Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1

V


ater zu sein heißt, mit bestimm-
ten Ängsten zu leben. Jeder, der
Kinder hat, kennt zum Beispiel
die Angst, dass das Kind sich ir-
gendwie falsch entwickeln könn-
te. Wasweißich: Die Tochter lässt
sich im Gesicht tätowieren, wird Satanis-
tin, wählt FDP oder schlimmer noch, bricht
die Schule ab, um zu einem
Schlagersänger vor eine Foto-
tapete in einem Keller in Cas-
trop-Rauxel-Ickern zu ziehen.
Die größte Angst in den
Augen von Eltern ist allerdings
dann zu sehen, wenn die oder
der Kleine eingeladen ist.
Zum Kindergeburtstag. Da
sind dann in der Regel die sie-
ben, acht Mitkinder aus der
Maikäfergruppe versammelt,
aber – und jetzt kommt das
Problem – sie sind nicht allein.
Weil der kleine Mauritz ja an
einem Muffin ersticken oder
sich mit einer Nussecke ein
Auge ausstechen könnte, hat er
natürlich Mama und Papa
dabei. Und da endet dann die
Gemütlichkeit. Denn nichts
fürchten Eltern so sehr wie:
andere Eltern.
Als ob es nicht schon schlimm
genug wäre, dass das eigene
Kind mit dem da auf die Schau-
kel geht, ist man auf so einem
Kröten-Konvent gezwungen,
auch noch mit den Erzeugern
dieses rotznäsigen Schien-
beintritts abzuhängen. Und
mit ein paar anderen, die
alle die Sehnsucht eint, den
Ort so rasch wie möglich zu
verlassen.
Schon Familienfeiern haben wenig
Erbauliches, aber Kindergeburtstage sind
unerträglich. Man hält sich panisch zit-
ternd an seiner Sektflöte fest und starrt
in Richtung des Zellknäuels, in dem sich
der eigene Nachwuchs gebärdet wie der
Rest der Pavianhorde, die vor Kurzem
noch die hoffnungsvolle Generation
Europas war.

Irgendwann lässt sich Konversation mit
den Miteltern nicht mehr vermeiden, und
so plänkelt man sich durch Allgemeinplät-
ze, die vorrangig dem Ziel dienen, heraus-
zufinden, warum sich die Gastgeber so eine
Bude in dieser Lage leisten können. Und
warum sie es zulassen, dass ihre Blagen
jeden Raum in dieser Superwohnung zu
einem Spielzimmer machen.

Der in einem hochkriechende Frust wird
lediglich von der Erkenntnis abgemildert,
dass die eigene Tochter allen Kindern
motorisch und sprachlich weit überlegen
ist. Klar.
Früher waren Kindergeburtstage einfach.
Gut, nicht für meine Mutter. Waren sechs
Kinder eingeladen, musste sie für 14 Kin-
der einkaufen, weil ich es nicht
übers Herz brachte, zu Mitschü-
lern Nein zu sagen, wenn sie
fragten, ob sie auch kommen
dürfen. Das war ein Spaß.
Aber oft war man ja auch
gar nicht zu Hause. Sondern
belästigte zusammen mit
sechs anderen den bedauerns-
werten Studenten, der im Ro-
nald-McDonald-Kostüm in der
Zelebrationsecke der Burger-
braterei stand.
Das hat Geld gekostet, war
aber doch vergleichsweise
preisgünstig. Inzwischen ha-
ben Kindergeburtstage ja sol-
che Dimensionen angenom-
men, dass man sie kaum noch
von einer Superbowl-Halb-
zeitshow unterscheiden kann.
Hüpfburgen, Pferderennen,
Ritterspiele: Jede Gartenparty
einer Sechsjährigen wirkt heu-
te so, als hätte Roland Emme-
rich Regie geführt.
Und warum?
Weil jeder Elternteil froh ist,
wenn die Miniatur-Karl-May-
Festspiele da draußen im Gar-
ten so viel Spektakel bieten,
dass man nicht in die Verlegen-
heit kommt, sich mit den
Eltern der Gäste unterhalten zu
müssen.
Und jetzt stören Sie mich nicht länger:
Ich muss noch einen 1 : 4-Nachbau von
Schloss Neuschwanstein aus Pappe besor-
gen – das Kind wird im Sommer fünf. 2

Es gibt diese Stunden im Elternleben, in denen


man leidet. Dann gibt es die, in denen man sehr


leidet. Und dann gibt es die Kindergeburtstage


Horror-Event


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BEISENHERZ


Der Autor und Moderator Micky Beisenherz („Das Lachen der Anderen“, „ZDF Heute-Show“, „Extra 3“)
schreibt alle zwei Wochen im stern – und regelmäßig auch bei stern.de

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ILLUSTRATION: DIETER BRAUN/STERN; FOTO: DAVID MAUPILÉ

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