Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
„Ausstellungen“, das schreibt die Kunstthe-
oretikerin Fiona McGovern in ihrem Buch
„Die Kunst zu zeigen“, „gelten heutzutage
als das zentrale Format des öffentlichen
Zeigens und Rezipierens von Kunst. Sie be-
dingen die Art und Weise, wie über Kunst
gesprochen, wie sie verstanden und kano-
nisiert wird.“ Innerhalb einer großen Ge-
schichte des Ausstellungswesens nehmen
die von Künstlern produzierten Ausstellun-
gen allerdings eine Sonderrolle ein. Und
wer sich damit beschäftigt, landet derzeit
schnell bei Christopher Williams. Der im
Jahr 1956 in Los Angeles geborenen Künst-
ler, der als Professor für Fotografie an der
Kunstakademie in Düsseldorf unterrich-
tet, hat seit den Achtzigerjahren eine eigen-
tümlich reflexive, in sich verschachtelte
Form der konzeptuellen Ausstellungs-
und Publikationspraxis entwickelt, die der-
zeit in der Berliner Schau „MODEL: Koch-
geschirre, Kinder, Viet Nam (Angepasst
zum Benutzen)“ zu besichtigen ist.
Da ist zum Beispiel der Pfeifton, der die
oberen Ausstellungsräume von C/O Berlin
im Amerika-Haus durchzieht. Er ist nicht
so laut, um sofort alle Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen. Aber er ist präsent. Erst
denkt man an eine technische Störung, ir-
gendwann aber dämmert es, dass es sich
hier um den Teil der Williams-Schau han-
deln muss. Soll dieses in unregelmäßigen
Abständen auftretende Störgeräusch wo-
möglich verhindern, dass man sich als Be-
sucherin allzu konsumistisch durch die
Ausstellung treiben lässt? Einerseits ist
Williams, der ehemalige Schüler des West-
küsten-Konzeptualisten John Baldessari,
als Produzent von unheimlich-attraktiven
und zugleich seltsam leeren fotografi-
schen Bildern bekannt. Doch andererseits
sind diese sehr sparsam in den Ausstel-
lungsräumen verteilt.

Und was ist hier in der Ausstellung mit
dem Titel „MODEL: Kochgeschirre, Kin-
der, Viet Nam (Angepasst zum Benutzen)“
eigentlich mit „Model“ gemeint? „Wenn
man ein Objekt halbiert, wird es zum Mo-
dell“ gab Williams einmal zu Protokoll.
„Ein Modell ist die Repräsentation eines
Systems.“ In der Vergangenheit hat der
Künstler schon Kameras halbiert, um ihr
Inneres anschließend mit der kühlen Präzi-
sionsästhetik der Werbefotografie abzu-
lichten. Um sein Ziel zu erreichen eignete
er sich nicht nur die Bildsprache von Mo-
de-, Architektur- oder Werbefotografie an,
sondern auch gleich ihre Produktionsme-
thoden.

Zwei Abzüge dieser Arbeit mit der hal-
bierten Kamera hängen in der Ausstellung


  • auf beiden Seiten einer mit ungestriche-
    ner Raufaser tapezierten Wand. So, als
    stünde zwischen den zusammengehören-
    den Bildern eine Mauer, die auf der einen
    Seite mit Raufaser aus Ostproduktion und
    auf der anderen Seite aus Westproduktion
    tapeziert ist. Ursprünglich wurde das heu-
    te denkmalgeschützte Ausstellungshaus
    am Bahnhof Zoo im Jahr 1957 als Amerika-
    Haus erbaut, als Kultur- und Informations-
    zentrum der USA in Berlin. Jetzt steht hier
    die Installation eines in Deutschland leben-
    den Amerikaners, die in ihrer Sinnbildlich-
    keit ganz gut zur verworrenen Gemütslage
    im dreißigsten Jahr der Einheit zu passen
    scheint.
    Im künstlerischen Ansatz von Williams
    tritt ein dialektischer Effekt zutage: Je
    mehr von der meist eher verborgen mitlau-


fenden Infrastruktur einer Ausstellung of-
fengelegt und infrage gestellt wird, desto
komplizierter erscheinen die vermeintlich
einfachsten Dinge. Ob Werbematerialien,
Katalog oder die mitunter dadaistisch
durchströmte Pressemitteilung – alles
wird bei Williams zum Teil der künstleri-
schen Arbeit. Man kann sich in dieser
Kunst tatsächlich verlieren. Wie bei einer
Zwiebel lassen sich beständig neue Bedeu-
tungsebenen von den Gegenständen ab-
schälen. Bald schon registriert man die
komplexe thematische Verschachtelung
und die vielfältigen Erzählstränge, welche
die Schau durchkreuzen. Da sind etwa die
Ausstellungswand-Elemente, die Teil von
vergangenen Ausstellungen waren und
nun in dieser Ausstellung stehen wie seltsa-
me Installationen, obwohl sie doch auch
hier wieder Teil der Ausstellung sind.
Williams verweist so nicht nur auf sei-
nen Lehrer Michael Asher, der Ende der
Sechzigerjahre mit Hilfe von Museums-
Stellwandsystemen die Infrastruktur sei-
ner Ausstellungen selbst zum Objekt der
Betrachtung machte. Er legt überdies auch
den Vergleich mit Theaterkulissen nahe, et-
wa auch deshalb, weil er in einer Vitrine Ori-
ginal-Archivalien aus dem Bertolt-Brecht-
Archiv präsentiert, welches sich in der Ob-
hut der Berliner Akademie der Künste be-
findet. Und auch der nachgebaute und mit
Franz West-Möbeln eingerichtete Messe-
stand einer Großgalerie, den Williams inte-
griert hat, wirkt wie eine leere Bühne auf
der sich der Kunstmarkt als theatralische
Darbietung entfalten könnte.
Zur hohen Informationsdichte trägt
auch der Begriff des künstlerischen Arbei-
tens als einem dialogischen Prozess bei, in
dem jedes Werk im Bezug zu anderen Wer-
ken und Künstlern steht. Das künstleri-
sche Interesse am genauen Hinschauen fin-
det sich etwa auch im Werk von Harun Fa-
rocki, dessen Film „Ein Bild“ von 1983 in ei-
nem abgedunkelten Raum gezeigt wird
und das viertägige Shooting eines Playboy-
Centerfolds in einem Münchner Fotostu-
dio dokumentiert und im Fernsehen ge-
zeigt wurde. Kommentarlos zeigte Farocki
in ruhigen und langen Einstellungen die
stundenlange Einrichtung einer Nackten
in einer „entspannten“ Pose, bei der das
Model sich immer weiter verrenken muss,
während es aus einem Zerstäuber mit Öl be-
sprüht wird.
Williams selbst produzierte 2013 eine in
ihrer Ambivalenz provozierende Fotogra-
fie des niederländischen Playboy-Models
Zimra Geurts, dass auf Farockis Film Be-
zug nimmt. Das Model sitzt mit entblößten
Brüsten in einem Strandkorb mit Streifen-
muster aus chinesischer Produktion und
nimmt eine für Männermagazine vermut-
lich eher untypischen Pose ein. Aber auch
im Bereich der strengen Diskurs-Kunst
dürfte das seltsame Lachen von Geurts ein-
malig sein. kito nedo

Christopher Williams. MODEL: Kochgeschirre, Kin-
der, Viet Nam (Angepasst zum Benutzen).C/O Ber-
lin. Bis 29. Februar.

Vermutlich muss ein Abend mit Ben Be-
cker genau so losgehen. Ein überlebensgro-
ßes Plakat mit seinem Konterfei am Ein-
gang des Berliner Admiralspalasts. Davor
Frauen mittleren Alters, die wie Teenager
kichernd Selfies machen. Warum sie heute
hier sind, beantworten sie so: „Seine Stim-
me!“ – „Er, allein auf der Bühne, das reicht
schon, das ist Kunst.“ Sie hätten ihn bereits
in „Ich, Judas“ gesehen, seinem Soloabend
von 2015, deshalb freuen sie sich, heute
hier zu sein, zur Premiere seines neuen
Bühnenprogramms „Affe“.
Im großen Saal tritt ein gelber Farb-
klecks vor den lila Vorhang. Es ist Ben Be-
cker höchstpersönlich, der von den hinte-
ren Sitzreihen nur schlecht zu erkennen
ist. Das Gelbe kommt daher, dass er einen
dotterfarbenen Arbeitsoverall trägt. „Ich
wollte kurz mal sehen, wie ihr ausseht“,
sagt er. Er sei ein bisschen aufgeregt, es ha-
be nur wenig Zeit zum Proben gegeben. So-
bald er zu sprechen anfängt, hört man lust-
volles Stöhnen hinter sich. Hier hat jemand
vermutlich gerade einen kleinen Orgas-
mus. Der Vorhang geht auf, dramatische
Musik, die der Vorspann von „Odyssee im
Weltraum“ sein könnte oder von „Univer-
sal Pictures“. Sie signalisiert, dass gleich et-
was Bedeutendes geschehen wird. Dazu
laufen Zitate über die Leinwand: „Die Ar-
beit ist die Quelle alles Reichtums“ – „Sie
hat den Menschen selbst geschaffen.“
Die Zitate stammen aus Friedrich En-
gels’ Fragment „Anteil der Arbeit an der
Menschwerdung des Affen“, einem der bei-
den Texte, auf die der Soloabend „Affe“ zu-
rückgreift. Der andere Text ist Franz Kaf-
kas „Bericht für eine Akademie“, eine Zivili-
sationskritik aus dem Munde eines Affen,
der bei einer Jagdexpedition gefangen wur-
de und zusehends zum Menschen wird.


Das kommende Video zeigt Becker im
Affenkostüm. Er hockt ziemlich depressiv
in einem verästelten Baum und geht später



  • oh Wunder – schwimmen. Moment! Wer
    hat Becker, der selbst Regie geführt hat,
    dramaturgisch zur Seite gestanden? John
    von Düffel, bekannt auch als die Wasserrat-
    te unter den Dramaturgen (er ist passio-
    nierter Schwimmer und Autor des Romans
    „Vom Wasser“). Dann sieht man Becker auf
    allen vieren ein Frachtschiff schrubben –
    immer noch im Video. Gerade, als man sich
    fragt, ob man ihn wohl auch mal live zu Ge-
    sicht bekommt, schlurft er im gelben Arbei-
    teroverall auf die Bühne. Das Gesicht blass
    geschminkt, dazu eine künstlich hochgezo-
    gene Augenbraue. Seine Figur: ein trauri-
    ger Clown, der mit Schrubber in der Hand
    aus Engels’ Kapitalismusanklage zitiert.
    Diese Entstehungsgeschichte des Anthro-
    pozäns ist natürlich harte Kost, sehr mora-
    lisch, und so trägt Becker sie auch vor, null
    ironisch, dafür mit deutlich erhobenem
    Zeigefinger.
    Und er weiß genau, warum die Ladys
    heute gekommen sind: wegen seiner rau-
    chigen, wie in Whisky marinierten Stim-
    me, mit der er so theatralisch herumtönt,
    wie man sich früher die deklamatorische
    Bühnensprache vorgestellt hat. Es scheint,
    als wolle er in jedes Wort seine ganze Seele
    legen, aber seine Seele wiegt schwer, und
    deshalb leiern die Worte aus. Man weiß oft
    gar nicht, wovon er redet.
    Erstes Gähnen in Reihe elf. Dann sausen
    Lichtkegel durch den Raum wie bei einem
    Polizeieinsatz. Aus Becker, dem Schiffsar-
    beiter, wird Becker, der Affe. Jetzt ist Kaf-
    kas Zeit gekommen. Becker, nun im Zirkus-
    direktorkostüm, erzählt vom Martyrium
    seines tierischen Protagonisten. Für einen
    kurzen Moment hört man ihm andächtig
    zu. Das Eintauchen in eine Figur liegt ihm
    mehr als die politische Analyse. Er wirkt,
    als wäre er ganz bei sich, dann aber scheint
    er sich wieder daran zu erinnern, dass man
    wegen seiner Stimme hier ist, und steigert
    sich in die Übertreibung hinein.
    Irgendwann kommen ihm die Tränen.
    Die Menschheit, der Klimawandel, das ist
    alles wirklich schlimm. Und jetzt? Kurze
    Verwirrung bei der Lichtregie, weil Becker
    vor dem Abspann unbedingt alle Beteilig-
    ten auf die Bühne holen will. Ja, es gibt ei-
    nen Abspann wie im Kino, und da steht,
    dass in Sri Lanka gedreht wurde, wenn
    man das jetzt richtig gelesen hat. Ernst-
    haft, Sri Lanka? Ziemlich klimaschädlich
    mit dem Fliegen und dem ganzen CO2 und
    so. Aber Becker springt mit Siegerfaust
    über die Bühne und ruft „Rock’n’Roll!“
    und „Wir arbeiten dran!“. Aber woran
    bloß? Ob an diesem pathetischen Abend,
    der durch Deutschland touren wird, oder
    an der Weltrevolution, bleibt vorerst offen.
    anna fastabend


von willi winkler

B


lau, so blau wölbte sich der Himmel
über der Heide, und im Tal, da blüh-
ten wieder die Obstbäume. Die Men-
schen sangen und tranken und kannten
kein Morgen, vor allem aber kein Gestern.
Doch was gestern so erfolgreich war, konn-
te doch auch heute wieder wirken. Der ho-
he Wald, das schöne Land, die gute Natur,
die nicht mehr nach Blut & Boden riechen
sollte, sondern schlicht „Heimat“ hieß, das
alles gab es in bester Farbqualität im deut-
schen Nachkriegskino zu erleben. Dass der
deutsche Heimatfilm als Illusionsmaschi-
ne nicht längst ins Weltkulturerbe aufge-
nommen wurde, ist ein wahres Wunder.
Sonja Ziemann war in dieser neuen Heimat
das eingeborene Wunderkind.
Sie kam keineswegs aus dem Nichts,
sondern von der Ufa-Filmschule, wo sie ne-
ben der ungleich ehrgeizigeren Hildegard
Knef für den Dienst an der Volksgemein-
schaft präpariert wurde. Hans Deppe, der
Regisseur von „Schwarzwaldmädel“, ver-
fügte ebenfalls über seine Erfahrungen
aus dem Unterhaltungsreich von Joseph
Goebbels. Drei Mal war die Operette be-
reits verfilmt worden, aber noch nie so
prächtig wie 1950, in Agfacolor-Farben.
Die im Namen leicht überdeterminierte
Bollenhutträgerin Bärbele Riederle ver-
liebt sich in den Maler Hans Hauser (Ru-
dolf Prack), gewinnt ein Cabrio in der Tom-
bola und kriegt, nach den üblichen Hinder-
nissen, ihren Liebsten.
Im Jahr darauf durfte Ziemann ihren
Prack gleich nochmal heiraten. Da hieß der
Vorwand „Grün ist die Heide“, in dem ein
Versöhnungshochamt für die zeitgenössi-
schen Flüchtlinge und die Alteingesesse-
nen gefeiert wird, wie es nur der deutsche
Wald stiften kann. Jede dieser beiden
Träumereien zog 17 Millionen Zuschauer
ins Kino, aber wer wollte es den Überleben-
den verübeln, dass sie die Trümmer und
Ruinen, für die sie gemeinsam gesorgt hat-
ten, nicht mehr sehen konnten?
„Inmitten der Ruinen schreiben die
Deutschen einander Ansichtskarten von

den Kirchen und Marktplätzen, den öffent-
lichen Gebäuden und Brücken, die es gar
nicht mehr gibt“, beobachtete Hannah
Arendt 1950 bei ihrer ersten Rückkehr
nach Deutschland. Für sie wurde der „allge-
meine Gefühlsmangel“, die „offensichtli-
che Herzlosigkeit mit billiger Rührselig-
keit“ kaschiert. Dazu gehörte neben dem
Heimatkitsch die Sentimentalisierung der
Paarung Ziemann-Prack, hirnfrei verkürzt
zu „Zieprack“, aber mit dem klassischen
Innstetten-Altersunterschied: gesetzter
Mann und junges Ding, das noch viel zu ler-
nen hat, aber dafür hübsch ist.
Im Adenauer-Deutschland hatte die
Frau zu schweigen, nur das Kino gestattete
ihr kleine Aufstiegsphantasien. In der „Pri-
vatsekretärin“ (1953) findet, wie könnt es
auch anders ein, wieder Herz zum Herzen,
das arme Büromädel aber auch zum Bank-
konto des Chefs. Wie ungleich eleganter
und ironischer war da die amerikanische
Komödie „Wie angelt man sich einen Milli-
onär?“ mit Lauren Bacall und Marilyn Mon-
roe aus dem gleichen Jahr!
Sonja Ziemann wollte verständlicher-
weise nicht ewig an der Heimatnachkriegs-
front dienen. Sie drehte Film um Film, zwi-
schendurch auch mit Helmut Käutner
(„Die Zürcher Verlobung“) und Frank Wis-
bar („Nacht fiel über Gotenhafen“). Sie zier-
te weiter manchen Kaiser- und Opernball,
spielte aber auch neben Richard Widmark
(„Geheime Wege“, 1961) und wirkte in einer
frühen deutsch-polnischen Co-Produkti-
on mit („Der achte Wochentag, 1958). In
den sechziger Jahren wandte sie sich
verstärkt dem Theater zu, trat als „My Fair
Lady“ auf (wozu hatte sie schließlich
Gesang und Tanz studiert) und als Frank
Wedekinds Lulu und ging mit ihrem
dritten Ehemann Charles Regnier auf Thea-
tertournee.
In einer Filmliste von knapp hundert
Titeln fallen die Heimatschnulzen vom An-
fang der Fünfziger kaum ins Gewicht, und
doch boten sie reinstes deutsches Gemüt.
Am Montag ist das ewige Schwarzwaldmä-
del Sonja Ziemann 94-jährig in München
gestorben.

Es dauert fast eineinhalb Stunden, bis der
einem Politmord zum Opfer fallende nie-
derländische Freiheitsheld Egmont sich
endlich mit einem packenden Tenor-Chor-
Tableau emanzipiert und in die Herzen des
Publikums im Theater an der Wien hinein-
singt. Davor ist alles Grau, These, Apoka-
lypse, Stillstand. Weil sich das Männero-
pernmacherquartett des Abends – Kompo-
nist Christian Jost, Textdichter Christoph
Klimke, Dirigent Michael Boder, Regisseur
Keith Warner – allzu verkeilt hat in die his-
torisch übermächtige Bildungsbürgerbür-
de seines Themas. Ein Thema, in dem sich
Wolfgang Goethes Drama „Egmont“ trifft
mit Ludwig van Beethovens dafür kompo-
nierter Bühnenmusik, mit dem Theater an
der Wien, wo die Frühfassungen von Beet-
hovens legendärer einziger Oper „Fidelio“
uraufgeführt wurde, dessen Orchesterbe-
setzung Jost für seine dramaturgisch tradi-
tionelle Oper übernahm.

Das 250.Beethoven-Geburtstagsjubilä-
umsjahr ist zwar erst sechs Wochen alt,
wirkt aber jetzt schon erschöpft. Es gibt kei-
ne neuen Erkenntnisse und keine neuen In-
terpretationsansätze zu vermerken, die im-
mer gern gespielten Werke Beethovens
werden nach wie vor gespielt, die unbe-
kannten Stücke interessieren niemanden.
Da ist die Idee, Beethoven mit einer Frei-
heitsoper eine Hommage zu widmen, nicht
abwegig. Doch die Wiener Opernmacher
sind weder frech noch humorvoll noch auf-
sässig noch revolutionär genug, um dem
Stoff über den beginnenden Aufstand der
freiheitsliebenden Niederländer gegen die
bornierte spanische Besatzungsmacht
neue oder gar triftige Aspekte abzugewin-
nen. Stattdessen machen sie bloß brav
Oper, die weder aufrüttelt, noch verstört,
noch provoziert und in keinem Moment ei-
ne Anbindung ans Heute sucht.
Der Wiener „Egmont“ steht von Anfang
an am Abgrund. Keith Warner, ein elegan-
ter Opernbebilderer, bringt weiße Kostü-
me des Spätfeudalismus mit einem schwar-
zen Interieur zusammen, auch viele

schwarze Kraniche sind unterwegs. Von
Freiheit und Verfassung wird zwar ausgie-
big gesungen, aber der Konflikt dahinter,
ist in der extremen Knappheit des Libret-
tos verschütt gegangen. Ganz abgesehen
davon, dass sich eine Oper noch weniger
als das Schauspiel als ein diskursives Medi-
um eignet. Schon gar nicht, wenn die ver-
handelten Ideen nicht als Personen und in
den Klang gebannt daherkommen.
Den Egmont, bei Goethe ist er ein popu-
lärer Lebemann und Hobbyrevolutionär,
zeigt Edgaras Montvidas als einen frus-
trierter Parteisekretär. Sein spanischer Wi-
dersacher Alba ist ein brutaler und zu je-
dem Mord bereiter Machtpolitiker, dem
selbst Bo Skovhus keine Nuancen dazuzau-
bern kann. Die von den Spaniern unterjoch-
ten Niederlande und ihre Freiheitstenden-
zen sind nur ein mürbes Puppenspiel, in
dem Angelika Kirchschlagers sich durchla-
vierende Statthalterin eine hilflose Figur

abgibt, während ihr Sekretär Macchiavell
bei Károly Szemerédy ein augenrollender
Comicbösewicht sein darf. Die Gefühle
sind auf dem Trödelmarkt des Pathos und
der Romantik erworben. Doch die wunder-
bare Maria Bengtsson kann mit konzen-
triertem und oft wundervoll leisem Sopran
Egmonts Geliebte schlicht und tief emp-
funden beglaubigen, während die herbe
und intensive Theresa Kronthaler als Al-
bas Sohn leider etwas stiefmütterlich vom
Komponisten bedacht wurde.
In Wien brennt niemand für die Nieder-
lande und schon gar nicht für die Freiheit.
Der Lust- und Erkenntnisgewinn bleibt auf
dem Niveau einer Deutsch- oder Ge-
schichtsstunde, die ihre Schüler weder zu
Revolutionären und noch zu Kunstanbe-
tern macht. Im geglückten Versuch, alles
handwerklich richtig und solide zu ma-
chen, geht, wie in solchen Fällen üblich, die
Kunst vor die Hunde, die Musik malt ge-
konnt Schrecken. Großer Beifall, vor allem
auch für den Arnold-Schoenberg-Chor, der
immer wieder lockend schöne Tableaux
hinzaubert. reinhard j. brembeck

Der nachgebaute Messestand
wirkt wie eine Bühne für die
Theatralik des Kunstmarktes

Mit aufgeschnittener Kamera


Der amerikanische Konzeptkünstler Christopher Williams im C/O Berlin


Weinen für die


Weltrevolution


Ben Becker spielt in Berlin ein


Affen-Solo, zur Freude seiner Fans


Das ewige


Schwarzwaldmädel


Wunderkind auf grüner Heide:


Die Schauspielerin Sonja Ziemann ist gestorben


Mürbes Puppenspiel


Christian Josts Oper „Egmont“ in Wien uraufgeführt


DEFGH Nr. 42, Donnerstag, 20. Februar 2020 (^) FEUILLETON HF2 11
„Christopher Williams Bergische Bauernscheune, Junkersholz, Leichlingen Septem-
ber 29, 2009, 2010, Archival Pigment Print“.FOTO: C. WILLIAMS, GAL. CAPITAIN UND GAL. ZWIRNER
Pathos der Kapitalismuskritik: Ben Be-
cker bei der Menschwerdung des Affen im
Berliner Admiralspalast. FOTO: MARTIN MÜLLER
Sonja Ziemann in den Sechzigern, als sie versuchte, sich vom Heimatmädelimage zu befreien. FOTO: MAURITIUS
Gefühle vom Trödelmarkt der Romantik: Edgaras Montvidas in der Rolle des Grafen
Egmont, im Hintergrund der Arnold-Schoenberg-Chor. FOTO: MONIKA RITTERSHAUS

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