ aus dem CDU-Parteilogo
am Konrad-Adenauer-Haus klaute und den
Rest mit einem Plakat – „DU sollst das Kli-
ma schützen“ – ergänzte. Drei Tage später,
am Totensonntag, brachte Greenpeace eine
Kopie des Buchstabens nach Keyenberg.
Helmut sagt: „Ich habe das C persönlich in
die Kirche getragen und vor den Altar ge-
stellt.“ Warum auch nicht, die Bewahrung
der Schöpfung sei doch ein christliches
Anliegen? Der Pfarrer tobte. Er ließ die
Schlösser austauschen. Die Widerständler
dürfen die Gemeinderäume seitdem nicht
mehr nutzen. „Wir müssen unser Eigen-
tum schützen“, sagt der Pfarrer – dabei ist
das Gotteshaus längst an RWE verkauft.
Die Straßen von Keyenberg sind men-
schenleer. Wie inzwischen immer. Nur in
der Ferne erkennt man zwei Frauen, die
Kinderwagen schieben. RWE hat schon
mehr als 80 Prozent der Gebäude erwor-

gladbach auf 32 Quadratkilometern vor
ihren Dörfern Kuckum, Keyenberg, Unter-
westrich, Oberwestrich und Berverath. Be-
treiber RWE will ihre Orte plattmachen,
um die Kohle darunter zu verstromen –
was das Klima schädigt. Die Einwohner
beobachten seit Jahren, wie sich die Koh-
lebagger Meter für Meter an ihre Häuser
heranschieben.
Die Rebellen schäumen. Hat nicht die
Regierung gerade den Kohleausstieg bis
spätestens 2038 beschlossen? Gibt es nicht
genug Gutachten, dass RWE bis dahin auch
ohne die Zerstörung ihrer Heimat klar-
käme? „Wir werden hier persönlich an-
gegriffen“, sagt David Dresen, 28. Er trägt
sogar in der warmen Stube eine kämpferi-
sche Strickmütze, ist in dem Bauernhaus
aufgewachsen, hat in Bonn Philosophie und
Politik studiert und ist dann zurückgekehrt,
um zu bleiben. Er hat die Runde zusam-
mengetrommelt. Vertreter aller führenden
Antikohlebündnisse der Republik sind ge-
kommen: „Ende Gelände“, „Hambi bleibt“,
„Fridays for Future“, „Menschenrecht vor
Bergrecht“, „Buirer für Buir“. David selbst
agiert für „Alle Dörfer bleiben“, ein bundes-
weites Netzwerk, das seine Mutter Marita
mitgegründet hat. Die hört zu, während sie
am Küchentresen den Thermomix füllt.
Es wird ein heißer Sommer am Loch.
Das verspricht Daniel Hofinger von „Ende
Gelände“. Er steht in seiner Adidas-Jacke
vor dem Fenster. Beim Kampf um den

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DIE KOHLE-WIDERSTÄNDLER VERNETZEN SICH BUNDESWEIT


Die Fenster im Kindergarten sind zugemauert – als Schutz gegen Besetzer und Plünderer

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