Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
interview: kathrin zinkant

M


an kann sich den großen Mann
mit dem freundlichen Gesicht gut
an Bord eines Forschungsschiffs
vorstellen, den Blick auf die unermessliche
Weite des Ozeans gerichtet. Gerald Haug
ist als weltweit anerkannter Klimageologe
oft auf dem Wasser gewesen, doch von
März an soll der Direktor des Max-Planck-
Instituts für Chemie in Mainz nun ein ande-
res, mächtiges Schiff steuern: Die älteste
naturforschende Akademie der Welt. Die
Leopoldina mit Sitz in Halle an der Saale,
hat Haug zum Nachfolger des seit 2010 am-
tierenden Präsidenten Jörg Hacker ge-
wählt. Es ist keine geringe Aufgabe, als nati-
onale Akademie berät die Leopoldina die
Regierung und die Bundeskanzlerin. Der
SZ erklärt Haug, welchen Kurs er mit der
Leopoldina künftig einschlagen will.


SZ: Professor Haug, Sie haben sich im-
mer als leidenschaftlichen Wissenschaft-
ler beschrieben, der forschen will. War-
um übernehmen Sie nun die Präsident-
schaft der ältesten und wichtigsten Wis-
senschaftsorganisation in Deutschland?
Ist jetzt Schluss mit Forschung?
Gerald Haug: Ich ziehe mich nicht zurück.
Ich werde hauptamtlich Präsident der Leo-
poldina sein, aber ich bleibe aktiv als Direk-
tor im Nebenamt am Max-Planck-Institut
für Chemie in Mainz – und ich bleibe selbst-
verständlich auch Professor an der ETH Zü-
rich, ich habe dort Doktoranden, für die ich
die Verantwortung trage.


Als Akademiepräsident vertreten Sie
mehr als 1600 Mitglieder und beraten
die Regierung. Das ist ein Vollzeitjob.
Das ist sicher richtig, aber ich bin Klimafor-
scher, und gerade das hat mich motiviert,
das Amt des Präsidenten für fünf Jahre zu
übernehmen. Die Wissenschaft schafft ei-
ne wichtige Grundlage für politische Ent-
scheidungen, gerade jetzt, wenn es um
sehr wichtige Themen geht.


Die Regierung zu beraten ist schon lange
die Kernaufgabe der Akademie. Viele sa-
gen dennoch, die Wissenschaft habe
nicht genug Einfluss auf die Politik.
Nach meiner Erfahrung werden wir sehr
wohl wahrgenommen. Entscheidend ist,
dass man zum richtigen Zeitpunkt Ein-
fluss nimmt – wenn es brennt und die Poli-
tik die Stimme der Wissenschaft braucht.
Wenn wir zum Beispiel in zwei Jahren eine
Stellungnahme zum neuen Coronavirus
veröffentlichen, dann ist das zwar akade-
misch interessant. Es bringt aber nichts
mehr. Für die Stellungnahme zu den Klima-
zielen war wichtig, dass sie vor der parla-
mentarischen Diskussion kam. Der Kom-
mentar musste punktgenau zum Klimapa-
ket kommen.


Soll die Akademie, die bisher eher vor-
nehm im Hintergrund agiert hat, künf-
tig stärker an die Öffentlichkeit treten?
Wir haben mit dem neuen Coronavirus
schon fast eine globale Krise, also müssen
wir kommunizieren. Und zwar über die so-
genannte vierte Säule der Demokratie. Die
Unabhängigkeit der freien Presse und der
freien Wissenschaft sind hohe Güter, die
wir schützen müssen.


Bundesforschungsministerin Karlizcek
will in Zukunft sogar Fördergelder an
die Bereitschaft koppeln, Forschung öf-
fentlich zu kommunizieren. Wie stehen
Sie dazu?
Ich denke, dass wir ganz viele hervorragen-
de Forscherinnen und Forscher haben, die
nicht unbedingt die besten Kommunikato-
ren sind. Das ist einfach nicht jedem gege-
ben und auch nicht nötig, um Spitzenfor-
schung zu betreiben. Wir sollten deshalb
niemanden zwingen, sich mit der eigenen
Forschung öffentlich zu präsentieren. Ent-
scheidend ist, dass die Wissenschaft bes-
ser werden sollte, ihren Konsens zu kom-
munizieren – dass sich die Top-Forscher
in einem dynamischen Prozess verständi-
gen und Stellung beziehen, nicht nur für
die Politik, sondern auch gegenüber der Öf-
fentlichkeit.

Wollen Sie generell den Druck auf die Po-
litik erhöhen?
Die Akademie hat natürlich keine Legitima-
tion für eine Gesetzgebung. Aber wir bie-
ten Szenarien an, wie man aktuelle Proble-
me lösen kann. Und das Schöne ist, dass un-
sere Mitglieder da mit großer Disziplin mit-
machen – obwohl sie nicht viel Zeit übrig
haben, mit viel Bürokratie kämpfen und
letztlich ja auch noch forschen wollen.

Als Sie 2007 an die ETH Zürich in die
Schweiz gegangen sind, haben Sie den
Dirigismus und die Bürokratie der pro-
grammatischen Forschung hierzulande
sehr scharf kritisiert.
Ich bin von Herzen Humboldtianer, und
ich hatte die Chance, außerhalb der da-
mals neu eingeführten EU-Programme in
vollkommener Humboldt’scher Freiheit
zu arbeiten, genauso, wie ich es jetzt in der
Max-Planck-Gesellschaft kann. Da gibt es
keine Dauerevaluierung, sondern das Ver-
trauen, dass man es gut machen wird. Wir
brauchen eine Vertrauenskultur.

Also weg mit den Forschungsprogram-
men?
Man kann die Programme so formulieren,
dass die Forscher dann auch tun dürfen,
was sie gut machen und machen wollen.
Außerdem sehe ich natürlich, dass große
Projekte, die ja die Aufgabe der Helmholtz-
Gemeinschaft sind, nicht ohne konzertier-
ten Aufwand auskommen.

Als Klimaforscher können Sie anschau-
lich erklären, welchen Nutzen Ihre For-
schung hat. Aber Klima und Energie
sind nicht die einzigen wichtigen The-
men der Zukunft.
Für die Akademie und auch für mich per-
sönlich ist die Medizin das Feld, auf dem
wir uns stärker engagieren wollen. Da gibt
es große Herausforderungen, aber auch
echte Revolutionen, zum Beispiel in der
Krebsforschung. Global Health ist ein Rie-
senthema, hier spielt das Klima wieder ei-
ne zentrale Rolle. Und schließlich müssen
wir aufpassen, bei der Digitalisierung in
Deutschland und Europa nicht den An-
schluss zu verlieren. Dazu wollen wir inten-
siver beraten.

Es gibt auch in der Leopoldina selbst Än-
derungsbedarf. Der Altersdurchschnitt
ihrer Mitglieder ist seit vielen Jahren ein
Thema. Dazu kommt, dass es unter den
Mitgliedern sehr wenige Frauen gibt.
Wir müssen ganz klar weiblicher werden –

und jünger. Das Durchschnittsalter unse-
rer Mitglieder ist 68 Jahre.

Da müssen Sie sich mit 51 Jahren fast wie
ein Nesthäkchen vorkommen.
(Lacht)Ich denke, das geht schon in Ord-
nung, wenn ich als Fünfzigjähriger die Ver-
antwortung übernehme. Und wir nehmen
auch sehr junge Mitglieder auf, zum Bei-
spiel wurde der wirklich außergewöhnli-
che Mathematiker Peter Scholze mit 29 Jah-
ren Mitglied.Infrage kommt aber nur, wer
eine Idee gehabt hat, die die wissenschaftli-
che Welt bewegt. Zu diesem Zeitpunkt sind
die meisten Kandidaten eher Anfang vier-
zig – und dann müssen sie noch als Mit-
glied vorgeschlagen werden.

Und wie steht es um den Frauenanteil
der Leopoldina?
Das ist etwas komplexer. Mathematik, Na-
tur- und Technikwissenschaften sind kei-
ne Disziplinen mit besonders vielen weibli-
chen Absolventen, im Gegensatz etwa zur
Medizin. Aber wir haben es geschafft, die
Quote der Frauen unter den neuen Mitglie-
dern auf 30 Prozent zu erhöhen. Insgesamt
hat sich unser Frauenanteil in zehn Jahren
von sieben auf 14 Prozent verdoppelt. Das
muss noch besser werden, ist aber eben
auch eine Frage der Generationen. Unser
Ziel ist, dass sich das Verhältnis von männ-
lichen und weiblichen Absolventen in der
Akademie spiegelt. Und wenn im Maschi-

nenbau oder in der Elektrotechnik nur
20Prozent der Absolventen Frauen sind,
können wir nicht sagen: Unter den Mitglie-
dern muss unabhängig von den Talenten
ein Anteil von 50 Prozent sein.

Es gibt herausragende Forscher mit Ta-
lent und Ansehen, die nicht Mitglied der
Akademie sind.

Die einfache Antwort lautet: Man kann
nicht gewählt werden, wenn man nicht vor-
geschlagen wird. Wir haben da ein mehr-
stufiges, strenges Verfahren, um die Quali-
tät zu gewährleisten. Es kommt aber vor,
dass wir Kandidaten übersehen. Auch wer-
den die Themen zunehmend interdiszipli-
när. Außerdem ist es heute so, dass die
wichtigen Themen häufig globalen Charak-
ter haben.

Wie organisieren Sie Ihr Leben zwischen
Halle, Berlin, Mainz und Zürich?
Ich habe in Mainz eine wunderbare Abtei-
lung, die vieles schon lange ohne mich hin-

bekommt und hinbekommen muss. Man
ist in meiner Position eher der Ideengeber.
Wichtig ist mir, dass ich als Professor an
der ETH Zürich weiterhin Vorlesungen hal-
ten kann, dass ich den Kontakt zu den jun-
gen Menschen nicht verliere. Das war auch
immer die Bedingung für meine Kandida-
tur.

Und die Praxis? Sie haben mal gesagt,
Sie sähen sich als geistigen Enkel des
Meeresgeologen Eugen Seibold, kürz-
lich haben Sie ein Forschungsschiff mit
diesem Namen getauft.
Eugen Seibold ist für mich der Vater der
modernen deutschen Meeresgeologie, und
ich war ihm persönlich sehr verbunden.
Ich habe die Jungfernfahrt mitgemacht, da-
mals von Greifswald nach Bremerhaven,
wo wir das Schiff mit wissenschaftlicher
Analytik ausgestattet haben. Und ich war
danach noch einige Male dabei, als das
Schiff ausgefahren ist. Für solche Dinge ha-
be ich natürlich bald noch weniger Zeit,
aber die Realität der Forschung bleibt eine
wichtige Reibungsfläche für mich.

Segeln Sie auch in Ihrer Freizeit?
Das Segeln ist auch privat für mich etwas
Besonderes. Ich besitze ein kleines Holz-
boot, nicht außergewöhnlich, einfach ein
Boot mit Segel, mit dem ich das Achterwas-
ser befahre, auf Usedom. Einmal im Jahr
will ich das auch in Zukunft noch schaffen.

„Wir bieten
Szenarien an,
wie man aktuelle
Probleme lösen kann.“

„Die wichtigen Themen
werden zunehmend
interdisziplinär und
haben globalen Charakter.“

Beim Abbau von Kohle, Öl und Gas werden
offenbar deutlich größere Mengen des
stark wirksamen Treibhausgases Methan
frei als bisher angenommen. Das berich-
ten Forscher um Benjamin Hmiel von der
University of Rochester in den USA im
FachjournalNature. Das Ergebnis bedeu-
tet, dass es aus Klimaschutzsicht noch weit
lohnender ist als angenommen, gegen die
Methanemissionen aus der Nutzung fossi-
ler Rohstoffe vorzugehen.
Methan ist Teil eines natürlichen Kreis-
laufs. Es wird frei, wenn Mikroben ohne
Sauerstoff Pflanzenreste zersetzen, etwa
in Feuchtgebieten. Der Mensch hat aller-
dings das alte Gleichgewicht gehörig
durcheinandergebracht, indem er diesen
Emissionen weitere hinzugefügt hat. So
werden auch in der Viehhaltung, im Reisan-
bau, auf Mülldeponien und in der Gas- und
Ölgewinnung große Mengen Methan pro-
duziert. Anders als CO 2 verbleibt das Gas
zwar nur etwa zehn Jahre in der Atmosphä-
re, über diese Zeit ist seine Treibhauswir-
kung aber mehr als hundertmal so stark
wie die von CO 2.
Pro Jahr gelangen etwa 172 bis 195 Milli-
onen Tonnen fossiles Methan in die Atmo-
sphäre. Bislang war aber unklar, welcher
Teil davon auf menschliche Aktivitäten
zurückgeht und welcher geologischen Ur-
sprungs ist, etwa aus natürlichen Methan-
quellen an Land oder im Meer oder aus
Schlammvulkanen. Bisher wurde die Men-
ge dieses geologischen Methans auf etwa
40 bis 60 Millionen Tonnen geschätzt.
Hmiel und seine Kollegen konnten nun je-
doch zeigen: Das ist um eine volle Größen-
ordnung zu viel, eher dürften es nur 1,6 Mil-
lionen Tonnen sein. Entsprechend größer
wäre der menschengemachte Beitrag aus
dem Abbau vor allem von Öl und Gas, insbe-
sondere etwa durch Fracking.
Für ihre Arbeit untersuchten die Wissen-
schaftler Eisbohrkerne aus Grönland. In
dem Eis in der Tiefe ist der Methangehalt
der Atmosphäre aus der Zeit vor der indus-
triellen Revolution gespeichert, bevor men-
schengemachte fossile Emissionen hinzu-
kamen. Anhand des Gehalts des radioakti-
ven Kohlenstoffisotops 14-C in dem im Eis
abgelagerten Methan konnten die For-
scher ermitteln, welcher Anteil des Me-
thans damals fossilen Ursprungs war: Al-
tes, fossiles Methan ist frei von 14-C, weil
dieses Isotop darin bereits vollständig zer-
fallen ist. Neues aus Feuchtgebieten oder
der Verbrennung von Biomasse hingegen
enthält noch viel 14-C. So konnte das Team
um Hmiel bestimmen, wie viel geologi-
sches Methan damals in die Atmosphäre
gelangte – bis heute, so die Forscher, dürf-
te sich daran nichts Wesentliches geändert
haben.
Die neue Studie betone noch mehr, wie
wichtig es sei, die Nutzung fossiler Brenn-
stoffe schnell auslaufen zu lassen und auf
erneuerbare Energiequellen umzusteigen,
sagt Lena Höglund Isaksson vom Internati-
onalen Institut für angewandte Systemana-
lyse (IIASA) in Laxenburg. Die neue Arbeit
sei auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg,
das Rätsel der zunehmenden Methanemis-
sionen zu lösen: Nachdem diese um die
Jahrtausendwende stagniert hatten, stei-
gen sie seit 2007 wieder rapide an, ohne
dass sich ein klarer Grund ausmachen lie-
ße. marlene weiss

„Der Zeitpunkt


ist entscheidend“


Der künftige Leopoldina-Präsident Gerald Haug


erklärt, wie Wissenschaft auf die Politik einwirken soll


Gerald Haug, 51, kommt
aus Karlsruhe. An Sedi-
mentkernen aus Ozeanen
untersucht der Geologe
die Klimageschichte. Seit
2007 lehrt der Leibniz-
Preisträger an der ETH
Zürich, seit 2015 leitet er
das MPI für Chemie in
Mainz.FOTO: DPA

Doppelt


schädlich


Der Abbau fossiler Energieträger
setzt große Mengen Methan frei

(^14) WISSEN Donnerstag, 20. Februar 2020, Nr. 42DEFGH
Kaiserliches Siegel von 1677: Die Leopoldina in Halle ist die älteste dauerhaft existierende naturforschende Akademie der
Welt. Gegründet wurde sie 1652 und einige Jahre später nach Kaiser Leopold I. benannt. FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA
Auch die Viehhaltung ist eine große Quel-
le von Methanemissionen. FOTO: DPA
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